Never change a winning man-ride
Schweres Schuhwerk setzt mit einem dumpfen Klatschen auf dem Asphalt auf. Dort, wo früher auf leichten Sohlen, ja gar barfuss der sportlichen Leidenschaft gefrönt wurde, hat sich ein Schatten eingenistet. Die Schule ist schon lange aus und der Turnplatz oberhalb Zweisimmen zeigt sein neues Gesicht, denn die harten Gitarrenklänge sind eingezogen. Es ist Zeit für das Mannried Open Air 2024.
Raphi: Das Mannried Open Air hat es nicht umsonst in unseren Artikel mit Festival-Empfehlungen geschafft. Mit viel Begeisterung organisiert und lokal verankert, konnte es sich eine grosse Gemeinschaft an Stammgästen erarbeiten. Auch Metalinside war für euch bereits mehrere Male vor Ort, um über das Geschehen zu berichten und das Resümee war stets positiv. Das ist mit ein Grund, weshalb sich dieses Jahr Friedemann entschieden hat, mitzukommen und den Text mit Bildern zu ergänzen. Ihr könnt euch also auf ganz viele schöne fotografische Eindrücke freuen. Am Samstag wird zudem unser Obermetalinsider Pam anreisen und sich einen Eindruck über die Veranstaltung verschaffen, nachdem wir bereits vor zwei Jahren miteinander vereinbart hatten, dass wir das Festival mal gemeinsam besuchen.
pam: Ja, das mit diesen Papiernastüchern… Einmal mehr hatte ich auf einem solchen unterschrieben, dass ich meine persönliche Premiere an einem Festival zusammen mit Raphi und anderen Metalinsidern feiern werde (und vor zwei Jahren hatte ich es auch vor Augen und Ohren von Raphi dem Festival-Capo Sändu versprochen, beim nächsten M:O:A vorbei zu schauen…). Bekanntlich nehm ich mir gleichzeitig jedes Jahr vor, im nächsten Jahr weniger Festivals zu besuchen, weil der Sommer so einfach immer komplett verplant ist. Und genau so sicher wie das Amen in der Kirche oder der Stolperer über den Tigerkopf (oder ist es ein Bär?) beim jährlichen «Dinner for One» schaff ich das nicht. Im Gegenteil, es werden in der Tendenz immer mehr. Dazu kommt, dass ich mir am Power Trip Festival im Coachella Valley im letzten Jahr geschworen hatte, wenn AC/DC auf Tour kommen, so viele Konzerte von ihnen wie nur möglich live zu erleben. Es sollten diesen Sommer sieben sein; in sieben verschiedenen Städten in sechs verschiedenen Ländern. Somit wäre der Sommer also wie gewohnt zugepflastert mit Konzerten und Festivals – unter anderem auch meine Premiere am Rockstadt Extreme Fest in Transsilvanien (Rumänien).
Da kommt man schon in Versuchung, das mit der Mannried-Open-Air-Premiere auf nächstes Jahr zu verschieben – nicht zuletzt, weil die diesjährige Ausgabe jetzt nicht grad mein bevorzugtes Line-up bietet. Doch Raphi ist da gnadenlos und erinnert mich an mein Pflichtbewusstsein sowie die auf dem Nastuch verewigte Zusage. Ich kann mir zumindest ausbedingen, dass ich den Freitag auslasse und mich auf den Samstagabend fokussiere. Danke Raphi für die Gnade deinerseits.
Und was ich dann am Mannried Open Air erlebe, ist schon sehr, sehr cool. Ich wusste, es ist eher überschaubar, aber dass das «Gelände» so klein ist – zwischen Bühne und Zelt mit Bar sind es kaum 10 Meter – hätte ich jetzt doch nicht erwartet. Gut, aufmerksame Leser werden sich fragen, wieso weiss der das schon, weil er ist ja noch gar nicht da. Es ist schliesslich noch nicht Samstag. Da hat er/sie natürlich recht. Doch in einem Introtext darf man auch immer ein bisschen spoilern.
Jetzt aber zurück an Raphi, weil der ist ja bereits dort.
Mannried Open Air 2024 – Tag 1 (Freitag, 9. August)
Raphi: Nach einer schweisstreibenden Fahrt durch das Simmental, bei der wir gleich noch Nice To Eat You begegnen, die mit einer Autopanne zu kämpfen haben, kommt unser kleiner Konvoi unterhalb der Burg Mannried an. Bereits bei der Einfahrt zum Campingplatz bestätigt sich die Vermutung, dass viele der Festivalgänger aus den vergangenen Jahren wieder anwesend sind. Hoffen wir, dass wir trotzdem ein Plätzchen kriegen und nicht alles schon belegt ist. Denn obwohl wir erst heute anreisen, hat das Mannried Open Air 2024 bereits seit längerem begonnen. Am gestrigen Donnerstag war nämlich bereits Betrieb hier oben und der Abend wie üblich der Schweizer Volksmusik gewidmet. Die drei Formationen, bei denen das Schwyzerörgeli im Zentrum steht, haben den Erzählungen nach für gute Stimmung gesorgt. Obwohl wir für den Metal hier sind, finde ich es nach wie vor eine schöne Idee, mit einem Warm-up der anderen Art auch Leute aus der Umgebung abzuholen, die mit verzerrten Gitarren wenig anfangen können. Doch genug der Vorrede jetzt, die erste Band wartet schon auf uns.
Nice To Eat You
Der harte Teil des diesjährigen Mannried Open Airs beginnt mit alten Bekannten. Wobei so alt sind die nun auch wieder nicht, graue Haare liegen jedenfalls noch weit in der Zukunft. Die Rede ist von Nice To Eat You. Meine Erinnerungen an das letzte Zusammentreffen am Mettlerfield 2023 (hier nachzulesen) sind nach wie vor frisch, die Erwartungen dementsprechend hoch. Denn das Quintett aus dem Emmental hat damals einen erfrischenden Gig gespielt, der nun logischerweise als Referenz dient für das, was sie uns heute zu bieten haben. Sympathiepunkte holen die Jungs mit ihrer bodenständigen Art sowieso ab, jetzt muss nur noch die musikalische Leistung stimmen.
