Ad Infinitum - Abyss (Cover Artwork)
Fr, 11. Oktober 2024

Ad Infinitum – Abyss

Modern Metal, Symphonic Metal
08.10.2024
Ad Infinitum - Abyss (Cover Artwork)

Am Scheideweg: Neuorientierung oder Schritt ins Leere?

Die deutsch-schweizerische Formation Ad Infinitum hat sich in den vergangenen Jahren einen festen Platz in der symphonischen Welt erspielt. Mit ihrem aktuellen Werk „Abyss“ beschreitet das Quartett nun mutig neue Wege und wagt den Sprung in modernere Metal-Gefilde (einer von vielen Gründen, mich mit Drummer Nik Müller über dieses Opus auszutauschen – zum Interview).

Beherzte Weiterentwicklung oder verunglückter Schritt in die falsche Richtung? Wir werden sehen.

Ad Infinitum kehren am 11. Oktober 2024 mit ihrem neuen Werk „Abyss“ zurück – und die Messlatte liegt wahrlich hoch! Seit ihrem Debüt im Jahr 2020 hat sich die Formation nicht nur fest in der Metal-Szene etabliert, sondern sich dabei kontinuierlich weiter entfaltet. Nun ja, Lisa von Napalm Records hatte mich schon vorgewarnt: „Die Band um Sängerin Melissa Bonny erfindet ihren Sound neu und präsentiert sich in einem modernen Gewand“. Aber was mich dann wirklich erwartete – darauf war ich nur bedingt vorbereitet …

Abyss – Tanz am Abgrund?

Altgediente Ad Infinitum-Fans dürften schon beim Opener „My Halo“ leicht irritiert die Stirn in Falten legen. Denn was sich auf „Chapter III – Downfall“ bereits leise angedeutet hat, entfaltet sich auf „Abyss“ nun mit voller Wucht: Avantgardistischer, experimenteller und definitiv vielseitiger lautet die Devise. Die 2024-Version der deutsch-schweizerischen Formation scheint keine Lust auf Stillstand zu haben. Und dieser Drang nach Veränderung setzt sich mit „Follow Me Down“ nahtlos fort. Denn durch Track Nummer zwei wird die progressive Messlatte gleich nochmals ein paar Kerben höher gelegt. Dennoch bleibt der Song dank der Gesangslinie und des griffigen Refrains massentauglich und dürfte die bestehenden Fans locker bei der Stange halten. „Eingängiger“ ist der Begriff, der mir spontan in den Sinn kommt, andere würden vielleicht von „poppiger“ sprechen. Wer hat recht? Wahrscheinlich beide. Eine spannende Mischung aus Hell und Dunkel, Innovation und Altbewährtem, die zudem bei jedem Hören neue Facetten offenbart!

„Outer Space“ entfesselt zu Beginn ein düsteres Klanggewitter, um sich bald darauf dank Melissa Bonnys beeindruckender Stimme in sphärische Höhen aufzuschwingen. Sehr cool! Auch „Aftermath“ zeigt sich verspielt und experimentell, kommt aber im Vergleich zu den anderen Tracks nicht ganz so stark zur Geltung. Kein Ausfall, aber nicht vollends auf dem Niveau der anderen Titel. Die Ballade „Euphoria“ – keine Angst, hier geht es nicht um Loreen und ihren ESC-Sieg – erinnert an die Anfangstage der Band und versprüht reichlich Vintage-Ad Infinitum-Vibes. Es folgt „Surrender“, das mit technoiden Untertönen, heftigen Breakdowns und rhythmischen Spielereien der Extraklasse zu punkten weiss.

Auf lohnender Entdeckungsreise

„Anthem For The Broken“ überrascht dann mit einem sanften Klavierintro, balladesken Anklängen und vielen Rhythmuswechseln, gekrönt von einer starken Gitarrenarbeit und einem abschliessenden Chor – ein Lied, das es definitiv zu entdecken gilt! „The One You’ll Hold On To“ hatte ich zunächst als eher „zugänglich“ eingestuft – meine ersten Notizen verraten sogar ein „gewöhnlich“. Doch mit jedem weiteren Hören entfaltet der Song sein Ohrwurmpotential. Zusammen mit dem nachfolgenden „Parasite“ bilden die beiden Stücke eine Art musikalisches Geschwisterpaar, wobei der erstgenannte Track noch etwas mutiger in den Strom der neuen Klangwelten eintaucht.

