Metalinside.ch – Visions Of Atlantis – Z7 Pratteln 2024 – Sandro 21
Do, 17. Oktober 2024

Visions Of Atlantis, Illumishade, Seraina Telli

Z7 (Pratteln, CH)
25.10.2024

Pirates of the Caribbean – Das Musical

„Fünfzehn Mann auf des toten Manns Kiste, jo-ho, jo-ho – und ’ne Buddel voll Rum!“ Und auch wenn sich an diesem Abend nur dreizehn Seelen auf Deck des Z7 versammeln, so ist der Anker dennoch gewogen und die Segel sind gesetzt. Denn Visions Of Atlantis, Illumishade und Seraina Telli gedenken, die musikalischen Wellen zum Schäumen zu bringen.

Ahoi, ihr Landratten! Es ist wieder Zeit, die Leinen loszuwerfen und in See zu stechen! Schliesslich wird in Pratteln eine Ladung Piraten-Spass geboten! Clémi, Meek und ihre bunt zusammengewürfelte Crew laden zum fröhlichen Meereswalzer ein. Und damit sie die sieben Weltmeere nicht allein befahren müssen, haben sie weitere Schiffskameraden an Bord geholt. Als Vorhut entern Illumishade und Seraina Telli das sagenumwobene Deck des Z7 und servieren, so sagt man, einen Schmaus für Aug und Ohr. Und sobald die Glocke neunmal schlägt, werden Visions Of Atlantis ihre Klingen ziehen und alle anwesenden Matrosen in ihren Bund der Meereroberer aufnehmen. Ein Festmahl für die Seele und ein Schluck Rum für den Magen – mehr braucht ein echter Pirat nicht! Denn nach all den grauen Tagen sehnen wir uns doch alle nach etwas – Farbe …

Seraina Telli

Der rockende Paradiesvogel eröffnet den rund 30-minütigen Reigen stimmig mit „Addicted To Colour“, einer Nummer, die wunderbar zu den draussen vorherrschenden herbstlichen Farben passt, und mit der Seraina die zu Beginn noch etwas reserviert wirkende Schar relativ schnell in ihren Bann zu ziehen vermag. Mit ihren bunten Haaren und der ihr eigenen Selbstverständlichkeit schlägt sie so schnell eine klangvolle Brücke in den sich weiter füllenden Saal.

Trotz des bereits aufgebauten Equipments der nachfolgenden Bands scheint die Spielfläche ideal für das dreiköpfige Rocktrio. Vor allem Seraina nutzt den Raum perfekt aus, indem sie sich fast ständig am vorderen Bühnenrand aufhält und charmant wie gekonnt mit der immer grösser werdenden Menge interagiert. Rechts bearbeitet Mike Malloth mit gewohnter Intensität und beeindruckender Motivation sein Schlagzeug-Setup, während die niederländische Gitarristin Esmée van Sinderen (ehemals Cobra Spell) sich dezent im linken Hintergrund hält. Ein formidables Trio, das hervorragend harmoniert und nicht nur mich staunen lässt, wie man mit so wenig Personal auf den Brettern einen derart wuchtigen und druckvollen Sound erzeugen.

Das Repertoire des Abends umfasst erwartungsgemäss Songs aus Serainas beiden Soloalben „Simple Talk“ und „Addicted to Color“. Ihr kraftvoller In-Your-Face-Rock entfaltet live eine noch intensivere Wirkung als auf den Studioaufnahmen. Ein Umstand, der nur bedingt überrascht, wenn man sieht, wie sehr die Kämpferin für Gleichberechtigung in der männerdominierten Rockszene in ihrer Musik aufgeht. Eindrucksvoll und authentisch – diese beiden Adjektive fassen den Auftritt treffend zusammen. Als Zuschauer, der die gebürtige Aargauerin zum ersten Mal on stage erlebt, bereue ich es keine Sekunde, für diese persönliche Live-Premiere früher Schluss gemacht zu haben.

Zum krönenden Abschluss ihres kurzweiligen Sets greift Miss Telli selbst zur Gitarre, stimmt „Modern Warrior“ an und lädt sogleich zum Mitsingen ein. Wobei sich der Text als echter „Simple Talk“ entpuppt – ein einfaches „Wououou“. Mit einem Augenzwinkern erklärt Seraina: „Das machen wir in allen Ländern so“. Eine universelle Singalong-Formel: völkerverbindend und federleicht in der Umsetzung. Doch was die Dame dann an Tonhöhen raushaut, lässt nicht nur mir den Unterkiefer auf Bodenhöhe runterklappen. Absolut krass, wozu ihre Stimmbänder fähig sind.