Und die… tut es! Die Band serviert ihren Metalcore ja bekanntlich mit einigen aussergewöhnlichen Zutaten (auch bekannt als Violineneinsätze). Dass dabei kein Fast Food entsteht, verwundert bei diesen Köchen nicht. Allesamt zeigen sie ein Händchen für die Zubereitung ihrer Kunst. Die Menükarte ääh Setliste hält zudem einige Empfehlungen des Hauses bereit. „Final Crescendö“ gehört beispielsweise dazu, genauso wie „The Vöid“ und wer sich jetzt über die komischen ö-Pünktchen wundert: Die stehen genau so auf der Setliste. Da hat wohl jemand seinen inneren evil Umläuten freien Lauf gelassen. Die stehen darüber hinaus bei einem neuen Song auf besagter Liste. „Löst in Time“ nennt er sich und Sänger Sämu lässt uns wissen, wie stolz er auf die Band ist, dass sie es geschafft haben, diesen aufzunehmen. Als wir ihn zu hören kriegen, wird bald klar weshalb er das gesagt hat. Der Song ist nämlich anspruchsvoll zu spielen. Weil er dabei trotzdem nachvollziehbar bleibt für die Zuhörer, behaupte ich, dass es sich um einen der besten Songs handelt, die Nice To Eat You im Repertoire haben.
Heute ist es definitiv der Beste, weshalb ich die Band spontan umtaufe auf den neuen Namen Even Nicer Tö Eat Yöu. Zeit länger darüber nachzudenken, bleibt keine, da wirft Drummer Dasu bereits sein Markenzeichen, den pink glitzernden Hut, ins in angenehmer Anzahl anwesende Publikum. Flugs hat er bereits ein zweites Exemplar auf dem Kopf, dieses Mal in Miniausführung. Doch auch das hält es nicht lange bei seinem Besitzer. Der lässt sich natürlich nicht lumpen, irgendetwas pinkes muss gefälligst sein. Also rasch das T-Shirt ausgezogen und schon sitzt er breit grinsend bekleidet mit einem pinken BH, der wunderbar zu den Farbakzenten auf den diesjährigen Helfershirts passt, hinter dem Schlagzeug. Die Anwesenden würdigen die Aktion mit Gelächter sowie die Musik mit Bewegung. Viele nickende Köpfe sind um mich herum auszumachen und zweimal kriegt es das Quintett sogar hin, dass es trotz warmer Temperaturen zu Sprungeinlagen kommt bei den Fans. Am Ende sind also alle zufrieden: Zuhörer und Zuhörerinnen, Band und ich sowieso.
Dass der Magen im Anschluss an das einstündige Konzert knurrt, kann ja wohl kein Zufall sein. Schauen wir also mal nach, was das Essensangebot bereithält. Das Angebot ist gegenüber den letzten Jahren genauso unverändert geblieben, wie die fairen Preise. Der Kartoffelsalat ist immer noch hausgemacht und die diversen Spezialmenüs für Insider (beispielsweise das Schtiik Schpezial) sind bei der Nennung der entsprechenden Codenamen erhältlich wie gehabt. Die Konstanz wird von den vielen Stammgästen geschätzt, was den Verpflegungsbetrieb dementsprechend brummen lässt. Never change a winning team, möchte man sagen. Trotzdem sind lange Wartezeiten ein Fremdwort und die Küchencrew arbeitet auch im Vollbetrieb mit einem freundlichen Spruch auf den Lippen. Derart gestärkt, sind wir nun bereit für den nächsten Programmpunkt.
Die Fotos Nice To Eat You
Unchain
Im Gegensatz zu Nice To Eat You sind Unchain ein unbeschriebenes Blatt für mich. Melodiöser Rock, der mit einem Auge in Richtung Radio schielt, dezent ergänzt um einen leichten Blues-Einschlag, ist angesagt. Die Truppe spielt auf der für ihren Auftritt teppichbestückten Bühne eine Mischung aus Covers und eigenen Songs. Das tut sie nicht einfach nur so, nein, sämtliche Bandmitglieder sind dabei äusserst gut gelaunt.
Sänger Tom setzt dem ganzen als offensichtlich geborener Frontmann die Krone auf. Was der Kerl an guter Stimmung versprüht, würde locker für alle fünf Mitglieder zusammen reichen. Sei es bei den Ansagen zu den Songs, wenn er das Publikum um Hilfe beim Anzählen bittet oder als er gemeinsam mit Bassist Oesch eine grosse Ladung Shots ans Publikum verteilt. Sie würden besser spielen und Gitarrist Mike besser aussehen, je voller die Leute seien. Die ganze Aktion ist lustig aufgezogen, dauert allerdings einen kleinen Tick zu lang, bevor sie in ein Mitsingspielchen übergeht. Doch das sehen wir der sympathischen Band nach.
Unterstützt von mehreren kleinen Pyroeinsätzen und Dampfsäulen bieten Unchain mit ihrer häufigen Publikumsinteraktion nämlich beste Unterhaltung. Die setzen sie auf ein Fundament aus total sauber gespielter Musik inklusive einiger cooler Gitarrensoli. Die Stunde vergeht wie im Flug, da wird nach „Sabrina“ bereits der letzte Song angesagt. Es ist „Rockin’ in the Free World“, bei dem sich Tom zum Schluss auf den Turnplatz hinunter begibt, um ein Festbank oder ein Podest – so genau kann ich das durch die Leute nicht erkennen – zu erklimmen und das Stück von dort aus zu Ende zu singen. Zusammengefasst ein toller Auftritt, für den sich ein bestimmtes Wort beinahe aufdrängt: vergnügt.
Die Fotos Unchain
Sideburn
Mit Sideburn geht es weiter. Nach der üblichen Dreiviertelstunde natürlich, die hier am Mannried Open Air zwischen den Bands jeweils eingeplant ist. Die Waadtländer bringen eine knackige Mischung aus Rock ’n‘ Roll und Hardrock mit. Klassisches Bluesschema in den Akkorden, warme Gitarren und eine Stimme mit Schneid: Da halten doch gleich Coolness und lockere Laune Einzug. Jetzt braucht es zu einem fulminanten Auftritt nur noch Hits, die sich in die Gehörgänge graben. „Live to Rock“, „Crocodile“ oder „Voodoo Girl“ bieten da Abhilfe und eigentlich bräuchte es das Rose Tattoo-Cover, das sie ebenfalls zum Besten geben, da gar nicht mehr.
