Rain AND Shine – oder Business as usual (?)
Vom 2. bis 5. August fand die 32. Ausgabe des legendären Wacken Open Air statt. Der Pflichttermin vieler Metalheads aus der ganzen Welt stand dabei ganz im Zeichen des Schlamms. Diesem haben wir als vereinte Metalfamilie jedoch geduldig getrotzt und gefeiert, was das Zeug hielt!
Domi the Stick (DtS): Anfangs August erhielt das Wacken Open Air so viel Medienpräsenz wie wohl nie zuvor. Geschuldet war dies weniger dem Festival an sich und viel mehr der schieren Regenmasse, die schon Wochen zuvor auf den heiligen Acker niederprasselte und für Schlamm par excellence sorgte. Bereits die Bilder vom Aufbau waren eindrücklich und versprachen eine weitere Schlammausgabe, wie sie das norddeutsche Festival zuletzt 2015 erlebt hatte. Doch witterungserprobte Metalheads liessen sich nicht beirren und reisten trotzdem für eine Woche auf den neben dem Dörfchen Wacken gelegenen Holy Ground. Genauso auch Metalinside.ch: Mein Namensvetter Domi sowie meine Wenigkeit als Schreiberlinge, unser Häuptling pam bewaffnet mit Kamera, Larissa mit unserem Instagram-Account im Hinterkopf und Raphi als ‘gewöhnlicher’ Gast, der sich überall dort mit Ergänzungen dazwischen schleichen wird, wo unsere persönliche Running Orders voneinander abgewichen sind. Nachfolgend haben wir euch jede Menge Eindrücke in Text- und Bildform zusammengestellt. Viel Spass!
Domi: Absolut passende Einleitung, lieber Namensvetter. Bereits die Aussichten auf den Wetterapps prophezeiten im Vorfeld eine schwierige Lage im hohen Norden. Wer wie ich schon Jahre Wackenerfahrung hat, der wusste sofort: Fischerstiefel gehören dieses Jahr wiederum zum persönlichen Equipment. Es verhält sich jedoch wie beim Joggen: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung, und somit wurde einfach ein wenig anders gepackt als zum Beispiel im letzten Jahr. Dass es aber derart prekär werden würde wie noch nie, das war im Vorfeld keinem auch nur annähernd klar.
Montag, 31. Juli 2024
DtS: Für Larissa und mich ist es inzwischen Tradition, dass wir bereits am Samstag vor Wacken losreisen und uns an einem anderen, kleinen Festival aufwärmen. Dabei suchen wir gar nicht aktiv nach diesen Festivals, die springen uns einfach so an. Von Amsterdam aus, wo wir bis vor Kurzem für einige Monate stationiert waren, ging es zunächst also ans Stonehenge Festival im niederländischen Steenwijk. 23 Death Metal-Acts in 14 Stunden? Klingt anstrengend, doch das Ziel des Warm-Ups wurde definitiv erfüllt. Am Sonntag ging es weiter nach Wacken, wo wir uns für eine Nacht bei Freunden einquartierten und uns auf das Entern des Holy Grounds am Folgetag vorbereiteten. Jetzt ist es also soweit: Die Wacken-Woche hat gestartet.
Der Holy Wet Ground
DtS: Los gehts! Noch vor dem Frühstück steht ein kurzer Abstecher zum Check-in an, wo wir unsere Pressebändchen abholen. Okay, das dauert schlussendlich etwas länger, aber – und ich greife vor – über eineinhalb Stündchen Wartezeit können wir uns kaum beklagen, wenn man bedenkt, dass es dieses Jahr nicht alle Metalheads bis aufs Gelände schafften. Noch schnell ein feines Frühstück und ab aufs Areal!
Dieses ist, wie soll ich sagen… nass? Die grüne, geradezu saftige Wiese trügt, denn schon beim kurzen Weg vom Eingang beim Busparkplatz zu unserem Stammplatz auf L begrüssen meine Knöchel mehrfach die Wasseroberfläche. Ja, grosse Teile von L stehen effektiv unter Wasser, und die Fortbewegungsart dürfte am ehesten als Waten bezeichnet werden. Zum Glück sind wir frühzeitig da und finden noch ein Plätzchen am oberen Rand der Wiese, wo das Wasser wenigstens etwas abläuft. Bald schon stehen einige Zelte unserer Gruppe. Dem einsetzenden Regen geschuldet sind die Innenzelte mindestens feucht, doch wenigstens sind unsere Rucksäcke nun etwas geschützt. Da unser Pavillon sowieso noch bei Freunden im Kofferraum liegt und diese wiederum in der Anfahrtsschlange stehen, bleibt uns jetzt Zeit, unseren Nachbarn zu helfen. Diese müssen nämlich ihr gesamtes Camp zügeln, weil die Ordner spontan dafür sorgen, dass ein weiterer Durchgang frei von Zelten bleibt. Der wird sich im Laufe der Woche als sehr nützlich dabei erweisen, unser Camp vom Durchgangsverkehr zu befreien und darf somit gerne auch zukünftig freigehalten werden.
Lange Rede, kurzer Sinn: Nach einem längeren logistischen Spaziergang – wir holen den Pavillon schlussendlich zu Fuss aus der Autoschlange – steht irgendwann das ganze Camp inklusive Pavillon, und wir können es uns am Nachmittag gemütlich machen. Dabei wagen wir auch einen Abstecher zur Wacken Plaza und dem Farmer’s Market. Hier auf der Welcome To The Jungle Stage werden wir in einigen Stunden unser Abendprogramm geniessen.
Vorläufiger Anreisestopp
DtS: Während des Tages erreicht uns über unsere Handys die Mitteilung, dass ein vorläufiger Anreisestopp verhängt wurde. Weil der Boden nicht nur durchnässt, sondern zu einer regelrechten Sumpflandschaft mutiert ist, müssen die aufgebotenen Traktoren Auto für Auto auf den Acker ziehen. Ein Bild, das man von anderen Jahren höchstens vom Abreisetag kennt. Entsprechend haben sich in den letzten Stunden kilometerlange Warteschlangen gebildet, welche die wie noch nie geforderte Logistik des Festivals in die Knie zwingen. Jeder Besucher wird dazu andere Anekdoten auf Lager haben. Doch die Bilder von Holzschnitzelbergen, die einfach weggeschwemmt werden, von unter Wasser stehenden Wiesen und von Fahrzeugen, die gegen die Nässe schlicht keine Chance haben, die sind definitiv eindrücklich.
Domi: Als mein Namensvetter bereits auf dem heiligen Acker ums Vorwärtskommen kämpfen durfte, war ich noch weit weg, trotzdem erreichten auch mich die weniger schönen Nachrichten. Und obwohl ich bereits seit Jahren um diese Zeit die gleiche Reise antrete, war die Nervosität dieses Mal ein wenig eine andere. Denn Fragezeichen tauchten im Kopf auf: Was, wenn das Festival abgesagt wird? Was, wenn du nicht mehr auf den Holy Ground darfst? Für mich war aber sofort klar, dass jede Entscheidung respektiert wird. Nach den letzten Jahren – ihr wisst was ich meine – fand ich auch Gefallen an allfälligen Alternativplänen. Natürlich nicht zu vergleichen mit dem Anlass Wacken selbst… aber Plan B scheint dieses Jahr wichtiger zu sein, als alle Jahre zuvor.
Alien Rockin’ Explosion, oder: Unwetterwarnung
DtS: Unser erster Act der diesjährigen Ausgabe hört – wie so oft – auf den Namen Alien Rockin’ Explosion. Seit einem Jahrzehnt stehen die spanischen Ausserirdischen regelmässig vor und während Maschines Late Night Show auf der Bühne. Mit Covers aus der Rock- und Metalwelt, denen sie ihren charakteristischen Stempel aufdrücken, und dem einen oder anderen selbstgeschriebenen Song verstehen es die beiden Fronter María und Iván zusammen mit ihrer Band, weitherum für gute Stimmung zu sorgen. Auch heute ist die Stimmung hervorragend: Zwar stehen aufgrund des Regens weniger Metalheads vor der Bühne als üblich. Doch dieser harte Kern hat viel Spass, und weiter hinten unter dem riesigen Unterstand herrscht ebenfalls ausgelassene Stimmung.
Nach nur drei (glaube ich) Songs folgt die böse Überraschung: Maschine betritt die Bühne, ergreift das Mikrofon, und dies leider nicht nur für einen dummen Spruch. Sichtlich unerfreut – schliesslich ist auch seine nachfolgende Late Night Show betroffen – verkündet er, dass eine Unwetterwarnung ausgesprochen wurde und das Gelände evakuiert wird. Okay, grundsätzlich kennt man das Prozedere, das zum Beispiel auch 2019 mindestens zweimal durchgespielt wurde. Wir begeben uns also zum Campingplatz und warten dort auf weitere Anweisungen.
Dienstag, 1. August
DtS: Das Warten ist jedoch umsonst. Nachdem wir den Abend unter unserem Doppelpavillon gemütlich ausklingen liessen, erwache ich am Morgen und konsultiere mein Mobiltelefon. Keine Aufhebung der Unwetterwarnung und auch keine anderen Infos. Ich krieche aus dem Zelt und auch im Camp weiss niemand Genaueres. Nun, aufgrund der scheinenden Sonne wollen wir mal davon ausgehen, dass das Unwetter vorbei ist, und freuen uns auf einen angenehmen Tag. Dieser sieht zum ersten Mal seit vielen Jahren keinen Abstecher ins Freibad vor; die Begeisterung dafür hält sich nämlich in Grenzen. Wir begnügen uns also mit dem obligatorischen Grosseinkauf und dann einigen Gigs auf der LGH Clubstage.
Für heute haben auch Domi und pam ihre jeweiligen Anreisen geplant, oder?
Domi: Am Dienstag, 1. August feiern die einen in der Schweiz den Nationalfeiertag. Ich mache mich an diesem Tag auf die Reise nach Wacken. Die Vorzeichen stehen ja – wie bereits bemerkt – nicht wirklich gut, es wird wahrscheinlich eines der “matschigen” Wacken-Erlebnisse. Noch unterwegs erreicht mich über die Wacken-App die Information, dass die Wacken-Veranstalter bitten, von weiteren Anreisen abzusehen. In diesem Moment stehe ich aber bereits in Itzehoe vor Ort. Doch den Bändeltausch verschiebe ich auf den nächsten Tag. Erst mal abwarten und Tee trinken, ist die Devise – und mitverfolgen, wie es nun mit der ganzen Geschichte weitergeht.
pam: Yep, Raphi ist mit Bruder Mätthe am Sonntag im grossen Wohnmobil aus der Schweiz losgefahren und ich bin mit Nicole und Kollege Roman heute mit dem Flieger unterwegs in den “hohen” Norden. Noch im Flieger gilt es zu organisieren, wo wir heute nächtigen werden … denn auch wir haben inzwischen erfahren, dass man aktuell definitiv nicht mehr auf den gebuchten Campingplatz kommt.
Definitiver Anreisetopp
DtS: Nachdem wir heute den Grosseinkauf, den wir normalerweise bereits am Montag tätigen, nachgeholt haben, erreicht uns auf dem Rückweg ins Dorf die Schocknachricht: Nach den mehrfachen vorläufigen Anreisestopps folgt das endgültige Aus. Zum Glück nicht des ganzen Festivals, doch der Anreise. Die Veranstalter haben die wohl alles andere als einfache, aber von den Bodenverhältnissen schlicht erzwungene Entscheidung getroffen, die Anreise abzubrechen. Noch ist völlig unbekannt, wie viele Metalheads sich bereits auf dem Acker befinden, wie viele weiterhin in den kilometerlangen Schlangen durch die umliegenden Dörfer stecken, oder wie viele sich mit ihren Fahrzeugen oder dem Bahnverkehr irgendwo zwischen ihrem Zuhause und dem Metal-Mekka befinden. Zudem ist Larissa und mir nicht klar, wo Domi und pam aktuell stecken und ob sie es ans Festival schaffen. Mit Unbehagen frage ich in der WhatsApp-Gruppe mal nach, wie es bei ihnen aussieht. Wie geplant begeben wir uns aber zum Landgasthof zur Post respektive Landgasthof zum Wackinger, der seit vergangenem Jahr unter dem Namen LGH Clubstage Konzerte beherbergt. Hier hält die Running Order einige Gigs für uns bereit.
Domi: Auch mich erreicht die Nachricht des definitiven Anreisestopps. Es ist vergleichbar mit einem Faustschlag ins Gesicht. Die Gewissheit, dass es auf den heiligen Acker reichen wird, ist jetzt in weite Ferne gerückt. Ich freunde mich bereits mit dem Gedanken an, mir mein Alternativprogramm auszudenken. Trotzdem gibt es einen letzten Hoffnungsschimmer; aus zuverlässiger Quelle vor Ort wurde mir herangetragen, dass es immer noch möglich ist, seine Tickets umzutauschen. Ob das aber am nächsten Morgen (Mittwoch) nach wie vor möglich sein wird, das weiss aktuell niemand.
An dieser Stelle auch ein wenig Kritik: Ich verstehe zwar gut, dass die Kommunikation in diesen Stunden für die Veranstalter unheimlich schwierig ist. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass hier für kommende Jahre noch einiges Potenzial vorhanden ist. Stundenlang gibt es keine Updates mehr. Auch aus einer im Nachgang zum Einreisestopp veröffentlichten FAQ ist nicht klar, was jetzt die Regel ist und es gibt einige gummige Paragraphen, die nicht klar deutbar sind. Ich fühle in diesem Moment mit all denjenigen mit, welche mehrere 1000 km angereist sind und sich jetzt trotz Ticket genötigt fühlen, wieder umzukehren, beziehungsweise zuhause zu bleiben, sofern sie die Reise noch nicht angetreten haben. Aber auf der anderen Seite sind es genau diese Menschen, welche es ermöglichen, dass überhaupt noch ein Wacken 2023 stattfinden wird. So steht es in den Pressemitteilungen und so wird es auch von den Veranstaltern via Videobotschaft um die Welt gesendet.
From Dusk Till Dawn bei Bio-Bauer Jens
pam: Nun, ich denke, man muss etwas vorsichtig sein mit Kritik in einer solchen Ausnahmesituation. Wenn man selber nicht weiss, ob was wie noch möglich ist, dann ist es auch schwierig, entsprechend zu kommunizieren. Vom Einreisestopp sind wir aber entsprechend ebenfalls betroffen. Der Plan bei uns war, dass die Fliegertruppe auf dem Gelände zur Campertruppe stösst. Doch die Strassen sind alle verstopft. Viele mussten die vorherige Nacht schon im Auto verbringen und sind in 24 Stunden keinen Meter weit gekommen. Da macht es keinen Sinn, dass wir uns mit unserem Riesenteil da auch noch reinquetschen. Darum hab ich schon im Flieger meinen Lieblings-Bio-Bauern – den Jens – angeschrieben, ob er allenfalls ein Plätzchen für unser Gefährt hätte.
Jens hab ich vor vielen Jahren im VIP-/Pressebereich des Wacken Open Air kennengelernt und sofort ins Herz geschlossen. Und wie erhofft dürfen wir bei ihm die erste Nacht verbringen. Das Camperteam um Raphi und Mätthe wird also zu ihm umgelotst. Jens’ Bauernhof ist etwas ausserhalb von Wacken. Die Fliegertruppe stösst wenig später mit dem Taxi vom Flughafen dazu. Damit ist unsere diesjährige Wackentruppe vereint. Und was mich besonders freut: Das Wiedersehen mit Jens nach all den Jahren.
Dies wird entsprechend mit Bier (und Milch!) aufs Äusserste zelebriert. Spontan wird dann gleich schon mal der Raclette-Vorrat angezapft und in der Küche von Bauer Jens feiern wir nicht nur unseren Zusammenhalt, sondern auch den der Schweiz mit Schweizer Bier, Raclette und ein paar Lampions. Jens weiss zwar glaub grad nicht, wie ihm geschieht, aber die Pre-Wacken-Swiss-Party nimmt ihren Lauf. Und irgendwann packt es auch Jens – wie die Bilder am nächsten Tag beweisen – und er holt den Absinth aus dem (gefühlten) Geheimfach. So kommt es also, wie es kommen muss. Wenn man vorher literweise Bier trinkt und dann urplötzlich auf Schnäpse oder gar Absinth umsteigt, dann – genau – fliesst das im gleichen Tempo weiter (Raphi: Die Milch war halt doch die bessere Wahl).
Irgendwann in der Nacht wache ich auf dem Eckbank der Küche auf. Keiner mehr da. Alle weg. Alle? Halt, da liegt noch einer. Doch wer ist das? Und da liegen ziemlich fette Messer überall auf dem Boden verteilt. Also nicht irgendwelche Essensmesser, sondern so richtige à la Crocodile Dundee “das ist ein Messer”-Fleischermesser. Ich geh raus in den Hof und hab das Gefühl, in einer völlig anderen Welt zu sein. Es ist noch dunkel. Ah, da steht unser Camper. Schnell reinflüchten vor diesem komischen Typen in der Küche. Da ist Nicole. Ich sag ihr noch: “Da liegt ein fremder Mann in der Küche.” Mutig wie sie ist, geht sie nachschauen, ich warne sie pflichtbewusst vor den Messern und überhaupt den Zombies, den vielen Schuhen vor der Stahltür. Denn warum nur Schuhe, wo sind die Besitzer? From-Dusk-Till-Dawn-mässig: Grad noch fröhliche 1. August-Party und plötzlich ein Horrormovie… Gottseidank, Nicole kommt an einem Stück lebendig zurück. Sie teilt mir mit, dass in der Küche niemand sei ausser unserem Kumpel Roman. Hä? Das kann nicht sein. Der fremde Mann sah viel älter aus und hatte auch einen Bart. Ich hätte den beinahe aus Angst erstochen! Holy Shit, so gehen also Ohren ab. Ich trinke nie mehr Absinth. Das ist definitiv des Teufels.
Nun, was folgt jetzt? Bleiben wir beim Titty Twister… beziehungsweise bei Jens oder versuchen wir doch noch auf den Camping zu kommen? Für Jens stellt sich die Frage nicht (also nicht, dass er genug von uns hätte … aber weil er glaubt, dass wir noch reinkommen. OK, nach der Nacht vielleicht auch ein bisschen beides). Er sagt, da kommt ihr schon rein. Ich fahre mit ihm voraus und tatsächlich werden wir überall durchgewunken, als gäb es keinen Anreisestopp. Es soll sich rausstellen, dass keiner vor Ort abgewiesen wird. Das find ich stark. Wer da ist, kommt auch rein. Später beim Bändeli abholen ebenfalls kein Problem (Leser, die schön brav alles lesen, werden jetzt dann gleich merken, dass ich einen Tag zu früh unterwegs bin. Darum gehts im Text jetzt nochmals einen Tag zurück, bevor wir dann wieder zurück in der Zukunft sind. Ausser ihr habt Absinth getrunken, dann macht das Ganze natürlich schon Sinn…).
Todsünde
DtS: Fast hätten wir es nicht pünktlich zum Landgasthof geschafft. Doch wir sind jetzt hier im Restaurant, in welchem wir schon viele gemütliche Stunden und sehr aktive Konzerte erlebten, und uns dröhnen laute Riffs entgegen. Glück im Unglück: Wir kommen zwar zu spät, doch gab es Verzögerungen beim Soundcheck und wir bekommen den Auftritt von Anfang an mit. Das ist es also, das für uns erste Metal-Konzert (abgesehen von der kurzen Alien-Rock-Episode gestern Abend) des zweiunddreissigsten Wacken Open Airs.
Die Beschreibung “laut” trifft übrigens sehr gut auf das zu, was hier aus den Boxen dröhnt. Im leicht muffigen Raum – Lüften zwischen den Konzerten lässt die Architektur kaum zu – bestaunen ein paar Dutzend Metalheads den groovigen deutschsprachigen Sound, den uns Todsünde aus Nordrhein-Westfalen präsentieren. Die schwarz-weiss geschminkten Jungs machen ihre Sache gut. Unsere Nackenmuskeln sind aufgewärmt, und es ist Zeit für ein Bierchen, bevor es auf der Bühne mit der nächsten Band weitergeht.
Setliste Todsünde
- Herzjagd
- Licht Und Schatten
- Wir Spielen Gott
- Höllenbrut
- Mensch Ärgere Dich Nicht
- Mein Herz Gehört Dir
- Störenfried
- Spreng Die Ketten
- Skål Mein Freund
- Schutt Und Asche
- Das Ist Zorn!
Damnation Defaced
DtS: Diese hört auf den Namen Damnation Defaced, stammt aus Niedersachsen und liefert progressiv angehauchten Melodeath. Damit treffen sie genau meinen Geschmack und gerade die etwas langsameren Songs grooven, was das Zeug hält. Dabei wird das Ganze aber nicht zu eintönig, denn Damnation Defaced können auch schnell und sorgen so für einige würdige Pits. Diese fordert Blondschopf Philipp Bischoff hinter seinem als stehende Kette verzierten Mikroständer entsprechend immer wieder ein. Die Stimmung ist bombastisch, das Underground-Feeling vorhanden (wir befinden uns an einem der grössten Metalfestivals überhaupt, aber vor der Bühne stehen kaum mehr als 120 Personen); das Set gefühlt viel zu kurz. Ich sage “gefühlt”, weil eigentlich sind 60 Minuten eine ganz anständige Länge für Festivalgigs. Dieser grosszügige Zeitplan sowie die Location an und für sich machen die LGH Clubstage zu einem angenehmen Ort des gemeinsamen Feierns.
Setliste Damnation Defaced
- In Total Darkness
- Scorn
- Race For The Grail
- Palace Of Dead Souls
- The Dark Companion
- Tiefenrausch
- Goddess Of Machines
- Between Innocence And Omnivores
- Hunter And The Vermin
- Invader From Beyond
- Wolverine Blues
- The Black Ark
- Ain’t No Sympathy For The Lost
Messticator
DtS: So angenehm, dass wir gleich noch eine Runde bleiben! Die beiden riesigen Buchstaben M, die in der Pause aufgestellt werden, bestätigen: Messticator sind an der Reihe. Genretechnisch springen wir eins weiter, denn die Hamburger versorgen uns mit feinstem death-angehauchten Thrash Metal. Zweifelsohne ein weiteres Fitnessprogramm für alle Anwesenden: Sei es beim Headbangen oder Moshen. Beides wird geradezu zelebriert. Kein Wunder, so wie Messticator auf der Bühne Gas geben. Zwischenfazit Landgasthof: Alle drei Bands, die wir heute Nachmittag hier erlebt haben, besitzen Potenzial und sollten auf dem Radar behalten werden.
