Metalinside.ch – Apocalyptica – Komplex 457 Zürich 2024 – Foto Sandro 11
Sa, 23. November 2024

Apocalyptica, Arctis

Komplex 457 (Zürich, CH)
28.11.2024

The Night Of The Living Cellos

Apocalyptica lassen sich nur schwer in eine musikalische Schublade stecken – harter Sound trifft auf klassische Elemente trifft auf virtuose Spielkunst. Metal mit Anspruch eben.

Am Samstag, 23.11.2024 machte der finnische Tross – auch die Vorgruppe Arctis stammt aus dem Land der tausend Seen – Halt im Zürcher 457. Ob sich der Abstecher ins winterliche Zürich gelohnt hat, erfahrt ihr im folgenden Bericht.

Siebenundzwanzig Jahre ist es her, seit sich klassisch ausgebildete Cellisten einen Namen machten, indem sie die Klangwelt von Metallica mit ihren damals schlicht revolutionären und mächtig beeindruckenden Streichinstrumenten zu etwas noch nie dagewesenem verdichteten. Apocalyptica waren geboren. Nun, knapp drei Dekaden und zehn Studioalben später, kehren die Finnen zurück, um den zeitlosen Hits der legendären Thrash-Götter erneut die Ehre zu erweisen. Wir haben die einzigartige Stimmung dieses Events für euch in Wort und Bild eingefangen.

Arctis

Nun ja, wenigstens den grössten Teil, denn als ich die Location betrete, sind Arctis mit ihrem Set schon voll zugange. Anscheinend wurde der auf 20 Uhr angekündigte Starttermin um eine halbe Stunde nach vorn geschoben (dafür dauerte die Umbaupause umso länger – ob man wohl vergessen hatte, den Jungs von Apocalyptica den geänderten Zeitplan mitzuteilen? Das frühe Ausschalten des Haupt-Saallichts vor ihrem Auftritt würde dafür sprechen). Jänu, immerhin schaffe ich es gerade noch, das dritte Stück von Arctis bildlich festzuhalten. Und der Puls ist auch bereits auf Betriebstempo, von daher…

Die Nordländer, die am 1. November dieses Jahres ihr gleichnamiges Debütwerk bei Napalm Records veröffentlicht haben, treten an, uns die Hölle auf Erden zu bringen. Sagen sie zumindest in ihrem Opener „I’ll Give You Hell“ respektive ihrer poppig, disco-liken Version dieser apokalyptischen Androhung (womit der Bogen zum Headliner bereits gespannt wäre – ich liebe Wortspiele). Ein Hades, wo statt siedendem Öl eher elektrisierender Honigwein den ausgetrockneten Gaumen hinunterrinnt.

Doch zurück zur Tonkunst, die uns da entgegenschallt. Natürlich kann man dem wuseligen Quintett – der vereinfachten Schubladisierung wegen – durchaus eine gewisse Nähe zu einer gewissen Formation aus Schweden nachsagen (wie es ein renommiertes Fachblatt (hüstel) ja auch getan hat). Amaranthe Light, um es mal plakativ auszudrücken. Und ja, das Fehlen eines stimmlichen Gegenparts (oder besser: gleich deren zwei) macht sich gelegentlich ziemlich augen- und ohrenfällig bemerkbar. Etwas, das der Geschichte rein musikalisch betrachtet ein wenig mehr Farbe und Tiefgang verleihen würden. Fairerweise muss im gleichen Atemzug aber ebenso erwähnt werden, dass Arctis es zweifellos verstehen, ihr Ding souverän durchzuziehen und so den Herzschlag der Anwesenden wie gewünscht nach oben zu pushen.

Neben dem bereits erwähnten „I’ll Give You Hell“ stechen für mich insbesondere die Coverversion des 2000er Hits „Bimbo“ von Lambretta sowie das balladig angehauchte „Frozen Swan“ heraus (passend zum Facebook-Eintrag der Truppe nach dem Event: Zürich! „Thank you so much for last night! It was so cold we almost felt like home in Finland“. Tja, liebe Skandinavier, auch wir können Winter!). Leider verschluckt der nicht unbedingt ideal abgemischte Sound des Öfteren die Höhen, was für eine als Female Fronted auftretende Band selbstredend nicht als wirklich optimal bezeichnet werden kann.

