Metalinside.ch - Sleep Token Massay Hall 2024 - Foto Liane
Sa–Di, 25.–28. Mai 2024

Sleep Token, Empire State Bastard

Massey Hall (Toronto, CAN)
26.08.2024
Metalinside.ch - Sleep Token Massay Hall 2024 - Foto Liane

The Teeth of God Tour – Nordamerika 2024

Keine der aktuell aufstrebenden Bands wird gerade online so extrem «gehyped» wie Sleep Token. Das im Mai 2023 veröffentlichte dritte Album «Take Me Back To Eden» hat die mysteriöse Band aus England, welche bis anhin nur als heisser Underground-Tipp gehandelt wurde, zu etwas viel Grösserem gemacht.

Spielten sie ihren innovativen «Genremix» vor 1-2 Jahren noch in kleinen Clubs vor wenig Publikum, konnten nach dem letzten Release Headliner Tourneen in Hallen mit bis zu 20’000 Besucher gebucht werden. Die Nordamerika-Tour, welche im April/Mai 2024 stattgefunden hatte, war in wenigen Minuten komplett ausverkauft. Werbung dafür zu machen und Interviews zu geben war nicht nötig. So oder so hält sich die Band ziemlich zurück mit der Kommunikation und die Identität der Musiker ist offiziell ein grosses Geheimnis. Bis anhin gab es nur einzelne sehr rare Interviews, welche Vessel – die Frontfigur und Hauptsongwriter von Sleep Token – in der Zeit nach der Gründung im Jahr 2016 gegeben hatte. Dort wurde routinemässig erklärt, dass die Identität der Bandmitglieder komplett irrelevant ist, denn was einzig und allein zählt, sei die Musik.

Nun und jetzt? Macht uns das nicht erst recht neugierig? Wer sind also die Personen, die Metal, Pop, Gospel, Dance/Electronic, Jazz, Hip-Hop und vieles mehr so elegant und stilvoll miteinander verschmelzen lassen und eigentlich mit der Presse gar nichts zu tun haben möchten?  Wer ist die Person am Mikrofon, welche mit der Stimme Emotionen und Laute erzeugen kann, welche sogar den härtesten Metal-Fan in die Knie zwingt? Übrigens, keiner ausser Adam Rossi (persönlicher Fotograf der Band) durfte während der Tour fotografieren. Mein Foto für den Bericht, habe ich daher mit dem Handy aufgenommen.

Musik berührt mich grundsätzlich ja sehr. Jedoch muss ich mir diese Frage stellen: Hat mich Musik zuvor so unfassbar tiefgründig berührt und vor allem haben mich Texte schon einmal so sehr zum Nachdenken bewegt? So sehr, dass ich mich Tage und Monate damit beschäftige? Ich glaube kaum. Daher ist es auch schwierig, diese für mich revolutionäre Band in Kürze zu beschreiben oder ihr Konzept mit wenigen Worten zu erklären. Es gibt unzählige Foren im Internet, wo Fans über die Band und die Musik philosophieren oder die Texte versuchen zu interpretieren. Dort wurden seitenweise von Fans erstellte Dokumente veröffentlicht, welche die Geschichte und die Geheimnisse rund um das Mysterium Sleep Token lüften sollen. Genau weiss es jedoch niemand.

Nun, mich hat also diese Band komplett in ihren Bann gezogen und die Folge davon war: Eine Reise nach Kanada zu den Konzerten! Vor allem Sleep Token in der Massey Hall in Toronto zu sehen, war das Hauptziel. Diese Band in einem derart beeindruckenden Konzertsaal zu sehen, war ein «once in a lifetime»-Erlebnis. Dieser Saal, welcher 1894 vollendet wurde und im neoklassischen Stil entworfen wurde, umfasst lediglich 2’700 Plätze. Sleep Token in einem derart intimen Rahmen zu sehen? Wohl nicht mehr in diesem Leben. Tatsächlich hypnotisierte ich ganze 3 Stunden meinen Laptop, bis ich dann endlich Tickets buchen konnte. Es waren knapp 20’000 Leute im «Waitingroom» – für eines der Konzerte. Wenn schon denn schon, dachte ich und kaufte gleich für alle drei Kanada-Shows Karten.