Setliste Messticator
- Trembling Earth
- Vaderous Ferocity
- Cvltkiller
- Obliteration By Messtication
- Unmask The Hypocrisy
- Delusions + Repentless (Cover: Slayer)
- Disciple (Cover: Slayer)
- Summon The Destroyer
- Leathermilf
- Iron Messiah
- My Twisted Mind
- Recapitulation
Alien Rockin’ Explosion
DtS: Nach Stärkung unserer Nackenmuskeln im Landgasthof sowie unserer Mägen bei der lokalen Dönerbude von Ali begeben wir uns zurück aufs Gelände. Zuerst ein kurzer Zwischenhalt bei unserem Camp, dann jedoch gleich rein zur Welcome To The Jungle Stage, wo unser gestriger Abend von der Sturmwarnung abrupt unterbrochen wurde. Erneut sind Alien Rockin’ Explosion an der Reihe. Den Anfang ihres Sets geniessen wir noch vom vorderen Bereich aus. Doch wie auch der gestrige steht der heutige Auftritt unter keinem guten Stern: Nach nur wenigen Minuten erstarkt der Regen und lässt einen Grossteil des Publikums – so auch uns – unter dem grossen Zeltdach Unterschlupf suchen. Leider ist die Akustik hier heute wieder nicht besser – was jedoch nicht zu erwarten war – und so mutiert der Abend langsam, aber sicher zu einem gemütlichen, allerdings engen Abend unter Freunden. Das Konzert rückt mehr und mehr in den Hintegrund.
Maschines Late Night Show
DtS: Auf den vielen Festbänken eingepfercht verfolgen wir auch einen Teil der Late Night Show, die heute endlich stattfinden darf. Leider bekommt man vom Geplapper des Moderators Maschine, seiner Crew und seinen Gästen herzlich wenig mit. Lediglich die vielen von Videoprofessor Dr. Christo eingespielten Clips kommen durch und sorgen für so manche Lacher. Nicht erstaunlich: Alte Werbung und aus dem Kontext gerissene Simpsons-Ausschnitte sind ja auch der Brüller. Speziell Marges “Schütt dir noch schnell ein paar Bierchen rein und dann ab mit dir ins Bett” scheint vielerorts zum Motto des Abends zu mutieren, das sämtliche Metalheads freudig mit “juhuu, Bier Bier Bier, Bett Bett Bett” beantworten.
Wacken Open Air 2023 – Tag 1 (Mittwoch, 2. August)
DtS: Der dritte Tag der Wacken-Woche! Zum ersten Mal wird der Mittwoch als offizieller Festivaltag organisiert – und nicht wie letztes Jahr als kostenpflichtiger Wacken Wednesday oder wie zuvor als schlichter Warm-Up-Day.
Zudem gab es anfangs Woche grosse News: Der “zusätzliche offizielle Festivaltag” beinhaltete ursprünglich trotz seines neuen Status eigentlich keine Konzerte auf der grossen Zwillingshauptbühne. Stattdessen waren nur Konzerte auf der Louder Stage sowie den Nebenbühnen vorgesehen. Doch dann am Montag die grosse Bombe: Neu soll auch die Faster Stage bespielt werden, es werden zusätzliche Acts (Broilers, Phil Campbell, Ankor und Deine Cousine) hinzugefügt und die Tagesheadlinerin Doro wird ebenfalls auf die Hauptbühne gezügelt. Das klingt ja erstmal nicht schlecht, nur ist aufgrund der vielen Änderungen im Zeitplan sämtliche Planung, darunter auch mein elfseitiges Excel-Sheet, völlig dahin. Nervig, aber wenigstens sind wir hier. Dass der Tag dann gar einiges chaotischer wird, ahne ich morgens noch nicht. Doch lassen wir erstmal Domi ankommen…
Domi: Früh am Morgen versuchen wirs mit dem Umtausch der Journalisten-Bändel und haben Glück. Ich kriege meinen Einlass ohne Probleme und bin froh und demütig, ein weiteres Mal Teil des Festivals sein zu dürfen. Meine Beobachtungen besagen, dass auch beim Shuttle-Bahnhof weiterhin Bändel umgetauscht werden, jedenfalls in diesen frühen Morgenstunden noch. Ob das jetzt richtig ist oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Dies ist jedoch in den sozialen Medien ein wichtiges Thema, das diskutiert wird. Denn viele Fans mit Tix haben es nun nicht mehr gewagt, vor Ort zu kommen und ihr Glück zu versuchen, was nach den Weisungen der Veranstalter auch richtig ist. Trotzdem gibt es viele, die weiterhin ihre Anreise durchziehen. Und genau hier scheiden sich natürlich die Meinungen und es keimt stellenweise eine gewisse Aggressivität im Internet auf. Aus meiner Sicht verständlich. Hier bräuchte es in meiner Wahrnehmung zukünftig dringend eine konkretere Kommunikation, sollte sich eine solche Begebenheit nochmals ereignen.
pam: Ja, versteh ich. Aber wie willst du das kommunizieren? Die, die da sind, kommen trotzdem weiterhin rein? Dann ist jeder blöd, der nicht doch noch anreist. Darum finde ich es schon gut gelöst, dass man zwar sagt, kommt nicht mehr, aber nicht, dass die, die schon da sind, trotzdem alle reinkommen. Ich hätte es viel doofer gefunden, wenn ich aus der Schweiz anreise und vor Ort nicht mehr reinkomme. Ich war ja schon in Hamburg, als sie den Anreisestopp verhängten. Nun, ich glaube, wie man es dreht und wendet, es ist eine Extremsituation und da wird man es wohl nie allen recht machen können. Und was nicht vergessen werden sollte: Wie genial die Organisatoren das Gelände innert kürzester Zeit festivaltauglich hingekriegt haben… dazu aber später mehr.
Wacken Firefighters-Privatkonzert, oder: Verzögerungen im Infield
DtS: Der erste Punkt auf meiner bisherigen und auch auf der neu umgestellten Planung sind die Wacken Firefighters. Nachdem ich die Musikabteilung der lokalen Feuerwehr vor einem Jahr wegen den Wartezeiten am Einlass verpasst hatte, freue ich mich für heute umso mehr auf den traditionellen Start in die Konzerte auf den grösseren Bühnen. Presse-Upgrade sei Dank, dürfen wir schon ein bisschen früher rein und können dem Soundcheck der Blaskapelle lauschen. Kaum ist dieser fertig, erhebt sich der Tourplaner und teilt der Truppe mit, dass der Auftritt abgesagt wurde. Wie sich später herausstellt, ist die Organisation noch damit beschäftigt, den Boden des Infields zu präparieren, weshalb dieses voraussichtlich eineinhalb Stunden später öffnen soll. Auf eindringlichen Wunsch der bereits Anwesenden (darunter Helfer, Rollstuhlgänger, Presse, Mitarbeiter, Foodstand-Angestellte, etc.) lassen sich die Firefighters trotzdem zu einem kleinen Privatkonzertchen von einem Song hinreissen – über welches ich eigentlich gar nicht berichten wollte, aber Ausschnitte davon sind inzwischen in jeder zweiten Fernsehdoku zu sehen, und man muss schliesslich klarstellen, wieso die sonst so beliebten Firefighters derart wenig Publikum haben.
Ein bisschen enttäuscht, doch glücklich über den kurzen Gig – ein einzelner Song ist mehr als die null Songs von 2022 – machen wir uns auf den Rückweg ins Camp. Das ist leicht gesagt, aber am dritten Tag machen sich die Beinmuskeln langsam bemerkbar, die unsere Körper durch den Matsch tragen. Genauere Informationen zur Zeitplanung bleiben leider weiterhin aus. Man weiss, dass das Gelände später öffnen wird, jedoch wird weder über die App, noch über Infotafeln, noch über die Crew informiert. Der Security beim Ausgang der Louder Stage schätzt circa 15 Uhr, aber diese ungesicherte Information wird sich zum Glück nicht bewahrheiten.
Sable Hills
DtS: Nein, denn um 15 Uhr stehen wir bereits seit einiger Zeit vor der Headbangers Stage, wo Sable Hills auftreten. Die Japaner hatten 2022 den Metal Battle gewonnen und dürfen nun erneut den Bullhead City Circus, wie das Gelände vor den Headbangers und W:E:T Stages genannt wird, rocken. Dies tun sie mit Bravour. Der Vierer aus Tokyo liefert Metalcore, der auch dann Spass macht, wenn man eigentlich nicht so auf dieses Subgenre steht. Wir befinden uns zwar etwas weiter hinten, doch über den grossen Screen auf der rechten Bühnenseite bekommen wir Einblicke in die Mitte der Menge, wo sich ein kleiner Haufen Abenteuerlustige zum Pit im Matsch zusammengefunden hat. Der Spass steht Band und Zuschauern ins Gesicht geschrieben.
Was leider noch nicht gebessert hat, ist die Einhaltung des Zeitplans respektive eine saubere Kommunikation der Änderungen. Einigermassen zuverlässige Informationen erhält nur, wer selbst bei den Bühnen vorbeischaut respektive sich mit Freunden über Gruppenchats organisiert. So habe ich nur den vollen Auftritt von Sable Hills geschaut, weil Nervosa auf der Louder Stage mit viel Verspätung unterwegs waren. Mal schauen, wo es mich als Nächstes hin verschlägt. Doch schalten wir in der Zwischenzeit zu Raphi ins Wackinger Village.
Ferocious Dog
Raphi: Nach einer nervenaufreibenden Anreise mit spärlichen Informationen seitens Veranstalter, grosser Solidarität seitens ortsansässigem Bauer Jens (herzlichen Dank nochmals für die Übernachtungsmöglichkeit gestern) und riesiger Erleichterung beim Erhalt der Festivalbändchen seitens unserer Festivaltruppe beginnt der musikalische Teil des Wacken Open Airs 2023 für mich mit Ferocious Dog. Nachdem ich die englischen Folk Punker letztes Jahr am Hellfest kennengelernt hatte, konnte ich mich auch noch an einem Konzert im Komplex 457 davon überzeugen, dass diese Band live etwas auf dem Kasten hat.
Das stellt sie auch heute von Beginn weg unter Beweis. Der Regen ist vergessen, der schlammige Boden verdrängt, als Gitarre und Fiedel erklingen und zum Tanzen einladen. Ich kann mich hier nur wiederholen: Ferocious Dog strahlen durch und durch Authentizität aus, die gemeinsam mit ihrer zum Ausdruck gebrachten Freude für Unmengen an Sympathiepunkten sorgt. Es ist dieses ehrliche Gemeinschaftsgefühl, das uns die Band vermittelt und uns alle im selben schlammgefüllten Boot sitzen lässt. Als das Publikum sich trotz des aufgeweichten Untergrunds sogar noch darauf einlässt, in die Hocke zu gehen und anschliessend hoch zu springen, staunen die Herren auf der Bühne, gerührt ob der grossen Beteiligung. Doch irgendwann ist auch die gemütlichste Party zu Ende. Dass die Gentlemen aus Nottinghamshire diese nach 60 Minuten nicht mit dem – nach unserer Wahl entweder schnell oder ultra-verdammt-höllisch-schnell gespielten – Stimmungsmacher “Paddy on the Railway” beschliessen, ist ein mutiger Entscheid. Aber zum heutigen Auftritt, der die Menschen vor und auf der Bühne vereint hat, passt das melancholische und deswegen nicht weniger sackstarke “Slow Motion Suicide” uneingeschränkt. Ferocious Dog haben das Festival nicht einfach standesgemäss für mich eingeläutet, sie haben gleich die Messlatte richtig hoch gelegt für alles, was noch so kommen wird in den nächsten Tagen.
Nervosa
DtS: Um 16:30 ist es endlich so weit: Über unseren Gruppenchat erfahre ich, dass Nervosa auf der Louder als Nächstes an der Reihe ist. Ich stelle mich also zwischen Bühne und FOH, um das Spektakel der ursprünglich brasilianischen Band zu verfolgen. Domi, du steckst auch hier irgendwo, oder?
Domi: Ja, wobei ich am heutigen Tag ehrlich gesagt mit vielem anderen beschäftigt war, bevor es dann auch für mich richtig losgeht. Aber was ich mir nicht nehmen lassen will, sind Nervosa. Die habe ich nämlich noch nie in Natura und live gesehen. Also los vor die Louder Stage. Das Personalkarussell drehte sich in den letzten Jahren doch einige Male in dieser Band. Das letzte Mal in diesem Frühjahr. Der Musik und der Stimmung, welche die Truppe heute verbreitet, scheint dies aber indes keinen Abbruch zu tun. Aus meiner Sicht wird ein routiniertes und abwechslungsreiches Set gespielt, welches meine Nackenmuskeln ein erstes Mal beansprucht.
DtS: Routiniert wirkt die Band auf jeden Fall, da muss ich Domi zustimmen. Gerade wenn man bedenkt, dass der Vierer in dieser Konstellation noch relativ jung ist, abgesehen von Bandgründerin Prika Amaral sämtliche Musikerinnen verhältnismässig neu dabei sind und erst seit Kurzem mit einer zweiten Gitarre gespielt wird. Stimmen meine Recherchen, zeichnet die Griechin Helena Kotina dafür verantwortlich, während die Vakanzen an Schlagzeug und Bass von der Bulgarin Michaela Naydenova und der Griechin Hel Pyre besetzt wurden.
Doch kommen wir zurück zum eigentlichen Konzert: Von der stoischen Ruhe, die Prika Amaral 2022 in der Hall Of Fame noch an den Tag legte, als sie “nur” für die Gitarre verantwortlich war, ist heute nicht mehr viel zu bemerken. Nein, seit die Dame auch den Gesang wieder übernommen hat, scheint sie zur Rampensau mutiert zu sein. Trotzdem stellt sich Prika nicht zu sehr in den Vordergrund und der ganze Auftritt scheint stimmig. Viel zu schnell – nach nur sechs Songs – verkündet sie, dass wir zum Ende der Show kommen, weil sie die Setliste wegen Zeitdruck kürzen müssen. Es gibt dann zwar noch zwei Songs auf die Trommelfelle, aber statt der geplanten Stunde dauert der Gig schlussendlich nur 35 Minuten (und dies trotz einer längeren technikbedingten Pause in der Mitte des Sets). Songtechnisch fehlt da am Ende viel Material und der wilde Haufen, der sich auch vor der Louder Stage nicht vom Schlamm aufhalten lässt und in Sachen Publikumsaktivität Vollgas gibt, hätte weiterhin viel Energie übrig gehabt. Schade, aber was solls?
Setliste Nervosa
- Seed Of Death
- Perpetual Chaos
- Death!
- Masked Betrayer
- Kill The Silence
- Kings Of Domination
- Endless Ambition
- Under Ruins
Schizophrenia
Larry: Während Domi the Stick vor der Louder Stage sehnsüchtig auf Nervosa wartet, wate ich durch Schlamm und leichten Nieselregen zur Wasteland Stage, auf der nächstens Schizophrenia zu spielen beginnen. Schizophrenia sind eine junge Death und Thrash Metal-Band aus Belgien, die ich zum ersten Mal am Brutal Assault 2022 in Tschechien live sah. Damals überzeugten sie mit ihrer Bühnenpräsenz und Energie. Die erste Reihe vor der Absperrung ist schon sehr voll, da dort die einzige feste Fläche vor der Wasteland Stage ist. Ich geselle mich rechts aussen dazu. Gleich dahinter verwandelt der Nieselregen den Schlamm in einen kleinen See. Das hält das Publikum jedoch nicht davon ab, das ganze Konzert durchzuheadbangen und die Band zu geniessen. Kurz nach Beginn bildet sich bereits ein Moshpit im Schlamm-See. Während dem Konzert werden wir dann gefragt, ob wir lieber ein Cover von Morbid Angel oder Slayer hören wollen, wobei die Meute deutlich lauter für «Necrophiliac» von Slayer jubelt. Beide Covers befinden sich auf der aktuellen EP «Chants of the Abyss» von Schizophrenia. Insgesamt ein gelungener Auftritt, der jedoch für einen zu hart war: Während des Konzerts fällt einer der Amps von der Bühne in den Schlamm.
Setliste Schizophrenia
- Souls of Retribution
- Sea of Sorrow
- Schizophrenia
- Divine Immolation
- Onwards to fire
- Necrophiliac (Slayer cover)
- Cranial Disintegration
- Structure of Death
Deine Cousine
DtS: Der innere Teil des Infields – da, wo die Faster und Harder Stages stehen – bleibt noch immer geschlossen. Eigentlich hätte ich nun Holy Moses auf dem Programm, doch auch davon gibt es momentan keine Spur. Ich lande also erneut bei der Louder Stage, wo Deine Cousine an der Reihe ist. Wie bereits vor einem Jahr in der Bullhead City gibt der erst am Montag angekündigte Act heute alles. Ina Bredehorn alias Deine Cousine versorgt uns mit feinstem, spassigen deutschen Punkrock. Raphi, wie siehts bei Rauhbein aus?
Die Fotos Deine Cousine
Rauhbein
Raphi: Naja, ich stehe hier vor der Wackinger Stage und frage mich gerade, wieso ich zugesagt habe, mir den Auftritt von Rauhbein anzusehen. Bereits nach zwei Liedern ist mir klar, dass der sehr auf eingängig getrimmte Folk Rock der Truppe so überhaupt nicht der Musik entspricht, die mir gefällt. Dementsprechend wenig kann ich mit dem Auftritt anfangen. Damit stelle ich aber definitiv die Ausnahmeerscheinung hier vor der Bühne dar. Um mich herum wimmelt es nämlich von Menschen an und für sich und im speziellen solchen, die so richtig mitfeiern. Genau dazu ist Raubeins Musik auch gemacht. Trinken, Singen, Schunkeln, es geht nicht um einen musikalisch möglichst hohen Anspruch, sondern darum, zusammen anzustossen und ein feucht-fröhliches Fest zu feiern. Und wer das sucht, der wird bei Rauhbein vollumfänglich fündig. Frontmann Henry schlägt sich formidabel als Rampensau und weiss das Publikum mit launigen Ansagen so gut zu unterhalten, wie er dabei versagt, den Rufen nach einem “Bier auf Ex” zu widerstehen. Die zahlreich erschienenen Fans danken es mit kräftigem Mitgegröle und grossem Jubel. Auch wenn mich dies alles nicht mitreisst, kann ich Rauhbein deshalb problemlos attestieren, dass sie das bieten, was sie versprechen und davon nicht zu wenig. Was läuft als Nächstes bei dir, Domi?
Die Fotos Rauhbein
Skindred
DtS: Noch bevor Deine Cousine ihr Set auf der Louder beendet haben, teilt mir mein Handy respektive Larry im Gruppenchat mit, dass Skindred im Infield gleich an der Reihe sind. Ich begebe mich also dahin, um dem Alternative Metal mit Reggae-Elementen der Waliser zu lauschen. Skindred locken ein respektables Publikum an und heizen die Stimmung mächtig auf. Gerade Songs wie «Kill The Power» und «Gimme That Boom» sind halt Partygaranten. Weiter zu Ankor!
Ankor
DtS: Die katalanische Truppe Ankor ist zwar schon seit zwanzig Jahren unterwegs, doch stiess ich erst kürzlich auf die Band, als Eleni Nota (die zuvor bei Nervosa trommelte) den freien Posten am Schlagzeug übernahm. Grosse Freude also darüber, dass Ankor ebenfalls am Montag neu angekündigt wurden. Da hat das ganze zeitliche Chaos wenigstens etwas Gutes…
Ich geniesse diesen Auftritt von relativ weit hinten. Die bunten Akzente, die auf der Bühne zu finden sind (orange Akzente bei Vokalistin Jessie, violette und blaue Gitarren bei David und Fito, violettes Drumset und grau gemustertes Shirt bei Eleni), untermalen den fröhlichen Alternative Metal der gut gelaunten Truppe. Dieser findet eine äusserst prickelnde Mischung zwischen poppigen Parts und wilderen Stellen mit aggressiven Screams. Das Wetter spielt inzwischen wieder besser mit und Ankor gelingt ein optimales Mittelmass zwischen punkig-rockigem Sommerfestivalauftritt und wilden Pits zu den metallischeren Passagen. Dabei ist die Gruppe auch noch humorvoll und wirkt authentisch. Sehr witzig zudem die Stelle, als einer der Gitarristen bei «Shhh… (I’m Not Gonna Lose It)» für seine Screams Jessys Mikrofon entführt, obwohl er ein eigenes am Ständer hätte. Kurzgesagt: Sehr erfrischend!
Broilers
Larry: Noch während Ankor treffen Domi the Stick und ich auf Raphi und Co. und verweilen für einen Schwatz. Als dann jedoch das Intro von den Broilers anfängt, hält mich nichts mehr und ich flieg förmlich von der Louder zur Faster Stage. (Raphi: Viel Vergnügen, wir quatschen hier noch etwas weiter bis Battle Beast loslegen.) Mit einem Mix aus alten und neuen Songs bietet uns die Düsseldorfer Punkband ein kurzweiliges Konzert inklusive «Breaking the Law»- und «Walking on Sunshine»-Covers. Bei «Wie weit wir gehen» ermutigt Sammy die starken Menschen, die schönen Menschen auf die Schultern zu nehmen und bei «Held in unserer Mitte» bestärkt er uns, selbst zu Helden in Circlepits zu werden. Im Circlepit, in dem ich bin, bilden sich drei Ringe aus Menschen um den Held in der Mitte .
Nach dem Konzert will ich eigentlich zur Louder Stage, um Battle Beast zu sehen, doch dann kündigt sich auf der Faster Stage der World Record «Lautester Growl» von Krombacher, Wacken und Growling Creatures an. Mit 110.3 Dezibel gelingt der Versuch mit Saskia und den Wacken-Besuchern. Um das zu feiern, tanzt der Rekordrichter den Duckwalk. Wie gehts auf der Louder weiter, Domi?
Die Fotos Broilers
Battle Beast
DtS: Nächster Programmpunkt auf der Louder Stage: Battle Beast. Die Finnen durfte ich bereits vor Kurzem am Rockharz Open Air erleben, wo sie vor allem durch einen besonderen Zusammenhalt und viel Spass am Musizieren herausstachen. Attribute, die auch heute zu bemerken sind, doch man merkt, dass ein Auftritt am Wacken Open Air für Bands jeden Kalibers eine grosse Nummer ist und alles perfekt laufen soll. Mit Perfektion haben die Finnen jedoch keine Mühe – wenn man da jede Menge Rumblödeln, wie es einige Exponenten der Heavy Metaller eben tun, dazu zählen darf. Wer Battle Beast schon ein paar Mal erleben durfte (und dafür boten Noora und ihre Mannen doch die eine oder andere Gelegenheit), erlebt keine grosse Überraschungen. Die mit glitzerndem Outfit und Hornfrisur ausgestattete Gesangsmeisterin enttäuscht heute genauso wenig wie die bombastischen Kompositionen, die Battle Beast vom Stapel lassen. Mitfeiern ist angesagt und stimmungstechnisch ist das bisher der beste Auftritt des Tages. Spoiler Alert: Er wird es, von den Gigs, die ich sehe, auch bleiben (Raphi: Und da schliesse ich mich gerade an).
