Fünf, sechs, viele Freunde
Expellow lassen es krachen. Zur Feier der Veröffentlichung ihres neuen Albums haben sie drei befreundete Bands dazu eingeladen, gemeinsam mit ihnen im Dynamo eine ausgelassene Releaseparty zu feiern und damit gleich mal Sold out anmelden können. Also nichts wie ins Werk 21.
Dort angekommen, stellen wir mit Erstaunen fest, dass es für den heutigen Abend nicht einfach nur einen Stempel, der sowieso nach der ersten schweisstreibenden Runde im Pit verschmiert, sondern tatsächlich ein Stoffbändchen gibt. Bedruckt mit dem Albumtitel Signals on Swells sowie Teilen des dazugehörigen Cover-Artworks und verziert mit dem Bandlogo von Expellow sind diese Bändchen genauso ein sehr gelungenes Detail, wie sie in Zukunft eine schöne Erinnerung bieten werden. Dann stellen die vier Bands jetzt hoffentlich sicher, dass die nun kommende Sause dem gerecht wird.
A Lost Game
Als erstes dürfen A Lost Game diese Aufgabe übernehmen. Doch gleich zu Beginn holpert es ziemlich bei ihrem Metalcore. Die Band findet im Eröffnungslied nicht zusammen und nach wenigen Takten beschliesst das Quintett, den Song abzubrechen und nochmals von vorne zu beginnen. Den Patzer überspielen die Fünf dabei mit Charme, ohne Allüren und künstliches Aufheben. Gut gehandhabt, meine Herren. Also nochmals und jetzt klappt es, die Maschinerie läuft warm und weitere Probleme bleiben aus.
Die Luzerner Band hatte übrigens 1 (eine!) Stunde Anreiseweg bis ins Werk 21. Weshalb das wichtig ist? Keine Ahnung, aber Frontmann Dammis scheint es sehr wichtig, dies ausgiebig hervorzuheben. Überhaupt kümmert er sich zwischen den Songs gut um die Unterhaltung des Publikums, wobei er aber manchmal ein wenig über die Stränge schlägt. Die bodenständige Spontaneität erdet das Ganze dann wieder. Musikalisch können A Lost Game das Niveau der Ansagen nicht ganz halten. Den Kompositionen fehlt es ob all der Breakdowns an durchgehender Kohärenz. Manchmal beschleicht einen das Gefühl, das gerade gespielte Stück bestehe ausschliesslich aus Breakdowns. Ein, zwei Riffs mehr könnten da vermutlich einiges herausholen.
Dafür punkten A Lost Game mit Spielfreude und Bewegung auf der Bühne, was neben der Ursache eines langlebigen Moshpit für drei Personen gleich noch Anlass zu einer Wall of Death bietet sowie bei der Bandhymne «A Lost Game» zu Gesangsunterstützung durch die Anwesenden führt. Um 19 Uhr als erste Bands des Abends darf man sich das schon als Leistung auf die Fahne schreiben. Das Werk 21 ist damit gut eingewärmt, als A Lost Game nach 40 Minuten die Bühne wieder verlassen.
Days of Ruin
Den Staffelstab übernehmen nun Days of Ruin, die ohne Umschweife einen fliessenden Übergang aus dem Soundcheck hinlegen. Die Truppe hatte sogar eineinhalb Stunden Anreiseweg, wie Michael Stucki am Mikrofon als augenzwinkernden Seitenhieb einbringt. Na danke, dass ihr diese Strapazen auf euch genommen habt, um uns mit Metalcore zu versorgen. Der hat nun das richtige Verhältnis zwischen Riffs und Breakdowns, womit es Days of Ruin gelingt, noch mehr Leute zu Bewegungstätigkeiten zu animieren als beim Opener. Vom Moshpit über die Wall of Death bis hin zum gemeinsamen Herumspringen ist so ziemlich alles dabei aus dem gängigen Repertoire. Besonders cool ist schliesslich der Moment, als der Aufforderung, in die Knie zugehen und anschliessend hochzuspringen, wirklich das gesamte Publikum bis hinten zum Mischpult nachkommt. Das ist vorbildlicher Einsatz.