  • Samstag, 25. Mai 2024 Laval, Place Bell
  • Montag, 27. Mai 2024, Massey Hall
  • Dienstag, 28. Mai 2024, Massey Hall

Andere Länder – Andere Sitten

Neben den 3 Sleep Token Konzerten hatte ich auch noch Symphony X und Erra angeschaut. Die Woche Kanada hat sich für mich musikalisch also vollkommen gelohnt. Interessant war es auch zu beobachten, wie in Kanada Veranstaltungen ablaufen. Das hebt sich etwas vom Schweizer Konzert-Erlebnis ab. Tickets – zumindest für die fünf Gigs, welche ich besucht hatte – gab es nur digital. Vor allem bei Sleep Token war man besonders streng. Zugang zum Ticket nur online und erst 1-2 Tage vor der Veranstaltung waren die Karten auf dem Handy als QR-Code ersichtlich. Hat man einen Printscreen als Foto abgespeichert oder diesen ausgedruckt, war das Ticket ungültig. Damit will man natürlich versuchen, den Schwarzmarkt so gut es geht einzudämmen. Auch die Eingangskontrolle war überall sehr viel strenger als in der Schweiz. In Toronto war sogar die Polizei mit Spürhunden vertreten. Heulen wir in der Schweiz nicht, weil die Getränke so teuer sind? In Kanada zahlte ich für ein kleines Bier bis zu 12 CHF. Konzertbesucher haben mir sogar gesagt, dass es eigentlich für sie günstiger wäre, das Konzert in der Schweiz anzuschauen. Da staunte ich nicht schlecht und nahm meine Tüte Popcorn und mein Bier und ging auf Platzsuche. Auch eine Eigenheit, die mir in Kanada aufgefallen war: Popcorn essen während des Konzertes. Ich hab mal mitgemacht.

Support: Empire State Bastard

Mit Empire State Bastard, der Extreme-Metal-Band von Simon Neil (Biffy Clyro) und Mike Vennart (Oceansize), holte sich Sleep Token für die Nord-Amerika Tour einen giftigen Vorschlaghammer als Opener ins Boot. Die Anhänger und Anhängerinnen vom Hauptact waren ziemlich überfordert von dieser treibenden Wucht, die auf sie zukam. Simon Neil`s pausenloses hochaggressives, fast schon manisches Geschrei und Winseln war für den einen oder die andere einfach zu viel. Das konnte man im Nachhinein in Sleep Token Fan-Gruppen oft genug lesen und auch Leute vor Ort hatten mir bestätigt, dass sie Empire State Bastard nur sehr schwer verdauen konnten. Nun, ich sehe mal wieder alles anders. Schliesslich habe ich ihr Album «Rivers Of Heresy» bereits vor den Shows gekauft und wusste genau was auf mich zukommt: Ein kontroverses Fest! Ich konnte mir das Dauergrinsen während der Konzerte nicht verkneifen. Es war grandios von der Bookingagentur, diese zwei Bands an einem Abend auf das Publikum loszulassen. Schade war, dass die Band kein Merchandise dabei hatte, was ziemlich ungewöhnlich gewesen ist. Alle Konzerte waren ausverkauft, da hätte Empire State Bastard sicher davon profitzieren können. Meine Frage beantwortete die Dame am Merch mit einem Schulterzucken: «Eventuell ausverkauft». Oder hatte das Sleep Token etwa nicht erlaubt? Leider konnte ich das bis heute nicht herausfinden.

Sleep Token

Der Merch bei Sleep Token ging in jedem Fall weg wie «warmi Weggli». Bereits um 15 Uhr wurde vor jedem der drei Konzert der Outdoor-Merch vor der Halle eröffnet, was jedoch den Indoor-Merch am Abend in keinster Weise entlasten konnte. Im Gegenteil: Lange Schlangen, soweit das Auge reichte, und im Gegenzug waren die Getränketheken leer. Ich bin noch nie so schnell bei einer ausverkauften Show zu einem Bier gekommen. Danke dafür.

Das Licht ging aus und die Bühne blieb auch während den Shows ziemlich dunkel und düster. Das Publikum schrie wie am Spiess. So, als wäre Sleep Token auf die Bühne gekommen und hätte mit spitzen Stangenwaffen die Leute gepfählt. Urgh! Ich war beeindruckt!