Die Setliste Battle Beast
- Circus Of Doom
- Straight To The Heart
- Familiar Hell
- No More Hollywood Endings
- Eye Of The Storm
- Where Angels Fear To Fly
- Bastard Son Of Odin
- Wings Of Light
- Eden
- Master Of Illusion
- King For A Day
- Beyond The Burning Skies
Die Fotos Battle Beast
Dartagnan
DtS: Eigentlich hätte ich Dartagnan wegen der Überschneidung mit Skindred und Doro verpasst. Doch jetzt, mit dem neuen Zeitplan, und dank fehlender Lust auf die Danke-Danke-Eskapaden der Metal-Queen Deutschlands, verschlägt es mich doch zur Wackinger Stage. Ich erhoffe mir einen spassigen Auftritt der trinkfreudigen Folk Rocker um Ben Metzner. Diesen kennt man vor allem als Prinz R. Hodenherz III von Feuerschwanz.
Hodi, wie er dort ebenfalls genannt wird, singt auch bei Dartagnan deutschsprachig und im einen oder anderen Song von Alkohol. Dies weiss auch das Publikum, und so mutieren Auftritte derartiger Bands oft zu feuchtfröhlichen Trinkgelagen. Irgendwie habe ich heute jedoch den leichten Eindruck, dass viele sogar nur wegen des Trinkens, und nicht wegen der Band, ins Wackinger Village gefunden haben (und verstehe jetzt Raphis Eindruck von Rauhbein). Oder aber mangels spannenderer Alternativen. Die Herren auf der Bühne feiern zwar ein cooles Set und setzen allerlei Folk-Instrumente ein, um ihre Texte zu untermalen, doch holt mich der Auftritt als Gesamtes heute zu wenig ab. Etwas enttäuscht mache ich mich daher auf den Weg zu den grösseren Bühnen, um noch etwas von Beyond The Black und Doro mitzubekommen. Im Nachhinein frage ich mich, ob an Larrys Einwand, Dartagnan sei nur wegen Bens Zweitrolle bei Feuerschwanz so erfolgreich, nicht doch etwas dran ist.
Beyond The Black
DtS: Um wirklich viel von Beyond The Black mitzubekommen, sind wir dann jedoch etwas zu spät unterwegs. Beim Transfer vom Wackinger Village nach vorne hören wir noch die letzten zwei Minuten von «Hallelujah» und schauen aus einiger Entfernung zu, wie sich die Mannheimer um Jennifer Haben feiern lassen. Dem ausgiebigen Applaus des Publikums nach zu urteilen, haben wir da etwas verpasst. Auf die Gefahr hin, die Frage respektive mein Nichtauftauchen jetzt zu bereuen: Raphi, du warst vor Ort, oder?
Raphi: Ja, ich war da und das Publikum hat bekommen, was es verlangt hat. Beyond the Black haben im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles aufgefahren, was sie haben. Von Lichteffekten über abgestimmte Kleidung bis hin zu Trommeleinlagen war der Show anzumerken, dass sich die Band viele Gedanken gemacht hat, wie sie sich denn nun präsentieren möchte. In derselben Liga mit den richtig grossen Headlinern spielen Beyond the Black allerdings noch nicht ganz, was die Bühnenproduktion angeht. Das ist aber ziemlich sicher dem verfügbaren Budget geschuldet, wofür die Band ja direkt nichts kann. Doch wie bereits gesagt: die Truppe um Jennifer kitzelt aus den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln alles heraus, was die Fans um uns herum dann auch mit lauten Beifallsbekundungen würdigen. Für mich war das ein guter Abschluss des heutigen Tages. Was steht bei euch noch an, Domi?
Die Fotos Beyond The Black
Doro
DtS: Weil sonst nicht mehr wirklich etwas laufen soll, schauen wir dann doch von ausserhalb des innersten Infield-Bereichs das Ende von Doros 40-jähriger Jubiläumsshow. Ich erinnere mich gut an die 30-Jahre-Show, die Frau Pesch 2013 an meinem ersten W:O:A feierte. Wie die Zeit rennt… Wir hören noch das Judas Priest-Cover «Breaking The Law» und erreichen unseren Posten während «All We Are». Mannomann, was da auf den Screens alles für Gäste zu sehen sind: Udo Dirkschneider, Hansi Kürsch, Joey Belladonna, Michael Rhein. Mit «All For Metal» folgt die Zugabe, und Schluss…
Falsch! Dass heute Lemmys Asche begraben würde und dabei seine langjährigen Kumpanen Mikkey Dee und Phil Campbell (der ja heute Nachmittag schon mit seinen Bastard Sons auftrat) anwesend sind, hatten die Veranstalter ja bereits im Vorfeld angekündigt. Keine riesige Überraschung also, dass auch Doro ihren Beitrag dazu beisteuern will, und so folgt das Motörhead-Cover «Ace Of Spades». Später entnehme ich verschiedenen Videos und der Setlist, dass zuvor schon «Love Me Forever» zum Besten gegeben wurde.
Dabei wäre Doro nicht Doro, hätten sie nicht die beiden Herren Campbell und Dee auf der Bühne dabei, um gemeinsam mit ihr zu performen. Und noch jemand performt: Die Herren aus der Drohnencrew. Von weit hinten ist nämlich schon früh zu erkennen, wie sich bunte Lichtchen am Himmel über der Bühne formieren. In Formation steigen sie auf und formen schon bald Doros Logo. Gefolgt von Lemmys Abbild mit Cowboy-Hut und Zigarette. Das letzte Bild, während auf der Bühne das Ende naht, zeigt dann einen Wacken-Schädel, der sich mit dem Pik-Ass überlappt. Umrahmt wird die Fusion der beiden Symbole von den Worten “Lemmy”, “Wacken” und “Forever”. Was für eine Geste!
Die Fotos Doro
Holy Moses (oder eben nicht)
DtS: Mit dem Doro-Gig endet für mich der Konzerttag, und das ausklingende Programm findet lediglich noch auf dem Zeltplatz statt. Meine Zufriedenheit wird einzig davon gestört, dass nach 1 Uhr einer unserer Mitcamper zurückkommt und von Holy Moses schwärmt. Ja, jene Holy Moses, von denen ich dachte, sie gehörten zu den sechs gestrichenen Acts. Anscheinend durften die Thrasher um Sabina Classen, die sich in ihrem Abschiedsjahr befinden, nachts doch noch auftreten. Aber was nützt mir das, wenn man es erst nach der Show erfährt?
Das Fanzit – Wacken Open Air 2023 – Tag 1
DtS: Der erste offizielle Festival-Mittwoch in der Wacken-Geschichte hielt einige Überraschungen bereit. Dass am Montag kurzfristig einige neue Acts bestätigt wurden, beurteile ich als gelungene Überraschung. Mein Verbesserungsvorschlag wäre jedoch, dass man diese Acts ja in den bestehenden Zeitplan packen könnte, anstatt alles umzukrempeln. Wäre doch cool, wenn zum Beispiel das komplette Tagesprogramm der Faster Stage erst am Vortag bekannt, der Rest aber nicht beeinträchtigt würde, oder?
Zu den durch die neuen Acts bedingten Änderungen kamen mehrfache Verzögerungen, für die das Wetter respektive Gegenmassnahmen zur Verantwortung gezogen werden. Dies ermöglichte Larry und mir zwar einen familiären Kurzgig mit den Firefighters. Vor allem brachten diese Verzögerungen, gepaart mit einer ungenügenden Kommunikation, aber viel Ungewissheit. Wer spielt jetzt genau wo? Welche Bands müssen ihr Set um fast die Hälfte kürzen? Und wieso muss ich Holy Moses verpassen?
So bleiben Battle Beast eben der beste Act des Tages, zusammen mit meiner Live-Neuentdeckung Ankor. Die beiden Truppen haben stabile Shows geliefert. Trotzdem sind dies bescheidene Namen, wenn man bedenkt, dass der Mittwoch nun ein vollwertiger Festivaltag sein soll. 2022 lässt mit sackstarken Gigs von unter anderem Epica grüssen…
Wacken Open Air 2023 – Tag 2 (Donnerstag, 3. August)
Domi: Es ist Donnerstag und die Wogen des Anreisestopps sowie der Ereignisse der letzten Tage glätten sich langsam. Das normale Wacken-Leben nimmt langsam seine Fahrt auf und heute gibt es einige Bands, die auf unseren Programm-Blättern stehen. Bleibt zu hoffen, dass heute die Zeit-Slots ohne Verspätungen eingehalten werden können, denn die Dichte der Bands ist wie jedes Jahr sehr hoch. Übrigens hat auch die Party im Dorf selbst Einzug gehalten. Es wird gelacht, gesungen, der Wacken-Shop hat wieder die übliche Warteschlange. Ein kurzer Ausflug zu Beginn des Tages macht klar: Die Fans, welche es nach Wacken geschafft haben, lassen einen die letzten Tage vergessen und den Moment leben. Oder wie seht ihr das, liebe Mitschreibende?
DtS: Yes, Domi, die Stimmung vor Ort ist nicht schlechter als in jedem anderen Jahr auch. Es wird gefeiert, getrunken, gefestivalt. Nicht mal der Schlamm scheint die Anwesenden gross aus dem Konzept zu bringen. In anderen Jahren gab es den schliesslich auch und immer wieder tauchen Anekdoten von zum Beispiel 2015 oder 2012 auf.
pam: Auf dem Gelände spürt man eigentlich keinen Unterschied zu den Vorjahren. Schlamm gab es früher ebenfalls schon und wie anfangs erwähnt, haben die Organisatoren mit tonnenweise Holzschnitzel und Rumbaggern dafür gesorgt, dass man kaum mal wirklich tief im Schlamm oder Wasser laufen muss. Ausser man ist einer dieser Schlammjunkies, die diesen Stellen suchen, um sich drin zu suhlen… Das hat wohl schon niemand so gut im Griff wie das Wacken Open Air. Man hat ja auch bereits ein bisschen Erfahrungen gesammelt. Und die rund 20’000 Nasen weniger spürt man kaum. Das Infield ist bei den Headlinern so gut gefüllt wie in früheren Jahren. Wüsste man nicht, dass weniger da sind, würde man es kaum merken. In diesem Sinne – mal abgesehen vom Anreisestopp und ein bisschen Geduld von allen Beteiligten – Business as usual würd ich sagen.
DtS: Bandtechnisch steht heute viel an und dank Überschneidungen kann ich nicht die Hälfte dessen schauen, woran ich interessiert wäre. Doch macht das irgendwie genau auch den Reiz eines so grossen Festivals aus, oder? Einige Verzögerungen gibt es dann trotzdem noch, wodurch sich meine geplante Route von Bühne zu Bühne erneut erübrigt. Im Verlaufe des Tages werden sogar die Line-ups vom Freitag und Samstag aus der App gelöscht, um diese jeweils tagesaktuell neu zu publizieren. Ich sehe, man macht das Beste aus der Situation. Den Start in den Tag machen schlussendlich gleich mehrere Metalinsider mit Cemican.
Die Fotos Impressionen Tag 2
Cemican
Larry: Bereits letztes Jahr hätten Cemican den Holy Ground bespielen sollen, doch ihr Konzert wurde leider abgesagt. Deshalb bin ich umso gespannter auf ihren Auftritt. Ich löse mich früher als gewohnt vom Camp los und laufe rund um die Infield-Absperrung zum nächsten Eingang. Nach einer kurzen Schlammwanderung stehe ich vor der Louder Stage. Cemican betreten genau in diesem Moment die Bühne. In den ersten beiden Reihen und in der Traube mittig vor der Bühne erblicke ich viele südamerikanische Flaggen, insbesondere mexikanische, da Cemican aus Mexiko stammen und deshalb besonders unterstützt werden von den südamerikanischen Fans (DtS: Ein ähnliches Bild bot sich gestern bei Nervosa, wo allerdings brasilianische Flaggen die Mehrheit bildeten. Die Freude der lateinamerikanischen Wacken-Besucher ist immer und immer wieder bezaubernd). Cemican beeindrucken während des ganzen Konzertes mit ihren Kostümen und den vielen Instrumenten, die man ansonsten bei europäischen Bands eher selten antrifft. Sie erzählen während des Auftritts eine Geschichte, was mich auch im Nachhinein noch lange an diesen Gig erinnern lassen wird.
Raphi: Da kann ich mich nur anschliessen. Cemican bieten kriegerisch bemalt mit ihrer Mischung aus Folk Metal und Thrash Metal viel für Augen und Ohren, punkten mit den erwähnten aussergewöhnlichen Einflüssen und wem das noch nicht genug ist, der kann sich von der mittel- und südamerikanisch geprägten Stimmung mitreissen lassen. Als sich gefühlt drei Viertel des Publikums flaggenschwenkend und johlend für ein Gruppenfoto einfinden, ist es unmöglich, sich der guten Laune unter all den begeisterten Metalheads zu verwehren. Nicht dass das angesagt wäre, denn mit der Darstellung eines rituellen Blutopfers inklusive Wiedererweckung des “Toten”, die sich über mehrere Songs hinweg zieht, unterhält die Band bereits von sich aus bestens.
DtS: Ich stosse zwar erst nach einem Drittel des Sets dazu, doch kann ich euch absolut zustimmen: Cemican begeistern mit einer eindrücklichen Show (Folk Metal mal anders) und sorgen so für einen coolen Start in den Tag!
Brunhilde
pam: Es war kein einfacher Entscheid im Vorfeld des Festivals. Raphi hatte mich eigentlich schon fix für Cemican eingeplant und obwohl ich die Band vorher nicht kannte, wärs auf dem Papier definitiv mein Beuteschema. Doch das ist Brunhilde ebenfalls. So ein bisschen die bayerische Version von Guano Apes: Alternative Metal mit Punkeinflüssen und Punkattitüde. Als ein Einstieg in einen “Sommer-”Tag passt das doch immer. Und ja, gibt auch was Reizvolles für die Linse und den Fotografen. Denn mit Reizen geizt die Brunhilde… ähm Caro Loy definitiv nicht. Auch wenn der Nippelkleber auf einem fleischfarbenen BH wohl der Schwerkraft geschuldet ist. So, genug der Worte, geniesst die Fotos und, meine Freunde vor Ort, was ihr verpasst habt… Wobei das umgekehrt für mich ja auch bei Cemican gilt. Das war der härteste Entscheid des Wochenendes.
Die Fotos Brunhilde
The Real McKenzies
DtS: Von Raphi und Co. lasse ich mich überreden, auf der Wackinger Stage bei The Real McKenzies vorbeizuschauen. Pam sei ebenfalls da und sowieso muss ich zugeben, dass es gerade nicht allzu viele Alternativen gibt (Skyline spielen noch nicht, für den Metal Battle müsste ich auch an der Wackinger Stage vorbei, und für Dark Tranquillity möchte ich sowieso wieder zurück bei der Louder sein). Der Name der mir unbekannten Band verrät schon so einiges über den Musikstil. Tatsächlich haben die Herren aus Vancouver eine riesige Ladung Celtic Punk im Gepäck, die sie auf uns loslassen wollen.
Gerne würde ich mehr über die Band schreiben, doch ausser der Hüpfigkeit der Musik und der sympathischen Ausstrahlung von Namensgeber Paul McKenzie bleibt mir herzlich wenig in Erinnerung. Was wohl auch daran liegt, dass wir neben der Bühne, vor der Taverne, vor allem mit pam und einigen anderen Schweizern quatschen. Und dann musste ich ja zudem schon vor Ende los zu Dark Tranquillity. Raphi, hast du mehr mitgekriegt?
Raphi: Ich habe den ganzen Gig mitgekriegt, würde ich sagen. The Real McKenzies bieten lockere Unterhaltung für den Nachmittag, obwohl sie es nicht schaffen, an den musikalisch ähnlich gelagerten gestrigen Gig von Ferocious Dog heranzukommen. Doch auch die Kanadier punkten damit, dass man ihnen anmerkt, wie sehr sie ihre Musik lieben und leben. Zudem verabschieden sie sich im Zugabenblock mit einem Ausrufezeichen in Form eines Acapella-Songs, der sehr überraschend kommt und einen wunderbaren Akzent zum restlichen, sehr punkig gespielten Folk setzt. Alles in allem kommen wir in den Genuss eines fröhlichen Auftritts, der einen zum Grinsen bringt.
pam: Mehr kulturelle Aneignung geht wohl nicht. Kanadier, die auf Schotten machen. Okay, der Paul hat schon schottische Wurzeln. Gemäss Wikipedia: “Gegründet wurden die McKenzies 1992 von Frontmann Paul McKenzie, der seine Familie als weitere Motivation anführt: „Als kleiner Junge haben mich meine Eltern und Grosseltern in einen Kilt gesteckt und mich zum Singen und Tanzen zu traditioneller schottischer Musik angehalten. Eine schottische Punkband ins Leben zu rufen, war meine Art der Rache!“” Und kulturelle Aneignung oder nicht, wer das mit so viel Charme und Sympathie tut, darf das eh. Schottische Wurzeln hin oder her.
Die Fotos The Real McKenzies
Dark Tranquillity
DtS: So, ich bin angekommen. Je nach Fläche gestaltet sich das Fortkommen weiterhin schwierig, doch pünktlich zu Beginn erreiche ich die vorderen Reihen der Louder Stage. Die Fläche davor ist eigentlich ziemlich voll, aber seitlich – da, wo der Schlamm etwas tiefer ist – kommt man noch sehr gut weit nach vorne. Der Sonnenschein drückt heute immer wieder durch die Wolkendecke. So auch, als Dark Tranquillity die Bühne betreten; die Menge wird regelrecht geblendet. Nicht mehr Regenjacken, sondern Sonnenbrillen sind nun das Accessoire schlechthin. Aktuell bin ich jedoch über meine Ohrenstöpsel besonders froh, die das viel zu laute Instrumentalgewitter etwas filtern und Mikael Stannes Gesang ein wenig mehr Prominenz erlauben. Im Soundmix hat dieser nämlich das Nachsehen. Dies hindert den immersmilenden Fronter jedoch nicht daran, die Menge unermüdlich anzuheizen und den Moment zu geniessen. Gleich beim Wechsel zum zweiten Song «What Only You Know» scheint dann irgendwo ein Techniker einen Schalter umzulegen, und plötzlich kommt der Sound viel druckvoller daher. Die Menge heisst dies – und wohl vor allem natürlich die starke Performance der Schweden – gut und feiert deren Göteborger Melodeath mit Fäusterecken und Headbangen.
Es ist zweifelsohne ein sehr guter Auftritt, den Dark Tranquillity hier im Schatten des Bühnendachs an den Tag legen. Trotzdem empfinde ich auch heute eine gewisse Monotonie; kein Song sticht wirklich heraus. Ausser das finale «Misery’s Crown», bei dem wir alle nochmals alles geben, bevor sich Stanne und Co. verabschieden und ich mich Richtung Bullhead City begebe. Larry, warst du bis vor einigen Augenblicken nicht ebenfalls da?
Horrid Sight
Larry: Ich bin schon weiter zur Headbangers Stage. Dort höre ich gerade noch den letzten Song von Horrid Sight, der Metal-Battle-Band von Mexiko, die Death und Thrash Metal spielt. Sie sind die letzte Metal-Battle-Band auf dem Plan, doch Maschine und Iván verkünden, dass die drei Metal-Battle-Bands, die aufgrund des Wetters nicht spielen konnten, ihre Auftritte am Abend nachholen werden. Da dieses WOA einiges nicht oder nur minim kommuniziert wird, schicke ich diese Infos gleich meinen Leuten per Chat weiter. Raphi, was steht bei dir auf dem Programm währenddessen?
Vixen
Raphi: Für mich steht wieder mal eine der berühmten Horizonterweiterungen an. Mit Vixen hatte ich bisher kaum Berührungspunkte, obwohl es die Band schon länger gibt, als ich auf der Welt bin. Wobei abgesehen von Roxy Petrucci hinter dem Schlagzeug niemand aus der aktuellen Besetzung länger in der Band ist, als ich für Metalinside schreibe. Doch die Damen gehen trotzdem in ihrer Rolle auf und beschallen das Infield vor der Faster Stage mit Glam Rock, der zur Sonne passt, die uns hier mit warmen Temperaturen verwöhnt. Beispielsweise hat „Cruisin'“ einige richtig coole Momente zu bieten, aber “Edge of a Broken Heart” lässt die Vergangenheit genauso gekonnt aufleben. Das ist dann auch der prägende Gesamteindruck, den der Auftritt von Vixen hinterlässt: ein Ausflug in die Vergangenheit, eine Zeit, als dieses Genre auf dem Höhepunkt seiner Popularität war. Wer damals dabei gewesen war, wird während dieser Show vermutlich in Nostalgie schwelgen können. Alle anderen können sich ob eines leicht anachronistisch wirkenden, netten Konzerts erfreuen, das zwar etwas in den Hintergrund tritt zwischen allem anderen, was hier am Wacken Open Air 2023 geboten wird, während einer guten Stunde aber dennoch für sonnige Laune sorgt.
Domi: Mein Kollege Raphi hat es mit seinem Kommentar fast auf den Punkt gebracht. Trotzdem lasse ich es mir nicht nehmen, meinen Eindruck ebenfalls noch einzubringen. Ich kenne die Band bereits ein wenig länger. Die Band gibt es ja auch bereits seit 1974. Damals war ich zwar ebensowenig auf der Welt, aber sie begleitete mich doch in den Jugendjahren, denn es war eine der wenigen Bands, die nur aus Frauen bestand. Und früher war dies etwas Spannendes, nicht so Alltägliches. Leider auch heute noch nicht, aber das ist ein anderes Thema.