Das Finale „Dead End“ erinnert mich in der Strophe rhythmisch ein wenig an Amaranthes „Drop Dead Cynical“ und dreht den Energiedichtezeiger noch einmal nach oben – ein rundes, kraftvolles Ende für ein Album, dem man unbedingt mehrere Durchläufe gönnen sollte, um sich mit der neuen akustischen Dimension von Ad Infinitum vertraut zu machen. Käufer des Earbooks dürfen sich zudem auf eine „orchestrale“ Version von „My Halo“ freuen. Wobei der Begriff „orchestral“ mich ein wenig befremdet. Ein paar Streicher hier, ein paar klassische Instrumente da, Etikett drauf, fertig. Kann man so machen, wirkt aber zumindest auf mich etwas bemüht. Das nur am Rande.

Energie, Stimme, Instrumente – check!

Fassen wir kurz zusammen: Mit ihrem neuen Album „Abyss“ gelingt Ad Infinitum eine beeindruckende Weiterentwicklung ihres charakteristischen symphonischen Metal-Sounds. Die Integration moderner Metal-Elemente wie in „Follow Me Down“ oder „Surrender“ verleiht dem Tonträger eine rohe Energie, die sich deutlich von früheren Werken abhebt. Gleichzeitig bleiben melodische Nuancen und der brillante Gesang von Melissa Bonny zentrale Bestandteile der klanglichen Szenerie. War bereits auf dem Vorgänger „Chapter III – Downfall“ eine stilistische Weiterentwicklung zu erkennen, so gehen die Musiker mit „Abyss“ einen entscheidenden Schritt weiter: Weg von rein symphonischen Hymnen, hin zu progressiveren Dimensionen, wodurch sie sich zunehmend von Vergleichen mit Genregrössen wie Nightwish oder Within Temptation lösen. Stattdessen etablieren sie einen eigenen, unverkennbaren Stil, der für sie durchaus als wegweisend bezeichnet werden kann.

Die Scheibe überzeugt durch eine ausgewogene Mischung aus schnellen Riffs, eingängigen Refrains und kraftvollen Abriss-Parts, die prächtig mit Bonnys wandlungsfähiger Stimme harmonieren. Die glasklare Produktion trägt ebenso zur dichten Atmosphäre des Werkes bei wie der einwandfrei ausbalancierte Wechsel von fulminanten Gesangspassagen und instrumentalen Glanzmomenten. Jeder Song ist sorgfältig arrangiert, die Instrumente greifen gekonnt ineinander. Setzt man vor das bisher dominierende „Symphonic“ ein fettes „Progressive“, kommt man der neuen Ausrichtung von Ad Finitum schon recht nahe – vereinfacht ausgedrückt, versteht sich.

Das Fanzit Ad Infinitum – Abyss

In der Rezension zu Axel Rudi Pells „Risen Symbol“ habe ich mich dezent über nicht eingetretene (aka: vermisste) Überraschungsmomente beklagt (zur Review). Nun, das neueste Werk von Ad Infinitum bietet diese nun beinahe im Überfluss. Mit „Abyss“ hat die Gruppe ein Album geschaffen, das sowohl Fans des symphonischen Metals als auch Liebhaber moderner, innovativer Klänge ansprechen dürfte. Zudem beweist die Band wieder einmal ihre Unberechenbarkeit. „Abyss“ ist ein würdiger Nachfolger der bisherigen Scheiben und ein klarer Meilenstein – oder besser: Wegweiser – in der Karriere von Ad Infinitum.

Nun … Ehrlich gestanden weiss ich noch nicht so recht, wie ich mit dieser deutlich veränderten Seite von Ad Infinitum umgehen soll. Einerseits bekommt mein symphonisch geprägtes Herz bei diversen unerwarteten Wendungen und Breakdowns kleine Aussetzer – andererseits vermag mich der neue, moderne Sound der Band mehr und mehr in seinen Bann zu ziehen. Deshalb: Fette achteinhalb Horns für diesen mutigen Schritt nach vorn.

Anspieltipps: Outer Space, Anthem For The Broken, Surrender

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Die Trackliste Ad Infinitum – Abyss

  1. My Halo
  2. Follow me Down
  3. Outer Space
  4. Aftermath
  5. Euphoria
  6. Surrender
  7. Anthem for the Broken
  8. The One You’ll Hold On To
  9. Parasite
  10. Dead End
  11. My Halo (Orchestral Version)*

*Earbook only

Das Line-up – Ad Infinitum

  • Melissa Bonny – Vocals
  • Adrian Thessenvitz – Guitars
  • Korbinian Benedict – Bass
  • Niklas Müller – Drums

Video Ad Infinitum – Surrender

Video Ad Infinitum – My Halo


Album Review Bewertung

Autor Bewertung: 8.5/10



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08.10.2024
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