Metalinside.ch – Arch Enemy – The Hall Zürich 2024 – Sandro 23
Di, 15. Oktober 2024

In Flames, Arch Enemy, Soilwork

The Hall (Zürich, CH)
23.10.2024

Alter Schwede!

Wenn wir nicht nach Schweden fahren, kommen die Schweden eben zu uns. So oder so ähnlich könnte man das Konzept des heutigen Abends wohl umschreiben. Geballte Drei-Kronen-Power vom Feinsten mit In Flames, Arch Enemy und Soilwork sorgte dafür, dass The Hall aus allen Nähten zu platzen drohte.

Kein Bange, so alt, wie es der Titel vermuten lässt, sind die auftretenden Nordländer natürlich nicht. „Rising From The North“ – unter diesem vielversprechenden Namen vereint die aktuelle Tournee die eingangs genannten Melodic-Death-Metal-Giganten auf einer Bühne. Am Dienstag, dem 15. Oktober 2024, ist es endlich so weit: Das lang erwartete Trio macht Halt in Dübendorf. Die Spannung ist greifbar – werden die Künstler, einschliesslich der einzigen Dame in der Besetzung, die hohen Erwartungen erfüllen können? Voller Spannung und Vorfreude mische ich mich nach dem Ausstieg aus der S-Bahn in den Strom der mit Kutten und Hoodies bekleideten Metalheads, um diesem Ereignis beizuwohnen. Fotopass aufkleben, Kamera bereit machen – und ab ins Vergnügen.

Soilwork

Soilwork aus Helsingborg – Special Guest und Opener der bevorstehenden Sause – gehören zu den gerne mal übersehenen Perlen, wenn es um schwedischen Melodic Death Metal geht. Zwar bekomme ich die ersten drei Songs live und aus nächster Nähe (Fotograben) mit, den Rest verpasse ich dann aber aufgrund sehr restriktiver Knips-Richtlinien.

Doch was die Herren in diesen ersten Minuten des Sets bieten, hat durchaus das Potenzial, mehr als nur zu einem leichten Mitwippen auszulösen. Ungewöhnlich früh, um 18:30 Uhr, startet die Band druckvoll mit „Stabbing the Drama“ und setzt damit ein erstes Ausrufezeichen. Wohl aufgrund personeller und klanglicher Veränderungen über die Jahre hinweg – sowie der begrenzten Spielzeit – schöpft die Truppe fast ausschliesslich aus den letzten Kapiteln ihrer Karriere. Hits wie „Arrival“ oder der Titeltrack ihres aktuellen Albums „Övergivenheten“ sind ebenso vertreten wie „Stålfågel“ (versucht mal, das auf eurer Tastatur zu tippen *g*). Als nostalgischen Rückblick ins Jahr 2003 servieren die Musiker zusätzlich „Distortion Sleep“, was für ein abgerundetes Klangmenü sorgt. Die Integration eines Keyboards in die Live-Performance verleiht dem Auftritt der schwedischen Melodic-Death-Metaller zudem eine spezielle Note.

Bedauerlicherweise kann ich wie erwähnt nur die ersten drei Titel der Südschweden visuell mitverfolgen. Ungewöhnlicherweise ist es nicht gestattet, die Kamera nach getaner Arbeit im Pit mit in den Konzertsaal zu nehmen, selbst wenn man nicht vorhat, weiter zu fotografieren und das Gerät brav am Gurt hängen lässt. So verfolge ich den Rest der Show eben rein akustisch im zu diesem Zeitpunkt gut gefüllten Vorraum und gönne mir eine Bratwurst samt Hausbrot (das etwas gar klein und dünn geschnitten daherkommt). Insgesamt weiss das, was ich zu sehen beziehungsweise zu hören bekomme, durchaus zu gefallen. Dennoch wird das Sextett wohl nie in die Riege meiner Must-Hear-Combos aufsteigen. Zudem ist ziemlich offensichtlich, dass nicht wenige der heute Anwesenden in erster Linie wegen der beiden Headliner nach Dübendorf gepilgert sind. Nun denn, schauen wir, was diese zu bieten haben.

Die Setliste – Soilwork

  1. Stabbing the Drama
  2. Arrival
  3. Exile
  4. Distortion Sleep
  5. Spirit of No Return
  6. Övergivenheten
  7. Death Diviner
  8. The Ride Majestic
  9. Stålfågel

Arch Enemy

Die Equipe aus Halmstad ist offen gestanden der Hauptgrund für meinen heutigen Besuch hier in The Hall, und erwartungsgemäss legt das nordische Quintett los wie die Feuerwehr. „Deceiver, Deceiver“ ist selbstredend natürlich auch ein Opener, dem man sich als Zuschauer kaum entziehen kann. Wenig überraschend also, dass Frontlady Alissa mit kreisenden Handbewegungen bereits jetzt einen Circle Pit anordnet (ob dieser tatsächlich zustande kommt, bleibt aufgrund meiner eingeschränkten Sicht zwar unklar, doch die Energie im Saal kann man buchstäblich greifen).

