Metal ist für alle da
„Denkt an gute Sonnencreme und gegebenenfalls einen Sonnenhut“, predigen die Veranstalter auf ihren Social-Media-Kanälen einige Tage vor Beginn der diesjährigen Ausgabe des Baden in Blut Festivals. Ein Rat, den zu befolgen sich als vorteilhaft erweisen sollte.
Doch heiss wurde es nicht nur temperaturbedingt. Nebst mehrheitlich überwältigenden Auftritten von Bands quer durch das Metal-Genre und darüber hinaus überzeugte das Festival ein weiteres Mal durch die Atmosphäre einer Familienfeier ohne den nervigen Onkel und die verbitterte Tante.
Baden in Blut 2024: Erster Tag – Gute Miene zur bösen Musik
„Es ist wahnsinnig cool, zu ehrenamtlichen Festivals wie dem Baden in Blut zu kommen“, freut sich Lenny Breuss, Sänger der Thrash Metal-Band Dust Bolt „Hier wird man besser betreut als bei den Grossen (Festivals)“. Eine Aussage, die wohl nicht nur die anderen Acts beteuern können. „Der Kunde (in diesem Fall der Besucher) ist König“ – ein Sprichwort, das für jeden Anbieter eines Produktes oder einer Dienstleistung als oberstes Gebot gilt. Nicht so beim Baden in Blut. Hier ist der Kunde Familie. So muss er beispielsweise, anstelle wie bei „den Grossen“, für einen Becher Wasser nicht sechs, sondern nur zwei Euro bezahlen und für ein Bier das Doppelte. Ein faires Preis-Leistungs-Verhältnis, das sich konsequent durch die ganze Veranstaltung hindurch zieht und das nur zustande kommen kann durch eine riesige Anzahl an ehrenamtlichen Helfern, die Unmengen an Zeit und Herzblut in diesen Event investieren. „Ihr macht uns fertig“, proklamieren die Veranstalter freudestrahlend am Ende des Festivals. Sie seien komplett ausgeschöpft an Getränken und gar an sauberen Pfandbechern. Ein Umstand, der, zur Freude aller, auf eine positive Bilanz und ein gutes Omen für das Fortbestehen dieses genialen Open Airs hinweist.
Nebst der publikumszentrierten Organisation überzeugt das Baden in Blut Festival insbesondere durch das Wesentliche: Dem Booking einer breiten Palette unterschiedlichster Bands, das für jeden etwas bereithält. Es sei denn jemand hätte eigentlich aufs Tomorrowland gehen wollen und sei aus irgendeinem Grund im Dreiländerpark in Weil am Rhein gelandet. Die auftretenden Acts sind zum Grossteil mittelmässig bis unbekannt, was das Festival zu einer idealen Veranstaltung macht, um neue Musik zu entdecken.
Act Of Creation
Act Of Creation bekommen dieses Jahr die Ehre und Herausforderung auferlegt, die ersten Köpfe zum Schütteln zu bringen. Eine Geste, die in der Metal-Community, im Gegensatz zur alltäglichen nonverbalen Kommunikation, bekanntlich als Zeichen der Achtung anstelle des Widerspruchs gilt. Diese Aufgabe erledigen sie mit Bravour, obwohl Sängerin Jess zu Beginn noch Anlaufschwierigkeiten zu haben scheint. Immerhin ist klar, dass sich kein taktgebendes Metronom in einem In-Ear-Monitor versteckt.
Das Publikum verzeiht es ihr und lässt sich gar zu Teilen zur ersten Wall of Death des Tages hinreissen. Dies um drei Uhr nachmittags bei 30 Grad Lufttemperatur. Ein deutlicheres Zeichen der Anerkennung gäbe es wohl kaum. Für die Melodic Death- und Thrash Metal-Mischung, die ein paar wenigen aber keinesfalls allen Zuschauern bereits ein Begriff war, dürfte sich der Besuch des Baden in Blut lohnen. Der eine oder andere Fan ist hier bestimmt gefunden worden. Ebenso hätte der Zeitpunkt dieses Auftritts nicht besser passen können, so hat die Band zeitgleich ihr neustes Album «Moments To Remain» veröffentlicht.
Die Fotos Act Of Creation
Thron
Der Ton bleibt rau, als Thron ihre Instrumente zum Erklingen bringen und er wird auch nicht sanfter, bis sie wieder damit aufhören. Platz für Balladen oder zu weiteren Moshpits motivierende Stücke bleibt keiner beim «angeschwärzten Death Metal», wie die Band selbst ihren Stil treffend bezeichnet.
Ihre Musik ist klar auf den Punkt gebracht und bietet genau das, was man von Death- mit Black Metal-Nuancen erwartet, doch nichts darüber hinaus. Thron haben sich aus einem Projekt heraus, bestehend aus lose zusammengewürfelten Musikern, passenderweise aus dem Schwarzwald, zu einer Band entwickelt. Die Komplexität, die solchen Projekten naturgemäss innewohnt, die meist von einer zentralen Person konzipiert werden und von erlesenen Musikern Atem eingehaucht bekommen, ist bei Thron noch immer vorhanden, was unschwer zu hören wäre, würde die Abmischung von Instrumenten und Gesang eher einer schön angerichteten Mahlzeit als einem Brei ähneln.