Der eine oder andere Mundharmonika-Einsatz sorgt für musikalische Farbtupfer, während die englischsprachigen Ansagen nach Rockshow schreien. Die Band spielt die Songs mit Verve, lässt dabei allerdings die Präzision nicht vermissen, was bei einer Erfahrung von 27 Jahren nicht verwundert. So ungefähr nach 50 Minuten verlieren Sideburn dann aber nach und nach etwas die Aufmerksamkeit des Publikums. Die Leute scheinen nicht mehr gleich fokussiert zu sein, wie zu Beginn des Auftritts. Vielleicht liegt das daran, dass sich die musikalische Ausrichtung ein einem relativ engen Rahmen bewegt. Gerade hinsichtlich der Harmonien sind die Möglichkeiten im Hardrock halt durchaus überschaubar. Dennoch versuchen sich Sideburn an einem kleinen Zugabespielchen, um sich schliesslich nach eineinviertel Stunden, also 15 Minuten früher als auf der Running Order angegeben, bei allen Anwesenden zu bedanken, bevor sie sich von der Bühne verabschieden und einen verdienen Applaus erhalten.
Die Fotos Sideburn
Bonded
Von der Romandie nach Deutschland: Bonded kommen aus dem Ruhrgebiet und wofür ist das Ruhrgebiet bekannt? Für Thrash Metal natürlich. Genau den hat uns die Band um Ex-Sodom-Gitarrist Bernemann mitgebracht, was die perfekte Ergänzung des heutigen musikalischen Programms bedeutet. Denn frei nach unserem Obermetalinsider Pam: Etwas Thrash Metal geht doch eigentlich immer (pam: Was noch immerer geht, ist viel Thrash Metal). Das denken sich auch die vorderen Reihen auf dem Turnplatz, in denen jetzt viele Headbanger auszumachen sind. Zu Beginn bin ich noch etwas zurückhaltend, sind die ersten Songs doch eher unspektakulärer Natur.
Doch Bonded belehren mich mit einem gut aufgebauten Set eines Besseren. Im wahrsten Sinne Stück für Stück spielen sie sich auf der Qualitätsleiter durch ihren Songkatalog. „The Rattle & the Snake“, als Ballade angekündigt, als normaler Song gespielt, legt schon mal gut vor. In der Mitte des Sets sticht dann besonders „Galaxy M87“ hervor, das Bock auf mehr macht. Bald darauf folgt „Rest in Violence“, bei dessen Studioaufnahme der Grossteil des Gesangs von Bobby Blitz als Gast beigesteuert wurde, wie uns Sänger Manu vorab erläutert. Mitten während des Songs beugt er sich anschliessend zu Bernemann hinüber, um zu fragen, ob es mit Bobby besser tönen würde, woraufhin jener nur grinst und ihm die Antwort schuldig bleibt.
Überhaupt punktet Manu mit Charme und einer ehrlichen Freude, welche sich beide in seinen Ansagen niederschlagen. Diese brauchen ob ihrer Ungeschliffenheit zwar etwas Aufwärmzeit, zeigen sich dann aber von einer charmanten Bodenständigkeit. So etwa, als die Band ob zwei Fussballtrikots in der ersten Reihe plötzlich in eine Diskussion über irgendwelche Mannschaften abdriftet, bis Manu das Ganze beendet mit: „Die Schweizer schlafen noch ein, während wir hier über deutsche Fussballvereine quatschen…“ Ganz so schlimm ist es schon nicht, die gute Chemie auf der Bühne zu sehen ist ja auch schön. Aber ich denke, ich kann für alle sprechen, wenn ich sage, dass wir froh sind, als es mit Thrash Metal weitergeht. Den bieten „Into the Blackness“ und nach dem altbekannten Zugaberitus „City of God“ als Höhepunkte des neunzigminütigen Auftritts.
Im Anschluss bittet die Band darum, ein Foto mit uns machen zu dürfen, da sie nicht so oft in der Schweiz spielen würde und deshalb dieses besondere Ereignis gerne festhalten möchten. Derart eingebettet bekommt diese mittlerweile oftmals zur reinen Routine verkommene Sache eine ganz andere Grundstimmung, weshalb alle gern mitmachen, um anschliessend Bonded gebührend mit viel Lärm zu verabschieden.
Die Fotos Bonded
Stone Hail
Es ist schon weit nach Mitternacht, als Stone Hail dann ansetzen, den Tag zu beschliessen. Dazu haben sie Groove Metal im Gepäck, den sie selbst als eine Mischung aus Hardcore und Thrash Metal beschreiben. Das trifft es eigentlich ebenfalls ganz gut, nur bringen sie wirklich eine ganze Menge Groove mit. Mit diesem holen sie nochmals einiges aus denjenigen Leuten, die noch da sind. Ganz so viele wie zuvor sind das nicht mehr, doch das tut dem Spass keinen Abbruch (wenngleich das Publikum insgesamt gesehen in anderen Jahren schon wilder war als heute).
Stone Hail überzeugen mit spannenden Kompositionen und zeigen sich innerhalb ihres Genres abwechslungsreich. „Give a shit about it“ bietet sich zur Hervorhebung an, doch insbesondere „Timebomb“ – mit einer Entlehnung aus „Johnny I hardly knew ye“ im Solo – zeigt schön, welche Facetten die Band besitzt. So kommen hier beispielsweise auch die immer wieder eingesetzten Stimmeffekte zum Zuge, die mal mit Effektpedal, mal mit Megafon umgesetzt werden. Zu diesen passt als Tüpfelchen auf dem i das Old-School-Mikrofon, mit welchem der Sänger seine Arbeit verrichtet, perfekt. Mit einem im positiven Sinn routinierten Auftreten machen Stone Hail den Sack zu, sodass ich sagen kann: Eine coole Neuentdeckung sowie ein schöner Abschluss des heutigen Festivaltages.