Die ganz in weiss gekleidete Frontdame Alva Sandström teilt sich – in bester Illumishade-Manier – die Ansagen mit einem der beiden Gitarreros, was der Dynamik des Auftritts einen zusätzlichen Tupfer verleiht. Und da eine alles andere als statische Bierdeckel-Performance geboten wird, kann man der Vorstellung der Finnen insgesamt gute Ansätze attestieren. Was denn das Publikum, welches gegen Ende des rund dreissigminütigen Sets langsam aufzutauen beginnt, entsprechend wohlwollend quittiert.

Zudem ist es ziemlich beeindruckend, wie abgeklärt und selbstbewusst dieser doch noch relativ junge Support-Act hier agiert. Quasi aus dem Studio direkt auf die grossen Bühnen dieser Welt, das muss man erst mal hinkriegen. Zwar dürften wohl 99,9 Prozent der Zuschauer ausschliesslich wegen der nachfolgenden Cellisten nach Zürich gereist sein, aber Arctis ist es gelungen, eine Duftmarke zu setzen – was definitiv als Erfolg gewertet werden darf.

Nach ihrer Darbietung schaut Alva noch am Merchstand vorbei, wo sie, wie ich beobachten kann, das eine oder andere angeregte Gespräch führt. Man darf gespannt sein, wohin die kreative Reise der sympathischen Finnländer noch gehen wird.

Die Setliste – Arctis

  1. I’ll Give You Hell
  2. Remedy
  3. Tell Me Why
  4. WWM
  5. Bimbo
  6. Fire
  7. Frozen Swan
  8. Theatre Of Tragedy

Apocalyptica

Bereits während der Umbauarbeiten deutet sich an, dass uns ein nicht unbedingt alltägliches visuelles Erlebnis erwartet. Eine beeindruckende Reihe kleiner, schwenkbarer Scheinwerfer-Klötzchen wird in der (definitiv viel zu lange dauernden) Pause auf der Bühne in Position gebracht. Diese entfalten in den kommenden neunzig Minuten eine wahrhaft bezaubernde Lichtchoreografie. Ein optisches Spektakel, wie ich es noch nie gesehen habe.

Als es im Saal endlich ganz dunkel wird, betreten Eicca Toppinen, Perttu Kivilaakso und Paavo Lötjönen, begleitet von Schlagzeuger Mikko Kaakkuriniemi, die Szenerie und legen mit „Ride the Lightning“ ohne Umschweife los. Es ist schon schwer beeindruckend, mit welch atemberaubender Virtuosität die drei Herren ihre Instrumente zu bedienen wissen. Ständig ist etwas los, und vor allem Eicca wie Perttu wechseln immer wieder ihre Positionen auf der mit einer riesigen LED-Wand im Hintergrund ausgestatteten, ansonsten aber nicht übermässig mit Schnickschnack überladenen Spielfläche. Und es ist augenscheinlich, wie viel Spass sie dabei haben.

Wie Paavo fünf Tage zuvor es in unserem Gespräch beschrieben hat (zum Interview), fühlt man sich in der Tat an einem reinrassigen Metal-Konzert – wobei sich einige Vertreter der härteren Zunft in Sachen schweisstreibender Performance durchaus noch eine fette Scheibe abschneiden könnten. Mit „Enter Sandman“ folgt alsbald der erste Mitsing-Hit, bei dem die Fans lautstark das textliche Zepter übernehmen. Ich selbst gehöre nicht unbedingt zu den grössten Bewunderern der aus LA stammenden Thrash-Giganten (Anm. von pam: Ui, wenn das mit „LA“ Cliff Burton hört …), aber es scheinen hier und heute mehr als genügend eingefleischte Metallica-Anhänger im prall gefüllten Komplex 457 zu sein, die dies mehr als wettmachen. Insgeheim frage ich mich, ob sich die breit grinsenden Musiker da oben gerade innerlich auf die Schultern klopfen: „Gage für nen Sänger erfolgreich eingespart, da dieser Part ja locker ans Publikum delegiert werden kann“.