Die Fotos Thron
Dust Bolt
Besser abgemischt, weniger erdrückend, unter einem weissen Backdrop und mit dazu passender nicht-schwarz angemalter Musik stürmen nach einer kurzen Umbaupause Dust Bolt die Bühne. Für eine von «Amateuren» organisierte Veranstaltung ist es beeindruckend, wie zeitlich punktgenau die Acts auf dieser stehen können. Eine Pünktlichkeit, die das komplette Festival über aufrechterhalten werden kann. Eine Ausnahme macht einzig der letzte Act des ersten Tages. Wobei hier die Schuld keinesfalls beim Baden in Blut selbst gefunden werden kann.
Musikalisch bewegen sich Dust Bolt im Thrash Metal, mit gekonnten Ausrutschern in den Glam- und Power Metal sowie einen energiegeladenen Hardrock. Das Publikum haben sie im Handumdrehen um den Finger gewickelt. Dies nicht nur durch die musikalische Darbietung: Es bleibt kaum eine Möglichkeit, ausgelassen über die Bühne zu springen, sich von der Bühnencrew Bier servieren zu lassen, mit den Instrumenten zu posieren wie die grossen Vorbilder und selbst Sänger und Mitglied der Gitarrenfraktion Lenny löst sich mitten in der Show von seinem festen Platz am Mikrofonständer und begibt sich mit diesem mitten in die circlepit-wütige Menge.
Abgerundet wird das Konzert mit einem wenig innovativen, aber anregend umgesetzten Cover von «Rockin’ in the Free World». Ein Song für den Frieden, wie erklärt wird. Ein Song, der in Zeiten wie diesen, so traurig es ist, wieder wichtiger denn je ist.
Die Fotos Dust Bolt
Uada
Als noch grösserer Kontrast zu Dust Bolt wie derjenige zwischen Dust Bolt und Thron, fällt der Auftritt von Uada aus. Zu Wolfsgeheul und epochalen Klängen vom Band nimmt das Quartett seinen Platz auf der Bühne ein und verlässt diesen innerhalb der nächsten Stunde nicht mehr. Tief herunter gezogene Kapuzen und lange ins Gesicht fallende Mähnen lassen jegliche Mimik nicht einmal erahnen. Publikumsinteraktion findet keine statt. Hier soll klar ersichtlich die Kunst, ihre Musik, für sich selbst sprechen. Mehr möchte man nicht von sich preisgeben. Selbst in Musikvideos, Pressematerial oder anderen visuellen Medien der Band verschwinden die Gesichter der Bandmitgliedern hinter Kapuzen. Die Optik soll nicht vom Wesentlichen ablenken, wird durch ihre Uniformierung aber, paradoxerweise, zu einem Markenzeichen.
Uadas komplexer, durchdachter Black Metal vermag trotz fehlender Kommunikation mit den Zuschauern (oder gerade deswegen?) zu überzeugen. Da es die Musik nicht hergibt, bleiben Moshpits aus, dafür wird insbesondere in den vorderen Reihen vor der Bühne ausgiebig geheadbangt. Das Publikum ist durchgängig interessiert der Bühne zugewandt und das trotzdem, dass die Sonne mittlerweile direkt hinter der Bühne steht, unbarmherzig blendet und die Acts noch mehr fordert, zu überzeugen, um die Gunst des Publikums nicht an den wohligen Schatten zu verlieren.
Um immerhin gegen die glühende Hitze gewappnet zu sein, gehen beinahe durchgehend mit Gartenschläuchen bewaffnete Ordner durch den Fotograben und beschützen heisse Menschen mit künstlichem Regen vor dem Sonnenstich. Eine Dienstleistung, die an grösseren Konzert-Events schmerzlich vermisst wird.
Konsequent ohne Ansagen, ohne Zugabe und ohne sonstige Showeinlage verlassen die US-Amerikaner Uada mit einer Bestimmtheit die Bühne, die leicht an den Mic-Drop eines Rappers erinnert. Die Zuschauer bleiben dennoch befriedigt zurück. Wer musikalisch nicht nur zu überzeugen, sondern gar zu begeistern vermag, der benötigt keine Bühnen-Stunts, um im Gedächtnis zu bleiben.
Die Fotos Uada
Brutus
Bevor ich irgendein Wort über den Auftritt von Brutus verliere, gilt es anzumerken, dass ich, Silas, diese Band mindestens zu meinen Top zwei dieses Planeten, wenn nicht dieses Universums, zähle. Umso grösser war also meine Freude, als sie auf dem Line-up für das Baden in Blut 2024 auftauchten. Und umso grösser die Chance, dass ich mich in den folgenden Zeilen in Lobeshymnen verliere. Unter anderem bedingt durch eine Fanbrille mit knallrosa Gläsern, die mir die objektive Betrachtungsweise vernebeln.
Eine der vielen Bezeichnungen, mit denen die Stilrichtung von Brutus beschrieben wird, ist Math Rock. Eine Abspaltung des progressiven Rocks, der sich durch atypische Rhythmen auszeichnet und dessen Name an langwierige stumpfe Algebraprüfungen erinnert und somit nichts mit den Gefühlswelten gemein hat, die in den nächsten 70 Minuten auf die Bühne gezaubert werden.