Die Band steht dem anschliessend in nichts nach, als sie plötzlich nach Mitgliedern von Expellow auf der Bühne verlangt. Nach einigen Sekunden stehen schliesslich drei Fünftel der Band da oben, die von Days of Ruin mitgeteilt bekommen, dass ein Anlass wie eine Albumtaufe ja etwas Spezielles sei und sie ihnen deshalb Spezialitäten aus dem Kanton Bern mitgebracht hätten. Daraufhin überreichen die Gäste ihren Gastgebern Mandelbärli und Burgdorfer Bier zur Feier des Tages. Eine wirklich schöne Geste, die hervorragend illustriert, dass das heutige Line-up nicht einfach zufällig zusammengewürfelt ist, sondern aufgrund von Freundschaften entstanden ist. Und damit sind die 40 Minuten bereits wieder durch, die Umbaupause beginnt und damit das Warten auf die nächste Band.
Taste My Sweet Revenge
Ohne Taste My Sweet Revenge hätte sich die Liste der Herkunftsorte der heute spielenden Bands (Zürich, Bern, Luzern) gelesen wie der Anfang der Kantonsaufzählung in der Bundesverfassung. Doch das Quartett lockert diese Sichtweise auf mit einem Urlaubsziel. Sie kommen nämlich aus Mallorca und wurden von Expellows Booker Marco als vorgängige Überraschung für die Band ohne deren Wissen ins Line-up aufgenommen (es gibt hier ein Video vom Moment, als die Band es erfahren hat). Die beiden Truppen kennen sich seit der gemeinsamen Tour 2016 im Vorprogramm von Raunchy und die Freundschaft hat die Jahre überdauert. Eine weitere Facette also, welche diesen Abend von einem normalen Konzert abhebt.
Taste My Sweet Revenge haben Groove Metal mitgebracht, den sie um einige Brocken Metalcore angereichert und mit viel elektronischen Samples erweitert haben. In der Summe ist das eine spezielle Mischung, die etwas Eingewöhnungszeit braucht ab Konserve. Live ist das noch einmal eine andere Geschichte. Die Songs erfordern einige Konzentration, was im aktuellen Setting leider bei einem grossen Teil des Publikums nur bedingt funktioniert. So leert sich das Werk 21 merklich während des Auftritts. Die Mallorquiner animieren die Verbliebenen trotzdem zur einer oder anderen Aktivität. So tragen einige Begeisterte – darunter das Maskottchen des Bullhead Festival – unter Volleinsatz ihrer Kräfte immerhin den Sänger einmal quer durch den Raum und wieder zurück zur Bühne. Dennoch geht es merklich gesitteter zu und her geht als noch unmittelbar zuvor bei Days of Ruin. Das ist etwas schade, denn Taste My Sweet Revenge hatten einen Anreiseweg, der eineinhalb Stunden ein grosses Stück übertrifft. Aber obwohl der Auftritt nicht ganz zündet, machen sie den Eindruck, als ob sich der Aufwand für sie nur schon für das Wiedersehen gelohnt hat, sodass die ganze Überraschungssache insgesamt sicherlich gelungen ist.