Ihre Performance ist ein Feuerwerk an Farben und Energie – bunt, rotzig und frech. Damit verkörpert sie eine Art moderne Pippi Langstrumpf, die selbst dem kritischen Chris „Meh Dräck“ von Rohr bei seinen Musicstar-Einsätzen ein breites Grinsen ins Gesicht gezaubert hätte. Und wo andere Künstlerinnen ein Motten-Plüschi auf der Bühne haben (Mothica, zum Livebericht), wacht bei Miss Telli das niedliche Einhorn „Wetchy“ in vorderster Front (bzw. vom Bühnenmonitor aus) über die erbebende Spielwiese.

Nach dieser mitreissenden Show, die zweifellos das perfekte Aufwärmprogramm für die kommenden Bands liefert, zeigt Seraina noch keinerlei Ermüdungserscheinungen. Mit einem Selfie-Stick fängt sie schnell die ersten Reihen des Publikums ein, bevor sie sich direkt auf den Weg zum Merch-Stand macht. Ein echtes Energiebündel, wie es im Buche steht. Wer von dieser coolen Nummer noch nicht genug hat, darf sich freuen, denn der kommende Winter bietet gleich mehrere Gelegenheiten, diese coole Truppe nochmals live zu erleben. Ob im Vorprogramm der legendären Nazareth oder als Headliner – die Fans haben die Qual der Wahl. Für detaillierte Informationen zu den anstehenden Konzerten lohnt sich ein Blick auf die offizielle Homepage von Seraina.

Die Setliste – Seraina Telli

  1. Addicted to Color
  2. Wish You Well
  3. I’m Not Sorry
  4. Monkey & Zookeeper
  5. All Your Tears
  6. Think!
  7. Modern Warrior

Illumishade

Im Anschluss an die überschaubare Umbaupause, in der ich ein wenig durch die Halle schlendere und die entspannte und zugleich vorfreudige Atmosphäre auf mich wirken lasse, geht es mit Illumishade und etwas mehr auf Hochglanz polierten Klängen munter weiter. Nach ihrem mehr als überzeugenden Gig zusammen mit Delain und Xandria (zur Review) Ende Januar dieses Jahres sind sie in der Running Order einen Platz nach oben geklettert – hochverdient, nota bene.

Natürlich finden sich ein dreiviertel Jahr später einige Elemente des damaligen Gastspiels bei ihrer mittlerweile fünften Show im Z7 wieder. Wie etwa die abwechselnden Ansprachen von Fabienne und Jonas zwischen den Songs oder diese natürliche und supersympathische Art, mit der dieses Ensemble agiert. Auch die Setliste liest sich ähnlich wie beim letzten Mal. Lediglich „Crystal Silence“ und „Muse of Unknown Forces“ mussten den beiden neuen Titeln „Riptide“ und „In The Darkness“ (beide von „Another Side Of You“) weichen. Und so sehr ich die beiden beiseitegelegten Stücke schätze, so fügen sich die beiden Neuzugänge noch eine Spur harmonischer in das musikalische Gesamtgefüge ein.

Und doch wird bei all dem Wohlbekannten schnell mal deutlich, welch grossen Schritt nach vorne Illu durch ihren Abstecher in die USA wieder gemacht haben. Alles funktioniert noch einen Tick besser, die Automatismen greifen wie von selbst und lassen Raum für den einen oder anderen Spass. Jonas Wolf wirkt auf mich noch lockerer und spielfreudiger (vor allem im Vergleich zu seinem Auftritt im Komplex 457 – zum Review) und scheint kaum genug Auslauf bekommen zu können. Und was Fabi stimmlich bei Titeln wie „Here We Are“ oder dem ihr besonders am Herzen liegenden „Rise“ abliefert, ist schon ganz grosses Kino! Wie auch die Growl-Einlage bei „Tales Of Time“, die die rothaarige Fronterin mangels Anwesenheit von Chrigu Glanzmann (Elu) gleich eigenhändig (oder so) übernimmt. Selbst ist eben die Frau!

Amüsant ist zudem der Wettbewerb „Erkenne Interpret und Song anhand eines Riffs“, den das Quintett scheinbar jeden Abend zelebriert – heute mit „Holy Diver“ von Dio (als Preis winkt ein Patch). Erfreulich obendrein: Der glasklare Sound, der uns zum Glück durchgehend begleiten wird. An dieser Stelle ein grosses Dankeschön in Richtung Mischpult!  Und wenn wir schon am Loben sind: Den Preis für die tollsten Merch-Artikel geht in meinen Augen klar an unsere Licht- und Schattenmeister. Sehr cool, was für verspielte Grafiken zum Beispiel die T-Shirts zieren!

