Epic Folk Metal in Vollendung
Die Legierung von Ensiferum (lat. Schwert tragend) ist ein scharfes Stück Metall, das seit dem ersten Album quer durch die Subgenres zu glänzen weiss. Die Faszination liegt darin, dass die Musik der Finnen nicht eindeutig zu klassifizieren ist.
Ist es denn nicht einfach Folk Metal? Oder doch Pagan bzw. Viking Metal? Vielleicht Melodic Death, Power oder gar Black Metal? Die Antwort: Ja.
Eine differenzierte Antwort gibt Gitarrist Markus Toivonen selbst. Nach seinen Angaben sind Amorphis der Hauptgrund, weshalb er mit dem Musizieren angefangen und Ensiferum gegründet hat. Somit bilden deren Frühwerke (vor allem «Tales from the Thousand Lakes»), Melodic Death Metal der Marke Dark Tranquillity sowie traditionelle Volksmusik die Grundpfeiler der Musik von Ensiferum. Hinzu kommen Einflüsse von klassischen Metal-Bands wie Manowar und Iron Maiden, die dem folk-inspirierten Death Metal einen entsprechend vielschichtigen wie auch eigenwilligen Stempel aufdrücken.
Wenn man sich früh ein Denkmal setzt …
Ganze 23 Jahre hat das gleichnamige Debutalbum bereits auf dem Buckel. Da hat sich noch kein Staub angesetzt, alles sitzt nach wie vor perfekt – schlicht ein unzerstörbarer Klassiker. Zusammen mit dem Nachfolger «Iron» (2004) bildet dieser die Quintessenz von Ensiferums charakteristischem Sound, der mit «Victory Songs» (2007) quasi als Ur-Trilogie vervollständigt wird.
Auf «From Afar» (2009) geht man gekonnt wesentlich epischer zu Werke. Beim Nachfolger «Unsung Heroes» (2012) erleidet die Soundentwicklung allerdings trotz dem überragenden ‹In My Sword I Trust› Schiffbruch. Auf «One Man Army» (2015) und «Two Paths» (2017) kriegt man die Kurve zwar begrenzt wieder, doch scheinen sich dabei die guten alten Tage in weiter Ferne aufzulösen.
Der Ruf aus der Ferne
Auf «Thalassic» (2020) steigt Pekka Montin als Keyboarder ein und kontrastiert mit seinem Klargesang zur harschen Stimme von Gitarrist und Frontmann Petri Lindroos. Das mag gewöhnungsbedürftig oder gar over the top klingen, aber erstaunlicherweise passt das optimal ins ensiferumsche Soundgefüge. Eine neue Ära bahnt sich an. Obendrauf schimmern in einigen Songs unverkennbar die guten alten Tage hindurch … Ein Ruf aus der Ferne?
Toivonen hat während der Pandemie viel Zeit und taucht musikalisch entsprechend tief ab. Erst werkelt er an einem einzigen epischen Track für das gesamte Album. Doch durch das Mitdenken und Mitgestalten seiner Bandmates wird der Koloss aufgesplittet und in einzelne Teile zerlegt. Bassist und Texter Sami Hinkka findet den idealen Raum, um Fragmente seiner noch nicht veröffentlichten Fantasy-Geschichte in die neuen Kompositionen einzubinden. Lyrisch entsteht ein Konzeptalbum wie aus dem Bilderbuch. Musikalisch erst recht!
Es stürmt gewaltig im Norden
Die neunte Langrille der Finnen ist in der Tat eine Rückkehr zu den Wurzeln. Bedeutend ernster, tiefer und ausgesprochen packender geht es auf «Winter Storm» zur Sache. Bereits der Opener ‹Winter Storm Vigilantes› erinnert vom Riffing her augenblicklich an den Kracher ‹Into The Battle›. Eingebettet in grandioses «From Afar»-Feeling wird das Stück zum ultimativen Hit mit Suchtpotential. Wäre der Song Met, ich wäre schon lange sturzbetrunken …
Doch damit wird der Wintersturm erst recht ausgelöst. ‹Long Cold Winter of Sorrow and Strife› lässt sich anfangs etwas Zeit, wächst aber zu einer musikalischen Achterbahn, die sich mit dem nachfolgend thrashigen ‹Fatherland› in schwindelerregende Höhen aufschwingt. Da könnte man glatt meinen, dass nordische Heldengeschichten reine Männersache sind. Bevor dieser Gedanke Fuss fassen kann, lenken Ensiferum mit ‹Scars In My Heart› ein. Melancholischer und gleichzeitig leichter geht es hier zur Sache; für anhaltendes Hühnerhautfeeling sorgt die Stimme von Gastsängerin Madeleine Liljestam.
Mittlerweile inmitten einer musikalischen Narration angekommen, legen ‹Resistentia› und ‹The Howl› für das Kernstück des Albums vor: ‹From Order To Chaos› wird zum obligaten Ensiferum-Longtrack. Im Gegensatz zu früheren Kompositionen bleibt man diesmal kompakt und vermeidet damit überbordende Längen. Stattdessen kommt man in den Genuss der stilistischen Vielfalt und songwriterischen Klasse der Finnen – von Power bis hin zu Black Metal.
Der heroische Abschluss bildet ‹Victorious› – ein Song, der sich lyrisch mit We are invincible! We are victorious! erbauend und nachhaltig in den Gehörgängen festsetzt und nach 43 Minuten ein musikalisches Heldenepos krönend abschliesst.
Das Fanzit Ensiferum – Winter Storm
Ensiferum melden sich mit «Winter Storm» inspiriert in alter Form zurück. Die Songs haben alles, was nordisch-mythologische Heldengeschichten oder einen imaginären Wikingersound in metallischem Gewand ausmachen: Protzige Atmosphäre mit gehörigem Tempokick und heldenhaft epische Stimmung mit feierlich tiefstimmigen Tavernen-Chören. Das klingt auch mal wild und roh, bleibt aber dennoch immer minuziös kalkuliert. Der epische Anteil wirkt in dosiertem Mass cineastisch, aber nie ausufernd. Alles ist exakt auf den Punkt.
Welchem Stil oder Subgenre Ensiferum nun zuzuordnen sind, wird zu einer luxuriösen Nebensache. Tatsache ist, dass «Winter Storm» ein hammergeiles Metalalbum geworden ist, das mit seinen folkischen Einflüssen und der erzählerischen Art neue Massstäbe setzt. Ich nenne es mal der Zuordnung halber Epic Folk Metal in Vollendung!
Die Trackliste Ensiferum – Winter Storm
- Aurora
- Winter Storm Vigilantes
- Long Cold Winter of Sorrow and Strife
- Fatherland
- Scars in My Heart
- Resistentia
- The Howl
- From Order to Chaos
- Leniret Coram Tempestate
- Victorious
Line-up Ensiferum
- Markus Toivonen – Guitars, Vocals
- Sami Hinkka – Bass, Vocals
- Petri Lindroos – Vocals, Guitars
- Pekka Montin – Vocals, Keyboards
- Janne Parviainen – Drums
Guests
- Madeleine Liljestam (Eleine) – Vocals on ‹Scars In My Heart›
- Lassi Logrén – Nyckelharpa, Violin
- Mikko Mustonen – Orchestration