Es schwingt, wie Raphi geschrieben hat, viel Nostalgie mit, denn die beiden “grossen” Alben der Band stammen aus den Jahren 1988 respektive 1990. Danach wurde es für längere Zeit still. Es kamen zwar noch weitere Veröffentlichungen (1998 – 2018) auf den Markt, aber kein Silberling kam mehr an die ersten Releases ran. An der Leidenschaft der Band kanns nicht liegen, ich finde den Auftritt eindrücklich. Der Kontakt zum Publikum wird gesucht (pam: Und mit der crowdsurfenden Sängerin auch gefunden…) und die Songs laden zum Mitsingen ein. Was ist und bleibt, ist die Erinnerung an “Old School”-Zeiten. Toll finde ich aber, dass es die Wacken-Organisatoren geschafft haben, die Band nach Wacken zu holen. Danke für dieses Nostalgie-Schmankerl.
Die Setliste Vixen
- Rev It Up
- Waiting for the Big One
- How Much Love
- Cruisin‘
- Cryin‘
- Hell Raisers
- Runnin‘ With the Devil / I Want You to Rock Me / What You’re Doing / War Pigs / Still of the Night
- Streets in Paradise
- You Oughta Know By Now
- Love Made Me
- Edge of a Broken Heart
Die Fotos Vixen
Koldbrann
Larry: Währenddessen beginnt auf der Zwillingsbühne die Show von Koldbrann. Mit den Black Metallern aus Norwegen zeigt sich überdies die Sonne, die den blauen Himmel mit den weissen Wolken und dem braunen Schlamm am Boden in eine wunderschöne Kulisse verwandelt. Ironisch, dass das Wetter gerade bei Koldbrann umschwingt. Wie andere Bands auch, haben Koldbrann am Anfang massive Tonprobleme, wobei das Schlagzeug viel zu laut ist. Während dem Konzert wird das jedoch behoben und das ausserordentliche Schlagzeugspiel von Leonid Melnikov reiht sich lautstärketechnisch in den Rest der Band ein.
Rage und Doro geben sich die Ehre
pam: Heute sind zwei spannende Acts im Presse-/VIP-Bereich aktiv. Da wären einmal Rage, die ein Mini-Konzert zum Besten geben. Was genau der Anlass ist, hab ich entweder nicht mitgekriegt oder schlicht vergessen. Tut mir leid. Aber Rage live lasse ich mir auf keinen Fall entgehen, schon gar nicht in diesem intimen Rahmen.
Die Fotos Rage
pam: Anschliessend schaut die Metal-Queen im Pressezelt vorbei, begleitet von ein paar Wasteland Warriors – so eine Art Bodyguards (scheinbar haben die in einem kürzlich erschienen Video von ihr mitgemacht – Raphi: Guckst du hier ah, cool, danke Raphi). Und was macht man in einem Pressezelt? Genau, man gibt eine Pressekonferenz beziehungsweise ein Pre-Listening von ihrem im Oktober erscheinendem Album “Conqueress – Forever Strong And Proud”. Holy Moly, was wir da hören, verspricht ein Granatenteil.Sie erzählt uns das eine oder andere über die Songs und vor allem kommt immer wieder The Metalgod Rob Halford zur Sprache. Sie hat mit ihm zwei Covers aufgenommen, welche ebenso auf der neuen Langrille enthalten sein werden. Eines davon ist „Living After Midnight”. Da bringt aus meiner Sicht ein Duett mit dem Sänger des Originals keinen grossen Mehrwert. Ich find die Aufnahme von “Breaking The Law” mit dem Orchester und zusammen mit Udo D. von 2003 viel stärker. ABER was jetzt kommt sprengt vieles, was ich jemals an Covers gehört habe. Scheinbar wollte Rob schon länger “Total Eclipse Of The Heart” von Bonnie Tyler covern. Jetzt hat er sich allen Mut gefasst und Doro angefragt, ob sie mitmacht. Das ist sehr dünnes Eis. Es gibt ja solche Songs, die so genial und einzigartig im Original sind, die man nicht covern sollte oder gar kann. Dazu hab ich bisher “Total Eclipse Of The Heart” gezählt.
So sehe beziehungsweise höre ich der Ankündigung von diesem Cover mit gemischten Gefühlen entgegen… Doch was dann auf unsere Lauscher knallt, stellt so ziemlich jedes Haar und Häärchen der Anwesenden stramm in die Höhe. Wow, ist das GEIL! Mehr Bombast geht nicht und die beiden Stimmen harmonieren dafür perfekt. Dieser Moment alleine war es wert, auch dieses Jahr nach Wacken zu fahren. Falls ihr dieses Cover inzwischen noch nicht gehört hab, holt es nach – zum Video. Und hier noch die ganze Review vom Album.
So, zurück aus der Zukunft ans Wacken Open Air 2023. Doro beantwortet weiterhin Fragen und kommentiert die Songs, die wir exklusiv vorab hören, in gewohnter, sehr enthusiastischer Manier. Aber es wäre nicht Doro, wenn sie einfach stillstehen oder gar -sitzen würde, während die Songs ab Konserve laufen. Sie lässt es sich nicht nehmen, live mitzusingen. Und bringt so den Verantwortlichen für die Mikrofone arg ins Schwitzen. Ihm hat wohl niemand gesagt, dass das in eine Live-Performance ausarten wird. Ich glaub, sowas hat noch keiner der Journis hier erlebt. Doro wie sie leibt und für den Metal lebt. Man muss sie einfach gern haben.
PS: Eigentlich wäre das Pre-Listening mit Doro erst morgen. Aber wenn ihr es niemandem sagt, merkt es auch keiner, dass wir mit diesem Bericht ausnahmsweise mal einen Tag zu früh sind. Oder hatten wir das etwa schon mal? 😉
Die Fotos Doro (Pre-Listening)
Uriah Heep
Domi: Und hier geht es weiter mit dem nächsten Urgestein auf einer der Wacken-Bühnen. Ich nehme es vorweg: Einfach sensationell, was die Herren immer noch abliefern. Bernie Shaw (übrigens seit 1986 in der Band) steht über das ganze Set mit einem seligen Lächeln auf der Bühne. Kein Wunder, denn diese Band wird irgendwann ein wahnsinniges musikalisches Vermächtnis hinterlassen. Im Frühjahr 2023 wurde das 25. Album (!!) veröffentlicht. Das heutige Set führt einmal quer durch die geschaffene musikalische Landschaft und wieder zurück. Es wird nie langweilig und der Groove sowie die Leidenschaft schwappen meiner Meinung nach auch auf das recht zahlreiche Publikum über. Was schon mein Vater über den Langspielplattenteller legte, muss doch gut sein. Natürlich trifft diese Band heute nicht mehr die aktuellen Trends und erreicht vielleicht eher die älteren Semester wie mich. Trotzdem: Hoffen wir, dass es die Band noch einige Jahre geben wird. Sie ist auf jeden Fall auch nächstes Jahr wieder anzutreffen und dies sogar in der Schweiz. Routiniertes Konzert ohne Macht- und Bühnengehabe. Keine Divas, pure Freude und Hardrock. Danke an die alternden Herren. Ach ja, fast vergessen, der Überhit “Lady in Black” darf natürlich ebenfalls nicht fehlen und dann gibt es, weil es so schön ist, noch zwei Zugaben.
Raphi: Ich möchte nur kurz neben den von dir erwähnten Groove und Leidenschaft zusätzlich den wunderbar satten Sound erwähnen. Da kommt also ganz schön was an Druck von der Bühne her geschmettert. Über alles gesehen komme ich zum Schluss: Sollte irgendwer wieder mal bei einer beliebigen Hardrock-Band das Alter als Begründung für einen laschen Auftritt zücken, werde ich in Zukunft gerne dieses Konzert von Uriah Heep als Gegenargument heranziehen, denn offensichtlich lässt es sich auch mit grauen Haaren noch voller Energie rocken (pam: Der inzwischen ebenfalls grautragende Angus wird es im Sommer 2024 noch eindrücklicher beweisen…). Und damit zurück zu Domi the Stick, der bei den kleineren Bühnen steht.
Die Setliste Uriah Heep
- Against the Odds
- The Hanging Tree
- Between Two Worlds
- Stealin‘
- Too Scared to Run
- Rainbow Demon
- Sunrise
- July Morning
- Lady in Black
- Gypsy
- Easy Livin’*
*Zugaben
Whoredom Rife
DtS: Nachdem eben schon Koldbrann die W.E.T. Stage abgeräumt haben, sind auf der gleich daneben stehenden Headbangers Stage nun Whoredom Rife an der Reihe. Gemeinsamkeit: Norwegischer Black Metal. Grosser Unterschied: jede Menge Paint in den Gesichtern, zudem ist Sänger K.R so von Blut überströmt, als hätte er gerade etwas geschlachtet. Der Black Metal-Reigen macht Spass, doch dröhnt da jetzt auch nichts Überdurchschnittliches aus den Boxen. Worauf ich mich der spontanen Freude am Fotografieren von Schlamm widme, ups.
Baest
Larry: Baest traten ebenfalls am Brutal Assault 2022 auf, doch dort packte mich ihr Auftritt leider nicht. Da ich ihre Musik jedoch sehr mag, wollte ich ihnen am WOA nochmals eine Chance geben. Der Sound ist allerdings grausig und so verlasse ich nach drei Songs die W:E:T Stage, um Cellar Darling auf der Wackinger Stage zu schauen. Da der Sound dort ebenfalls nicht überzeugt, zieht es mich wieder zurück zu Baest. Zu meinem Erstaunen und meiner Freude hat sich der Sound zwischenzeitlich massiv verbessert und die Dänen können die Zuschauer mit ihrem Death Metal begeistern. Etwas abseits von der Meute lassen meine Begleitung und ich ausgelassen die Haare kreisen.
Cellar Darling
DtS: Auch ich verschiebe von Baest, wo ich mir kurz den Anfang gebe, zu Cellar Darling, jedoch weil ich dies von Anfang an so geplant hatte. Entsprechend bleibe ich bei der Wackinger Stage und verfolge das Schauspiel unserer Landsleute. Lange Zeit hatte ich das Trio etwas aus den Augen verloren und freute mich darauf, sie hier auf dem heiligen Acker zu sehen. Anna Murphy, Merlin Sutter und Ivo Henzi versorgen die Zuschauerschar mit ihrem folkigen Progressive Metal, der sich deutlich von ihrer Vergangenheit bei Eluveitie abhebt, jedoch nicht jeden der Anwesenden gleich zu überzeugen vermag. Verständlich, denn vor allem, wenn man mit den Songs nicht vertraut ist, könnten sich diese als schwere Kost erweisen. Mich als Fan früher Stunden vermag das Trio (respektive live Quartett, weil ja noch jemand die Bassaiten zupfen muss) jedoch zu überzeugen, und so überlege ich mir ernsthaft, den Beginn von HammerFall zugunsten des Endes von Cellar Darling zu verpassen. Nein, ein Kompromiss muss her, und so verpasse ich die letzten ein oder zwei Songs und eile zu den Hauptbühnen.
HammerFall
Domi: HammerFall ist mit Unterbrüchen immer wieder Gast in Wacken. Und bis jetzt war es jedesmal das gleiche Bild. Die Schweden betraten die Bühne und die Metalheads gingen steil. Dies liegt vor allem auch an Sänger Joacim Cans, der seit 1996 Teil der Band ist (für alle, die es nicht wissen, sein Vorgänger war niemand anderes als Mikael Stanne). Obwohl der Vorgänger von Cans ebenfalls ein sehr sympathischer Mensch ist, versteht es Joacim wie kein anderer, das Publikum in kürzester Zeit zu elektrisieren und für den eigenen Sound zu öffnen. Dies wiederholt sich auch 2023 ein weiteres Mal. Passend zum ersten Song “Brotherhood” wird sofort Freundschaft mit dem in Massen anwesenden Publikum geschlossen, um diesen Auftritt zu einem erneuten Erfolg werden zu lassen. Und wenn dann der Übersong “Let the Hammer Fall” naht, gibt es sowieso kein “Halten” mehr. Es ist wirklich eine wahre Freude den Schweden zuzusehen. (Raphi: Wir sollten ihn ja auch nicht halten, sondern fallen lassen ;-)) Die Spielfreude und die Leidenschaft der Band ist in jeder Faser des Körpers spürbar. Einmal mehr vergebe ich das Prädikat überragend.
Raphi: Dieses Prädikat bleibt bei mir noch in der Tasche und zwar schlicht, weil ich HammerFall in der Vergangenheit bereits eine Spur spritziger und aufgeweckter erlebt habe. Das heisst aber nicht, dass der heutige Auftritt Anlass zur Klage gäbe. Im Gegenteil; die Band holt die Leute (und da zähle ich mich dazu) mit ihrem übrigens gut abgemischten Power Metal problemlos ab und sorgt, wie Domi bereits erwähnt hat, für grosse Begeisterung im Publikum. Eine sichere Bank, würde ich sagen.
DtS: Ich würde ja an dieser Stelle mal schweigen, aber HammerFall begleiten mich doch schon seit meinen frühesten Metalschrittchen. Grundsätzlich muss ich euch beiden aber Recht geben: Zwar waren die Schweden definitiv schon spritziger unterwegs, aber heute Nachmittag das Infield so zu rocken, wie sie es tun, ist eine reife Leistung! Den Hammer würde ich für heute aber ausnahmsweise nicht fallen lassen; dafür ist der Boden schlicht zu schlammig – was auch erklärt, wieso die Metalheads stellenweise eng zusammengepfercht stehen und an anderen Stellen Platz für eine halbe Kompanie zu finden ist. Ja, HammerFall tun es einmal mehr: Sie setzen unsere Herzen in Flammen!
Die Setliste HammerFall
- Brotherhood
- Any Means Necessary
- The Metal Age
- Hammer Of Dawn
- Blood Bound
- Renegade
- Venerate Me
- Last Man Standing
- Medley: Crimson Thunder
- Let The Hammer Fall
- Glory To The Brave
- (We Make) Sweden Rock
- Hammer High
- Hearts On Fire
Die Fotos HammerFall
Kreator
Domi: Die Deutsche Thrash-Institution beehrt das Wacken-Festival ebenfalls. Der Einstieg mit “Hate Über Alles” zeigt an, wohin es heute gehen soll. Der gepflegte Metalhead darf Kreator vieles vorwerfen (pam: Was will man Kreator denn vorwerfen? Dass sie die letzten zwei Jahrzehnte im Thrash Metal sowohl ab Konserve als auch live das Mass der Dinge sind?). Aber live ist diese Band einfach ein Garant für den Abriss. Für mich einer der Sieger dieser Ausgabe des Festivals. Es rumpelt, scheppert, schreddert. Mille und sein keifender Gesang geben dem Ensemble die nötige Würze. Es passt einfach wieder mal alles zusammen. Die Zeit vergeht im Fluge und mit einer ausgeklügelten Setlist (siehe unten) gelingt es einmal mehr zu zeigen, wer mitunter an der Speerspitze dieses Genres die Fahne schwingt. The Flag of Hate ist weiterhin vernichtend durch die Welt unterwegs. Fantastischer Auftritt.
DtS: Einspruch! Ausgeklügelt mag sie sein, die Setliste, aber mitnichten komplett. Wo Kreator draufsteht, muss auch «Phobia» drin sein! Punkt. Dies ist dann jedoch auch der einzige Schwachpunkt einer ansonsten grandiosen Show, bei der sich die Menge trotz unebenen Bodenverhältnissen für wilde Pits entscheidet.
Raphi: Ja! Kreator räumen ab. Das Tüpfelchen auf dem i ist dann noch, als bei “Midnight Sun” Sofia Portanet auf die Bühne kommt, um ihren Gesangspart live zu singen (pam: Oh ja, darauf habe ich schon länger gewartet… war das die Live-Premiere mit ihr? So oder so, mit oder ohne Sofia, der Song ist einfach so was von geil). Das Publikum gibt sich ebenfalls keine Blösse und mosht und bangt ausgelassen, ohne dabei die zahlreichen Crowdsurfer in den Schlamm fallen zu lassen. Mille stachelt die Leute dabei an und ist wie ein Derwisch unterwegs auf der Bühne, während der Sound relativ klar gemischt aus den Boxen dröhnt. So stelle ich mir eine Thrash Metal-Show vor. Nach dem Schlusspunkt “Pleasure to Kill” mache ich mich auf den Weg zu Amorphis, der Schlamm sorgt dafür, dass wir etwas länger brauchen. Was hast du in der Zwischenzeit von Helloween zu berichten, Domi?
pam: Wart noch schnell mit den Kürbisköpfen. Ich habs oben und in früheren Reviews schon mehrfach geschrieben: Kreator haben dem Thrash Metal in den letzten zwei Jahrzehnten den Stempel ganz klar aufgedrückt. Unfassbar, wie sie sich mit jedem neuen Album immer wieder toppen. “Hate Über Alles” ist vor allem ein “Über-Album” (siehe auch Review). Zudem bringen Mille & Co. einfach auch live rüber, was sie vorher auf Vinyl und Poylcarbonat für die Ewigkeit konserviert haben.
Und heute ist es – nebst dem Gastauftritt von Sofia – ein sehr emotionaler Konzert-Moment für mich. Vor einem knappen Jahr sind Roman und ich für ein Wochenende nach Miami geflogen, um die “81-83 only”-Show von Metallica zu erleben. Nur Songs von den ersten beiden Alben inklusive den Coversongs von damals, an einem Abend only zu Ehren ihrer verstorbenen Förderer Jonny und Marsha Zazula. Damals haben Roman und ich uns je einen Sieger-Kubaner (also Stumpen) gekauft und wollten diesen nach dem für mich wahr gewordenen Traum gemeinsam geniessen. Irgendwie kam es dann nicht mehr dazu. Und das holen wir jetzt und heute hier bei Kreator nach. Nach “Orion” in Basel bei Dauerschiff einer der emotionalsten Konzertmomente ever für mich. Danke schon mal an meine Wackenmitfahrer und vor allem Roman for making this happen! Ich hab beim Schreiben noch/wieder Hühnerhaut.
Die Setliste Kreator
- Hate Über Alles
- People Of The Lie
- Awakening Of The Gods
- Enemy Of God
- Betrayer
- Midnight Sun
- Satan Is Real
- Hordes Of Chaos
- 666 – A World Devided
- Phantom Antichrist
- Hail to The Hordes
- Strongest Of The Strong
- Extreme Aggressions
- Violent Revolution
- Flag Of Hate
- Pleasure To Kill
Die Fotos Kreator
Helloween
Domi: Die Kürbisköpfe erlebten in den letzten fünf Jahren den sogenannten “2. Frühling”. Dies ist natürlich vor allem der Reunion geschuldet. Seit dieser sind die Power-Metal-Helden mit Andi Deris und Michael Kiske am Mikrofon unterwegs. Die Tour dauert nun bereits eine Weile an, durch den grossen Erfolg und die hohen Verkaufszahlen wird sie immer wieder verlängert (zurecht, finde ich). Da ist natürlich klar, dass auch Wacken in den Genuss dieser Besetzung und der Band kommen will und heute Abend ist es (DtS: nach 2018 zum zweiten Mal) so weit.
Helloween lassen von Anfang an nichts anbrennen hier am Wacken Open Air 2023. Die Setlist (siehe weiter unten) könnte man natürlich auch unter “Greatest Hits” verkaufen… Kein Wunder, macht es somit wirklich fast dem ganzen Publikum Spass. Zudem sind die Herren Kiske, Deris sowie Kai Hansen auf der Höhe des Geschehens und geben sichtlich “All in”. Die Spielfreude ist echt, scheint mir, und so soll es sein. Das Publikum geht absolut mit und ist teilweise sehr textsicher. Einziger Kritikpunkt: Auf mich macht es den Eindruck, dass fast schon zu viel Routine da ist (jedenfalls stellenweise). Zu diesen Zeitpunkten wirkt die Show auf mich zu einstudiert. Gut, dazu muss ich auch bemerken, dass ich sie bereits zwei Mal so gesehen habe. Zusammengefasst zeigen Helloween einmal mehr, dass ihnen die Reunion nochmals wirklich Leben eingehaucht hat und nach wie vor die Gemeinsamkeit zählt.
Die Setliste Helloween
- Skyfall
- Eagle Fly Free
- Mass Pollution
- Future World
- Power
- Save Us
- Walls of Jericho
- Metal Invaders / Victim of Fate / Gorgar / Ride the Sky
- Heavy Metal (Is the Law)
- Forever and One (Neverland)
- Best Time
- Dr. Stein
- How Many Tears
- Perfect Gentleman*
- Keeper of the Seven Keys*
- Invitation*
- I Want Out*
*Zugaben
Amorphis
Domi: Leider bekomme ich vom parallel stattfindenden Auftritt von Amorphis auch in diesem Jahr nicht alles mit. Aber was ich sehe und höre macht mich glücklich. Es ist immer noch die Musik, welche mich ins Land der Träume und Visionen verschwinden lässt. Keine Band versteht es derart gut, melodiöse Parts in der Musikfraktion mit der Stimme des Klargesangs und den Growls so zu verbinden wie Amorphis. Die Melodiebögen, welche diese Band in ihren Songs über Jahre verpackt hat, lassen das anwesende Publikum fast wie in Trance verfallen. Tomi Joutsen wirkt am Mic auch heute äusserst professionell. Amorphis verbinden für mich immer noch die meisten Genres in einer Band, seien es Anleihen aus dem Death Metal oder auch progressive Ausbrüche. Es klingt einfach alles gut, was die Herren produzieren. Oder was meinst du dazu, Kollege Raphi?
Raphi: Obwohl ich leider schlammbedingt den Anfang des Auftritts verpasse, bemerke ich genau wie du, dass das Publikum sich so richtig in die Musik fallen lässt und genussvoll darin versinkt. Amorphis befinden sich aktuell auf dem Zenit ihres Schaffens und verfügen über ein riesiges Repertoire an Songs, aus dem sie einen gelungenen Auftritt wie den heutigen zusammenstellen können. Dass sie dabei, wie von dir erwähnt, Talent beweisen bei der Vermischung von Melodie und Growls und musikalisch viele Anknüpfungspunkte bieten, trägt sicher einen grossen Teil dazu bei, dass die Band ein derart breites Publikum erreicht. Und natürlich ein veritabler Hit wie die Zugabe “The Bee”.
Die Setliste Amorphis
- Northwards
- Bad Blood
- The Four Wise Ones
- The Moon
- Thousand Lakes
- Into Hiding
- Black Winter Day
- Silver Bride
- Sky Is Mine
- Wrong Direction
- Amongst Stars
- Seven Roads Come Together
- On the Dark Waters
- My Kantele
- House of Sleep
- The Bee (Zugabe)
Die Fotos Amorphis
Cypecore
DtS: Es ist DER Überschneidungsslot schlechthin: Helloween, Amorphis, Abbath, Faun und Cypecore spielen heute Abend alle gleichzeitig. Da ich Helloween in dieser Besetzung nun ein paar Mal gesehen habe (zuletzt in The Hall zusammen mit HammerFall), Amorphis meist nicht so meins ist und mich Cypecore vor knapp einem Jahr im Werkk Baden absolut überzeugten, entscheide ich mich, den Mannheimern auf der Wasteland Stage einen Besuch abzustatten.