Als Rockband mit Metal-Einflüssen aber einer Abspaltung zu der ansonsten tendenziell härteren Musik, die über den Festivalplatz donnert, sind Brutus definitiv Ausreisser aus der Liste der auftretenden Acts. Doch diese Band hat es nicht nötig, in ein Schema zu passen.
Es ist nicht der erste Auftritt an einem Festival, den ich von ihnen bewundern darf. Doch jedes Mal zeigt sich dasselbe Phänomen: Egal ob Punkrocker, Biertrinker oder Black-Metal-Heads: Am Ende stehen sie alle überwältigt und berührt vor der Bühne, kriegen den Mund nicht mehr zu und müssen sich eingestehen, dass ein Blick über den Tellerrand des eigenen Musikgeschmacks durchaus lohnenswert sein kann.
Meist sind es die Melodien, die für solche Stimmungsausbrüche verantwortlich sind. Doch Brutus sind hier ebenfalls Ausreisser. Natürlich kommt auch ihre Musik nicht ohne Gitarre und Bass aus, aber im Zentrum steht, obwohl sie sich hinter ihrem aufs Wesentliche beschränkten Schlagzeug-Set-up am rechten Bühnenrand versteckt, ganz klar Drummerin und Sängerin Stefanie Mannaerts. Diese Frau ist unbeschreiblich! Als Gott Talente vergab, hat er sie wohl gefragt, ob sie denn lieber eine grandiose Sängerin oder einzigartige Drummerin werden möchte. Stefanie hat vermutlich zweimal mit Ja geantwortet. Seitlich, den Kopf von den Trommeln und Becken abgewandt, singt sie in den verschiedensten Oktaven die schönsten Töne in ihr dort platziertes Mikrofon und spielt gleichzeitig (!) Schlagzeug wie eine rhythmisch veranlagte Sirene, beinahe ohne jenes anzusehen. Dabei bringt sie eine Energie zutage, die man ihr anhand der fast schon erzwungen wirkenden Ansagen, die aus kaum mehr als einem «Thank you» bestehen, oder ihrem noch scheueren Auftreten beim Soundcheck, niemals zutrauen würde. Doch sobald ein Lied eröffnet wird und Mannaerts zum Gesang ansetzt, scheint auf einen Schlag jede Unsicherheit wie weggeblasen und der Zuhörer darf sich mit ihr und ihren Mitmusikern auf Reisen quer durch Euphorie und Schmerz begeben.
Anhand der Fülle, die die Musik einnimmt, ist es kaum zu glauben, dass hier nur eine Zwei-Mann-eine-Frau-Band auf der Bühne steht. Dafür sorgen verschiedenste Gitarren- und Bass-Amps, eine Unmenge an Effektgeräten und ergänzend ein mit Orgel-Klängen bestücktes MIDI-Fusspedal, das Bassist Peter Mulders da und dort erklingen lässt. Die Bandmitglieder wirken ausgesprochen harmonisch und gut aufeinander eingespielt. So blicken sie stets auf die Instrumente der anderen und lassen keine Möglichkeit aus für gemeinsames den Songs dienliches Jammen. Ein Unterfangen, das es insbesondere bei den komplexen Kompositionen von Brutus speziell zu würdigen gilt.
Viel zu schnell ist der Auftritt der Belgier vorbei. In den Herzen der Zuschauer wird er aber noch lange nachklingen. Nicht zuletzt da der eigentliche Hauptact des Tages die reinste Enttäuschung ist.
Die Fotos Brutus
Paradise Lost
«Paradise Lost ist lost», so das Fa(n)zit eines enttäuschten Festivalbesuchers zum letzten Auftritt des Abends. Die Veranstalter haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, dass diese Band im Line-up des Festivals erscheint. Letztes Jahr musste sie krankheitsbedingt absagen, dieses Jahr kam sie mit einem Berg an Anforderungen, die unter anderem zur Folge hatten, dass noch am Tag des Auftritts ein Mitglied des Baden in Blut-Teams eine lange Autofahrt auf sich nehmen musste, um Teile des gewünschten Equipments aufzutreiben.
Was Paradise Lost jedoch als «Dank» dafür abliefern, ist beinahe als frech zu bezeichnen., ist es besonders Sänger Nick Holmes, der nebst einem unsympathischen überheblichen Auftreten eine Leistung an den Tag legt, die in keiner Relation zu dieser Überheblichkeit steht und noch weniger das Durchstehen der verlängerten Umbaupause aufgrund technischer Schwierigkeiten entschädigt.
Es sei das erste Mal, dass er in diesem Jahr saufe, behauptet Holmes in einer Ansage, bevor er sich ein Bier hinter die Birne kippt. Vielleicht wäre dies das beste Mittel zum Zweck, um diesem Auftritt irgendetwas Positives beizumessen. Wer kein Paradise Lost-T-Shirt trägt oder die Hoffnung auf eine Qualitätssteigerung während des Konzertes noch nicht verloren hat, verlässt bereits vor Ende der Show das Festivalgelände.
Diese Darbietung als unwürdig für einen Hauptact zu bezeichnen, wäre untertrieben: Das hier war unterirdisch.