Andere Bands reissen sich auf der Bühne den Hintern auf, um das Publikum anzufeuern und interagieren aktiv mit den Leuten. Manche Frontmänner oder Frontfrauen reden fast schon mehr während der Performance, als dass sie singen. Bei Sleep Token ist mal wieder alles anders. Vessel (Gesang, Gitarre, Keyboard), II (Schlagzeug), III (Bass) und IV (Gitarre, Gesang) sprechen nicht auf der Bühne. Sleep Token interagieren indirekt und das ziemlich beeindruckend. Wie Dirigenten steuern sie die Fans (oder sich gegenseitig) und schaffen es, einen Moshpit während einer eingängigen Pop-Passage zu inszenieren. Sie gestikulieren trotz Masken über die Augen und verständigen sich über körperlichen Ausdruck – erinnert irgendwie an Pantomime oder an Fragmente aus einem Theaterstück. Kein Wunder, nahmen viele Fans in Kauf, bereits ab 6 Uhr am Morgen (!) vor der Halle anzustehen, um das Spektakel aus den ersten Reihen mitzuverfolgen.

Ich hatte jeweils einen Platz auf der Tribüne bzw. dem wunderschönen Balkon der Massey Hall. Der grosse Vorteil dieser Plätze bestand darin, dass man vor allem in der Massey Hall einen umwerfenden Rundumblick auf die Licht-bzw. Laser-Show und das wunderschöne Theater hatte. Dadurch wurde auch nochmals klar, wie durchdacht das Bühnenbild kreiert wurde und wie perfekt die 3 Background Sängerinnen, die ebenfalls maskiert auftraten, auf den Rest der Band abgestimmt wurden. Die Bühne war ein visueller Augenschmaus, den man eventuell aus der ersten Reihe in seiner Gesamtheit nicht erfassen konnte.

Das Ritual (wie Sleep Token ihre Konzerte nennen) wurde in drei Abschnitte aufgeteilt. Jeder Abschnitt repräsentierte eines der drei Alben aus der kurzen Band-Geschichte von Sleep Token. Jeder Teil wurde durch einen Sprachbeitrag, welcher vom Band abgespielt wurde, unterbrochen. Ich interpretiere die Texte als Begleitung auf eine kurze philosophische Reise, welche anregen soll, über den Tod nachzudenken.

Apropos Gesang und Sprache: Oft wird unter den Kritikern und auch den Fans darüber debattiert, ob auf die Vocals bei den Aufnahmen ein Effekt-Teppich gelegt wurde, jedoch beweisen aus meiner Sicht die Liveauftritte: Die Stimme von Vessel klingt tatsächlich so und die gesangliche Range, die hier geboten wird, geht einem durch Mark und Bein – im positiven Sinne.

In jedem Fall freue ich mich schon sehr auf die finale Show der Europa-Tour in London. Ist doch klar, dass ich dort hinreisen werde, oder?

Das Fanzit – Sleep Token

Ich denke, wenn ich mich nicht bald wieder «in den Griff bekomme», muss ich wohl zu Hause ausziehen. Wie bei einem pubertierenden Teenager spielen meine Hormone wegen dieser Band komplett verrückt. Nun, Spass bei Seite: Falls ihr immer noch Zweifel daran habt, ob der Hype um Sleep Token berechtigt ist oder nicht, habe ich nur eine Antwort darauf: Erlebt sie am 5. November 2024 in Zürich live! Mich hat diese Musik, aber vor allem die Live-Konzerte unendlich begeistert. Ich möchte ja nicht klingen, als hätte ich einen Sprung in der Platte, aber die Musik und die Kreativität rund um Sleep Token fasziniert mich enorm. Das Konzept hebt sich aus meiner Sicht einfach stark von der Masse ab. Diese Band schafft es, mit endloser echter Hingabe, ihre Musik und die Kunst einem breiten Publikum zu vermitteln und hilft dadurch, den «Modernen Metal» beliebter zu machen. Ich bin gespannt, wie es weiter gehen wird, da kürzlich «ein fetter Fisch» an Land gezogen wurde, denn Sleep Token haben nun einen Deal bei RCA Records.

Wer tiefer in das Mysterium Sleep Token eintauchen möchte, dem empfehle ich die Video-Clips von Alex Tamulis auf YouTube. Seine Beiträge sind bereichernd und auf hohem Niveau. Eine Kostprobe davon findet ihr hier:

Die Setlist – Sleep Token

  1. The Night Does Not Belong To God
  2. The Offering
  3. Dark Sign
  4. Higher
  5. Interlude 1
  6. Atlantik
  7. Hypnosis
  8. Like That
  9. Alkaline
  10. Missing Limps
  11. Interlude 2
  12. Chokehold
  13. The Summoning
  14. Granite
  15. Rain
  16. Ascensionism
  17. Interlude 3
  18. Take Me Back To Eden
  19. Euclid

Wie fandet ihr das Konzert?

26.08.2024
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