Selbst wenn der Fokus bei Illumishade oft auf Fabi und Jonas liegt, den durch Eluveitie wohl bekanntesten Gesichtern der Formation, verdient der Rest der Combo nicht minder Beachtung. Bassist Yannick Urbanczik bewegt sich gewohnt energiegeladen über die Bühne des Z7, während Marc Friedrich voller Begeisterung auf sein vielfältiges Drum-Set eindrischt. Und ob allgemein bekannt ist, dass mit der blauhaarigen Mirjam Skal eine renommierte Filmmusikproduzentin am Keyboard sitzt? Ihr elegantes Kleid erinnert mich irgendwie an das von Elize Ryd im Video zu „Enshrined In My Memory“ (Timo Tolkki’s Avalon). Wer mehr von ihr hören möchte, sollte sich den Auftritt von Varda (und Koenix) am 21.12.2024 in der Met-Bar Lenzburg vormerken, wo sie bekanntlich als Sängerin mitwirkt.

Nach dieser berauschenden Darbietung wechseln die beiden Damen zum Merchandise-Stand, während die übrigen Bandmitglieder sich dem Abbau der Bühnenrequisiten widmen. Es war erneut eine absolut überzeugenden Vorstellung des Quintetts, die sicherlich nicht meine letzte gewesen sein wird! In Anspielung an meinen letzten Illu-Livebericht: Das von Mirjams Händen geformte Herz spiegeln wir auch heute wieder sehr gerne zurück!

Die Setliste – Illumishade

  1. Enter The Void
  2. Elegy
  3. Enemy
  4. Here We Are
  5. Riptide
  6. In The Darkness
  7. Cloudreader
  8. Rise
  9. Tales Of Time
  10. World’s End
  11. Edge Of Dusk (Outro)

Visions Of Atlantis

Das letzte Lights out des Abends gehört den selbst ernannten Freibeutern von Visions Of Atlantis, die ihr diesen Sommer erschienenes Werk – ganz in Anlehnung an die grossen Hollywood-Sequels – „Pirates II – Armada“ getauft haben. Hatte ich schon bei „Pirates“ den Eindruck, dass VoA dank der hervorragenden Zusammenarbeit von Clémentine und Michele einen grossen Schritt nach vorne getan – oder um es in Clémis Worten wiederzugeben: überall den More-Button gedrückt (zum Interview) – haben , so kann die Fortsetzung des Piraten-Spektakels in Anlehnung an den 20. Juli 1969 gut und gerne als „giant leap“ vermerkt werden. Durchdachter, abwechslungsreicher, cineastischer (!) – einfach nochmals das Gaspedal voll bis zum Boden durchgetreten! Soweit meine persönliche Einschätzung.

Eigentlich war ich mir nach dem magischen Auftritt von Illumishade ziemlich sicher, bereits die beste Performance des Tages erlebt zu haben. Doch bereits nach dem Opener „To Those Who Choose to Fight“ wird klar, dass nicht nur unsere Schweizer Modern Metaller in den letzten Monaten ordentlich dazugelernt haben. Arrr! Was sich da vorne auf Deck abspielt, hat mehr mit einem Blockbuster als mit einem „normalen“ Konzerterlebnis zu tun. Fluch der Karibik – Das Musical.

Etwa, wie Meek bei „The Dead Of The Sea“ mit gesenktem Haupt und von einer Kapuze verhüllt an den Bühnenrand trottet, in den Händen eine einzige, kaum Licht spendende Laterne – ein Spiel mit den Emotionen und schlicht herausragend! Überhaupt wirkt die gesamte Inszenierung nochmals durchdachter, perfekt orchestriert. Ohne jedoch den stets augenzwinkernden, verschmitzten Unterton zu verlieren, der diese Truppe so liebenswert macht und die Zeit wieder einmal wie im Fluge vergehen lässt. Nicht weniger berührend ist denn auch die unglaublich schöne Intonation von „Underwater“, bei der Clémi all ihre stimmliche Raffinesse in die Waagschale wirft.

„Tonight I’m Alive“ entpuppt sich wenig überraschend als genial fesselnde Nummer, die geradezu magisch zum Tanzen einlädt. Nicht minder schweisstreibend wird es auch bei „Pirates Will Return“, zu der das Publikum aufgefordert wird, das mit dem Jolly Roger beflaggte Schiff in sichere Gewässer zu rudern – eine Aufforderung, der die meisten Anwesenden begeistert nachkommen. Ein weiterer Höhepunkt ist „Hellfire“, bei dem nicht nur der Klabautermann fröhlich steppt, sondern beeindruckende Pyrotechnik zum Einsatz kommt. Vorsichtshalber werden die mit Totenköpfen verzierten Mikrofonständer etwas nach hinten gerückt, um kostenintensive Schäden zu vermeiden. Eine weise Entscheidung! Interessanterweise wird während des Liedes direkt on stage gefilmt, was natürlich die Neugier weckt, wofür dieses Material wohl später verwendet werden könnte.