Die Fotos Paradise Lost
Das Fanzit – Baden in Blut 2024 – Tag 1
Gemeinsame Feinde schaffen Freunde. So eine alte Weisheit. Diese soll sich auch heute bewahrheiten, wenn man gemeinsam mit eigentlich fremden Personen am Ende des Tages das Festivalgelände verlässt und sich über Paradise Lost echauffiert. Bei dieser negativen Stimmung soll es aber nicht bleiben, denn konnte man erst einmal die erhitzten Gemüter gemeinsam kühlen, landet man schnell mal bei der Auswertung von positiven Eindrücken des Freitags.
Allen voran wird vom Auftritt von Brutus geschwärmt, von dieser «kleinen unscheinbaren Frau und wie sie, begleitet von ihrer Engelsstimme, das Schlagzeug zertrümmerte». Aber auch andere Bands kommen in den Lobreden nicht zu kurz. Etwa das energiegeladene publikumsbezogene Auftreten von Dust Bolt oder das genau gegenteilige Auftreten von Uada, die dafür umso mehr mit Qualität überzeugen konnten.
Brüderlich prostet man sich ein letztes Mal an diesem Tag zu und freut sich auf morgen.
Baden in Blut 2024: Zweiter Tag – Petrus hat die Tür zum Solarium offengelassen
Elfuhrfünfundvierzig ist eine frühe Zeit, um den zweiten Tag eines Festivals einzuläuten. Insbesondere in Hinblick auf die Tatsache, dass die Sonne um die Mittagszeit besonders quälend vom Himmel brennt. So ist das Gelände direkt nach Türöffnung gähnend leer – könnte man meinen. Tatsächlich hat sich vor der Bühne bereits eine beachtlich grosse Menschentraube gebildet. Sehr zur Freude des ersten Acts des Tages.
Pinghost
Der erste Abriss des Tages wird von Pinghost ausgeführt. Ihr Platz im Line-up haben sie sich durch Gewinnen des Blood Battles gesichert. Dieser musikalische Boxkampf findet jährlich, einige Monate vor dem Baden in Blut, statt und hält eine «Carte Blanche» unter den auftretenden Acts für den Sieger bereit. Bereits 2023 wurde mit Mayflower eine Metalcore-Band mit dieser belohnt. Pinghost führen diese Tradition fort. Offenbar findet diese Stilrichtung mittlerweile hohen Anklang in der Szene, nach dem sie jahrelang von «Metal-Elitaristen» zum Teufel gejagt wurde, was womöglich durch einen Generationenwechsel zu erklären ist: Derjenige, der Metal als eine in ihrer Ausführung fest verankerten und verschlossenen Kunstform sieht und diese Meinung bis aufs Blut verteidigt, ist zum Onkel, der vom Krieg erzählt, herangealtert und der das nicht mehr so neue subgenre-spielende Nachwuchs macht mittlerweile einen Stützpfeiler der Szene aus. So zumindest eine These. Eine andere, weniger schwarz-weiss angemalte, wäre, dass man innerhalb des Begriffs «Metal» inklusiver wurde. Gerade am Baden in Blut zeigt sich dies offensichtlich, wenn sich Altersgruppen mit einer Spannbreite von rund 70 Jahren vor der Bühne einfinden und die Musik geniessen, unabhängig aus welcher Epoche sie stammt, Hauptsache sie wird mit Liebe zum eigenen Schaffen vorgetragen. Eine kurze Analyse von unterschiedlichsten Kutten verstärkt diese Vermutung weiter: Die Regel, eine solche Weste dürfen nur Patches vom selben (Sub-)Genre zieren, wurde längst über den Haufen geworfen. Sowieso könnte es nicht unpassender sein, ein Kleidungsstück, das unter anderem Ablehnung von Normen und Geboten zum Ausdruck bringen will, Regeln zu unterwerfen.
Der Preis für das gewonnene Blood Battle will festgehalten sein. So rennt den ganzen Auftritt über ein bandeigener Kameramann um und über die Bühne. Umso überraschender kommt dann der Moment, in dem sich selbiger das Mikrofon greift und perfekte Growls in dieses hineinbrüllt.
Pinghost legen einen der ersten Band des Tages würdigen Auftritt hin, haben aber – vermutlich der brütenden Hitze und eher frühen Stunde zuschulden – das Publikum nicht von Beginn an vollständig auf ihrer Seite. Dies soll sich im Verlauf ihres kurzen Auftritts ändern. Die dafür zur Verfügung gestellten 20 Minuten sind keine lange Zeit, um überzeugen zu können. Die Band meistert diese Herausforderung mit Bravour. Schon bald fressen ihnen die Zuschauer aus der Hand und befolgen Befehle wie «Jump, Jump, Jump» ohne Wiederrede oder lassen ihre Arme den Scheibenwischer machen.