Wer will vergnügt sich noch an der Bar, doch ich bevorzuge nun eine Runde Schlaf auf dem Campingplatz. Schliesslich möchte ich morgen wieder fit sein für Runde zwei.
Die Fotos Stone Hail
Mannried Open Air 2024 – Tag 2 (Samstag, 10. August)
Nach einer wunderbar kühlen Nacht erwache ich zu einer vernünftigen Zeit und wundere mich, wie ruhig es hier auf dem Campingbereich ist. Selbst als es bereits gegen Mittag zugeht, sind nur vereinzelte Gespräche in Zimmerlautstärke auszumachen. Mobile Lautsprecherboxen, die angetrieben von dröhnenden Aggregaten die Besucherinnen und Besucher auf dem ganzen Platz ungewollt mit Musik beschallen, sucht man hier zum Glück vergebens. So bin ich gut ausgeruht und dank reichhaltigem Frühstück gestärkt bereit für die heutigen acht Bands. Hoffentlich werden die wieder so gut abgemischt werden wie gestern. Der bei allen Bands sehr angenehme Mix verdient nämlich ein Lob. Also nichts wie los hoch zum Turnplatz, wo als Opener Baff Bones auf dem Programm stehen.
pam: Ich hab auch gut geschlafen 😉. Erhole mich immer noch von 10 intensivsten Tagen in Rumänien und dem gleich anschliessenden Amon Amarth-Konzert in Zürich. Das Wetter könnte besser nicht sein, sodass ich wie geplant mit meinem treuen Gefährten Geronimo (meiner Chief Vintage Indian) schon bald mit etwas Umwegen in das Simmental im Berner Oberland reite. Bis wir ankommen, lassen wir Raphi gerne weiter berichten.
Baff Bones (Schülerband)
Raphi: Wenn eine Gruppe auf der offiziellen Running Order mit dem Zusatz „Schülerband“ versehen ist, weckt das durchaus die Neugier. Was uns hier wohl erwartet? Die Protagonisten sind gemäss Informationen aus dem Internet auf jeden Fall alle zwischen elf und fünfzehn Jahre alt, was definitiv auf Nachwuchsförderung schliessen lässt. Die Notenständer auf der Bühne passen da ins Bild, ohne aufzufallen, während eine selbst gebastelte Kartontafel am Bühnenrand mit dem Bandlogo sowie Fotos aller Protagonisten drauf das Backdrop ersetzt.
Tatsächlich betreten schliesslich fünf jugendliche Gitarristen und ein ebenso junger Drummer begleitet von ihrem Musiklehrer die Bühne. Letzterer vertritt den eigentlichen Bassisten, weil der sich die Hand gebrochen hat. Ohne grosses Trara starten sie mit einer instrumentalen Version des AC/DC-Klassikers „T.N.T.“ in ein Set aus Coverversionen diverser Hits aus dem Bereich der härteren Gitarrenmusik. Einer der Jungs, den die erwähnte Kartontafel als Matteo ausweist, übernimmt beim einen oder anderen Song den Gesang während beispielsweise „Final Countdown“ in einer vokallosen Version präsentiert wird.
Die sechs jungen Herren machen ihre Sache gut und posieren trotz der offensichtlich vorhandenen Nervosität mit einer gehörigen Portion Coolness. Ganz zum Schluss kommt einer von ihnen nach vorne, um die Band vorzustellen. Dass er seine Ansage mit dem Hinweis beginnt, dass dies soeben das letzte Stück gewesen sei, führt natürlich Rufen nach mehr, woraufhin er sich selbst unterbricht und mit einem freudigen Strahlen zurück zur Gitarre huscht, um gemeinsam mit den anderen nochmals einen bereits gespielten Song zum Besten zu geben.
Nachdem dieser Vorgang nochmals eins zu eins wiederholt wird, kommt er beim dritten Versuch dann doch noch dazu, seine Ansage komplett vorzutragen. Anschliessend lässt es sich das Septett nicht nehmen, eine dritte Zugabe zu spielen und wie die Grossen überziehen sie ihre halbe Stunde um knapp eine Viertelstunde. Schön, dass das Mannried Open Air dem Nachwuchs eine Bühne bietet und wir sind jetzt prima aufgewärmt für die folgende Band.
Die Fotos Baff Bones
Declass
Declass übernehmen als nächstes und wie bei Baff Bones zuvor, haben wir es hier mit einer Band zu tun, auf die das Adjektiv jung zutrifft. Bei Declass bezieht sich das allerdings primär auf das Gründungsjahr 2021. Hardcore made in Zollikofen lautet die Devise – und ab dafür. An den Gitarren sind mit zwei Mitgliedern der später noch auftretenden HAK sogleich bekannte Gesichter auszumachen. Der Sound, den sie hier spielen, ist ebenfalls nicht von schlechten Eltern und bezüglich Auftrittsenergie muss dem Quintett auch niemand etwas vormachen. Da ist es schon etwas schade, dass die Bassdrum sehr stark knallt in der Abmischung. Ganz auf dem gewohnten Mannried-Niveau sind wir also noch nicht, was den Klang angeht. Das stört Declass aber nicht, die freuen sich im Gegenteil sehr über den Besucheraufmarsch, der für diese Zeit tatsächlich ansprechend ist. Oder sollte ich besser sagen, für diese Temperaturen?
Es ist nämlich heiss geworden, sodass es nicht lange dauert, bis der Sänger ohne Oberbekleidung dasteht und sich das Publikum nach vorne zur Bühne drängt. Nein, nicht wegen der wärmebedingten Stripteaseinlage des Frontmanns, sondern schlicht und einfach weil hier vorne noch ein Streifen Schatten zu finden ist, in dem es sich gut zuhören, mitmachen und applaudieren lässt. Eine gute halbe Stunde lang vermag mich die Musik zu begeistern, danach wünschte ich mir etwas mehr kompositorische Abwechslung. Declass haben trotzdem ein Zeichen gesetzt, als sie nach einer Stunde schliesslich ihren Auftritt beenden: An Spielfreude hat es nicht gemangelt und Hardcore-Liebhaber sollten sich die Band einmal genauer anschauen.