Expellow
Damit ist es soweit: Die Headliner sind an der Reihe, es ist Zeit für Expellow. Ganze 18 Jahre haben die Zürcher (Anfahrtsweg: 20 Minuten 😉) bereits auf dem Buckel, sie sind somit gerade erwachsen geworden. Bei allen Witzeleien dazu vorab, zeigt sich aber, kaum hat die Band nach dem aus Wellenrauschen bestehenden Intro die Bühne betreten, dass diese 18 Jahre viel Erfahrung mit sich gebracht haben. Die Sicherheit und Routine, die Expellow von Beginn weg abrufen können, verleiht dem Auftritt nicht zu übersehende Professionalität. Dazu trägt auch bei, dass Mik heute mit Gesichtsbemalung auftritt. Die ist angelehnt an den gestern erst erschienenen Videoclip zu «Breaching for the Sun» (hier abrufbar, falls ihr ihn noch nicht gesehen habt). Der Song wird natürlich heute gespielt. Es ist über das Video hinaus ein spezieller Track für Expellow. Er hat der Band geholfen, in einer schwierigen Phase zusammen zu halten oder viel mehr noch wieder zueinander hinzufinden und eben gemeinsam zur Sonne durchzubrechen. Zudem stellte er eine Art Prüfstand für die Albumproduktion dar, sodass durchaus gesagt werden kann, dass das neue Album Signals On Swells ohne dieses Lied nie in der heute bekannten Form das Licht der Welt erblickt hätte.
Live funktioniert er übrigens hervorragend, genauso wie die anderen neuen Tracks. Ob «Heartline», «Era Of Animals» oder «Phoenixes», sie alle bieten das richtige Mass an Eingängigkeit, um das mittlerweile prall gefüllte Werk 21 mitzureissen und die Leute vor der Bühne pausenlos moshen zu lassen. Da bräuchte es neben Miks Ausflug in die Menge nicht einmal zwingend die Hits der letzten Jahre, um für Stimmung zu sorgen. Tun diese natürlich trotzdem. Der Einsatz von ergänzenden Gastsängern bei «Hometown» hat mittlerweile ja bereits Tradition im Lande Expellow, doch heute wird auch gleich noch zu «Chemicals» Luki von The Kate Effect auf die Bühne geholt, um Mik zu unterstützen. Dass die beiden wunderbar harmonieren, haben sie bereits in der Vergangenheit bewiesen und so ist es heute erneut.
Ein genauso grosses Lob gebührt zudem Gitarrist Gudi. Der war vor sieben Tagen mit dem Velo schwer verunfallt und steht gerade mit Gehirnerschütterung und mehreren Knochenbrüchen im Gesicht auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Irgendwelche Auswirkungen auf sein Spiel? Fehlanzeige! Abgesehen von einer verständlichen Zurückhaltung, was Bewegung angeht, lässt er sich rein gar nichts davon anmerken, dass er ziemlich stark verletzt ist im Moment. Hut ab für diese Leistung. Das Publikum feiert ihn dafür wie Gandalf.
Ja genau, Gandalf. Gandalf respektive jemand, der sich als weisser Zauberer verkleidet hat, überrascht die Band im Rahmen des eigentlichen Taufvorgangs. Expellow künden diesen noch an, geben anschliessend jedoch das Zepter komplett aus der Hand, ohne eine Ahnung zu haben, was die Crew vorbereitet hat. Da erscheint dann halt schon mal Gandalf auf der Bühne mit einer Kiste, aus der er diverse Merch-Stücke zaubert und ins Publikum wirft, bevor er mit einem uralten Zauberspruch das neue Album in diese Welt holt. Die unterhaltsame Einlage amüsiert die Band sichtlich und sorgt für viel Gelächter im Publikum. Doch irgendwann ist auch die schönste Taufe zu Ende, die absehbarste Zugabe gespielt und Expellow verabschieden sich mit «Sail on». Sie hinterlassen verschwitzte, zufriedene Fans – solche, die es bereits beim Betreten des Dynamos waren und solche, die es heute dank einer packenden Show geworden sind.
Das Fanzit – Expellow – Record Release Show: Signals on Swells
Mission erfüllt: Der Blick auf das eingangs erwähnte Armband ruft ab jetzt ein fettes Grinsen ins Gesicht und bringt Erinnerungen an einen gelungenen Abend mit sich. Dafür hat diese ganze Gruppe von Freunden gesorgt, welche die Plattentaufe zu etwas Speziellem gemacht hat. Dank vielen kleinen Details hat sich der heutige Abend von einem normalen Konzert abgehoben und für eine einladende Atmosphäre gesorgt. Absolut passend zu Expellow, könnte man sagen.