Die Fotos Pinghost
Firtan
Der nächste Programmpunkt besteht aus perspektivenunabhängig «richtigem» Metal. Dennoch scheren auch sie sich nicht um die strikten Normen ihres Genres, dem Black Metal, in dem bei einigen Liedern das Instrumental mit einer Geige bereichert wird. Dies wirft die Frage auf, ob Firtan denn wirklich geradlinigen Black Metal spielen oder sie doch eher einem Subgenre wie Pagan- oder Folk-Black-Metal zuzuordnen sind. Diese Frage kann schlicht mit «Nein» beantwortet werden. Für Folk fehlt die Besinnung auf namensgebende Folklore. Thematisch bewegen sich Firtan für Pagan in den korrekten Gefilden, sind aber auch hier musikalisch auf Abwegen. Wie immer, wenn die Namensgebung in der Musik schwerfällt, ist es hier wohl einmal mehr am treffendsten, die Band als «Progressiv» zu bezeichnen.
Die Texte der Band werden auf Deutsch gekräht, was dem typischen Black-Metal-Gesang geschuldet aber kaum auffällt. Genretypisch ist lyrischer Inhalt hier eher Nebensache. Im Zentrum steht die Atmosphäre, die, trotz Geschrei und brutalen Klängen, irgendwas Beruhigendes in sich hat. Genre-eher-untypisch sind dann die zu Bassdrumgepolter ausgerufenen «Ey-Ey-Ey-Gejohle»-Aufforderungen, denen das Publikum aber trotzdem nachkommt.
Von der Geige ist leider beinahe den ganzen Auftritt über wenig zu hören. Obwohl es sich bei ihr um eine elektronische handelt, die mittels eines Tonabnehmers anstelle eines Resonanzkörpers verstärkt wird, scheint der Tonmeister mit ihr überfordert zu sein. So wird der Klang der Geige meist von den lauteren Gitarren gefressen, was sehr schade ist, insbesondere da sie ein bezeichnendes Element für Firtan ist. Umso befriedigender also bekommt sie zum Schluss als «Zugabe» ein playbackuntermahltes Solo.
Die Fotos Firtan
Setyøursails
«Vielen Dank seid ihr hier und nicht im Freibad». Jules Mitchs Worte lassen Gedanken an das kühle Nass erst aufflammen, zuvor war man trotz einer erschlagender Hitze voll vom Auftritt ihrer Band Setyøursails eingenommen. «Wir sind vielleicht ein bisschen anders als die Bands, die hier sonst so auftreten. Wir sind nicht so metallic. Wir sind eher so Poppy Metal», erklärt sie ihre Musikstilrichtung in einer weiteren Ansage. Fürwahr: Von Black Metal ist diese Band weit entfernt, dafür ist aber auch Black Metal weit entfernt von Setyøursails. Da, wo sie den Zuhörer nicht mit ihrer Musik abholen können, überzeugen sie mit Einfallsreichtum, was ihre Show anbelangt. Nebst dem, dass Sängerin und Bassist beinahe ununterbrochen über die Bühne rennen, besticht erstere durch Ansagen mit einer schmackhaften Mischung aus Selbstsicherheit und Selbstironie und letzterer begibt sich als besondere Stunteinlage während des Auftritts mitten in das Publikum, damit dieses Circlepits um ihn herumrennen kann.
Die Band, wie sie sich selbst, als poppigen Metal zu bezeichnen wäre zu kurz gegriffen. Nebst einer Fokussierung auf Metalcore sind Einflüsse aus dem Hardcore, vielleicht ein bisschen Crossover, eine Spur von was auch immer Electric Callboy machen und einer guten Prise Humor erkennbar. Der Hang zum Witzigen ist vor allem dann zu hören, wenn Growls von einem Hundespielzeug-Quietsch-Huhn stammen, das jemandem aus der ersten Reihe abgenommen wurde oder wenn zwei Kinder auf die Bühne geholt werden, die beim Song «Fckoff» den namensgebenden Refrain in ein Mikrofon schreien dürfen. Eine Wortkombination die selbstredend von den Heranwachsenden auf der Bühne «NICHT in der Schule» kundgetan werden soll.
Die Fotos Setyøursails
Mental Cruelty
Den Härtegrad erhöhend stapfen rund eine halbe Stunde nach Ende des Sets von Setyøursails Mental Cruelty auf die Bühne. Sofort ziehen sie das Publikum in ihren Bann, unter anderem durch die beeindruckenden Growls von Sänger Lukas Nicolai. Mit «This is a fucking metalshow» begrüsst er seine Zuschauer und trampelt, wie es sich im Hardcore etabliert hat, einem Brauereipferd ähnelnd über die Bühne. «Setyøursails hat ja sehr positive Musik gespielt», meint er weiter, «aber könnt ihr auch Hass?». Einige versuchen diese Frage mittels Moshpits zu beantworten, von Hass kann aber keine Rede sein. Offenbar ist dazu das Baden in Blut tatsächlich nicht in der Lage. Ansonsten würde wohl kaum jemand in weniger als zehn Sekunden durch zig helfende Hände wieder auf den Beinen stehen, wenn es ihn im wilden Gepogge umlegt.
Abgesehen von ihrer wütenden Musik schaffen es auch Mental Cruelty selbst nicht, den angepriesenen «Hass» konsequent durchzuziehen. So verfällt man schnell in ausschweifende Danksagungen an den Festivalorganisator und bittet das Publikum, «Lärm für die folgenden Bands» zu machen. Im Gegenzug dazu steht ihr brutaler Metal-Death-Slam-Hard-Core mit Texten, die Satan huldigen, was sicherlich nicht als all zu ernst zu verstehen ist, betrachtet man die sonstige Attitüde der Band: Für konsequenten Satanismus sind Mental Cruelty zu sympathisch.