Die Fotos Declass
SorePoint
Wir wechseln nun den Kanton und damit auch gleich das Genre. Alternative Metal aus dem Aargau steht auf dem Programm und dafür verantwortlich zeichnen SorePoint. Als ich in den Tagen vor dem Festival in die mir unbekannten Bands reingehört habe, ist mir der Sound von SorePoint nur beschränkt aufgefallen. Nun steht da eine Band auf der Bühne, die ganz anders daherkommt. Es ist selbstverständlich derselbe Sound, den sie hier spielen, wie er auf ihren Aufnahmen zu finden ist. Doch was die starke Präsenz der Saitenfraktion, das zackige Drumming von Alex und die kraftvolle Stimme von Sängerin Manuela live daraus machen, hebt die Musik auf ein ganz anderes Level.
Das Quintett hat uns ein variantenreiches Programm zusammengestellt, in dem sich „I want everything“ und „There you are“ als Höhepunkte zeigen. Die ganze Truppe posiert und bewegt sich dabei unermüdlich, dass es eine Freude ist, ihr zuzusehen. Bei derartigem Hin und Her kann es schon mal zu einer kleinen Kollision kommen, wie Sängerin und Bassist am eigenen Leib erfahren müssen. Passiert ist aber nichts, ausser dass beide sich ein Schmunzeln nicht verkneifen können. Wir haben es hier also definitiv mit einer erfahrenen Band zu tun. Ein Umstand, der sich auch bei den Ansagen zeigt, die professionell und dennoch herzlich wirken. Alles in allem eine gelungene Stunde, die wieder einmal zeigt, dass Studioaufnahmen und Konzerte einfach zwei Paar Schuhe sind.
Die Fotos SorePoint
Deep Sun
Mit Deep Sun, der nächsten Gruppe auf der Running Order, hatte ich letztes Jahr am Rock the Lakes das Vergnügen. Damals standen der Band nur gerade 25 Minuten zur Verfügung, um zu zeigen, was sie auf dem Kasten hat. Da dies so einiges ist, bin ich froh, dass das Mannried Open Air 2024 den Aargauer Symphonic Metallern mit einer ganzen Stunde ungleich mehr Zeit bietet. Wollen wir also hoffen, dass Deep Sun sie zu nutzen wissen.
Mit dem aufbauenden Intro „Prologue“ gehts los, bevor „Dreammaster“ als erstes „richtiges“ Stück zum Handkuss kommt. Ziemlich schnell stellen sich zwei Dinge als erwähnenswert heraus. Erstens, dass das Keyboard nicht vom Band kommt, sondern live gespielt wird. Das ist bei Deep Sun natürlich Standard, bei vielen Bands allerdings nicht, weshalb sich Tom Hiebaum hier eine Ehrennennung abholen darf. Zweitens fällt auf, dass leider genau besagtes Keyboard im Mix um einiges zu weit hinten platziert ist. In unserer Truppe gehen die Meinungen über die generelle Qualität der Abmischung während des Konzerts auseinander: Hier vorne in der ersten bis zweiten Reihe und mit Ohrenstöpseln ausgerüstet ist sie hörbar, wenn auch nicht berauschend, während ein Dutzend Meter weiter hinten ohne Gehörschutz anscheinend kaum etwas anderes als Schlagzeug und Stimme zu hören sind. Nun denn, da habe ich ja den richtigen Platz gewählt. Hier vorne wäre dabei durchaus Platz für mehr, denn Deep Sun haben den undankbaren Kein-Schatten-Slot erwischt, den es auf dem Turnplatz natürlicherweise gibt.
So stehen neben der Handvoll Frontmänner und -frauen nur wenige weitere Leute im Schatten der warmen Zelte. Doch wer da ist, lässt sich vom vielschichtigen Symphonic Metal begeistern. Sei es „Behind the Shades“, das inspiriert ist vom Film Inception und sich progressiv über verschiedene ineinander verschachtelte Ebenen entwickelt, oder Deep Suns Interpretation eines James-Bond-Songs namens „Killer in a Dream“, dessen Basslauf sofort Bilder eines künstlerisch aufgemachten Vorspanns vor dem inneren Auge vorbeiflimmern lässt. Die Begeisterung für das Songmaterial bringt auch der Herr neben mir zum Ausdruck, indem er immer wieder lautstark verkündet, dass wir es hier mit der „besten Band am ganzen Mannried“ zu tun haben und sie alle „geili Sieche und e geil Siechin“ seien.
Dass es ihm absolut ernst damit ist, zeigen seine nur hier vorne sichtbaren nassen Augen während der emotionaleren Stellen. Die gibt es ebenfalls in „Flight of the Phoenix“. Der Song werde bald in einer aktualisierten Version veröffentlicht, lässt uns Sängerin Debora wissen. Heute sei deshalb das letzte Mal, dass sie ihn in seiner ursprünglichen Fassung spielen würden. Für einmal also eine Live-Dernière anstelle einer Premiere. Die geniessen wir doch sehr gerne und erfreuen uns neben allem anderen vor allem am spannenden Schlagzeugspiel von Tobias Brutschi. „Euphoria“ respektive das folgende Outro beendet schliesslich den Auftritt von Deep Sun, der mit hochklassigen Kompositionen gepunktet hat.
Da werden es Magma Ocean schwer haben im Anschluss, doch bevor die an der Reihe sind, laufe ich rasch zum Campingplatz hinunter, um Pam, der soeben angekommen ist, in Empfang zu nehmen.
Die Fotos Deep Sun
pam: Danke Raphi fürs Empfangen. Der Camping-Platz wirkt wie alles hier sehr gemütlich und überschaubar. Es fängt bereits an, als ich mit Geronimo angeritten kam. Und zäg steht gleich jemand da und weist mir am Eingang ein Plätzchen für mein Horse made of Steel zu. Da steht schon ein anderes Rössli – angeschrieben mit «Harley Davidson». Wir fühlen uns willkommen. Und jetzt mal raus aus der manowar’schen Lederkluft in gekürzte Hosen.Wie bereits im Intro erwähnt, bin ich überrascht darüber, wie kompakt das «Konzertgelände» ist. Wobei Gelände schon übertrieben wirkt. Es ist ein kleiner Platz, der sehr kompakt mit Bühne, freier Fläche davor, Bar- und Essenszelt sowie ein, zwei Merchständen bestückt ist; inklusive dem Metal Factory Stand oder neu (Achtung Insider) dem «Roxx’ Shop». Ich schau später bei Roxx & Anne vorbei und gönn mir die eine oder andere CD sowie nach dem wohl für mich besten Konzert im 2024 am Rockstadt einen Patch von der entsprechenden Band Suicidal Tendencies.