Auffällig ist, dass sich Miss White-Gluz während der fürs Knipsen freigegebenen Liedern zwei und drei ausschliesslich im hinteren Teil der Bühne aufhält – eine Tatsache, die in Fotografenkreisen verständlicherweise auf wenig Begeisterung stösst. Pure Arroganz oder ein bewusstes „sich aus der Schusslinie nehmen“? Persönlich neige ich dazu, dies unter dem Aspekt der „Objektifizierung der Weiblichkeit“ (ein sperriger Begriff, ich weiss) einzuordnen. Einerseits kann ich so ihre Zurückhaltung nachvollziehen, andererseits lässt sich angesichts der fortschreitenden Möglichkeiten moderner Smartphones eine gewisse Bilderfassung jedoch kaum vermeiden – auch ausserhalb des Fotograbens. Ein Thema, über das es sich allenfalls einmal zu diskutieren lohnt.

Nach dem grandiosen „House Of Mirrors“ und meiner Rückkehr in den Vorraum der Halle beschäftigt mich aber erst mal ein kleineres Dilemma: Wie soll ich den Rest des Arch Enemy-Auftritts geniessen, während ich eine Kamera mit mir herumtrage? Die Lösung erweist sich als ebenso simpel wie naheliegend: Die Garderobe im Keller des Gebäudes! Dort, wo üblicherweise Mäntel und Taschen hängen, findet nun auch mein Fotoapparat gegen ein kleines Entgelt ein kuscheliges Plätzchen. In sehr freundlicher Gesellschaft, wohlgemerkt!

Was die Setlist anbelangt, konzentriert man sich vornehmlich auf die beiden letzten Studioalben „Deceivers“ (2022) und „Will To Power“ (2017), die zusammen mit den zwei neuen Tracks „Dream Stealer“ (zum Videoclip) und dem noch unveröffentlichten „Liars & Thieves“ (Nachtrag: das dann am 17.10.2024 offiziell gestreut wurde) vom Ende März 2025 erscheinenden Album „Blood Dynasty“ so etwas wie das Rückgrat der Show bilden. Interessant finde ich zudem, dass der ursprünglich eingewobene Song „Handshake With Hell“ nach nur fünf Shows (genauer gesagt ab dem 9. Oktober in Luxemburg) dem 2011er Kracher „No Gods, No Masters“ von „Khaos Legions“ weichen musste.

Die Saiteninstrumente sowie das Schlagzeug kommen beim Auftritt von Arch Enemy recht klar und differenziert rüber. Lediglich bei Alissas überwiegend gutturalem Gesang scheinen die Tontechniker stellenweise noch nicht ganz die perfekte Balance gefunden zu haben. Kein grosses Ding, aber in dieser auf Perfektion getrimmten Maschinerie ein Punkt, den man noch etwas mehr Beachtung schenken könnte. Apropos Perfektion: Schon in meiner Manöverkritik zum Greenfield 2023 (zur Review) habe ich diese magistrale Durchorganisiertheit als leisen Kritikpunkt ins Feld geführt. Nun – hat man sich erst einmal mit diesem unglaublich präzisen Getriebe arrangiert, fällt es umso leichter, in der Performance aufzugehen.

Sehr spektakulär präsentiert sich darüber hinaus die grandiose Lightshow! Und wie bei kaum einer anderen Band staune ich immer wieder, wie viel Virtuosität und Melodik die doch recht finster dreinblickenden Herren aus ihren Saiteninstrumenten herauszukitzeln vermögen. Die Idee, den Mitsing-Part auf einer Basslinie aufzubauen („Sunset Over the Empire“) ist eine coole Sache, die Aufforderung zum Hüpfen beim bereits erwähnten „No Gods, No Masters“ naheliegend. Und wenn beim abschliessenden „Nemesis“ überdimensionale rote und schwarze Bälle über den Köpfen des Publikums kreisen, ist die Show definitiv eingetütet! Aus der Distanz der hintersten Reihe betrachtet, präsentieren die Schweden einen soliden, technisch hochstehenden und optisch beeindruckenden Auftritt.

Die Setliste – Arch Enemy

  1. Deceiver, Deceiver
  2. The World Is Yours
  3. House of Mirrors
  4. My Apocalypse
  5. Dream Stealer
  6. War Eternal
  7. Liars & Thieves
  8. The Eagle Flies Alone
  9. First Day in Hell
  10. Saturnine
  11. As the Pages Burn
  12. Sunset Over the Empire
  13. No Gods, No Masters
  14. Nemesis
  15. Fields of Desolation (Outro, instrumental)

In Flames

Für den finalen Akt verlagert sich der Fokus geografisch nochmals etwas weiter nach Norden (als rein virtuell, nicht in der Halle); genauer gesagt nach Göteborg, die Heimatstadt der 1990 gegründeten In Flames. Erfreulicherweise ist von Beginn an auch der stimmliche Bereich des Soundspektrums klarer abgemischt, was gerade den brachialen Growls von Urgestein Anders Fridén gut bekommt.