Womöglich ist es genau dieser Kontrast von herzlichen Menschen und «böser Musik», der Events wie das Baden in Blut so ausgesprochen friedlich vonstatten gehen lässt. Alle aufgestaute Wut, Frustration und Enttäuschung, die das Leben so mit sich trägt, können innerhalb der lauten, wütenden Auftritte abgebaut werden, was Mitmenschen davon verschont, Opfer der negativen Gefühlen des Anderen zu werden.
Die Fotos Mental Cruelty
God Dethroned
Mit inkonsequentem Satanismus und Death Metal fahren God Dethroned fort. Ihre Musik ist düster und technisch einwandfrei gespielt. Trotzdem vermag sie das Publikum nicht sonderlich aus den Socken zu hauen. Dieses bleibt der Band interessiert zugewandt, die Moshpits haben aber im Vergleich zum vorherigen Act deutlich kleinere Durchmesser, wirken in vielen Momenten auch eher fehl am Platz. Die Rhythmen der Band sind, genretypisch, schnell und würden so prinzipiell zu Bewegung, insbesondere in den vorderen Reihen, aufrufen. Die generelle Aufmachung und Ausstrahlung von God Dethroned ist dann aber doch beinahe erdrückend düster. Eine Düsternis, die für die Länge eines Konzertes durchaus interessant sein kann, jedoch nicht zwingend dazu einlädt, mit vollem Karacho in eine Menschenmenge hineinzurennen. Allerdings gibt es auch Ausreisser von der Dunkelheit. So sei das Lied «Sigma Enigma» gemacht. um dazu zu tanzen, so zumindest Fronter Henri «T.S.K» Sattler. Tanzen scheint hier ein weitgedehnter Begriff zu sein, aber um «SIGMA… ENIGMA» mitzugrölen, lädt der Song allemal ein.
Die Fotos God Dethroned
Black Mirrors
Vielleicht ist es ein Zufall, vielleicht ein Garant für einfallsreiche Musik, die zu gefallen mag: Mit Black Mirrors steht, nebst Brutus, die zweite belgische Band des Festivals auf der Bühne, die ebenfalls nicht so recht zum restlichen Line-up passt, aber sich durch eine kreative, durchdachte Darbietung diesen Platz mehr als verdient. Black Mirrors spielen eine interessante Mischung aus Blues und Hardrock, prisenweise gesalzen mit einer Spur Heavy Metal, ähnlich aber nicht identisch mit Queens of the Stone Age. Ebenfalls dieser Band ähnelnd wird auch hier kaum eine Möglichkeit ausgelassen, das Publikum zum «Ooooh oooh»-Singen aufzufordern. Trotz eingeschränkter Möglichkeiten in der verbalen Kommunikation durch eine Deutsch/Englisch/Französisch-Sprachbarriere gelingt dies Sängerin Marcella Di Toira ziemlich gut. Das soll nicht das Einzige sein, was ihr gelingt. Ihre Stimme scheint wie geschaffen für Blues und noch viel mehr zu sein. So trifft sie problemlos auch schwierigere, gedehnte Töne, ohne gesanglich auszurutschen. Mit der Konzert-Plattitüde «We love you germany» verlässt sie am Ende gemeinsam mit der restlichen Band die Bühne und hinterlässt ein Publikum, welches sie für den Auftritt dankend zurückliebt.
Die Fotos Black Mirrors
Hate
Nachdem Black Mirrors das Baden in Blut beinahe in eine Tanzveranstaltung verwandelt haben, soll es nun wieder härter zugehen. Davon zeugt bereits vor dem Auftritt von Hate, die – verglichen mit dem, was Acts sonst so auffahren – beinahe überdimensionale Dekoration ihrer Spielwiese, bestehend aus einer Unmenge an Totenköpfen, Kerzen und kleinen Feuerschalen. Ein Bühnenbild, in dem auch ein Joe-D’Amato-Film gedreht werden könnte. Sprich: Gruselig angehaucht aber von der Machart dann doch gekünstelt. Passend also für diesen darstellerischen Satanismus, wie er wieder einmal nach allen Regeln des popkulturellen Verständnisses für diese «Anti-Religion» gezeigt wird.
Weniger gekünstelt wirkt im Gegensatz die Musik. Gleich zu Beginn beweist dies Drummer Paweł “Pavulon” Jaroszewicz. Zu Playback zerhaut er sein riesiges Schlagzeug-Monstrum punktgenau zu dem, was ab Band kommt und hat somit die Zuschauer auf das Konzert bereits eingestimmt, als die restliche Band die Bühne betritt und mit eingängigem Death Metal loslegt. Unterbrochen werden sie nur von sich selbst, als zur Einleitung eines besonders epochalen Stückes ein an Filmmusik erinnerndes Interlude eingespielt wird. Am Ende schneiden sie sich damit leider ins eigene Fleisch, denn wenn der geneigte Baden-in-Blut-Besucher keine Livemusik zu hören bekommt, verliert er, so scheint es, rasch den Fokus auf die Bühne. Zum Glück ist das allgemeine Interesse, kaum ist der Hass wieder ausgebrochen, bald rekonstruiert und die Leute lassen sich gar zu einem «Hey hey hey» verleiten. Mit einem «Dankeschön» im polnischen Akzent verabschiedet sich am Ende Sänger Adam “ATF Sinner” Buszko stellvertretend für die Band beim Publikum, selbstredend growlend. Growlen scheint in seiner Rolle als Frontmann von Hate die bevorzugte Sprache zu sein.