Doch zurück zum Mannried Open Air. Irgendwie ist einfach alles sympathisch da. Das Publikum eher älter als anderswo und dementsprechend auch gemütlicher. Der Typ hinter der Bar schenkt mir das erste Bier, nachdem ich meine Freude über das Grimbergen Rouge im Offenausschank (ex-Bar Kater selig in Zürich lässt grüssen) – ok, etwas gar emotional – kundgetan hatte. Und dabei hatte ich mir nach der bierintensiven Zeit in Rumänien vorgenommen, heute auf Alkohol zu verzichten. Der nette Barmann meint, eines sei keines. Ja dann. Hab ich schon gesagt, dass ich labil wie ein Kamel bin? So oder so ist der «Willkommenstrunk» das i-Tüpfelchen auf der positiven Stimmung und den netten Leuten noch und noch. Nicht nur einmal erinnert mich das an das legendäre Rüchä Rock im Schächental. Wär cool, wenn das dort auch wieder mal stattfindet…
Kaum laut gedacht, weiss mein Metalinside-Lexikon – Raphi – dass es im nächsten Jahr am 12. und 13. September wieder stattfinden wird. Wow, sehr geil… doch später kommt die Ernüchterung, es findet «nur» in Flüelen statt und nicht beim Rüchä (dem Felsen auf dem Weg zum Klausenpass).
Ok, ok, zurück zum Mannried Open Air. Da hab ich glaub schon alles gesagt. Gut, essen sollten wir auch noch. Da gönn ich mir den raph’schen Insider – ein Steak Spezial (Steak, im Brot einklemmt mit geschmolzenem Raclettekäse). Wenn wir schon am Erinnern sind, später am Abend schiesst mir durch den Kopf: Das Mannried Open Air ist eigentlich die Sommervariante des Ice Rock Festival…
So, genug des essens- und festivaltechnischen Geplänkels. Gönnen wir uns die erste Dosis Live-Musik (also für mich am heutigen Tag).
Magma Ocean
Raphi: Gemeinsam gehts dann wieder hoch zum Festivalgelände (pam: Ah, ich dachte, wir wären schon oben…), wo es bereits weitergeht. Magma Ocean ist ein Bandname, der tendenziell etwas in die Richtung Stoner Rock oder Sludge vermuten liessen. Das trifft jedoch nicht ganz ins Schwarze, hat sich das Quintett nämlich dem Alternative Metal verschrieben. Die fünf Luzerner hiessen früher mal Molotov Train und sind damit keine Unbekannten in der Schweizer Metallandschaft. Damals hatte die Truppe mit Gilbi Melendez allerdings noch einen anderen Sänger. Der neue hört nun auf den Namen Harry Ballantyne und kommt aus England. Seinen Job macht er ganz gut und gesanglich bringt er auch alles mit, was es braucht, um die leidklagenden Parts in den Songs gebührend umzusetzen.
Zwischen den Liedern lässt er hingegen trockenen Humor durchblitzen, beispielsweise, als er erklärt, dass das nächste Stück von der ganz neuen EP sei und er deshalb von niemandem erwarte, es zu kennen. Aber nicht nur er, sondern die ganze Band zeigt sich präzise eingespielt: Die Einsätze sitzen, die musikalische Koordination ist über alle Kritik erhaben. Darüber hinaus stimmt jetzt auch die Abmischung wieder. Allerdings verfehlt die klangliche Ausrichtung meinen Geschmack zu stark, als dass ich in Begeisterungsstürme ausbräche. Deshalb betrachte ich das Geschehen gemeinsam mit Pam von etwas weiter hinten und komme gut klar, als der Auftritt nach einer Stunde zu Ende geht. Dafür freue ich mich jetzt umso mehr auf Absolva.
Die Fotos Magma Ocean
Absolva
Wo Blaze Bayley auf dem Plakat steht, sind Absolva meist nicht weit. Die Band ist natürlich untrennbar mit Blaze Bayley verbunden und wie bereits bei meinem letzten Besuch hier auf dem Turnplatz vor zwei Jahren (über den ihr hier alles nachlesen könnt), gibt es auch heute das Doppelpack. Die Appleton-Brüder sind bekannt für ihre Gitarrenkünste, die einmal mehr einen prominenten Platz in der Show einnehmen. Den Beginn macht das sehr coole „Fire in the Sky“. Melodisch, schnell, eingängig – ein Heavy Metal-Song nach meinem Gusto.
Doch das Quartett kann auch langsamer, wie es einige Lieder später mit „Fistful of Hate“ unter Beweis stellt. Gleich darauf kommt „Side by Side“ zum Zug. Chris Appleton widmet es uns, bittet aber dafür darum, dass wir drei Schritte näherkommen. Und siehe da: Der Bitte wird tatsächlich allenthalben nachgekommen. Von hier vorne können wir (übrigens bei bestens ausgeleuchteten Verhältnissen) die Flitzefinger der Gitarristen noch genauer betrachten und ich muss sagen, es ist schon eindrücklich, was die beiden Herren auf dem Kasten haben. Wie Luke und Chris synchron solieren, egal ob sie den Gitarrenhals nun von unten, von oben oder gleich im stetigen Wechsel greifen, dürfte auch Leute abholen, die sonst eher weniger mit Gitarrensoli anfangen können. Für diejenigen haben Absolva viele, viele Mitsingspielchen mitgebracht.
