Die Versuchung
Hollywood calling und der Kaufleuten-Saal – einen besseren Ort für Hollywood gibt es ja in der Schweiz kaum – war im Nu ausverkauft. Dogstar spielen heute Abend. Dogstar? Who the fuck is Dogstar?
Wir müssen ja nicht lange um den Brei herumreden: Dogstar ist keines der YouTube/Social Media-Phänomene, die in kürzester Zeit weltbekannt werden, anschliessend gleich schon auf Welttournee gehen und die man dann sehen muss. Im Gegenteil, Dogstar wurden bereits 1991 gegründet. Sie hatten die letzten 20 Jahre pausiert, aber im vorigen Jahr kam ein neues Album raus und so ist man wieder unterwegs mit seinem gemäss Wikipeda «Alternative Rock» mit einer Prise Grunge.
Doch zurück zur Ursprungsfrage: Wer sind Dogstar, dass sie den Kaufleuten Saal mit einer Kapazität von rund 700 Leuten im Nu ausverkaufen? Es gab jetzt also doch noch ein bisschen Brei herum: Dogstar ist Keanu Reeves. Der Keanu? Genau, der Keanu. Nebst Johnny Depp ein weiterer Superstar, der neben dem Schauspielern noch ein zweites Rockstarleben hat. Und zur Zeit der Bandgründung gab es noch nicht einmal «Speed». Die Garagenband gab es also vor dem Hollywood-Ruhm.
Yep, ich gebs zu und steh dazu. Auch ich erlag der Versuchung, einen weiteren Hollywood-Superstar vor die Linse zu kriegen. Und ich wage jetzt mal zu behaupten, heute ist keiner wegen der Band Dogstar und deren Musik da. Oder wer von euch kannte die Band vorher?
Und was spielen die so?
ABER, ich lasse mich auch gerne überraschen, von dem was heute auf mich zukommt. Ich hab bewusst vor dem Konzert nicht gross reingehört, was die überhaupt so spielen. Vor kurzem poppte aber noch ein Video von Davide Biale aka Davie504 auf YouTube auf. Davide ist ein begnadeter Bassist und macht witzige Videos von, über Bassisten und alles, was so mit den fetten Saiten des Lebens möglich ist. In dem angesprochenen Video stellt er die Frage: «Can Keanu Reeves Actually Play BASS?». Ohne zu viel zu verraten (schaut euch das Video gerne selber an), kriegt selbst bei einem Bass-Nerd ein Keanue viel Credit, weil es halt einfach Keanue Reeves ist.
Der Vergleich mit Johnny Depp liegt natürlich auf der Hand. Auch damals wollte ich vor allem mal Johnny Depp live erleben und ablichten. Die Band von Johnny D. nennt sich Hollywood Vampires. Die gibt es ebenfalls schon länger, hat jedoch noch andere Superstars – gestandene Musiker (Alice Cooper, Joe Perry) – im Roster. Und die hatten mich dann wirklich auch musikalisch sehr gut abgeholt. Da waren die Augen nicht nur auf den Hollywood-Star gerichtet, wenn natürlich, genau wie jetzt, viele wegen ihm kamen. So oft hat man ja nicht die Möglichkeit, Schauspieler der höchsten Liga derart nah und nahbar zu erleben.
Heute im Kaufleuten Saal könnte ich Keanu ja praktisch berühren. Es gibt keinen Fotograben – das macht es in einem proppenvollen Saal natürlich nicht grad einfach, ein paar schlaue Schnappschüsse auszulösen – und somit stehen die Groupies schon fast mit auf der Bühne. Doch wer jetzt denkt, da vorne stehen kreischende Teenies, wird eines Besseren belehrt. Das Durchschnittsalter der Besucher ist wohl nah bei 40 oder gar drüber. Hat wohl nicht zuletzt damit zu tun, dass Reeves selber auch schon an der 60er-Schwelle steht und jetzt nicht grad der absolute TikTok-Schrei ist.
Alter Egos
Interessanterweise vermittelt Keanu Reeves von sich auf der Bühne – wie bereits Johnny Depp – genau das Bild, welches wir von ihm als Schauspieler haben. Depp ist Jack Sparrow mit Gitarre und Reeves John Wick mit Bassgitarre. John bzw. Keanu verzerrt praktisch keine Miene, kein Lächeln oder sonstige Emotionen. Man hat das Gefühl, er muss das machen, weil er wie sein Alter-Ego John Wick aus dieser ewigen Spirale nicht rauskommt. Sein Gesicht vermittelt die Trauer um getötete Ehefrau und Hund (ich rede jetzt vom Film-Reeve).
Wer erwartet, dass hier einer auf lustig und hallo zusammen macht, sieht sich getäuscht. Die Band kommt auf die Bühne und spielt. So auch Keanu Reeves. Und wenn einer der Leader ist und spricht, dann Sänger und Gitarrist in Personalunion Bret Domrose. Keanu spielt also heute nur eine Nebenrolle. Wenn wir schon beim Cast sind, sei der Vollständigkeit halber zudem Mitgründer und Drummer Robert Mailhouse erwähnt. Sonst kommt noch die Hollywood-Gewerkschaft auf den Plan.
Und wie hört sich das Ganze an? Gut. Es tut niemanden weh. Solide gespielt. Auch von Keanu, der zwar gefühlt immer den gleichen Basslauf spielt, aber passt zum Sound. Ich würde jetzt nicht grad ein Album von denen kaufen oder regelmässig Konzerte besuchen, aber wie gesagt ganz OK und gegen Ende werden sie sogar etwas rockiger. Ansonsten fischt man schon eher in seichten Gewässern.
Keanu Reeves: Tick. Danke für einen gemütlichen Abend (der dann im Ebrietas dank toller Begleitung noch rockiger, intensiver und ungeplant länger sein wird… und am nächsten Tag gibt es eh AC/DC in München).
Das Fanzit – Dogstar
Keanu Reeves steht gross auf einem Plakat mit den aktuellen Konzerten im Kaufleuten. Nicht überraschend war es dann zack die Matrix ausverkauft. Dennoch Respekt, dass der Superstar mit seinen Buddies – die Band Dogstar gab es, bevor Keanu Reeves mit Speed über Nacht weltberühmt wurde – immer noch auf Tour geht und die fetten Saiten des Lebens auf eine andere Art und Weise, als man es von einem Hollywood-Start erwarten würde, geniesst. Ausdrucksmässig war es John Wick, soundmässig jedoch ganz gemütlich und schmerzlos.