Die fünf Herren haben sich so etwas wie Sci-Fi Metal verschrieben, zumindest thematisch. Sie stammen aus einer Zeit nach dem dritten Weltkrieg, unser Planet ist verwüstet und zum Überleben ist man auf synthetische Körperteile angewiesen. In ihren orange leuchtenden Rüstungen schreitet die Band zur Tat und liefert im Rahmen der Operation, wie sie ihre Auftritte nennen, einen spannenden Mix von Melodeath und Industrial, minim gewürzt mit etwas Metalcore. Einige Pyro-Effekte hie und da, wie es sich für die Wasteland Stage eben gehört, und die Menge tobt. Ja, es war eine gute Entscheidung, trotz jeder Menge Alternativen hier zur kleinsten aller Bühnen zu kommen und etwas in eine wüste Zukunft einzutauchen, in der es jedoch noch immer groovigen Metal gibt.
Megabosch
DtS: Eine Entscheidung, die, zugegeben, nicht wirklich spontan war. Schon vor dem Festival neigte ich zu Cypecore. Als Megabosch dann noch wenige Tage vor dem Festival elf Kurzauftritte im Wasteland bekanntgeben und einer der passendsten Slot jener gleich nach Cypecore ist, weiss ich: Das will ich sehen!
Fürs Verständnis muss ich etwas ausholen: Das Wasteland feiert heuer sein 10-jähriges Bestehen. Damals gab es auf der noch völlig anders aussehenden Wasteland Stage lediglich zwei Acts: die Wasteland Warriors und Megabosch. Während Erstere mit ihren aufwändigen Kostümen eher visuell begeistern, bemühen sich Letztere auch um musikalische Darbietungen. Nacht für Nacht lag das Wasteland auf dem Weg zu unserer Bleibe auf dem Campingplatz, und Nacht für Nacht schauten wir bei Megabosch vorbei, die mit eingängigen Songs wie «Weil ich es kann» und «Es ist geil», vor allem aber mit einer coolen Bühnenpräsenz und einer enormen Lust aufs Feiern überzeugten.
Nun, zehn Jahre später, will ich mindestens einen der elf Gigs sehen, und kann dies heute Abend abhaken. Leider ist das Roadcrew-Camp, wo die postapokalyptischen Musiker auftreten, nicht für mehr als zwei Reihen Besucher geeignet, da man schlicht nicht auf die sehr tief gelegene “Bühne” sieht. Das sind Welten im Vergleich zur damaligen Wasteland Stage, die auf ein paar Fässer und Autos gebaut wurde. Davon lassen sich die Herren jedoch nicht beirren, und zumindest der Sänger erklimmt die Schrotthaufen ohne Weiteres, um von oben und ohne Sichtkontakt zu seiner Band abzugehen. Zugegeben: Etwas wirr ist das Ganze schon und vom Zauber, den Megabosch damals auf uns ausübten, ist leider nicht allzu viel zu spüren. Trotzdem machen die paar Songs, die sie zum Besten geben – und bei dem mein Liebling «Weil ich es kann» leider fehlt – Laune und ich schwelge ein bisschen in Nostalgie. Und damit verabschiedet sich Metalinside für Donnerstag, gute Nacht!
pam: Ich war irgendwann mal am Tage an denen vorbeigelaufen und hab die Kamera gezückt. Nachfolgend die Fotos passend zum Bericht von Domi The Stick, jedoch aufgenommen zu einem anderen Zeitpunkt des diesjährigen Wacken Open Air. (Raphi: Aber wenn wir es niemandem sagen, merkt es auch keiner, oder wie war das nochmal? ;-)).
Die Fotos Megabosch inklusive Wasteland
Das Fanzit – Wacken Open Air 2023 – Tag 2
DtS: Konzerttechnisch konnte der heutige Tag den etwas wirren Mittwoch problemlos toppen. Die Planungssicherheit war besser gegeben, denn selbst die halbstündige Verzögerung auf den Hauptbühnen wurde mehr oder weniger konstant weitergezogen. Gute Auftritte gab es jede Menge; den Titel des Tageshighlights dürfen jedoch – und damit spreche ich wohl nicht nur für mich – Kreator für sich beanspruchen.
Wacken Open Air 2023 – Tag 3 (Freitag, 4. August)
Domi: Bereits ist es Freitag. Der (fast) normale Alltag ist eingekehrt. Heute werden Iron Maiden auftreten. Nach dem Gig in der Schweiz im Juni sind die Erwartungen hoch, obwohl bereits klar ist, dass die Songs, die Setlist und das ganze Drumherum natürlich das Gleiche sein werden. Der Freitag bietet aber ein breites Spektrum an weiteren spannenden Bands. Stürzen wir uns also in den nächsten Tag Metal-Madness und lassen wir es auch heute ordentlich krachen.
DtS: Ja, der Freitag bietet ein starkes Programm! So stark, dass ich in meinem Plan nur fünf Acts als must have markiert habe und die Entscheidung zu all den Überschneidungen in die Spontaneität vertagen muss. Infield, ahoi!
J.B.O.
DtS: Lieber Leser, gib mir ein J! Gib mir ein B! Gib mir ein O! Genau, den Start in den Tag machen – wenn man nur die Hauptbühnen berücksichtigt – J.B.O. mit einem als “Frühschoppenshow” angekündigten Auftritt. Na, da sind wir ja mal gespannt…
Gemessen an der Uhrzeit – es ist gerade mal zwölf Uhr – ist die Fläche vor der Louder Stage schon erstaunlich voll. Kein Wunder, denn selbst wenn man die Fun Metaller nicht zu seinen Lieblingsbands zählt, sind die Jungs – allen voran die beiden Fronter Vito und Hannes – hervorragende Unterhalter. Seien es Fragen wie “Haben wir Metaller hier?” oder ausgelutschte Gags übers erste Mal, deren Pointe mehr als nur absehbar ist: Langweilig wird heute niemandem, der der deutschen Sprache mächtig ist. Das Publikum goutiert dies mehrfach mit lauten Mitsingchören. Und trotzdem bleibt mein Highlight dieses Gigs das Dreierpaket «Verteidiger des Blödsinns», «Alles nur geklaut» und «Wacken ist nur einmal im Jahr».
Dass J.B.O. zudem gecoverte Songs optimal servieren, ist schliesslich längst kein Geheimnis mehr. Seinen Auftritt schliesst der Vierer aus Erlangen überraschend nachdenklich: Nicht mit Blödsinn, sondern mit «Rockin’ In The Free World». J.B.O. sorgen also für einen guten Tagesstart – wenn auch es eine ganz normale J.B.O.-Show war, bei der das Prädikat «Frühschoppenshow» etwas verloren scheint.
Die Setliste J.B.O.
- Metal Was My First Love
- Hoffen und Bangen
- Mach noch eins auf!
- Gänseblümchen
- Wir ham ‘ne Party
- Ein guter Tag zum Sterben
- Schlumpfozid im Stadtgebiet
- Verteidiger des Blödsinns
- Alles nur geklaut
- Wacken ist nur einmal im Jahr
- Ein Fest
- Rockin’ In The Free World
Kärbholz
DtS: Noch während die Verteidiger des wahren Blödsinns ihr Set beenden, erklingen vom Infield her die ersten Riffs von Kärbholz. Nachdem sich die rosa Spassmetaller vom Publikum verabschiedet haben, zieht es mich deshalb vor die Harder Stage. Dank ihrem energetischen deutschsprachigen Punkrock und bei glücklicherweise auch heute trockenem Wetter haben Kärbholz das Publikum längst auf ihrer Seite, als ich bei der Bühne eintreffe.
Dabei will ich festhalten: Das ist kein bisschen erstaunlich. Die Freude der vier Musiker sprüht nur so von der Bühne, getragen von rockigen Riffs und geführt von der kräftigen Stimme des Sängers Torben. Dieser versucht nach einigen Songs mehr oder weniger erfolgreich, einen Pit zu orchestrieren. Für einen kurzen Moment spielen die Jungs aus dem Bergischen Land humortechnisch auf einer Ebene mit J.B.O. Hut ab!
À propos Bergisches Land: Als die Herren «Kind aus Hinterwald» auspacken, gibt es in der Menge trotz Akustikgitarre kein Halten mehr. Gleich darauf legen Kärbholz noch ihren Überhit «Tiefflieger» drauf, bei welchem das Publikum angewiesen wird, mit Schlamm um sich zu werfen. (Raphi: Ich stehe dummerweise ziemlich ungünstig vor denjenigen, die am meisten darauf anzusprechen scheinen und hoffe, dass die entsprechenden Personen diese mässig gelungene Animationsidee ganz schnell wieder vergessen und sich anderen Tätigkeiten zuwenden). Objektiv gesehen wohl der Höhepunkt des ganzen Sets. Bei anderen Bands könnte nach so intensiven Stellen eine Flaute folgen, doch nicht so Kärbholz: Auch die letzten zwanzig Minuten füllen sie mit Spass und Musik und hinterlassen ein mehr als zufriedenes Publikum.
Die Fotos Kärbholz
Amaranthe
DtS: Gleich anschliessend geht es auf der Faster Stage mit Amaranthe weiter. Der schwedische Sechsköpfer startet selbstbewusst mit zwei Songs vom neuesten Album, worauf sie den Banger «Digital World» nachlegen. Danach lässt Niels die Bombe platzen: Dies ist der aktuelle Start der Werbekampagne zum neuen Album «The Catalyst», das im Februar erscheinen soll, und bereits jetzt spielen sie die erste Singleauskopplung «Damnation Flame». Yes, das Ding macht Spass!
Alles in allem performen Amaranthe heute stark, mit viel Motivation und bereits jetzt – um 14 Uhr – mit nicht wenig Pyros (Raphi: Die Pyros fallen mir auch positiv auf. Das sollte tolle Fotos geben. pam: Danke Raphi, fühle mich jetzt überhaupt nicht unter Druck… Aber vorweg, für richtige gute Pyro-Fotos ist es schlicht zu hell. Das dürfte bei Saltatio Mortis morgen besser sein…). Der neue Shouter Mikael Sehlin, welcher Henrik Englund vor kurzem ersetzte, hat sich gut in der Band eingelebt (er passt definitiv viel besser als Richard Sjunnesson, den die Band 2022 auf Tour dabei hatte) und verleiht dem Gesangstrio neuen Aufwind. Einziger Wermutstropfen des heutigen Auftritts: Die Abmischung könnte ein wenig besser sein und die gewaltige Harmonie zwischen den drei Sängern und dem instrumentalen Teppich besser zur Geltung bringen.
Wie immer vergeht die Zeit bei Amaranthe wie im Fluge: Viel zu schnell sind der etwas gar poppige «That Song» und der fulminante Abschluss «Drop Dead Cynical» an der Reihe. Womit ich mich dann mal aus dem Infield wegschleiche…
Die Setliste Amaranthe
- Fearless
- Viral
- Digital World
- Damnation Flame
- Hunger
- Strong
- Helix
- Maximize
- The Nexus
- Amaranthine
- Call Out My Name
- Archangel
- That Song
- Drop Dead Cynical
Die Fotos Amaranthe
Peyton Parrish
DtS: …denn meine Entscheidung zur nächsten Mega-Überschneidung zwischen While She Sleeps, Leaves’ Eyes, Dust Bolt und Peyton Parrish fällt auf Letzteren. Die Wahl war nicht einfach, doch beim Reinhören im Vorfeld hat sein Mix aus Kehlgesang, Country und Metal meine Neugier geweckt. Damit scheine ich nicht der Einzige zu sein, denn das Wackinger Village ist für drei Uhr nachmittags erstaunlich voll. Erstaunlich, was ein paar viral gegangene Internetclips alles bewirken können.
Auf Peyton Parrishs Musik muss man sich dann aber doch bewusst einlassen. Sie ist wohl für viele schlicht zu wenig Metal und wäre auf jeder anderen Bühne etwas fehl am Platz. Nichtsdestotrotz liefern uns der US-Amerikaner und seine Band eine abwechslungsreiche Show, die nicht nur seine Überhits «My Mother Told Me» (bekannt aus Assassin’s Creed und Vikings) und «Valhalla Calling» beinhaltet, sondern auch den Mulan-Track vom Disney-Album und stimmige Titel wie «God Of War». Ich kam ohne grosse Erwartungen zur Wackinger Stage, jederzeit bereit zu einer der drei anderen Bands zu wechseln, und verlasse sie nun positiv überrascht. Raphi, Bühne frei für Twilight Force! Ich komme danach wieder für Skálmöld.
Twilight Force
Raphi: Auf der Wackinger Stage schicken sich, wie von Domi the Stick angekündigt, Twilight Force an, uns auf eine abenteuerliche Reise mitzunehmen. Ihr Symphonic Power Metal sollte dazu auch durchaus das Zeug haben, führen die Herren doch kompositorisch einige Pfeile im Köcher. Dass sie sich immer wieder in sehr fröhlichen Gefilden der Dur-Tonarten austoben, hat ihnen allerdings auch die ein oder andere kritische Stimme eingebracht.
Für mich immer sehr positiv bei Twilight Force aufgefallen ist die Vermeidung des offensichtlich Lächerlichen in ihrem Konzept. Zugegebenermassen besingen sie sehr lockere Themen mit einer beabsichtigten Oberflächlichkeit und gewollt vielen Klischees. Trotzdem hat die Band sich nie in Selbstironie ertränkt. Mal schauen, ob dieser Eindruck den Erstkontakt im Livegewand überstehen wird. Der fällt zuallererst einmal mit einer misslungenen Abmischung auf, Alessandro Conti am Mikrofon ist nämlich kaum zu hören. Es dauert nicht lange, bis sich das Publikum zu Wort meldet und diesen Umstand der Band mitzuteilen versucht. Conti hört tatsächlich zu und bittet die Technikcrew, doch bitte die Vocals lauter zu drehen. Sehr nett von ihm, leider gehen die Leute am Mischpult nur marginal darauf ein.
Den Spass verderben lassen sich Twilight Force dadurch aber nicht. Etwas nervös und sichtlich mit Freude bei der Sache nehmen sie uns mit auf die erwähnte Reise durch jene fantastischen Welten, die sie mit ihrer Musik vertonen. Insbesondere der bereits erwähnte Alessandro Conti zeigt in diesem Rahmen (und nachdem er etwas besser hörbar ist), welche Qualitäten als Frontmann und vor allem Sänger in ihm stecken. Während seiner Ansagen verbinden übrigens dezent im Hintergrund laufende Samples die Songs zu einem fortwährenden Fluss. Unterstützt wird die Band zudem von Gastsängerin Kristin Starkey, die neben ihren ergänzenden Einlagen auch gleich noch den Leadgesang bei „Twilight Horizon“ übernimmt. Das Lied gehört zusammen mit „The Power of the Ancient Force“ und der Bandhymne „Twilight Force“ zu den Höhepunkten des Konzerts.
Und die Show? Mit der begeben sich Twilight Force in jene oben angesprochene Ecke des Genres, die sie auf ihren Alben bisher immer haarscharf umschifft haben. Sei es, als dem Publikum beigebracht wird, wie ein Zauberer zu lachen pflegt oder als bei „Flight of the Sapphire Dragon“ ein aufblasbarer Drache auf Reisen ins Publikum geschickt wird. Derart übertrieben wie bei Gloryhammer ist das nicht, aber die Tendenz zeigt klar in diese Richtung. Notwendig wäre dieses Brimborium gar nicht; mehr Ernsthaftigkeit würde der Band nämlich gut zu Gesicht stehen und der Spass deshalb trotzdem nicht zu kurz kommen. So bleibt es bei einem fröhlichen Auftritt, der seine guten Momente hat, durch die Ausrichtung der Show aber sein musikalisches Licht etwas unter den Scheffel stellt.
Dust Bolt
pam: Von Haus aus bin ich ja ein Thrasher. Und da wurde mir schon öfters Dust Bolt empfohlen. Auch der eine oder andere Live-Bericht auf Metalinside machte es mir leicht, dass ich mich bei all den erwähnten Versuchungen für die ehemalige Schülerband aus Oberbayern entscheide. Denn nebst ordentlichem Gedresche sollen die Jungs live auch ganz schön abgehen. Tatsächlich werde ich keine Sekunde enttäuscht. Irgendwie erinnert es gar ein bisschen an eine Thrash-Variante von Airbourne.
Vor allem Sänger und Mit-Gitarrist Lenny stellt sich als richtige Rampensau raus und das wortwörtlich: Er lässt es sich nicht nehmen, mit Gitarren und Mikro inklusive dessen Ständer (des Mikros!) sich mitten im Pit aufzustellen. Und Leute, da ist immer noch viel Schlamm und Dreck. Er spielt und singt, während die Meute um ihn herum pogt. Sehr geiles Bild. Bei der Rückkehr – auch hier wieder ohne Hilfe von irgendwelchen Securitys – stellt ihm der Matsch jedoch einen Haken und es knallt ihn – da eine Hand an der Gitarre und eine am Ständer (Mikrofonständer) – sowas von auf die Fresse. Zurück auf der Bühne ist sein Gesicht von diesem Misstritt mit Schlamm gezeichnet. Dabei zeigt er keine Allüren oder Ansätze, sein Gesicht zu reinigen und macht einfach weiter wie bisher. Sehr geile Reaktion auf eine geile Aktion.
Das war ein sackstarker Auftritt und in Zukunft werdet ihr auf meinen Besuch an einem Konzert von euch nicht mehr so lange warten müssen, Dust Bolt. Ihr habt einen neuen Live-Fan gewonnen.
Die Fotos Dust Bolt
Trivium
Domi: Ungewohnt bunt strahlt das Backdrop von Trivium schon vor dem Start des Auftritts Richtung Infield. Dann geht es auch schon los und Matthew Heafy und seine Kumpanen treten auf die Bretter. Ein weiterer Typ, welcher aus meiner Sicht die Neuzeit des Metals mitprägt. Mat Heafy hat sein heutiges Outfit passend zum Backdrop gewählt. In seiner unverkennbaren Art steigt er ins Set ein und streckt bereits mehrere Male seine Zunge aus dem Mund.
Wer den Aufstieg des Kometen Trivium mitbegleitet hat, weiss, dass Mat Heafy immer wieder dankbar ist, dass er Teil des Metal-Universums sein darf, dies beteuert er immer wieder. Er wirkt dabei authentisch und menschlich. Hier sind keine Star-Allüren auszumachen. Auch der Rest der Band wirkt fokussiert, aufgestellt und zu neuen Taten bereit. Ein Siegeszug sondergleichen über die ganze Zeit des Slots. Musikalisch top, auch der Gesang lässt keine ernstzunehmenden Fehler vermuten.
Kritikpunkt könnte höchstens der Zeitpunkt des Auftritts sein, leider aus meiner Sicht zu früh an diesem wunderbaren Tag. Ich merke heute, dass ich dieser Band in Zukunft wieder ein Ohr mehr schenken sollte. Denn etwas ist mir schon früher aufgefallen. Oft reicht es nicht, wenn ich die Songs von Trivium nur an einem Festival höre, es sind Songs, die wachsen. Um den kompletten Genuss zu erfahren, müsste ich mich wohl wieder ein wenig einhören. Aber vielleicht geht das nur mir so?
Frozen Soul
pam: Bevor ich mich zu Raphi, Domi the Stick, Larry & Co. bei Skálmöld begehe, schau ich mehr oder weniger durch Zufall bei den Texanern Frozen Soul auf der Wasteland Stage vorbei (ich glaub, ich war grad im Merch- und Tonträgerzelt in der Nähe shoppen…). Die gewichtigen Amis packen mich mit ihrem Death Metal von 0 auf 100. Ich dachte mir noch, lass mich schnell ein paar Fotos machen und dann weiter. Sie schaffen es jedoch, dass ich bis zum Schluss bleibe. Überraschend starker Auftritt. Eiskalter Death Metal nach meinem Gusto: Starke Riffs, Melodie, Tempiwechsel, Groove und Brücken noch und noch. Dies dürfte grad meine Entdeckung des Wacken Open Air 2023 gewesen sein. Aber jetzt mal zu den anderen Jungs und Mädel…
Die Fotos Frozen Soul
Skálmöld
DtS: Nach einem kurzen Abstecher in die Bullhead City, wo ich bei Depressive Age und Get The Shot kurz reinschaue, begebe ich mich mit viel Vorlaufzeit zurück zur Wackinger Stage. Eines DER Highlights des diesjährigen Wacken Open Airs steht an und glücklicherweise ist Raphi nach Twilight Force gleich geblieben und hält mir einen Platz in der Front Row frei. Von dort aus können wir die Isländer beim Aufbau beobachten, und die Vorfreude steigt von Minute zu Minute.
Skálmöld stehen kurz vor der Veröffentlichung ihres neuen Albums «Ýdalir», welches sich als ein wahres Meisterwerk und schlussendlich sogar als mein Best Album Of The Year entpuppen wird. Zum Glück dürfen wir schon heute einige der Songs live hören! Doch beginnen wir von vorne: Die sechs Isländer betreten die Wackinger Stage mit vor Spielfreude nur so glänzenden Augen. (Raphi: Und das in einem mit einer speziellen Verbrennungstechnik künstlich erzeugten Ascheregen, der wie ein Schneegestöber wirkt. So etwas habe ich nun auch noch nie erlebt an einem Konzert).
Die ersten Riffs erklingen und mindestens die vordersten paar Reihen haben Skálmöld sofort im Sack. Kein Wunder, bei diesem äusserst stark vorgetragenen Melodienfeuerwerk. Mit drei Gitarren ausgestattet, machen die Jungs den später auftretenden Iron Maiden Konkurrenz. Dazu gesellt sich aber, nebst Bass und Schlagzeug, noch ein Keyboard und statt mit einem treten Skálmöld gleich mit sechs Mikros an. Zugegeben, Vergleiche mit Maiden zu ziehen, macht wohl nicht viel Sinn. Lassen wir das also.
Sowieso mache ich mir all diese Gedanken erst nach dem Konzert, denn während diesem bin ich vor allem mit zwei Dingen beschäftigt: Beim Headbangen über dem Geländer nicht mit Larrys drehendem Kopf oder den Fotografen und Security-Angestellten zu crashen einerseits, und dem vergeblichen Versuch andererseits, die isländischen Lyrics ohne Beherrschen der Sprache irgendwie mitzugrölen (Raphi: Ég er Verðandiiiiiiii….).