Im Gegensatz zum Konzert in Luzern zu Beginn des Jahres (zum Bericht), bei dem ältere Stücke aus der Zeit vor der Piraten-Thematik noch schonungslos in das neue Konzept gepresst wurden, können die symphonischen Korsaren nun mit dem grossen Enterhaken anrühren und aus dem Vollen schöpfen. Einzig „Heroes Of The Dawn“ bleibt noch als Relikt aus vergangenen Tagen erhalten und wurde noch nicht über die Planke geschickt. Möglicherweise, weil nicht nur ich der Meinung bin, dass dieser Kracher ein schützenswertes Juwel darstellt – oder einfach, da eine perfekte Hüpfnummer so falsch nicht sein kann.

Die Bühne ist dabei einer Piratenschiff-Brücke nachempfunden – nicht übertrieben aufwendig, aber durchaus zweckmässig. In Kombination mit den fünf Protagonisten entsteht darob eine angenehme Theateratmosphäre, die die Zuhörerschaft voll und ganz in das Piratenabenteuer eintauchen lässt. Zentral über dem Geschehen thront Steuermann und Schlagzeuger (sowie Napalm Records – Boss) Thomas Caser. Zu beiden Seiten flankieren Gitarrist Christian Douscha und Herbert Glos die Szenerie wie zwei unerschütterliche Felsen in der Brandung. Ihre zur Schau gestellte Coolness rundet das Gesamtbild gekonnt ab und verstärkt die immersive Wirkung dieser durchdachten Performance.

Als Michele dann auch noch das Messgerät an der Wand des Z7 zu Hilfe nimmt, um der Crowd bei seinem Jubel für Clémis Darbietung einen Wert von über 120 Dezibel zu entlocken, ist das einfach genial. Die eineinviertel Stunden vergehen wie im Flug, gefüllt mit packender Musik, viel Humor und berührenden Momenten. Gerne wieder? Auf jeden Fall!

Mit diesem Beutezug beweisen Visions Of Atlantis eindrucksvoll, dass sie zu den ganz Grossen des Genres aufgeschlossen, wenn nicht diese sogar schon überholt haben. Und das nicht nur wegen der überaus unterhaltsamen Showeinlagen, sondern ganz einfach durch tolles Songwriting, harte Arbeit und eine unverbrauchte Prise Humor!

Die Setliste – Visions Of Atlantis

  1. To Those Who Choose to Fight
  2. The Land of the Free
  3. Monsters
  4. Where The Sky And Ocean Blend
  5. Clocks
  6. Heroes Of The Dawn
  7. Legion Of The Seas
  8. Tonight I’m Alive
  9. Collide
  10. Hellfire
  11. The Dead Of The Sea
  12. Underwater
  13. Magic Of The Night
  14. Pirates Will Return
  15. Melancholy Angel
  16. Master the Hurricane*
  17. Armada*

* Zugabe

Das Fanzit – Visions Of Atlantis, Illumishade, Seraina Telli

Heute durfte ich im Z7 das Gastspiel zweier altbekannter und liebgewonnener Equipen geniessen – sowie eine längst überfällige Neuentdeckung. Soweit mein kurzes Resümee. Etwas weiter ausholend war es wiederum ein gelungener Steigerungslauf, bei dem Seraina Telli sehr beeindruckend vorlegen konnte. Illumishade dürften nun endgültig den Schleier des Geheimtipps abgelegt haben und die Früchte ihrer tollen Arbeit ernten. Ihre US-Tour hat dem Ganzen nochmals einen gewaltigen Schub nach vorn verliehen, sodass ich mich schon jetzt auf die nächste Begegnung freue! Und zum Auftritt von Visions Of Atlantis fällt mir auf die Schnelle nur ein Wort ein: grandios.

Delain, Xandria, Illumishade – Visions Of Atlantis, Illumishade, Seraina Telli. Dieses Jahr ist in der Tat eine fantastische Reihe hochkarätiger Band-Kombinationen auf Tour. Hoffen wir, dass das auch in Zukunft so weitergeht!

Die Fotos – Visions Of Atlantis, Illumishade, Seraina Telli


Wie fandet ihr das Konzert?

25.10.2024
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