Nach den ebenfalls magistralen „Creeping Death“ und „For Whom the Bell Tolls“ möchten die Saitenhexer vom Zürcher Anhang nun wissen, ob sie denn auch für ein paar rasantere Takte bereit seien. Wohl eine rein rhetorische Frage, denn zu „Battery“ beginnt der Kessel nun endgültig zu kochen. Besonders bewegend ist „The Call of Ktulu“, das Eicca als eine Art Hommage dem 1986 bei einem Busunfall verstorbenen Metallica-Bassisten Cliff Burton widmet. Für ihre Neuinterpretation verwendeten sie Burtons originale Bassspur aus der Originalaufnahme. Ein wahrlich bewegender Moment, der für den einen oder anderen Hühnerhautmoment sorgt.

In der Folge verfällt die Zuhörerschaft etwas in einen „Andächtig lauschen“ – Modus, mit frenetischem Jubel zum Ende des jeweiligen Tracks. Ein Zustand, der bis zum mitreissenden „Master of Puppets“ anhält. Der reine Wahnsinn, was die drei Cellisten da nun aus ihren Stehgeigen herauskitzeln. Kochte der Kessel vorher noch heiss blubbernd vor sich hin, so haben wir jetzt definitiv Überdruck! Ganz stark, was hier abgeliefert wird! Die nachfolgende Überhymne „Nothing Else Matters“ erschafft ihrerseits eine sehr intime, berührende Atmosphäre, die durch den gefühlvollen Chor der Anwesenden nur noch verstärkt wird. Zwei sehr unterschiedliche Momente, die aber jeder auf seine Weise bis ganz tief in die Seele greifen.

Umso befremdlicher wirkt es da auf mich, wenn zu Zeilen wie „So close, no matter how far. It couldn’t be much more from the heart“ rundum frisch fröhlich drauflos geplappert wird. Liebe Leute, wenn euch das Dargebotene nicht interessiert, so disloziert doch bitte ins Foyer (das gerade im K457 genügend Raum für angeregte Gespräche wie belangloses, biergeschwängertes Geplauder bietet). Als Eicca dann noch bei „Seek & Destroy“, welches das offizielle Set beschliesst, in Jimi-Hendrix-Gedenk-Pose sein Cello hinter dem Kopf zu spielen beginnt, kennt der Jubel kein Halten mehr.

Nach einer kurzen Verschnaufpause setzen Apocalyptica mit „One“ einen fulminanten Schlussakkord. James Hetfields kraftvolle, gesprochenen Worte schallen (ab Band) durch die Halle und tragen den Song mit unbändiger Intensität bis in die hinteren Winkel. Untermalt wird dieses die Sinne verzaubernde, cineastische Klangbouquet durch den passenden Videoclip, der auf dem LED-Backdrop (ich nenne es mal so) abgespielt wird. Ein ganz, ganz besonderer Moment in einer ohnehin schon besonderen Show. Der tosende Applaus ist denn auch mehr als verdient!

Die Setliste – Apocalyptica

  1. Ride the Lightning
  2. Enter Sandman
  3. Creeping Death
  4. For Whom the Bell Tolls
  5. Battery
  6. The Call of Ktulu
  7. St. Anger
  8. The Four Horsemen
  9. Blackened
  10. Master of Puppets
  11. Nothing Else Matters
  12. Seek & Destroy
  13. One

Das Fanzit – Apocalyptica, Arctis

Man muss kein Anhänger einer der beiden titelspendenden Bands sein, um diese aussergewöhnliche Symbiose aus purer Energie und klassischen Elementen gebührend würdigen zu können. So zählen weder Metallica noch die Finnen zu meinen Lieblingsgruppen, und auch das Volume 2 der apokalyptischen Coverversionen vermochte mich nicht nachhaltig in seinen Bann zu ziehen (obgleich mich solche Experimente durchaus interessieren). Aber live spielen die intensiv gestrichenen und gezupften Klänge von Apocalyptica noch einmal in einer ganz anderen Liga.

Arctis wussten den Slot als Einheizer gut zu nutzen und emsig Werbung in eigener Sache zu betreiben. Zwar konnte ich auf die Schnelle noch kein wirkliches Alleinstellungsmerkmal in ihrem Sound ausmachen, doch bringen sie zweifelsfrei viele gute Ansätze mit, auf denen sich aufbauen lässt. Eine Truppe, die man im Auge behalten sollte.

Die Fotos – Apocalyptica, Arctis


Wie fandet ihr das Konzert?

28.11.2024
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