Ob ältere Songs wie «Gleipnir», die neuen Singles «Ratatoskur» und «Verðandi» oder das abschliessende «Kvaðning»: Mit ihren melodisch dicht bepackten Songs und Texten in nordischem Reimschema, vor allem aber mit der Art ihres Auftretens, erspielen sich Skálmöld die Sympathie der zahlreichen Zuschauer. Wenn es sich schon vor sechs Jahren lohnte, zugunsten von Skálmöld auf Megadeth zu verzichten, dann zweifelsohne auch heute! À propos Megadeth: Domi, was läuft im Infield?
Die Fotos Skálmöld
Megadeth
Domi: Ich oute mich gleich zu Beginn; ich bin nicht der Überfan von Dave Mustaine. Seine Art und Weise ist für mich einfach unsympathisch. Und trotzdem… die Musik, welche er in den vielen Jahren der Bandgeschichte komponiert und veröffentlicht hat, hat in der Musiklandschaft des Heavy Metals definitiv Spuren hinterlassen. Deshalb zwinge ich mich auch immer wieder der Band bzw. Dave eine erneute Chance zu geben. Bis jetzt will der Funke einfach nicht ganz zünden.
Nachdem David Ellefson aus der Combo ausschied, munkeln viele, dass dies nun der Untergang von Megadeth sei. Ich muss sagen, wenn ich die ersten Songs des heutigen Abends höre, scheint es mir, als hätten diese Personen völlig unrecht, denn es geht auch in der aktuellen Besetzung.
Herr Mustaine, eher als Diva bekannt, scheint heute mit dem positiven Fuss aufgestanden zu sein. Wie immer zeigt er wenig Regung, was natürlich der Musik zugute kommt. Wer wenig spricht, hat mehr Spielzeit. Sicher ein Highlight des heutigen Auftritts ist der Besuch auf der Bühne von Marty Friedmann, welcher mit Mustaine und dem Rest der Band drei Songs spielt (Friedmann war bis 1999 in der Band).
Ich fand es heute wirklich einen guten Auftritt und trotzdem: Ich glaube, entweder liebt man Megadeth oder tut sich schwer damit. Ich bin somit eher oder immer noch auf der kritischen Seite.
Raphi: Nach dem Ende von Skálmölds Konzerts bin ich schnurstracks zum Infield gewatet, um mir die zweite Hälfte von Megadeth auch noch anzusehen. Was soll ich sagen? Ich schliesse mich dir an, Domi, obwohl es für mich der erste Livekontakt ist mit Megadeth. Musikalisch gibt es nichts auszusetzen, die Band trägt die Songs sauber vor. Doch eine packende Show ist weit und breit nicht in Sicht. Klar, hin und wieder huscht ein Schmunzeln über Dave Mustaines Gesicht, aber das reicht einfach nicht, um einen Auftritt erinnerungswürdig zu gestalten. Vor allem in Kombination mit dem ansonsten herrschenden Stoizismus auf der Bühne. Zum Glück haben wir Skálmöld den Vorzug gegeben, Domi the Stick.
Die Setliste Megadeth
- Hangar 18
- Wake Up Dead
- In My Darkest Hour
- Dystopia
- We’ll Be Back
- Dread and the Fugitive Mind
- Sweating Bullets
- Angry Again
- A tout le monde
- Trust (with Marty Friedman)
- Tornado of Souls (with Marty Friedman)
- Symphony of Destruction (with Marty Friedman)
- Mechanix
- Peace Sells
- Holy Wars… The Punishment Due*
*Zugabe
Havukruunu
DtS: Nachdem ich ebenfalls für einige Songs bei Megadeth vorbeischaute und, wie meine beiden Vorredner, von den US-Amerikanern nicht zu hundert Prozent überzeugt wurde, zieht es mich zurück zur Wackinger Stage. Essen fassen und Havukruunu kucken! Wenn ich auch nicht bis zum Ende bleiben kann – dieses überschneidet sich mit dem Beginn von Maiden – will ich live erleben, was ich beim vorgängigen Reinhören entdeckte.
Leider finde ich nicht so richtig Gefallen am Live-Auftritt der Finnen. Ab Konserve klang der melodische und von Pagan angehauchte Black Metal nach viel Potenzial, welches die Band hier und jetzt aber nicht richtig ausschöpfen kann. Mitschuldig ist da bestimmt auch die blecherne, zu gleichförmige und zudem etwas zu laute Abmischung. Dann muss ich mich wenigstens nicht spontan gegen den Maiden-Beginn entscheiden, und so begebe ich mich auf den Weg zur Harder Stage, wo der Festivalheadliner bald auftreten wird.
Dog Eat Dog
pam: Bevor es jedoch soweit ist, spielt auf der Headbangers Stage noch eine andere Legende – wenn auch in etwas tieferer Liga. Dog Eat Dog waren damals in den frühen 90ern einer der Wegbegründer des Crossovers. Was sie noch etwas von Anthrax, Clawfinger, Rage Against The Machine unterscheidet, ist der Einsatz eines Saxophons. So viele Metalbands mit dieser unförmigen Flöte kennt man ja nicht grad.
Nun, ich bin jetzt nicht so der grosse Kenner der Amis aus New Jersey (übrigens seit 2006 mit einem Schweizer Gitarristen – Roger Hämmerli), dennoch macht es in erster Linie einfach Spass, der Band zuschauen, die vor allem selber Spass zu haben scheint. Insbesondere Sänger/Rapper John Connor (nein, nicht der aus Terminator) hat einen Dauersmile und man wähnt sich ob seiner überfröhlichen Art in einer Kasperlistunde.
Soundmässig ist es ganz okay. Wenn auch der Rap schon sehr handgestrickt ist. Ist halt wie immer so in der Musik, im Sport… die krassen Pioniere von damals sind heute höchstens noch auf Schulbuben-Niveau. Schaut euch mal die Goldfahrt von Gian Simmen in der Halfpipe von Nagano an und dann die heutigen Runs… Somit macht es vor allem einfach aus nostalgischen Gründen Spass, dem Konzert bis zum Schluss und kurz vor Maiden beizuwohnen.
Die Fotos Dog Eat Dog
Iron Maiden
Domi: Iron Maiden wieder auf dem Holy Ground, das lasse ich mir natürlich nicht entgehen. Im Wissen, dass die Setlist und auch der ganze Show-Ablauf wohl die gleichen sein werden wie auf der Tour, welche im Moment im Gange ist. Schon wahnsinnig, was diese Band in ihrer Lebenszeit schon getourt hat und welche Stadien Maiden seit geraumer Zeit einfach so füllen. So sehen es wohl auch die Besucher des Wacken Open Air. Das Infield ist voll wie noch nie in dieser Woche. An den T-Shirts erkenne ich übrigens, dass der Auftritt von Maiden für viele das Highlight des diesjährigen Festivals werden soll.
Bruce Dickinson ist auch heute in guter Verfassung unterwegs. Er hüpft, springt und trifft die Töne von Anfang an. Kurz vor dem Auftritt wurde zudem bekannt, dass Nicko McBrain zu Beginn des Jahres einen Schlaganfall hatte. Publik hat er das erst während der Tour gemacht. Toll, wenn es noch so Artisten gibt, welche nicht in die Opferhaltung treten, sondern einfach vorwärts schauen und trotz gewissen Einschränkungen weiterhin ihr Bestes geben und zwar ohne Kompromisse (Zu merken ist der Vorfall in der Spielweise von Nicko übrigens gar nicht).
Die Setlist dieser Tour gab schon viel zu reden. Ich kann aber heute nur nochmal bestätigen, was ich bereits nach dem Konzert in der Schweiz gedacht und geschrieben habe. Eine legendäre Zusammenstellung von Songs, welche ohne grosse Showelemente (oder weniger als auch schon) zeigen, dass Iron Maiden immer noch in der höchsten Liga mitspielen und dies ohne Abstriche. “Alexander the Great” ist heute einmal mehr ein Epos sondergleichen.
Ob der Grossteil der Fans, welche Maiden oder ihren Song-Katalog nur über Hitparade und Playlisten kennen, zufrieden ist, kann ich nur mutmassend einschätzen. Der Auftritt der eisernen Jungfrauen ist jedoch wieder einmal ein Schmankerl. Für Old-School-Fans scheint die Setlist und die einfache und doch passende Show wie geschaffen.
Raphi: Schön, dass Iron Maiden nicht auf jedem Festival nur eine Best-of-Setliste runterspielen, sondern auch solche Auftritte wie den heutigen bieten. Hier bei mir vorne (ungefähr in der zehnten Reihe) lässt mich die gute aber wenig ausgelassene Stimmung zum Schluss kommen, dass viele Leute tatsächlich weniger abgeholt werden von der Show, als dies bei einer Tour zu den grössten Hits der Fall gewesen wäre. Deine Einschätzung, dass vor allem die Geniesser auf ihre Kosten kommen, bewahrheitet sich um mich herum also tatsächlich, Domi.
Domi: Es bleibt zu konstatieren, dass Bruce und seine Kumpanen eventuell ein wenig an Schnelligkeit in ihren Bewegungen und ihrem Bewegungsradius verloren haben, trotzdem immer noch fit (oder wieder…) sind und uns hoffentlich weiterhin begegnen werden. “Scream for me Waaaacken”… ein letztes Mal nach Wasted Years. Und die Drohnen zaubern zum Abschluss noch wunderbare Eddie-Elemente und den Schriftzug von Maiden in den schwarzen Nachthimmel.
DtS: Auch ich kann deine Vermutung bestätigen, Domi. Wir stehen zwar vergleichsweise weit hinten und ziemlich seitlich irgendwo zwischen Bühne und Biergarten. Hier eine ausgelassene Stimmung zu erwarten, wäre zu viel des Guten, doch die vielen Besucher, welche der Band nur mit einem Ohr lauschen und nebenbei in Gespräche verwickelt sind oder am Handy rumdrücken, irritieren mich schon etwas. Auf der anderen Seite habe ich dann eben doch den Eindruck, dass den Musikern das Alter anzumerken ist (wobei dies ja, wie Raphi bei Uriah Heep feststellte, kein K.O.-Kriterium sein muss), dass nicht mehr gleich perfekt performt wird wie auch schon und dass McBrains Schlaganfall zwar wenige, aber doch nicht keine Spuren hinterlassen hat. Das alles ist Motzen auf hohem Niveau; Iron Maiden liefern einen trotz allen Umständen und trotz ‘ungewohnter’, diskussionsstoffliefernder Setliste einen unheimlich starken Auftritt. Dabei sind sie auch zweifelsohne der grösste, bekannteste und meistbesuchte Act des ganzen Festivals, aber persönlich holen mich im Verlauf des Festivals mehr als nur eine Handvoll Bands viel besser ab.
Die Setliste Iron Maiden
- Caught Somewhere In Time
- Stranger In A Strange Land
- The Writing On The Wall
- Days Of Future Past
- The Time Machine
- The Prisoner
- Death Of The Celts
- Can I Play With Madness
- Heaven Can Wait
- Alexander The Great
- Fear Of The Dark
- Iron Maiden
- Hell On Earth*
- The Trooper*
- Wasted Years*
* Zugabe
Die Fotos Iron Maiden
Konvent
Larry: Nach Iron Maiden trennen sich die Wege von Domi the Stick und mir abermals und ich begebe mich zur Wasteland Stage, um Konvent, eine All-Female Death und Doom Metal-Band aus Dänemark, zu sehen. In einem Preview las ich, dass Konvent ein Geheimtipp fürs Wacken Open Air seien, worauf ich sie mir anhörte und für mich entschied, sie zu sehen. Das Preview log nicht. Die Atmosphäre an diesem Konzert ist eine sehr spezielle: Die Bühne ist umhüllt mit Nebel, Laternen mit brennenden Kerzen stehen rum, die Musik und vor allem die Stimme von Frontfrau Rikke Emilie List regen mit ihrer Schwere zum langsamen und intensiven Headbangen an. Es fühlt sich an, als wäre man an einem anderen Ort jenseits einer definierbaren Zeit.
Wardruna
DtS: Wie Larry erwähnt hat, haben sich unsere Wege nach Maiden erneut getrennt: Mit Vergnügen verbleibe ich im Infield und suche mir gleich nach dem Ende des Headliners einen guten Platz für Wardruna. Auf der linken Seite kommt man gut nahe an die Bühne ran, was bei einer derart mit musikalischer Intimität arbeitenden Band wie Wardruna doch wichtig ist.
Es ist erst mein zweites Zusammentreffen mit den Norwegern und im Gegensatz zu damals im Theater 11 ein Festivalauftritt ohne Theaterbestuhlung. Dies merkt man während dem Auftritt insbesondere daran, dass auch viele ‘Schaulustige’ und Neugierige anwesend sind, dass die Atmosphäre nicht gleich ruhig ist wie an einem eigenen Konzert und dass zwischendurch eben doch noch geschwatzt wird. Nichtsdestotrotz sorgen Einar Selvik, Lindy Fay Hella und der Rest der Band für eine knisternde, geradezu mystische Stimmung auf und vor der Bühne und fesseln mit Musik und Auftreten jene Besucher, die sich auf sie einlassen.
Mit «Kvitravn» und «Skugge» sind gleich anfangs zwei Titel des aktuellen Albums (siehe Review hier) vertreten. Herr Selvik weiss, womit er mich packen kann! Mit einer stoischen Beharrlichkeit führen Wardruna durch ihr Set. Nur die wenigen Male, bei denen die Tontechnik kurzzeitig aussteigt, reissen mich aus dem tranceartigen Zustand, in den Wardruna mich mit ihrem von Gesang, Trommelschlägen und anderen Folk-Instrumenten geprägten Liedern versetzen. Und viel zu schnell ist er da, der von «Helvegen» markierte Abschluss.
Crematory
Raphi: Wardruna sind mir gerade etwas zu entspannt, auch wenn ich es während der drei Songs, die ich mir anhöre, faszinierend finde, wie die Band es schafft, diese grosse Bühne mit ihrer intimen Musik einzunehmen. Deshalb wechsle ich zur W.E.T.-Stage, um mir Crematory anzusehen. Tja, hätte ich lieber nicht gemacht, denn was wir hier geboten bekommen, wird mit allergrösster Wahrscheinlichkeit das Schlusslicht aller Auftritte bilden, die ich am Wacken Open Air 2023 gesehen habe. Mit Crematory verhält es sich eigentlich genau umgekehrt wie gestern mit Rauhbein; die musikalische Ausrichtung könnte mir durchaus gefallen, doch der Auftritt der Band bietet gerade kaum etwas, über das ich lobende Worte verlieren kann.
Die Songs enthalten zu wenig packende Melodien, die Setlist bietet keinen wirklichen Spannungsbogen und die trocken gehaltenen Ansagen tragen darüber hinaus wenig dazu bei, die Stimmung zum Kochen zu bringen. Das bessert sich leider auch im weiteren Verlauf des einstündigen Konzerts nicht. Den Mienen der Umstehenden ist dasselbe zu entnehmen, das auch die zögerlichen Beifallsbekundungen untermalen: So richtig etwas anfangen mit dem, was gerade auf der Bühne geschieht, können leider nur wenige Leute im Publikum. Immerhin sind wir nun bereits vor Ort, um uns für Sólstafir gute Plätze in der zweiten Reihe zu sichern.
Domi: Kollege Raphi, ich muss dir recht geben. Obwohl Crematory eine weitere Band sind, welche ich schon seit klein auf verfolge, geht es mir ähnlich wie dir. Live habe ich die Band schon einige Male gesehen (durchaus auch gute Konzerte), aber ich erlebe heute gefühlsmässig einen eher verhaltenen Auftritt. Ich glaube nicht, dass es an der Musik selbst liegt, es hängt nach meinem Ermessen eher an der Art des Auftritts. Es wird kritisierend eher runtergespielt und die Leidenschaft für die eigene Musik vermisse ich heute gänzlich. Da ziehe ich mir dann im Nachgang eher noch ein paar Silberlinge der Band rein. Auf CD gebrannt sind die Melodien und die Arrangements sehr zugänglich. Schade und enttäuschend, dass heute nichts von dem spürbar ist.
Sólstafir
DtS: Hui, dann habe ich zum Glück nicht viel verpasst! Für Sólstafir bin ich dann auch in der Bullhead City auf Position. Bei den Hauptbühnen könnte man sich alternativ Lord Of The Lost oder Bloodbath geben, doch habe ich beide Bands erst vor Kurzem gesehen und will mich in meinem After-Wardruna-Zustand eher von den sinnlichen und doch wilden Tracks der Isländer beschallen lassen.
Zugegeben: Auch Sólstafir ist nicht die zugänglichste Band des Festivals und verlangt vom Hörer etwas Commitment. Bringt man dieses jedoch auf, wird man vom progressivem Post-Metal, der uns gerade aus den Boxen entgegenbläst, mehr als nur belohnt. Dabei ist es mit der Musik keinesfalls getan. Nein, Sólstafir sind ein Komplettpaket, das man erleben muss. Die wild umher hüpfenden Zöpfe des rothaarigen Bassisten Svabbi gehören ebenso dazu wie das an Starallüren kratzende, aber doch am Boden gebliebene Auftreten von Sänger Aðalbjörn. Bis tief in die Nacht – der Auftritt dauert bis zwei Uhr und die Luft hat inzwischen merklich abgekühlt – unterhalten uns Sólstafir hervorragend und schliessen den Tag mit einem grossartigen Auftritt ab (Raphi: Wunderbar zusammengefasst, werter Metalmitinsider).
Das Fanzit – Wacken Open Air 2023 – Tag 3
DtS: Der Freitag bot eine breite Fülle an Bands. Wer die Wahl hatte, musste auch mit der sprichwörtlichen Qual leben. Absolutes Highlight meinerseits waren Skálmöld; für viele dürfte zudem der Headliner-Auftritt von Iron Maiden ganz vorne mitspielen. So, ab in die Heia; schliesslich wird der letzte Tag nochmals viel Energie fordern!
pam: Ich hab heute ganz klar zwei Favoriten: Dust Bolt und Frozen Soul. Erstere waren zu erwarten, zweitere die grosse Überraschung, weil völlig unerwartet. Und dann – ja das war ja eigentlich heute, nachdem ich euch gestern schon alles rausgeplappert hatte – “Total Eclipse Of The Heart” ab Konserve und mitgesungen von Doro beim Pre-Listening. Turn around, bright eyes… summt es noch in meinem Kopf, als ich mich ins Neverland begebe.
Die Fotos Impressionen Tag 3
Wacken Open Air 2023 – Tag 4 (Samstag, 5. August)
Domi: Schon ist es wieder Samstag, die ersten Ermüdungserscheinungen machen sich bemerkbar. Heute gibts aber ebenfalls noch mächtig was auf die Ohren, bevor es dann mit der Abreise der vielen Camper am Sonntag spannend werden könnte. Viele Flächen sind zwar mittlerweile abgetrocknet, aber das Wegfahren wird – so auch bereits in Pressemitteilungen lesbar – wohl ein schwieriges Unterfangen. Geniessen wir deshalb den letzten Tag des Festivals.
Heute werden zudem – wie immer – die ersten Bands fürs Wacken 2024 bekanntgegeben. Stürzen wir uns also rein ins Vergnügen, geben das letzte Geld für Merch und die mittlerweile doch teuren Speisen aus. Die Teuerung macht auch hier keinen Halt: In den letzten Jahren wurde das Verpflegungsangebot zwar nicht zwingend kleiner, aber die Preise gehen kontinuierlich und stetig in schon fast schwindelerregende Sphären. Im Vergleich zu anderen Festivals sicher ein Negativpunkt.
DtS: Boah, heute wäre so ein Tag, an dem ich auch locker noch drei bis vier Stunden im Camp verbleiben könnte. Ich merke langsam, dass ich seit Öffnung des Bühnengeländes quasi non-stop und nur durch die kurzen Nächte unterbrochen im Schlamm rumstand und irgendwelchen bekannten oder unbekannten Acts lauschte. So verzichte ich im Gegensatz zu Larry auf die anfangs auftretenden Masterplan und lasse mich vom Grog, den meine Mitcamper allmorgendlich brauen, noch ein bisschen aufputschen.
Masterplan
Larry: Ich dagegen stehe bereits früh auf, um bei Ensiferum zuvorderst stehen zu können. Doch bevor ich in die Welt von Tavernen und Sirenen abtauchen kann, sind Masterplan dran. Über Nacht hat es nochmals geregnet, sodass sich der Weg zu den Hauptbühnen wie eine Wattwanderung durch das Wackenmeer anfühlt. Vorne angekommen, drehe ich mich um und geniesse den Anblick des leeren, matschigen Infield. So etwas sieht man nicht alle Tage (respektive Jahre).
Doch nun zu Masterplan: Eine Power Metal-Band aus Deutschland, die am Wacken Open Air ihr 20-jähriges Bestehen feiert! Zu Beginn sieht man den Sänger mit Taucherbrille auf die Bühne kommen. Er zitiert nach dem ersten Song den Wackenslogan: Rain (hält Taucherbrille hin) or Shine (zieht Sonnenbrille an). Und fügt hinzu: «It doesn’t matter» (es sei egal). Als Überraschungsgast spielt der ehemalige Bassist Jan S. Eckert bei zwei Songs mit. Ein guter Opener für den letzten Tag des Wacken Open Air.
Delain
DtS: Es ist mir dieses Jahr praktisch nie passiert, dass ich zu lange im Camp blieb und deshalb Konzerte verpasste. Doch heute ist der Start wirklich etwas ungemütlich und dann präsentiert sich der Boden auch noch in einem merklich schlechteren Zustand als gestern, was den Weg ins Infield deutlich verlängert. Von Delain bekomme ich leider nur gerade die letzten zwei Songs mit. Wie bereits im April, als ich die Band im nordholländischen Haarlem erleben durfte, scheinen die Niederländer gut gelaunt und Diana Leah, die 2022 als Ersatz für die langjährige Sängerin Charlotte Wessels dazustiess, scheint gut in der Band integriert (Raphi: Das umschreibt den Auftritt eigentlich bereits ziemlich umfassend. Er ist solide, aber sticht nicht aus der Masse heraus, weshalb ich das Wort auch bereits wieder dir überlasse, Domi). Zu den Klängen des letzten Tracks «We Are The Others» erreiche ich die vorderen Bühnenreihen, von wo aus ich gleich die nächsten drei Acts verfolgen werde.