Langweilig dürfte also den wenigsten werden, denen klassischer Heavy Metal gefällt. Doch nicht nur die Gitarristen dürfen mit ihrem Können brillieren. Genauso kommt das Schlagzeug mit einem Solo, eingebettet in „No-one escapes“, an die Reihe und Martin McNee lässt die Gelegenheit nicht ungenutzt, um zu zeigen, dass er weiss, wie ein solcher Part abwechslungsreich auszufüllen ist. Zwischendurch lässt uns Chris nochmals einen Schritt nähertreten, sodass gegen Ende hin beim allerersten Song von Absolva, „Code Red“, das Publikum bereits so weit vorne steht, dass er sich bei der Ansage von „noch einem“ zu „noch einem halben“ Schritt runterkorrigieren muss. Kombiniert mit den vielen Posen sowie einem hervorragenden Sound führt das alles zu einem fröhlichen, tollen Konzert, das über 90 Minuten hinweg viel für Ohr und Auge bietet. Wie bereits vor zwei Jahren mausern sich Absolva damit zu einem der Höhepunkte des Mannried Open Air.
Die Band gönnt sich im Anschluss eine halbe Stunde Pause, bevor sie wieder auf die Bühne stürmt, um als Begleitgruppe für die Person tätig zu sein, welche ganz zuoberst auf dem diesjährigen Festivalflyer steht.
Die Fotos Absolva
Blaze Bayley
Damit wären wir also beim Headliner angelangt. Blaze Bayley muss kaum jemandem vorgestellt werden, vor allem dann nicht, wenn der ehemalige Iron Maiden-Sänger mit einer „Iron Maiden – XXX Anniversary“-Show auf dem Plakat steht. Vorletztes Jahr hatte er mit seiner Nähe zu den Fans sowie einigen sehr persönlichen Ansagen die Sympathien auf seiner Seite und ich rechne fest damit, dass dies auch heute der Fall sein wird. Es dauert tatsächlich nicht lange, bis die Qualitäten von Herrn Bayley zum Vorschein kommen. „Lord of the Flies“ und „Sign of the Cross“ markieren den Beginn einer Show, die sich durch zweierlei Dinge abhebt. Einerseits ist es die positive Grundhaltung, die der Sänger verströmt. Blaze Bayley macht den gelassenen Eindruck von jemandem, der vollkommen im Reinen mit sich selber ist, was er auch nach aussen zu tragen versteht. Andererseits ist der Auftritt sehr persönlich geprägt. Vor fast jedem Song erzählt uns der Frontmann eine Anekdote zu dessen Entstehung. So erfahren wir, wie sehr er sich gefreut hatte, dass Dave Murray zu ihm nach Hause kam, um mit ihm einen Song für Iron Maiden zu komponieren und dass das vorgängige Mittagessen auf Wunsch Murrays bloss aus Käsesandwiches bestanden hatte.
Oder dann hören wir, dass ihn der Tod eines Freundes im Falklandkrieg dazu gebracht hatte, während einer Promoreise einige Gedanken niederzuschreiben, die dann später als Textgrundlage Eingang in den Iron Maiden-Kanon gefunden haben. Im Rahmen solcher Anekdoten spricht er auch immer wieder eine grosse Dankbarkeit an gegenüber Iron Maiden und noch viel mehr gegenüber seinen Fans. Denen hat er am Nachmittag bereits geduldig ein Meet and Greet geschenkt. Es sind diese persönlichen Geschichten, welche ich mittlerweile als charakteristisch für Blaze Bayley ansehe. Dabei zeigt sich, dass er über dieselbe Gabe verfügt, wie sie auch Johan Hegg von Amon Amarth besitzt. Beide schaffen es nämlich, Ansagen, die mit Sicherheit vorher eingeübt wurden, ganz natürlich und ungezwungen wirken zu lassen.
Auf der musikalischen Seite heissen die Höhepunkte „Circle of Stone“ inklusive dem vorangestellten „The Call of the Ancestors“ und „The Clansman“. Ersteres gefällt mir persönlich am besten, weil hier das dunkle Timbre der Stimme derart schön zur Geltung kommt. Zweiteres feiern sowohl das Publikum als auch Bassist Karl Schramm einfach gnadenlos ab. Der hat ja infolge seines Doppeleinsatzes – wie die restlichen Mitglieder von Absolva ebenfalls – mittlerweile auch schon einiges an Arbeitszeit hinter sich (bis zum Ende werden es geschlagene 3 Stunden und 20 Minuten sein). Der Schlagzeuger gönnt sich da dann schon mal ein Energy-Drink, während er spielt. Ansonsten halten sich die vier aber tapfer, ja es bleibt ihnen gar noch ausreichend Energie, um Schabernack zu treiben. Irgendwoher haben sie einen Besen, den sie plötzlich amüsiert herumreichen, was sogar ihren „Chef“ zum Lachen bringt.
Dieser bedankt sich aufrichtig bei jedem einzelnen Instrumentalisten, und streicht heraus, dass es das Ganze ohne Chris Appletons Engagement vor 10 Jahren nicht geben würde. Dann sind wir auch schon am Schluss angelangt. „Futureal“ wird nochmals enthusiastisch mitgesungen, bis es dann Zeit für den Abschied ist. Eine tolle Show. Und das Mannried Open Air 2024 benennen wir einfach um in Man-ride Open Air, dann stimmt es mit der Aussprache der Engländer wieder überein.
Die Fotos Blaze Bayley
HAK
So langsam neigt sich das Festival seinem Ende zu und wir verabschieden uns von Friedemann, der den Rückweg ins Hotel bereits jetzt antritt. Doch bevor alles vorüber ist, steht noch eine letzte Band auf dem Programm. Eine Band, die augenscheinlich sehr viele Besucherinnen und Besucher dazu bringt, hier auf dem Turnplatz zu verharren und den Campingplatz noch etwas Campingplatz sein zu lassen. Die Rede ist von HAK. Die Berner mit ihrem Crossover sind eigentlich schon Stammgäste am Mannried Open Air. Unvergessen ihr Auftritt im Jahr 2022, bei dem sie die Fans auf die Bühne geholt haben, was (inklusive Crowdsurfing da oben) übrigens auch im Musikvideo zu ihrem Song „Geil“ festgehalten ist.