Die Fotos Hate
Insomnium
Bereits während des Aufbaus ihres Equipments beweisen die Finnen von Insomnium spitzen skandinavischen Humor, treiben ihre Spässe mit denjenigen, die es schon vor die Bühne geschafft haben und fordern zu Publikumsinteraktion auf, was einigermassen auf Resonanz stösst, später beim eigentlichen Auftritt aber weniger Anklang findet. So wird mehrmals gefordert einen Moshpit zu öffnen. «Yesterday we played in Finland», erzählt Sänger und Bassist Nilo Sevänen. «Can Germany be better then Finland?», die Enttäuschung über das Ausbleiben von flächendeckenden Pits ist kaum zu verbergen. Das Anstiften zu Wettbewerbsverhalten im «besser» sein, erzeugt jedoch nicht den gewünschten Effekt. Dass in Finnland, selbst im Sommer und insbesondere an diesem Wochenende, andere Temperaturen herrschen, hier kein Heimvorteil besteht und ihr Melodic Death Metal keine klassische Mosh-Musik ist, scheint nicht berücksichtigt zu werden.
Doch die Zuschauer mögen vielleicht weniger daran interessiert sein, sich gegenseitig über den Haufen zu rennen, für das, was auf der Bühne dargeboten wird, interessieren sie sich dafür umso mehr und schütteln anerkennend ihre Häupter mehr oder weniger im Takt der Musik. Nur in den stillen Momenten, wenn die Musiker sang- und klanglos hinter der Bühne verschwinden, um Instrumente zu wechseln, geht die allgemeine Aufmerksamkeit verloren.
Eingesetzte Playbacks von atmosphärischen Streicher-Samples bilden angenehmerweise eine Spielwiese, auf die das restliche Instrumental aufbauen kann, rücken jedoch nicht in den Vordergrund. So bleibt mehr Raum für den Death Metal und weniger für das Symphonic, das, da nicht live gespielt, einen grösseren Platz im Mix nicht verdient hätte. Ein überzeugtes Publikum zurücklassend, verabschieden sich Insomnium zu akustischen Gitarrenklängen von der Bühne.
Die Fotos Insomnium
Zeal & Ardor
Ein Schweizer Metal-Fanzine wie Metalinside.CH freut sich natürlich besonders darüber, dass der Headliner des zweiten Festivalabends Landsmänner sind. Noch mehr freut es, dass diese die Rolle des Headliners deutlich besser vertreten als Paradise Lost am Vortag. Im Gegensatz zu diesen lassen sie die Starallüren zu Hause, fahren dafür mit ganz anderen Geschützen auf, die einem Headliner zustehen. So beginnt ihr Konzertintro bereits eine halbe Stunde vor Auftrittsbeginn. Dieses besteht aus einzelnen in ihrer Kombination bedrückend wirkenden Klavierklängen, begleitet von einer noch viel bedrückenderer Animation, die auf den Videoscreen projiziert wird. Diese zeigt ein einem gerupften Poulet nicht unähnlich sehendes, fleischiges Etwas, das in einem Dauerloop einen zu den eingespielten Klängen unpassenden Tanz aufführt, der unter anderem aus Twerk-Einlagen besteht (?). Es ist wie ein Unfall, bei dem man nicht wegsehen kann. Einspieler aus einem Gore-Film wären weniger beängstigend.
Umso grösser die Freude als diese abscheuliche Kreatur vom Bildschirm weicht und die Bühne für Zeal & Ardor freigibt. Ein Musikprojekt, das sich in seiner Stilrichtung deutlich vom restlichen Line-up unterscheidet. Das Baden in Blut 2024 scheint die Tore für weniger konventionelle Metal-Musik weit geöffnet zu haben. Eine Massnahme, die von den Besuchern, sicher auch in folgenden Jahren, weiterhin zustimmend angenommen werden wird, solange nicht plötzlich Helene Fischer auf der Bühne steht. Davon ist man jedoch noch weit entfernt. Das beweisen nicht nur Zeal & Ardor, die sich meilenweit von auf Erfolg getrimmtem Popschlager entfernt befinden, mit ihrem progressiven Mix aus Gospel, Metal und selbst Elementen aus der elektronischen Musik, dem Sprechgesang, sowie vielen weiteren Grüssen an andere Genres.
Das volle Konzertgelände beweist erneut, dass der Elitarismus innerhalb der Metalszene immer mehr zu einem unliebsamen Teil der Vergangenheit verkommt und die Akzeptanz für neu Gedachtes steigt. Visuell untermalt das Musikprojekt seinen Auftritt nicht nur mit tanzenden Fleischerzeugnissen. Allein dass, abgesehen vom Schlagzeuger, alle Sänger und Instrumentalisten in einer Reihe am Bühnenrand stehen, hat Wiedererkennungswert und erinnert an einen ebenfalls geradlinigen aufgereihten Gospelchor, was zur Musik nicht unpassend wäre. Auf ein Backdrop wird verzichtet. Stattdessen ziert ein aus Metall geschmiedetes Zeal & Ardor-Logo die Szenerie. Das Lichtdesign ist der Ausdruckskraft der Songs dienlich und auf diese abgestimmt.