Die Fotos Delain
Ensiferum
Larry: Die Folk Metal Band aus Finnland um Markus Toivonen, Sami Hinkka und Petri Lindroos zeigt während der ganzen Stunde voller Energie ihre Spielfreude. Mit “Rum, Women, Victory” stürmen Ensiferum zu Beginn die Bühne und haben sofort das ganze Publikum in ihren Bann gezogen. Mit “In My Sword I Trust” und “Token of Time” sind daraufhin zwei ältere Songs dabei als Gegensatz zu den Songs vom aktuellen Album. Zum Duett «Run from the Crushing Tide» bittet Petri Pekka Montin nach vorne, um gemeinsam zu singen und vor, sowie während «Lai Lai Hei» animiert Sami die Zuschauer mitzusingen. Mit “From Afar” beenden die Finnen das Konzert. Es ging viel zu schnell vorbei, doch das Mitsingen und Headbangen werde ich auch noch einige Tage später spüren. Ensiferum sind für mich immer einen Besuch wert!
Eine kleine zusätzliche Anmerkung: Dieses Jahr durfte ich Ensiferum ganze vier Mal sehen und nie war die Setlist genau dieselbe. Ich schätze es sehr, dass sie immer eine gewisse Abwechslung in ihrem Set haben und es nicht erst mit einem neuen Album leicht verändern.
Raphi: Yeah, das hat richtig Spass gemacht. Hattet ihr auf eurer Seite eigentlich auch so viele Crowdsurfer? Bei uns in der dritten Reihe leicht nach links versetzt (von hinten gesehen) war so ab Mitte des Auftritts nicht mehr ans Verschnaufen zu denken. Zum Glück stand da ein richtiger Hüne gleich nebenan, der uns anderen ganz allein einiges an Arbeit abnahm. In my fellow Metalheads I trust, würde ich da sagen.
DtS: Oder «One Man Army», wenn man die Band noch wortwörtlicher zitieren will! Also ich hatte bei mir ganz bestimmt keine Crowdsurfer. Da ich in der Vergangenheit schon schlechte Erfahrungen bezüglich der Platzwahl bei Jinjer machen musste, habe ich Ensiferum von unterhalb des Wacken-Schädels verfolgt, um nach dem Konzert gleich rüber zur Faster Stage zu huschen. Von hier aus konnte ich zudem nicht nur die Bühne überblicken, sondern das gesamte Konzertgeschehen inklusive Publikum. Schon eindrücklich, wie Ensiferum ihre Zuschauer zu jeder möglichen Tageszeit begeistern können! Auch wenn ich viel weniger für die Finnen schwärme als Larry, muss ich eingestehen, dass das eben – vor allem gemessen an der Uhrzeit – ein sackstarker Auftritt war.
Die Setliste Ensiferum
- Rum, Women, Victory
- In My Sword I Trust
- Token Of Time
- Run From The Crushing Tide
- For Sirens
- One Man Army
- One More Magic Potion
- Lai Lai Hei
- Andromeda
- From Afar
Die Fotos Ensiferum
Burning Witches
pam: Bevor es mit Jinjer losgeht (da hab ich leider eine Überschneidung) schau ich kurz bei unseren helvetisch-holländischen Hexen vorbei. Und die liefern wie gewohnt starke Sujets für unzählige Bilder. Vor allem die Oberhexe Laura Guldemond versteht es, nicht nur ihre starke Stimme gekonnt einzusetzen, sondern auch ihre optischen Reize. Klar, dass Mann diese Vorzüge geniesst, aber unabhängig davon – und das sag ich ja schon seit Anbeginn der Burning Witches’schen Zeitrechnung – gefallen sie mit gutem Old-School-Metal. Soundmässig ist alles top und wie gewohnt betrifft dies auch die Spielfreude, welche sich auf das Publikum vor der W.E.T.-Stage überträgt. Ein starker Auftritt, dem ich leider nicht bis zum Ende beiwohnen kann, weil jetzt dann gleich Jinjer loslegen und ich die ebenfalls gerne vor der Linse hätte, denn auch da bietet sich ein gewohnt starkes Sujet… Also renn ich schon fast über das abtrocknende Schlammfeld – was gar nicht so einfach ist, wenn man dabei die Balance halten will…
Die Fotos Burning Witches
Jinjer
DtS: Wo wir schon bei sackstarken Auftritten sind: Höchste Zeit für Jinjer. Noch während den letzten Akkorden von Ensiferum suche ich mir einen geeigneten Platz in den vorderen Reihen vor der linken Hauptbühne. Nach der viertelstündigen Pause und dem ikonischen, wenn auch etwas ausgelutschten Gitarre-meets-einarmiger-Bandit-Intro auf den grossen Screens erklingen endlich die ersten sanften Gitarrentöne zu «Perennial». Mit dem Einsetzen von Bass, Schlagzeug und verzerrten Gitarrenriffs – dieser Anfang haut mich selbst ab Album jedes Mal weg – fällt der Vorhang.
Zwischen den vielen Stagehands, die den dann auch gleich wegtragen, muss man die Musiker zwischenzeitlich kurz suchen. Doch spätestens beim Einsatz von Tatianas Vocals ist alles bereit. Die vier Musiker füllen den Platz vor dem riesigen, in Ukraine-Farben gehaltenen Backdrop mit ihrer Präsenz problemlos aus. Selbst Vlad, dessen Schlagzeug im Vergleich mit anderen Metaldrummern erstaunlich tief ausfällt, hat kein Problem bezüglich mangelnder Aufmerksamkeit. Und dies ist nicht nur mein subjektives Urteil, nein, denn jedes Mal, wenn mein Blick den riesigen Screen seitlich über mir streift, ist der Herr der Trommeln und Becken kurz zu sehen.
Hä, du schaust auf die Screens?, könnte man mir nun entgegnen. Ja, auch von hier vorne, zumindest wenn man seitlich steht, finde ich die riesigen Displays bereichernd. Sie liefern schlicht neue Sichtwinkel auf das Schaffen der Performenden. Wobei, gerade bei Jinjer weiss ich jeweils sowieso nicht, wo ich genau hinschauen soll. Zu viel Spass macht es, jedem einzelnen der Musiker zuzuschauen: den beiden angenehm harmonierenden und doch so unterschiedlich auftretenden Saitenhexern Roman (Gitarre) und Eugene (Bass); Drummer Vlad, der sich als angehender Rhythmusgott definitiv von den allgegenwärtigen Backbeat-Grooves verabschiedet hat, mit seiner zweiten, prominent platzierten und nur vom Fuss betätigten Hi-Hat den Takt angibt und dabei seinen Beckenwald bearbeitet oder Rampensau Tatiana, welche ihre zu schwarzen Zöpfen geflochtenen Haare im Takt umherspringen lässt und eben nicht nur mit der Kombination verschiedener Gesangstechniken punktet, sondern auch performancetechnisch ganz genau weiss, was sie tut.
Ganz allgemein könnte man Jinjer beinahe als eine Art trojanisches Pferd des progressiven Metals bezeichnen: female-fronted, enorm einladendes und packendes Auftreten, ungewollter Ukraine-Bonus (pam: Das find ich eine genial-treffende Beschreibung. Weil ich bin ja überhaupt nicht der Progger und Djentler mit all dem schwerverdaulichen Zeugs. Doch live machen dies Jinjer in der Tat einfach irgendwie vergessen …). Die Befürchtung, die vor ein paar Jahren mehrfach geäussert wurde, Jinjer würden sich im Laufe der Zeit dem Mainstream des Metaluniversums angleichen, ist zum Glück nicht allzu stark eingetreten. Und doch feiern gerade Tausende von Besuchern, wenn nicht Zehntausende – von hier vorne ist das schwierig einzuschätzen – die vielschichtigen Kompositionen à la «I Speak Astronomy» und «Pit Of Consciousness». Ganz, ganz grosses Kino!
Viel zu schnell ist das Jinjer-Set mit «As I Boil Ice» vorbei. Und wo wir bereits Maiden und Ensiferum für Abwechslung in der Setliste gelobt haben: Jinjer leisten es sich heute, das von musikalischer Eskalation geprägte «Pisces», mit dem sie sich seinerzeit einiges an Bekanntheit erspielten, einfach wegzulassen. Oha…
Die Setliste Jinjer
- Perennial
- Ape
- Words Of Wisdom
- Call Me A Symbol
- Vortex
- I Speak Astronomy
- Copycat
- The Prophecy
- Teacher, Teacher!
- Pit Of Consciousness
- Sleep Of The Righteous
- As I Boil Ice
Die Fotos Jinjer
Alestorm
DtS: Zurück bei der Harder Stage sehe ich bereits drei leuchtende Gummienten, die durch den grossen schwarzen Vorhang scheinen. Nach einem Countdown fällt dieser und es erklingt ein elektronisch-dubsteppiges Intro voller Nonsense, das spätestens jetzt sämtliche Alestorm-Kritiker vertrieben haben dürfte. Und falls nicht, dann dürfte das die darauffolgende 8-bit-«Keelhauled»-Melodie erledigen. Nun, da alle Nörgler weg sind, kann es ja losgehen.
Im aktuellen grün-schwarzen Farbschema der Band, in das sich Backdrop und Kleidung der fünf Piraten einreihen – und das ich erstmals anfangs 2023 im Z7 beobachten durfte… (pam: Ich zum ersten Mal ein paar Jahre früher auf der 70’000 Tons of Metal, als mir beim Gespräch beziehungsweise Fotografieren mit/von Chris Bowes seine grünlackierten Zehennägel auffielen…) – und bei viel Sonnenschein legen die Piraten los und liefern, was sie eben liefern: Partypiratenmucke vom Feinsten. Man kann sie hassen oder lieben, aber die hier Anwesenden feiern die Band natürlich. Wobei an dieser Stelle festzuhalten ist, dass der Auftritt für Alestorm-Verhältnisse erstaunlich ruhig vonstattengeht. Es wird zwar mitgegrölt, Köpfe geschüttelt, geklatscht und gejubelt, aber von den wilden Pit-Eskapaden anderer Alestorm-Auftritte ist Wacken heute weit entfernt. Dies scheint Oberpirat Chris Bowes stellenweise ebenfalls etwas zu irritieren, ist aber einfach erklärbar: Die aktuelle Bodenbeschaffenheit lässt wildes Springen und Rennen einfach nicht so richtig zu, und eine gewisse Müdigkeit in den Beinen dürfte sich am letzten Tag sogar bei den durchhaltendsten Metalheads bemerkbar machen.
So bleibt dies auch für mich ein eher ruhiger Auftritt, bei dem ich mehr als sonst auf die einzelnen Musiker achte. Vielleicht daher, vielleicht aber ebenso wegen dem Überauftritt von Jinjer oder wegen der hier leider fehlenden Abwechslung in der Setlist findet dieser Gig für mich bedauerlicherweise nicht mehr aus der Durchschnittlichkeit hinaus. Raphi, überzeugen Ereb Altor auf der Wackinger Stage mehr?
Die Setliste Alestorm
- Keelhauled
- No Grave But The Sea
- The Sunk’n Norwegian
- Alestorm
- Under Blackened Banners
- Hangover (Cover: Taio Cruz)
- Mexico
- P.A.R.T.Y.
- Captain Morgan’s Revenge
- Shit Boat (No Fans)
- Drink
- Zombies Ate My Pirate Ship
- Fucked With An Anchor
Ereb Altor
Raphi: Das wollen wir jetzt mal sehen. Nach meinem letzten Zusammentreffen mit Ereb Altor am Midgardsblot Metal Festival (nachzulesen hier) habe ich die Band aus unerfindlichen Gründen etwas aus den Augen verloren. Als die Schweden nun hier auf der Wackinger Stage mit “I Have the Sky” loslegen, wird mir mein Versäumnis bewusst, da ist das Eröffnungsriff nach dem Chorgesang noch nicht fertig gespielt. Genau wie damals ist auch heute nicht allzu viel Publikum anwesend. Tatsächlich ist es der Auftritt mit den wenigsten Zuschauern, den ich hier am Wacken Open Air miterlebe. Der grosse Schlammsee vor der Bühne reisst die Leute zudem weit auseinander. Hier vorne stehen wir deshalb in lockerer Dichte etwa drei bis vier Reihen tief und geniessen einen wunderbar freien Blick auf die Bühne.
Dort spielen Ereb Altor nämlich eine packend gemischte Setlist, die keinen Anlass zur Kritik bietet. Heute vermag vor allem “Vargtimman” – der Titeltrack des aktuellen, letztjährigen Albums – mit seiner geheimnisvollen Flüsterpassage zu überraschen. “Midsommarblot” bildet schliesslich einmal mehr das Kernstück des Auftritts. Der Song ist schlicht eine Wucht und bietet alles, was diesen Musikstil hörenswert macht. Wenn ihr jemandem erklären wollt, wie Viking Metal musikalisch als Genre charakterisiert ist, dann könnt ihr also einfach Ereb Altor aus dem Schrank holen (ja, Bathory sind mir natürlich bekannt, aber es macht doch immer Spass, aktive Bands als Beispiele heranzuziehen und bei Ereb Altor braucht auch niemand auf die genaue Schaffensphase zu achten). Showtechnisch verzichtet das Quartett allerdings auf grosse Einlagen irgendeiner Art, sodass der Auftritt als Gesamtpaket etwas unspektakulär daherkommt. Die Fans in den vorderen Reihen sind dennoch hingerissen von dieser Stunde schwelgerischer Kraft – mich eingeschlossen.
Pressekonferenz
pam: Zwischendurch schau ich mal bei der offiziellen Pressekonferenz vorbei. Da hocken nebst den beiden Gründern Thomas Jensen und Holger Hübner die weiteren üblichen Verdächtigen wie Medienverantwortliche und der Polizeichef mit einer The-Dude-Lebowski-Frisur. Man erklärt sich, dass es eine Ausnahmesituation war und der Entscheid mit dem Anreisestopp nicht einfach, aber dass sie damit schlussendlich das Festival für die, die schon da waren, retten konnte. Die Ratlosigkeit, was man hätte anders machen können, ist spürbar. Wirklich viel Neues kommt da nicht, was verständlich ist, weil das Festival ja noch am Laufen ist und die Analyse wohl dann im Nachgang stattfinden wird. Also, lassen wir das “Politische” und begeben uns zurück vor die Bretter und Protagonisten, die während dem Festival wirklich zählen.
Die Fotos Pressekonferenz
Be’lakor
DtS: Als Nächstes steht für mich ein weiterer Ausflug in die Bullhead City an, wo Be’lakor die Headbangers Stage bespielen. Die wohl am ehesten als Melodeath zu kategorisierende Musik der Australier hatte es mir beim Reinhören angetan und so will ich mich zusätzlich live von deren Qualitäten überzeugen. Auch so macht die Mucke von Be’lakor Spass, wirkt jedoch auf die Dauer etwas zu eintönig. (Raphi: Mir gefällt der Auftritt zwar durchaus, aber Be’lakor schaffen es für mich ebenfalls nicht, so richtig einen Sog zu entwickeln. Vielleicht ist einfach die ganze sonnige, fröhliche Atmosphäre drumherum gerade nicht die beste Basis für diese Art von Musik). Gepaart mit dem etwas gar statischen Auftreten haut mich die Geschichte dann leider nicht wirklich vom Hocker, und ich begebe mich noch vor Ende des Gigs zurück ins Camp. Zum ersten Mal an diesem Festival; und dies, obwohl es nach wie vor so einige Alternativen zum Schauen gäbe. Langsam stelle ich eine gewisse Erschöpfung fest und möchte für den bevorstehenden Abend nochmals etwas Energie tanken. Domi und Raphi, was treiben Killswitch und SaMo im Infield?
Die Fotos Be’lakor
Killswitch Engage
Domi: Eine der Formationen, die wie die bereits erwähnten Trivium, aus meiner Sicht ganz oben in der Metalcore-Liga mitspielen. Und seit Jesse Leach wieder zurück am Mic ist sowieso. Das will nicht heissen, dass Howard Jones es bis zu seinem Ausstieg im Jahr 2012 schlecht gemacht hat, ganz und gar nicht. Aber die Rückkehr von Jesse hat aus meiner Sicht der Band nochmals Vortrieb gegeben und der sympathische Frontmann versteht es einfach, mit dem Publikum in Interaktion zu treten und eine perfekte Stimmung zu verbreiten.
Eine Wucht, welche am heutigen Nachmittag auf das Publikum trifft, der Sound ist perfekt abgemischt und Leach zeigt einmal mehr, was mit seiner Stimme alles möglich ist. Vor allem die sehr gefühlvollen Parts der Songs gehen unter die Haut. Der Wechsel zwischen Härte und den melodiösen Zwischenteilen bringt das anwesende Publikum in eine fröhliche und ausgelassene Samstagnachmittags-Stimmung.
Die wunderbare Setlist tut ihr Eigenes dazu. Es gelingt Killswitch Engage heute ein perfekter Auftritt. Sicher konnten einige neue Fans dazugewonnen werden, von einer wirklich sehr offene und nahbaren Band, welche vor Spiellust nur so sprüht.
Die Setliste Killswitch Engage
- My Curse
- Rise Inside
- This Fire
- Reckoning
- The Arms of Sorrow
- In Due Time
- A Bid Farewell
- Beyond the Flames
- The Signal Fire
- Unleashed
- Hate by Design
- The Crownless King
- Rose of Sharyn
- Strength of the Mind
- This Is Absolution
- The End of Heartache
- My Last Serenade
- Holy Diver
Saltatio Mortis
Raphi: Zu bester Zeit dürfen anschliessend Saltatio Mortis auf die Harder Stage und der Publikumsaufmarsch empfiehlt schon beinahe das Wort Headlinerauftritt als Beilage. Doch schauen wir mal, ob die Mittelalter-Rocker diesen Status erreichen können in den kommenden eineinviertel Stunden. Die grossen Gesten und die Dynamik auf der Bühne, das sind Dinge, für die Saltatio Mortis bekannt sind.
Auch heute vergeht kaum eine Minute, in der die Band nicht engagiert aufspielt und Sänger Alea nicht das Publikum zum Mitmachen anstachelt. Bei den grossen Gesten hingegen haben sich die ehemaligen Spielleute dazu entschieden, aufs Ganze zu gehen. Gleich zweimal holen sie den Internetstar Peyton Parrish auf die Bühne, der ja gestern auf der Wackinger Stage aufgetreten ist. Gemeinsam mit ihm führen sie “God of War” und “My Mother told me” auf. Die beiden Songs stehen denn auch exemplarisch für eine Entwicklung, die Saltatio Mortis durchgemacht haben und die mitverantwortlich dafür sein dürfte, dass die Band mittlerweile auf den grossen Bühnen zu sehr ansprechenden Zeiten steht. Die Einflüsse aus der Mittelaltermusik sind nach und nach in den Hintergrund getreten zugunsten von einem beat-orientierten Grundgerüst. Natürlich sind da noch entsprechende Instrumente im Spiel, wie auch die eine oder andere Textzeile nach wie vor an die im Genre üblichen Sprechweisen anlehnt. Doch im Grossen und Ganzen kommt die Musik mittlerweile viel mehr auf die Moderne ausgerichtet daher, was die Songstrukturen angeht. Das spricht definitiv eine beeindruckende Anzahl Menschen an, wie ein kurzer Blick um mich herum schnell klar macht, führt die Band aber dabei in Gefilde, in denen sich diejenigen Leute immer weniger wiederfinden, die eben gerade das mittelalterlich geprägte Fundament sehr schätzen.
“Keine Regeln”, bei dem als zweiter Gast der deutsche Rapper Finch auf die Bühne kommt oder die Coverversion von Eskimo Callboys “Hypa Hypa” machen mit ihren technoiden Einflüssen sonnenklar, dass Saltatio Mortis es sich ein gutes Stück weit weg vom Mittelalter Rock gemütlich gemacht haben. Wenn Alea allerdings die Menge auffordert, Nebenmann und Nebenfrau an den Schultern zu packen und dann im Schlamm tödliche “vier Schritt nach rechts, vier nach links und das jetzt das ganze Lied über” zu machen, immer wieder unsere Händen sehen will oder dazu aufruft, einander auf den Schultern zu tragen (danke nochmals dafür, Roman), dann hat sich gar nichts verändert und die altbekannten Livequalitäten der Band bringen einen Auftritt über die Ziellinie, welcher zugegebenermassen die Massen begeistert. Gewöhnungsbedürftig modern? Ganz sicher. Objektiv headlinerwürdig? Ebenfalls.
pam: SaMo lieferten auf der 70’000 Tons of Metal einen der stimmungsvollsten Auftritte, die ich dort schon erleben durfte. Auch bei anderen Gelegenheiten und ab Konserve könnte man mich als Fan der Truppe bezeichnen. Ihre Musik und ihr Auftreten sind ein Garant für gute Stimmung. Darum versteh ich es echt nicht, warum man sich jetzt mit Techno-Beats behelfen muss. Ich bin ja eher eine offene und liberale Person, aber wenn es um Metal und Techno beziehungsweise deren Kombination geht, dann bin ich ein Purist. Das geht gar nicht und ist, wie gesagt, völlig unnötig. Obwohl die Masse naturgemäss mitgrölt: Mich verlieren sie mit dieser anbiedernden Art – die leider nach den unsäglichen 90ern langsam wieder im Metal Einzug hält.
Die Fotos Saltatio Mortis
Heaven Shall Burn
Domi: Ein Gast, der am Wacken Open Air wortwörtlich immer wieder die Massen bewegt. Marcus Bischoff hat sich sichtlich gewandelt. Früher noch mit Kurzhaarschnitt am Mikrofon, sind die Haare des Sängers mittlerweile mehr als schulterlang.
Unvergessen bleibt der vergangene Auftritt am Wacken Open Air vor Jahren, als bei schönstem Wetter ein Riesen-Circlepit entstand, der um die verschiedenen Masten im Infield eine gigantische Staubwolke in den Himmel jagte. Bereits zum Start des Sets wird mit “Endzeit” mal mächtig vorgelegt. Einer der Songs, welcher mit seinem unverkennbaren Intro immer wieder Hühnerhaut produziert. Feiner Start mit anschliessender brachialer Gewalt, was will man mehr.