Das Quintett stürmt auf die Bühne und… explodiert gleich während „Bärn City“ förmlich vor Energie. Stillstehen ist keine Option, weder da oben noch hier auf dem Platz davor. Die fünf Herren fegen über das Podium wie die Derwische, während sie vor Spielfreude nur so strotzen. Die Freude jenseits des Spiels ist nicht minder gross. Der (verdiente) Zuspruch des Publikums äussert sich in fröhlichem Gemoshe, lautem Johlen, textsicherem Mitsingen. Band und Fans motivieren sich gegenseitig und es bleibt nur eine Frage der richtigen Ansage, bis sogar ein veritabler Circlepit entsteht. Aus der vordersten Reihe holt das Quintett sogar einen Fan auf die Bühne, der sogleich zum ersten Crowdsurfer des Festivals erkoren wird.
Sie kämen auch dann, wenn sie nicht spielen würden, weil sie das Mannried Open Air einfach liebten, lassen uns HAK in diesem Trubel zwischen diversen Dankbarkeitsäusserungen irgendwann wissen. Das Stichwort Liebe bringt es auf den Punkt: Wäre die Metalszene eine Dating-Plattform, HAK und das Mannried Open Air ergäben ein „perfect match“, wie wir gerade mit eigenen Augen miterleben können. Es scheint, als hätten alle nur darauf gewartet, um Ein Uhr morgens nochmals durchzustarten. Da passt ein Song à la „Verpüss di“ doch perfekt. Kurz, schnell, intensiv – ein Highlight in einem ohnehin schon starken Set. Dass das irgendwann an die Substanz geht, ist unvermeidlich. Vor „Terrorischt“ muss Sänger Hak erst mal ein wenig Luft holen, nur um uns dann mitzuteilen: „Ach, was sölls, ich überläb de Song eh nid…“ Zum Glück schafft er das dann trotzdem. Wäre auch schade gewesen, wenn der Gig an dieser Stelle zu Ende wäre. HAK haben nämlich noch so einiges auf Lager, bevor es zum Finale mit „Hautät mau d’Schnurä“ kommt.
Aus dem Publikum kommt zur weiteren Ermunterung (wobei die definitiv nicht notwendig ist) eine Kutte auf die Bühne geflogen, die Hak umgehend anzieht. Tja, und dann sind die 60 Minuten auch schon vorbei – die Uhr muss im Takt der Musik vorwärts gerast sein, so schnell ging das. Der Jubel brandet nach dem gemeinsamen Foto nochmals laut auf, da weist der Frontmann darauf hin, dass an der Bar 200 Freibier bereitstünden. Ein Scherz, denke ich, als Hak nachschiebt: „D’Bächer sind agschribe, die chönder nachher bhalte.“ Also doch kein Scherz. Und tatsächlich: sauber aufgereiht stehen Becher bereit, die das HAK-Logo tragen und mit Bier gefüllt sind. Vielen Dank dafür. Diese Aktion setzt perfekt das Tüpfelchen auf das i eines Auftritts, mit dem HAK das Mannried Open Air 2024 energiegeladen und sympathisch beenden.
pam: Poooaaah, was haben wir da jetzt grad erlebt? Holy Mosh Moly. HAK haben ja schon die eine oder andere Nennung auf Metalinside.ch erhalten und dennoch ist es meine Premiere mit ihnen. Schon nach wenigen Songs ist klar, ich muss zum Merchstand. Da ich mich nicht für ein Album entscheiden kann beziehungsweise die Songs auch nicht wirklich kenne, kauf ich grad alle. Als Bonus noch ein Tischi. Die nette Dame am Merchstand schenkt mir dann noch zwei, drei der sehr coolen Kleber, welche dem Backdrop auf der Bühne entsprechen: Designmässig angelehnt an das bekannte Logo «Parental Advisory – Explicit Content» («Mami & Papi – Obacht – Es Lufdät»).
Ich werde grad an das weiter oben schon erwähnte sackstarke Suicidal Tendencies-Konzert in Rumänien erinnert. Wie diese stehen die Jungs von HAK auf der Bühne keine Sekunde still und schaffen wohl locker ihre 10’000 Schritte. Wenn wir schon am Vergleichen sind, die Berner sind soundmässig bei Pantera und Rage Against The Machine zu finden. Also definitiv nicht von schlechten Eltern beziehungsweise Vorbildern. Das war ein sehr geiler Auftritt und Abschluss von meinem ersten Mannried Open Air. Ich bin gespannt, ob dies auch ab Konserve funktioniert…
Und ja, der Becher ist schon cool… also, dann gibt es halt nochmals ein Bier.
Das Fanzit – Mannried Open Air 2024
Raphi: Auf dem Weg runter zum Campingplatz lasse ich die vergangenen zwei Tage nochmals Revue passieren. Die diesjährige Ausgabe des Mannried Open Air war geprägt von Konstanz. Alles, was sich bewährt hatte, hat das OK beibehalten und diejenigen Dinge verbessert, bei denen noch Potential vorhanden war. Das sind nur einige wenige kleine Dinge, denn die Organisation funktioniert reibungslos, wofür dem ganzen Team einen grossen Dank gebührt. Eine zusätzliche besondere Erwähnung hat sich die WC-Crew verdient, die einmal mehr einen hervorragenden Job geleistet und dafür gesorgt hat, dass wir rund um die Uhr saubere Toiletten benutzen konnten. Die bis auf wenige Ausnahmen richtig gute Abmischung möchte ich ebenfalls hervorheben. Das ist leider keine Selbstverständlichkeit an Konzerten. Umso schöner, dass das diesbezügliche Niveau hier in Mannried immer hoch ist. Musikalisch durften wir sowieso viele schöne Momente mitnehmen. Und den Auftritt von HAK werden wir sicherlich alle in bester Erinnerung behalten.
Nach all diesen Gedankengängen sind wir nun auch schon beim Campinggelände angekommen. Dort verabschieden wir uns voneinander und ich begebe mich zum Camper, um Schlaf für die morgige Heimfahrt zu kriegen, während hinter mir Pam mit seinem Motorrad davonbraust – auf in die Dunkelheit und bis zum nächsten Festival (pam: Das folgt mit dem Rock The Lakes schon am nächsten Wochenende…).
pam: Danke Raphi fürs «Sturbleiben». Hat sich definitiv gelohnt und ich komme gerne wieder.