Einzig die Moderationen zwischen den Liedern von Initiant Manuel Gagneux wirken unsicher und stören gar an einigen Stellen die auf die emotionale Tragkraft der Songs angepasste Setlist. Diese vereinzelten Störungen reichen jedoch nicht aus, um den Auftritt im Allgemeinen zu schwächen und nachdem Zeal & Ardor die letzte Zugabe gespielt haben, haben sie sicherlich einige Fans dazugewonnen. So endet das Baden in Blut 2024, völlig ausgeschöpft an Konsumgütern, mit zufriedenen Besuchern und arbeitenden Lebern.
Die Fotos Zeal & Ardor
Das Fanzit – Baden in Blut 2024 Tag 2 und generell
Ziemlich genau eine Stunde nachdem der letzte Ton der letzten Band verklungen ist, setzt der Regen ein. Wettermacher Petrus war an diesem Tag ein Metalhead. Vielleicht war er auch einfach nur erfreut über die vielen umgedrehten Kreuze (an dieser Stelle empfiehlt es sich für den «diabolische Kreuz-Enthusiasten» mal «Petruskreuz» zu googeln). Auf jeden Fall war er Feuer und Flamme, was sich besonders auf dem Thermometer zeigte. Mag sein, dass einige Grad weniger da und dort mehr Bewegung in das Publikum gebracht hätten. Generell war man sich aber einig, dass eine Gartenschlauchdusche zur Hitzebewältigung allemal angenehmer war als ein bei Starkregen resigniertes Bad im Schlamm, im Sinne von «jetzt ist alles egal».
Die Durchführung des Baden in Blut 2024 verlief einwandfrei. Durch eine neue Konzeptionierung des Geländes konnte die lange Schlange vor der Bändchenausgabe vom Vorjahr verhindert werden. Klar, bezogen auf die Organisation können die Veranstalter nicht mit den grossen profitorientierten und professionell geplanten Festivals mithalten. Denn diese übertrifft das Baden in Blut Festival ohne Frage. Wenn ich schon nur an das Debakel vom im selben Jahr stattgefundenem Rock im Park denke…
Und dann wären da natürlich noch die Besucher selbst
Immer mal wieder ist von der Forderung zu hören, «Safe Spaces» zu schaffen. Ein Ort an dem sich Menschen, meist Angehörige einer marginalisierten Gruppe, geschützt vor Diskriminierung oder sogar komplett «befreit» von der Konfrontation mit Nicht-Betroffenen aufhalten können. Solche Orte werden beispielsweise durch Tanzveranstaltungen für geistig und körperlich eingeschränkte Menschen geschaffen. In der Theorie finden die meisten dieser Discos öffentlich statt und sind somit für alle Interessierten geöffnet, unabhängig davon, ob diese behindert sind, am öffentlichen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
In der Praxis bleiben aber uneingeschränkte Menschen diesen Events grösstenteils fern, abgesehen von einer Handvoll Familienangehöriger des Zielpublikums. Diejenigen, für die diese «Safe Spaces» geschaffen werden, berichten davon, dass sie sich in diesen isoliert fühlen. Der Eindruck, «nicht dazuzugehören», nur unter bestimmten Bedingungen Teil einer Gesellschaft sein zu können, ist Alltag für diese Personen. Ein Raum, in dem sie sich in eine Gruppe integrieren können, allerdings nur weil dieser extra dafür geschaffen wurde, hilft wenig gegen Gefühle des Ausschusses.
Im Zentrum des Baden in Blut steht klar die Musik. Gegründet wurde das Festival nicht primär für am Rand der Gesellschaft stehende Menschen, sondern für alle, die Metal lieben. Dabei ist es egal, welchem Geschlecht du angehörst, welche Haarfarbe du hast, wie alt du bist oder wie viele Beine und Chromosomen du hast. Bleibt wer mit seinem Rollstuhl im Dreck stecken, sind gleich ein Dutzend helfende Hände zur Stelle, um ihn daraus zu befreien. Sollten die Reize einer Lichtshow und das Geschrei auf der Bühne zeitweise reizüberflutend wirken, bietet ein mit Kissen und Perserteppichen ausgelegtes Zelt, in dem alkoholfreie Drinks und Wasserpfeifen angeboten werden, den passenden Rückzugsort. Besteht das Bedürfnis sich mit jemandem zu unterhalten, ist das Gelände mit aufgeschlossenen Metalheads gefüllt oder bietet der Informationsstand von Metality eine Anlaufstelle.
Das Baden in Blut ist ein Safespace, wie er sein sollte: keine Isolation und dennoch eine sichere Umgebung für jedermann, eine Utopie einer Welt ohne Diskriminierung und Vorurteilen. Vielleicht ist das der Grund, weshalb ausgerechnet an dieser Veranstaltung auffällig viele körperlich und geistig beeinträchtigte Menschen anzutreffen sind?