Mittlerweile darf die Band auch auf einen Song-Katalog zugreifen, der es schwierig macht, die richtigen Songs für ein Set auszuwählen. Im Falle von HSB ein Luxusproblem, denn die Band ist und bleibt aus meiner Sicht eine absolute Live-Band. Durch die immer noch sehr authentischen Ansagen von Marcus wirkt die Band sehr bodenständig und trotz den vielen Jahren des Bestehens ist nicht festzustellen, dass die Jungs die Spiellust verloren hätten. Dies ist unter anderem sicher darauf zurückzuführen, dass HSB sich von Zeit zu Zeit wieder für ein bis zwei Jahre von der Bildfläche verabschieden, um neue Kraft zu tanken, zu komponieren und sich damit eben die Spiellaune zu erhalten. Sehr schön zudem zum Schluss die Ansage von Bischoff, dass er das nächste Jahr mit seiner Familie nach Wacken kommen wird und auf dem Campground sein wird. Ich glaube dies sofort, treffen wir ihn also im 2024 mal auf der “anderen Seite”.
Auch in diesem Jahr schaffen es HSB wieder, die Massen so zu animieren, dass ein weiterer legendärer Circlepit entsteht. Die Kameras, welche die Bilder für die Videoleinwände aufnehmen, schaffen es nicht mal, dessen Grösse im Gesamtumfang zu erfassen. Heaven Shall Burn haben sich über die Jahre in ganz viele Herzen gespielt. Wer sich ein bisschen tiefgehender mit den Messages der Band befasst, weiss natürlich wieso. Weiter so HSB, es brennt bei einem Auftritt der Band nicht nur der Himmel…
DtS: Oh mein Gott, jawoll! Die Thüringer beweisen heute Abend, dass sie es problemlos mit Grössen wie Iron Maiden aufnehmen können. Ich bin wieder einmal knapp dran und werde noch am hinteren Rand des Infields von «Awoken», dem sanften Intro zu «Endzeit», überrascht. Etwas perplex suche ich mir hier hinten einen Platz mit guter Sicht und finde auf einem schlammigen, leicht erhöhten Hügelchen den perfekten Spot. Perfekt, um den ersten Song abzufeiern (wie kann der Sound schon jetzt so satt sein?); perfekt, um die eingängigen Lyrics mitzugrölen; perfekt, um das Schauspiel mit Licht und Pyro auf der Bühne zu verfolgen. Danach begebe ich mich weiter nach vorne, viel näher zur Bühne, und gebe mir ab «Übermacht» von da aus den Rest dieses phänomenalen Auftritts. Auch hier überzeugt die Abmischung und lässt sämtliche Details des vielschichtigen, von Core-Einflüssen geprägten Melodeaths bis zum Trommelfell durchdringen.
Heaven Shall Burn liefern während eineinhalb Stunden eine Show, die sich gewaschen hat. Dabei bleiben sie, wie bereits Domi erwähnt hat, stets bodenständig. Nicht nur Marcus zeigt dies mit Worten, auch Gitarrist Maik Weichert wendet sich vor «Numbing The Pain» mit einer kurzen Ansprache ans Publikum. HSB sorgen mit tiefgründigen Texten und brutaler Musik für einen gewaltigen Abriss, der von Zehntausenden von Metalheads nur so abgefeiert wird. Bei «Behind A Wall Of Silence» veranstalten diese trotz Schlamm erneut einen gigantischen Circlepit um die Türme. Die heutige Chemie zwischen Band und Publikum unterstreicht die gegenseitige Wertschätzung. Der Auftritt kulminiert dann im reinhauenden «Tirpitz» und dem melodiösen, von Zuschauerchören geprägten Blind Guardian-Cover «Valhalla». Ja, ich hab zweihundert Prozent Bock, diese Band in den nächsten beiden Wochen noch zweimal zu sehen!
Die Setliste Heaven Shall Burn
- Endzeit
- Bring The War Home
- Übermacht
- Protector
- Behind A Wall Of Silence
- Black Tears (Cover: Edge Of Sanity)
- My Heart And The Ocean
- The Voice Of The Voiceless
- Godiva
- Hunters Will Be Hunted
- Forlorn Skies
- Combat
- Thoughts And Prayers
- Numbing The Pain
- Tirpitz
- Valhalla (Cover: Blind Guardian)
Peter Pan Speedrock
Raphi: So langsam biegen wir auf die Zielgerade des Wacken Open Air 2023 ein und fast zum Schluss verschlägt es auch meine Truppe und mich doch noch zur Wasteland Stage. Hier machen sich drei Niederländer daran, mit fetzigem Hardrock für gute Laune zu sorgen. Mit kurzen und knackigen Songs wie “Go Satan Go” und “Killerspeed”, die ihre Einflüsse aus dem klassischen Rock ‘n’ Roll nicht verhehlen, sondern im Gegenteil grosszügig umarmen, haben Peter Pan Speedrock bei diesem Unterfangen leichtes Spiel. Der rotzige Auftritt präsentiert sich bestens vor dem rostigen Hintergrund der Wasteland Stage, die im Feuerschein der Flammenwerfer erstrahlt.
Das Trio schafft es, den Drive über weite Strecken aufrechtzuerhalten, einzig zu Beginn des letzten Drittels würde den Ohren die eine oder andere zusätzliche Variation nicht schaden. Doch Peter Pan Speedrock ziehen noch einen Trumpf aus dem Ärmel und zwar Gastsänger Dikke Dennis, dessen Energie unbändig zu sein scheint. Der Herr räumt gleich in bester Punkmanier mit eben diesen Manieren auf der Bühne auf und gebärdet sich wild und ungestüm. Da fliegt schon mal ein Mikrofon durch die Luft, während dessen Geschwisterchen kurzerhand in Dennis’ Hose Direktkontakt mit dessen Hintern aufnehmen darf. Das Gehabe lässt einen fasziniert staunend, doch auch zu gleichen Teilen verdutzt und ratlos zurück. Die Schwingung auf derselben Wellenlänge mit der gespielten Musik ist indes nicht von der Hand zu weisen, sodass ich den Auftritt von Peter Pan Speedrock mit drei Worten zusammenfassen kann: roh, rasant und hörenswert.
Die Fotos Peter Pan Speedrock
Two Steps From Hell
DtS: Bald ist Schicht im Schacht! Für mich folgt das letzte ganze Konzert im Infield. Two Steps From Hell gehörten 2022 zur ersten Bandwelle, die noch am letzten Abend angekündigt wurde und ich erinnere mich, dass beim Aufblitzen deren Logos ein grosses Raunen respektive ein starker Jubel durch die Menge ging. Ich wusste nicht viel zu dem Act; lediglich, dass das irgendein Orchester ist, das irgendwelche Soundtracks präsentiert. Entsprechend den Reaktionen von 2022 habe ich also einen grossen Aufmarsch erwartet und Two Steps From Hell sogar eine Art Headlinerrolle beigemessen. Dem ist allerdings nicht so: Auch vor den FOH-Türmen hat es jede Menge leeren Raum, wie man ihn sich ansonsten von den After-Headliner-Shows gewohnt ist.
Raphi: Ja, wo sind all die Leute hin? Möglicherweise hat der einsetzende Regen einige wieder in die Flucht geschlagen. Uns jedenfalls treibt er nur noch näher zur Bühne hin, so dass wir die vielen Instrumentalisten in aller Ruhe eingehend studieren können.
DtS: Vom fehlenden Publikum lässt sich das Orchester allerdings kaum beirren: Das Projekt, das ursprünglich aus der gleichnamigen Soundtrackfirma entstanden ist, liefert eine erstklassige Show. Dabei enttäuscht es meine Erwartungen, sie könnten den einen oder anderen Soundtrack aus Filmen und Trailern spielen – im Repertoire hätten sie davon genügend – fadengerade (Raphi: “Victory” wurde doch schon mal in einem Trailer verwendet, wenn es mir recht ist?). Aber sch**ssegal! Die “Epic Music”, die das Orchester heute präsentiert und wohl von den eigenen Nicht-Filmmusik-Alben stammt, gefällt auch, wenn man nicht mit ihr vertraut ist. Es sind nichtsdestotrotz wahnsinnig packende Stücke. Vor der Bühne herrscht eine urgemütliche Stimmung und der Auftritt erweist sich als wunderbaren Abschluss mit Freunden bei ein oder zwei Bierchen.
Die Fotos Two Steps From Hell
Dropkick Murphys
DtS: Okay, halt! Wer noch Energie und Lust auf mehr hat, dem bleiben mit Sleep Token, Dropkick Murphys und Igorrr noch einige wenige Gelegenheiten. Letztere sind bei mir sowieso Pflichtprogramm, doch zuvor bleibt mir genügend Zeit, um eine knappe halbe Stunde dem letzten Act des Infields zu lauschen. Die Celtic Punker aus den USA sind bekannt für ihre wilden Auftritte mit viel Publikumsaktivität, die sie mit ihren hüpfigen Songs provozieren. Gerade in Sachen Publikumsaktivität sind der heutigen Show jedoch Grenzen gesetzt – mögliche Gründe sind weiterhin der Boden und allfällige Erschöpfung in den Beinen, bei gewissen Besuchern darüber hinaus auf jeden Fall der riesige HSB-Pit –, aber die gute Laune der Dropkicks überträgt sich trotzdem aufs Publikum.
Raphi: Vielleicht liegt es auch an der Setliste. Die Murphys haben die Tendenz, je nach Konzert jeweils eine ihrer beiden Seiten stärker in diese einfliessen zu lassen. An Headlinershows spielen sie häufig viele ihrer punkigen Lieder, die einen fast dazu zwingen, sich in den Moshpit zu stürzen. An grossen Festivals – so wie heute – kriegen jedoch meistens die Pub-Fussball-Mitsing-Nummern den Vorzug. Songs wie “Paying my Way”, “Blood” oder “You’ll never walk alone” laden zwar zum Mitgrölen und Schunkeln ein, sorgen aber weniger für explosive Stimmung. Das müssen dann “Barroom Hero” und “(F)lannigan’s Ball” richten, die erst relativ spät im Set kommen.
DtS: Während «Johnny, I Hardly Knew Ya» verabschiede ich mich langsam in Richtung Bullhead City. Die vielen Covers und gewisse Aushängehits über Tattoos und Boston überlasse ich denen, die bis zum Schluss im Infield durchhalten (Raphi: Danke dir, wobei natürlich genug für alle da gewesen wäre).
Igorrr
DtS: Das ist es also, mein finales Konzert der diesjährigen Wacken-Ausgabe. Igorrr haben mich erst noch im April im Amsterdamer Melkweg sehr positiv überrascht und so freue ich mich schon die ganze Woche auf den heutigen Auftritt. Die Band, die aus dem Projekt des französischen Musikers und Bandkopfs Gautier Serre entstand, dürfte zweifelsohne nicht jedem gefallen. Zu viele Einflüsse aus klassischer und elektronischer Musik dürften für viele auf zu wenig Anteil verschiedenster Metal-Subgenres treffen. Mich jedoch – und anscheinend ein paar Tausend andere neben mir – fasziniert genau diese Mischung, die Igorrr auch live perfekt auf den Punkt gebracht servieren. Wilde Dubstep- und Tripcore-Passagen wechseln sich mit Black Metal und Barockmusik ab, und das erfrischende Zusammenspiel zwischen DJ, typischen Metalinstrumenten und den verschiedenen Gesangsarten der beiden Sänger Marthe Alexandre und JB Le Bail bringen noch mehr Abwechslung in ein sowieso schon sehr diverses Line-Up. Obwohl der heutige Festivalauftritt bei Weitem nicht an den Headlinger-Gig im April herankommt: DAS ist ein mehr als würdiger Abschluss des Wacken Open Air 2023!
Fete auf dem Campingplatz
DtS: Auf dem Weg “nach Hause” ins Camp versinke ich völlig überraschend mit einem Bein in einem nicht markierten Schlammloch. Zum Glück kann ich mich selber befreien, jedoch habe ich jetzt – nach einer ganzen Woche auf dem Schlammacker – auch Schlamm IN den Stiefeln. Danke für gar nichts! Ein bisschen aus Frust, vor allem aber aus Neugier, mache ich noch kurz beim Gemeinschaftsbereich des World Metal Camps Halt. Weil ich da auf Bekannte stosse, wird aus kurz dann eben lang; es fliesst das eine oder andere Bier, man lernt die eine oder andere Person aus weit entfernten Ecken dieser Welt kennen und als ich im Camp ankomme, ist schon bald wieder Zeit, das Zelt abzubrechen. Naja, schlafen kann man ja auch im Zug…
Die Fotos Impressionen Tag 4
Das Fanzit – Wacken Open Air 2023
Domi: Das Fanzit dieses Jahr ist kein einfaches. Durch die ganze Sache mit der Anreise war die Festivalstimmung sicher bei denjenigen getrübt, die nicht wussten, ob sie es noch auf den Holy Ground schaffen oder nicht. Noch getrübter war die Stimmung bei all denjenigen, die nach Stunden oder Kilometern wieder die Heimreise antreten mussten. Auf dem Holy Ground dagegen war die Stimmung eigentlich wie in jedem Jahr sehr gelassen, friedlich und entspannt. Wo am Mittwoch noch “very matsch Metal” war, wurden die Bedingungen im Laufe der Woche immer besser und die verschiedenen Flächen waren von Tag zu Tag einfacher begehbar. Rein musikalisch gesehen, war auch dieses Wacken Open Air für mich wieder einmalig. Sei es die Show von Iron Maiden, welche einmal mehr legendär war, sei es Heaven Shall Burn, die es erneut fertig brachten, den Circlepit um die grossen Lautsprechermasten heraufzubeschwören oder Kreator, die wieder einmal bewiesen, dass sie im Live-Setting einfach eine Macht sind. Eigentlich (leider ist das jedes Jahr das Gleiche) wollte ich mit diesem Wacken Open Air meine Serie, die nun bereits seit 2009 andauert, abschliessen, bereits auf der Rückreise aus dem hohen Norden war aber einmal mehr klar: 2024 sehen wir uns wieder, Rain or Shine…
Nebenbei hoffe ich sehr, dass die Veranstalter etwas mitnehmen von den diesjährigen Ereignissen. Im hohen Norden ist immer mit viel Regen zu rechnen. Ich verstehe diesbezüglich immer noch nicht ganz, wieso man hier in den letzten Jahren nicht sachte entgegengewirkt hat. Als Idee könnte man ja schon lange das Infield bereits im Vorfeld ein wenig vorbereiten, sei es mit Holzschnitzeln oder anderen passenden Utensilien. Klar, dies würde viel Geld kosten. Ich frage mich nur was kostspieliger ist: Viele Fans zu verlieren, welche sich vor Zorn gar nicht mehr einkriegen – wie in diesem Jahr – oder als eines der grössten Festivals zu zeigen, dass man wirklich in die Zukunft denkt. Ich wage zu behaupten, dass solche Ereignisse wieder eintreten könnten, wage aber auch zu behaupten, dass das Wacken Open Air selbst nur weiter bestehen wird (langfristig gesehen), wenn in zukünftige Verbesserungen der Infrastruktur investiert wird. Andererseits ist die nächstjährige Ausgabe längst wieder ausverkauft. Und so lange der Kunde zahlt, dürfte das Umsetzen solcher Projekte auch eher zweite Priorität haben.
pam: Entschuldige, wenn ich hier ein bisschen Devil’s Advocat spiele. Aber das Problem war ja nicht das Infield (das hatte man immer gut im Griff und dort hatte man alles entsprechend vorbereitet, bevor die ersten Konzerte stattfanden), sondern die Campingplätze. Da immer mehr Leute mit Camper anreisen, braucht es in der Konsequent mehr Campingflächen und die kannst du ja nicht alle prophylaktisch “einschnitzeln”. Das ist Landwirtschaftsland und da würden dann die Bauern irgendwann wohl nicht mehr mitmachen. Die Gräben bei den Einfahrten zu den Stellplätzen waren zudem schon brutal tief. Da helfen dann auch keine Holzschnitzel mehr, da müsstest du im Prinzip asphaltieren… Und ich würde das alles jetzt übrigens nicht zu heiss kochen: Über 30 Jahre gab es ja noch nie einen Anreisestopp, während andere Festivals doch schon das eine oder andere Mal abgesagt wurden (oder werden mussten). Ich wage sogar zu behaupten, kein anderes Festival ist besser organisiert. Denn am Ende haben wir ja vor Ort keinen Unterschied zu den anderen Ausgaben gespürt. Ob Rain or Shine.
Domi: Ein Punkt, welchen ich aber noch anmerken möchte, ist die Kommunikation. Hier wäre es sicher von Vorteil, konsequenter und zeitnaher Infos in solchen schwierigen Situationen wie der diesjährigen zu geben. Ich verstehe, dass man nicht “hexen” kann, aber ich hatte das Gefühl, es wäre hier mehr Potential vorhanden.
Last but not least glaube ich trotzdem und weiterhin (seit vielen Jahren), dass sich viele Festivals etwas vom Wacken Open Air abschauen könnten. Dies beziehe ich vor allem auf das ganze Erlebnis, welches Wacken in allen Belangen bietet. Ich hoffe deshalb sehr, dass auf die Fans gehört wird und wir bis zur nächsten Ausgabe ab und zu mal bemerken dürfen, dass weitere Schritte in die Rettung und den Weiterbestand des Wacken Open Air gemacht werden. Ich bleibe treu, es ist und bleibt – auch nach über 15 Jahren – ein wiederkehrendes einmaliges Erlebnis. Jahr für Jahr…
DtS: Die dominierenden Themen dieser Ausgabe sind selbstverständlich das Wetter und dessen Einflüsse auf die Bodenverhältnisse. Es war zwar lange nicht das erste Schlamm-Wacken, jedoch gab es zum ersten Mal triftige Konsequenzen für eine beträchtliche Minderheit der Besucher: Die Anreise wurde bereits am Dienstag definitiv unterbrochen. Das kann für die Veranstalter keine einfache Entscheidung gewesen sein, da nur schon durch die Rückzahlung der nicht genutzten Tickets Kosten in Millionenhöhe anfallen. Die unkomplizierte Lösung, dass bereits angereiste Besucher auch nach dem offiziellen Anreisestopp noch aufs Gelände gelassen wurden, wurde zwar vielfach kritisiert; ich hingegen begrüsse diesen Entscheid, da er wohl einige brenzlige Situationen bei den Eingängen vermied.
Bezüglich Kommunikation stehe ich voll auf Domis Seite: Gerade die grosse Unwissenheit am Mittwoch hätte mit einer etwas saubereren Kommunikation abgeschwächt werden können. In den 2020er-Jahren muss es doch irgendwie möglich sein, kurzfristige Änderungen in den Zeitplänen an einen Grossteil der Besucher zu kommunizieren? Das Festival verfügt über eine eigene App sowie über gut besuchte Kanäle auf mehreren Social-Media-Plattformen, und am Internetempfang hat es dieses Jahr nicht gemangelt. Domis Gedanken zu Investitionen ins Festival will ich dann jedoch etwas relativieren: Gerade um enorme Wassermengen zu bekämpfen wurde ja vor einigen Jahren die Entwässerung des Geländes auf komplexe Art und Weise verbessert. Dass dies in dieser Woche nicht ausgereicht hat, zeigt halt einmal mehr, dass der Mensch sich gegen gewisse Naturereignisse nur sehr schwer bis gar nicht wappnen kann. Holzschnitzel waren tonnenweise vorhanden und wurden vom Wasser Berg für Berg einfach weggeschwemmt. Traktoren (und deren Fahrer) wurden aus weiten Teilen Norddeutschlands zusammengezogen, doch auch diese enormen Mittel haben endliche Kapazitäten – ein Traktor blieb bei uns auf Campground L sogar im Schlamm stecken und musste von zwei anderen geborgen werden.
Zum Schluss dürfen wir nicht vergessen, dass sämtliche Veranstalter von Grossanlässen noch immer Nachwehen der Corona-Jahre im Nacken haben. Im Fall des Wacken Open Airs wurden immerhin zwei Ausgaben ersatzlos gestrichen. Und trotzdem werden Investitionen im Dorf getätigt (siehe LGH Clubstage, Lemmy-Denkmal, etc.) und während einer ganzen Woche Metal pur geboten. Bands wie Iron Maiden spielen ebenfall nicht gratis. Klar, meiner Meinung nach dürfte das vorhandene Bandbudget gerne etwas ebener verteilt werden – zum Beispiel indem man mehr Bands mittleren Kalibers bucht – und auch die neuen Ticketpreise von 333 Euro sind keine Kleinigkeit mehr. Doch geboten bekommt man für sein Geld echt viel…
… vor allem was die Bands angeht. Den neu als vollen Festivaltag eingestuften Mittwoch empfand ich zwar trotz kurzfristiger Extra-Ankündigungen als etwas mager. Doch schon den drei Konzerten, die ich am Dienstag im Landgasthof erlebte, kann ich mit gutem Gewissen das Prädikat “klein aber fein” verleihen. Was dann ab Donnerstag auf den eigentlichen Bühnen alles spielte, kommt zwar auch nicht zwingend an jedes andere vergangene Jahr an. Aber langweilig wurde mir nie und ich stolperte wohl so lange wie noch in keinem anderen Jahr übers Festivalgelände. Persönliche Highlights gefällig? Kreator, Skálmöld, Wardruna, Jinjer, Heaven Shall Burn und Igorrr! Überraschung des Festivals? Two Steps From Hell! Dass sich der Samstagabend in dieser Liste so hervortut, ist übrigens kein Novum: bereits in anderen Jahren begeisterte mich der letzte Tag am meisten.
Raphi: Kreator waren eindrücklich, da schliesse ich mich an. Meine beiden Höhepunkte bilden allerdings Skálmöld mit ihrer tadellosen Show (wie bei dir) und der im besten Sinne bodenständige Auftritt von Ferocious Dog als Einstieg. Weitere lobende Erwähnungen haben sich zudem Sólstafir mit einem intensiven Konzert und Ereb Altor als genüssliche Wiederentdeckung verdient.
pam: Kreator waren auch für mich der ganz grosse, emotionale Höhepunkt. Und wie immer die Fellow-Metalheads. Die Ausgabe 2023 war darüber hinaus aus einem privaten Grund für mich sehr speziell und wohl eine Art des Abschieds beziehungsweise das Ende einer Ära. Darum geht mein Danke an Raphi, Mätthe, Roman und Nicole für Making it happen (Raphi: Den Dank erwidere ich sehr gern, pam). An Bio-Bauer Jens für den legendären 1. August-Abend sowie an Domi The Stick, Raphi, Larry und Domi fürs Berichten und die unendliche Geduld gegenüber meiner Wenigkeit.
DtS: Kommen wir also zum Schluss dieses ellenlangen Berichts (danke an alle Leserinnen und Leser, die bis hier durchgehalten haben): Auch die zweiundreissigste Ausgabe des Wacken Open Airs war für die Anwesenden etwas Besonderes, das noch lange in Erinnerung bleiben dürfte. Und entgegen dem bekannten Wacken-Slogan gab es auch 2023 Rain AND Shine.