NWOBHM Made in USA
Die NWOBHM (New Wave of British Heavy Metal) gilt heute als bedeutendste und verbreitetste Strömung innerhalb des Metalkosmos. Dass Riot aus New York ebenfalls von der britischen Bewegung infiziert ist, kommt also nicht von ungefähr. Dennoch ist es eher untypisch, dass eine Band aus den USA einen derart wiedererkennbar europäischen Sound hat. Doch der Reihe nach …
Als Riot im Jahr 1975 von Gitarrist Mark Reale ins Leben gerufen wird, erklingen in den Strassen von Brooklyn die ersten gestählten Klänge. Während auf der britischen Insel eine neue Bewegung durch einen Deejay ins Rollen gebracht wird, tut sich das Ganze in Übersee etwas schwerer. Trotzdem fassen die ungebändigten Klänge des NWOBHM auch bei Reale Fuss und Riot veröffentlichen mit «Rock City» (1977), «Narita» (1979) und «Fire Down Under» (1981) drei Alben, die ihrer Zeit voraus sind: gitarrenbetonter, staubig schwerer Strassenrock, der wiederholt aufs Gaspedal drückt. Somit werden Riot aus New York und Raven aus Newcastle unbewusst zu musikalischen Zwillingen.
Donnernder Stahl
Der kommerzielle Durchbruch bleibt aus und entsprechend ernüchtert wirken die beiden Nachfolgealben «Restless Breed» (1982) und «Born In America» (1983). Riot lösen sich 1984 auf, um vier Jahre später mit neuem Line-up Geschichte zu schreiben: «Thundersteel» (1988) ist nicht nur das perfekte Comeback-Album, vielmehr befördern Riot damit die NWOBHM auf die nächste Stufe. Der amerikanische Power Metal wird im wahrsten Sinne des Wortes definiert. Mit geballter Wucht und erfrischender Dynamik steht das Album zahlreichen Genre-Klassikern Pate, besonders bei Judas Priests «Painkiller» (1990). Währenddessen setzen Riot mit «The Privilege Of Power» (1990) experimentell (u.a. mit Bläsern!), aber immer noch volle Pulle eins obendrauf.
Trotzdem bleibt Riot kommerziell gesehen nach wie vor auf der Strecke. Es kommt zu unzähligen Besetzungswechseln und sechs weiteren starken Alben, die aber hauptsächlich Fanfutter bleiben. Doch mit «Immortal Soul» (2011) greifen Riot abermals nach den Sternen und lassen so richtiges Thundersteel-Feeling aufleben. Nur wenige Monate später folgt die Hiobsbotschaft: Bandkopf und Gitarrist Mark Reale erliegt seiner langjährigen Morbus-Crohn-Krankheit. Das Leben ist unfair …
Von Riot zu Riot V
Im Einverständnis mit Marks Vater beschliesst die Band unter dem Namen Riot V die Geschichte fortzusetzen. Bass-Veteran sowie Band-Manager Don Van Stavern (seit 1986 dabei) und Gitarrist Mike Flyntz (seit 1989 dabei) holen dafür die geeigneten Leute an Bord. So steigen neben Flyntzs Gitarrenschüler Nick Lee auch Drummer Frank Gilchriest und Shouter Todd Michael Hall ein. Eine Besetzung, die zur konstantesten der Bandgeschichte werden wird.
Bereits der Erstling «Unleash The Fire» (2014) besitzt alle Komponente, die das musikalische Vermächtnis von Mark Reale bis in alle Ecken und Enden ehrt und auch mitverantwortlich für die eine und andere nostalgische Freudenträne wird. Vier Jahre später doppeln die Herren mit «Armor Of Light» (2018) unverbraucht nach. Mit neuen Hymnen vermischt mit Klassikern erobern sie das Livepublikum weltweit im Sturm – Riot (V) sind zurück! Und wie!!
Berüchtigte Strassen
Grundsätzlich könnten Riot V mit ihrem reichen Backkatalog und ihren unsterblichen Hits eine Retrotour nach der anderen durchziehen und wohl kaum jemand würde es ihnen krummnehmen. Doch das entspräche nicht dem Credo von Riot V, wie Don Van Stavern im Pressetext zum neuen Album beteuert: «Heavy Metal ist eine Leidenschaft, die man unmöglich aufgeben kann, nachdem man sie so viele Jahre lang ausgeübt hat. Solange wir auftreten und komponieren können, wird er tief in unserem Herzen und unserer Seele verwurzelt sein.»
Während man bei «Armor Of Light» auf das Erfolgsrezept vom gefeierten Vorgänger «Unleash The Fire» gebaut hat, gehen Riot V auf «Mean Streets» wesentlich mutiger und versierter zu Werke. Aber vorerst bringt der Opener ‹Hail To The Warriors› durch seine gewohnt riotische Power-Metal-Wucht jeden Lautsprecher an die Grenzen. Mit einem unüberhörbaren Gruss an Priest und Maiden wird hier alles zelebriert, was eine potenzielle Hymne ausmacht: Die zweistimmige Gitarrenarbeit von Flyntz und Lee ist vom ersten Riff bis zum letzten Solo tadellos, die Rhythmusfraktion Van Stavern/Gilchriest macht alles dem Erdboden gleich und Todd Michael Hall phrasiert mit seiner Falsettstimme als beschwörender Prophet in der Wildnis.
Bei den nachfolgenden ‹Feel The Fire› und ‹Love Beyond The Grave› verlassen Riot V überraschenderweise das gewohnte Power-Metal-Terrain. Man fühlt sich in die Strassen von Brooklyn zurückversetzt – dort, wo Riots Geschichte begann. Etwas dreckig sowie aufmüpfig und draufgängerisch klingt der Soundtrack dazu. Und dieses Strassenfeeling bleibt auch in den nachfolgenden Tracks erhalten. Riot V machen eine musikalische Reise durch ihre Geschichte und Entwicklung. Diese reicht von Hardrock (Before This Time, Open Road) bzw. Heavy Rock (Lost Dreams, Lean Into It) über Heavy Metal (Mean Streets, No More) bis hin zu Power/Speed Metal (High Noon, Higher). Aber egal welches Register auch immer Riot V zieht, es sitzt und macht Laune!
Das Fanzit Riot V – Mean Streets
Auf «Mean Streets» versetzen Riot V den geneigten Hörer in die Anfänge des NWOBHM zurück. Trotz der zeitgemäss warmen und dynamisch druckvollen Produktion riecht man aus den traditionellen Kompositionen den Geruch der Strasse heraus – dort, wo Heavy Metal geboren wurde. Mit zwölf abwechslungsreichen Nummern wird alles geboten, was man sich als Fan von einem traditionellen Metal-Album wünschen kann. Man könnte höchstens bemängeln, dass es mehr Material mit durchgedrücktem Gaspedal vertragen hätte. Aber auch so kommt das Album ohne Skip-Taste bestens zurecht.
Bei «Mean Streets» würde man sich am liebsten, wie Band-Maskottchen Tior auf dem Albumcover, auf eine schwere Maschine setzen und durch die Strassen donnern. Hail to the Warriors!
Die Trackliste Riot V – Mean Streets
- Hail To The Warriors
- Feel The Fire
- Love Beyond The Grave
- High Noon
- Before This Time
- Higher
- Mean Streets
- Open Road
- Mortal Eyes
- Lost Dreams
- Lean Into It
- No More
Das Line Up – Riot V
- Todd Michael Hall – Vocals
- Mike Flyntz – Guitars
- Nick Lee – Guitars
- Don Van Stavern – Bass
- Frank Gilchriest – Drums