Weniger toll ist hingegen, dass bei den beiden zu fotografierenden Liedern die Bühne mehrheitlich in rotes oder grünes Licht getaucht ist – nicht unbedingt Zucker für die Linse. Es stellt sich die Frage, was Bands damit wohl bezwecken möchten. Früher, als an Konzerten noch massig bebilderte Tourhefte verkauft wurden (wir unternehmen hier eine kleine Zeitreise ins letzte Jahrtausend, als Smartphones noch nicht einmal Zukunftsmusik waren), war das irgendwie noch nachvollziehbar, wollte man doch mit den eigenen perfekten Bildern punkten (und daraus fette Einnahmen generieren). Ob dies allerdings zu einer Zeit, in der aus der vordersten Reihe qualitativ formidable Fotos geschossen werden können, noch zeitgemäss ist? Interessanterweise boten ausgerechnet die als eher zickig verschrienen Arch Enemy den Fotografen die mit Abstand besten Lichtverhältnisse. Danke dafür!

In Flames, die unangefochtenen Pioniere des Melodic Death Metals, liefern derweil eine Show ab, die sowohl die Herzen langjähriger Fans als auch der jüngeren Generation durchaus in Flammen aufgehen lassen dürfte. Nach einem wirklich coolen, abwechslungsreichen Intro bringt der täuschend gemächliche Opener „Cloud Connected“ aus dem Jahr 2002 die Menge denn schnell auf die gewünschte Betriebstemperatur. Vor allem in Verbindung mit Stück Nummer zwei, „Take This Life“. Eine doch etwas unerwartete Kombination, waren diese beiden Songs doch sonst (bzw. früher) eher im hinteren Teil des Sets angesiedelt. Wenig überraschend wirkt sich dies entsprechend positiv auf die Stimmung im – wie bereits zuvor bei Arch Enemy – aus allen Fugen berstenden Saal aus. So ist bei „Deliver Us“ denn auch schon der erste Crowdsurfer über den Köpfen der erfreulich mitgehenden Masse auszumachen – der mich bei seiner etwas unkoordinierten Landung im Graben dann halt voll seitlich erwischt (vielleicht sollten wir MI-intern mal über eine Gefahrenzulage diskutieren?).

Das Besondere an dieser Truppe ist indes diese geballte Energie, die sie ausstrahlt und mühelos auf das Publikum überträgt. Man sieht den Musikern förmlich an, wie sehr sie es geniessen, genau da oben zu stehen und die Menge mit ihrer ungebremsten Leidenschaft zu begeistern. Und wie sagt Frontmann Anders doch so charmant? „Im Internet stand: Play old shit. Also spielen wir alten Scheiss“. Damit dürfte er wohl „Food For The Gods“ vom dritten Album Whoracle (1997) meinen, das nach einer gefühlten Ewigkeit wieder Einzug in die Setlist hält. Auch Songs wie „Coerced Coexistence“ (1999) und „Trigger“ (2002) feiern ein Comeback und werden gebührend gefeiert. Zwei der drei Tracks von der aktuellen Scheibe Foregone, „Meet Your Maker“ und „State of Slow Decay“, lassen dagegen noch etwas auf sich warten und tauchen erst später in der Liedliste auf – was zu einer harmonischen und ausgewogenen Mischung aus Alt und Neu beiträgt.

Auf Platte vermögen mir In Flames durchaus zu gefallen, ja einige ihrer Songs finde ich sogar richtig gut. Doch live können sie mich zumindest heute nicht so ganz abholen. Und doch zeigt dieses Konzert einmal mehr, warum sie zu den wichtigsten Vertretern des modernen Metals gehören. Objektiv betrachtet eine starke Performance, die derjenigen von Arch Enemy in nichts nachsteht und nach dem Verklingen des letzten Tones eine erschöpfte, aber überglückliche Besucherschar in die noch nicht allzu kalte Oktobernacht entlässt.

Die Setliste – In Flames

  1. Cloud Connected
  2. Take This Life
  3. Deliver Us
  4. Paralyzed
  5. In the Dark
  6. Voices
  7. Food for the Gods
  8. Coerced Coexistence
  9. Trigger
  10. Only For The Weak
  11. Meet Your Maker
  12. State of Slow Decay
  13. Alias
  14. The Mirror’s Truth
  15. I Am Above
  16. My Sweet Shadow

Das Fanzit – In Flames, Arch Enemy, Soilwork

Beide Hauptacts lieferten eine grundsolide, mitreissende Show ab und vermochten die Fans in der ausverkauften The Hall-Hütte gehörig ins Schwitzen zu bringen. Ich für meinen Teil fand den Auftritt von Arch Enemy packender, andere mögen In Flames unter „best act of the day“ angekreuzt haben. Oder wie es Kollege Rossi auf Facebook so treffend formulierte: „Das wirklich Schöne im Metal-Universum ist, dass man selbst nach Jahren Bands entdeckt, die man aus unerklärlichen Gründen ignoriert hat. Heute Abend live mit In Flames passiert … mega!“.

Soilwork als „Special Guest“ konnten mich heute hingegen leider nur bedingt abholen. Schade irgendwie. Aber alles in allem ein cooler Gig in einer grenzwertig vollen Location.

Die Fotos – In Flames, Arch Enemy, Soilwork


Wie fandet ihr das Konzert?

23.10.2024
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