Nightwish light? Oder einfach der gemeinsam gelebte Traum.
Es war einmal ein Summer Nights Open Air im Z7 im Jahre 2023. Zur grossen Überraschung und Freude vieler hatten Tarja und Marko Hietala angekündigt, dass sie zum ersten Mal seit Tarjas Rausschmiss bei Nightwish – mal abgesehen von einer paar Auftritten in Finnland – wieder gemeinsam auf der Bühne stehen werden. Da hatten die beiden Publikumslieblinge Blut geleckt …
Und so stehe ich heute mit rund 700 anderen Nasen erwartungsvoll im Publikum. Aus der Geschichte vom Z7 Summer Nights Open Air sollte eine gemeinsame Tournee werden und heute ist bereits der letzte Tag von dieser. Man könnte somit meinen, da müsste ja durch viel Routine alles am Schnürchen laufen.
Der Konjunktiv verrät mich. Es lief nicht so alles am Schnürchen. Denn irgendjemand dachte wohl Schweiz = Schweden = EU oder so ähnlich. Denn das berühmtberüchtigte Carnet für die Einreise mit Merch und Musik-Equipment wurde schlicht nicht ausgefüllt und deshalb blieb man schon am frühen Nachmittag an der Grenze von Deutschland in die Schweiz stecken. Dies nicht einfach mal eine halbe Stunde oder so, sondern stundenlang. Keine Chance – ohne Carnet keine Einreise. Also musste man schliesslich den Nightliner, den ganze Merch und alles Equipment mehr oder weniger am Zoll zurücklassen. Schliesslich wurden die Musiker mit ihren einzelnen Instrumenten mit PKWs von der Z7-Crew an der Grenze abgeholt. Aus einer guten Quelle erfahre ich, dass Tarja zumindest nicht im Nightliner unterwegs war, da sie diese Art des Reisens scheinbar nicht so mag. Aber was bringts, wenn der Rest der Band im Bus steckt?
Nun, die ganze Aktion hat zur Folge, dass die Besucher der Sause beim Z7 fast zwei Stunden vor verschlossenen Toren stehen. Zum geplanten Beginn mit Chaoseum hört man aus der Halle den Soundcheck von Tarja und Band. Das Z7 hatte bereits früh am Nachmittag informiert, dass es Verzögerungen beim Einlass geben wird, aber das war auch gerade die einzige Info. Und dennoch warten alle sehr geduldig vor der Halle. Immerhin gibt es da ja schon Food & Bier.
Und ja, ich gebs zu. Wie immer bin ich nicht der Allererste auf Platz und sogar froh über die Verzögerung, so verpasse ich die Vorband nicht und bin praktisch genau zum Zeitpunkt vor Ort, als die Toren geöffnet werden. Tja, geht nichts über perfektes Timing – hatten wir schon ganz früh im Hockey gelernt…
Somit kann es mit der Sause ja endlich losgehen 😉.
Chaoseum
Die Westschweizer Nu Metaller/Metalcorer mit Joker – inklusive fettem Grinsen – am Mikro dürfen wie geplant eröffnen. Es scheint nicht, dass ihr Set gross gekürzt werden musste. Auf jeden Fall sehr cool, dass sie trotz grosser Verspätung den Slot wahrnehmen dürfen. Und sie füllen den sehr gut aus. Rein von der Theatralik her stehen sie dem späteren Auftritt von Tarja in nichts nach. Marko lässt sich diesbezüglich ja eher leicht toppen.
So oder so ist die Meute natürlich jetzt heiss auf die beiden Hauptprotagonisten des heutigen Abends…
Marko Hietala
Marko & Band betreten ziemlich locker und gelöst die Bühne des Z7. Keine Spur von angepisst und so. Das soll sich durch den ganzen Abend durchziehen. Im Gegenteil, man lobt die Crew des Z7, welche alles möglich gemacht hat, damit das Konzert heute überhaupt stattfindet und nicht wie schon beim Summerside – zumindest was den Auftritt von Marko anbelangt – abgesagt werden musste.
Kollege Dani Betschart von The Art 2 Rock hat es in seiner Review trefflich formuliert – sinngemäss: Marko wirkt eher schüchtern in seinen Ansagen und dennoch ist er sehr redselig. Man hat das Gefühl, vor allem zu Beginn, dass seine Stimme bei den Ansagen zu den einzelnen Songs und Intermezzi etwas zittert. Vielleicht hat der ganze Stress der Anreise doch innerlich seine Spuren hinterlassen.
Nichtsdestotrotz bin ich sehr positiv überrascht vom Auftritt von Marko & Co. Ich hatte es mir etwas langweiliger vorgestellt. Und ich muss gestehen, ich war nie so ein grosser Fan von der Stimme des Fanlieblings. Als Typ und Bassist fand ich ihn auch immer ganz cool, aber die Art und Weise wie er bei Nightwish die Songs intonierte, gefiel mir nicht wirklich. Ich weiss, da steh ich ziemlich alleine im Walde.
Doch heute irgendwie nicht… denn die ganze Musik von Herrn Hietala hat so ein bisschen Lagerfeuer-Romantik und er singt auch sanfter als bei Nightwish. Also auf diese Weise setz ich mich doch gerne dazu – mit oder ohne Wurst. Wobei die neueren Songs wie «Rebel Of The North» und «Frankenstein’s Wife» etwas mehr Pfupf haben. Mr. Hietala verrät uns in diesem Kontext zudem gerne, dass sein neues Album im Januar 2025 erscheinen wird.
Sehr cool ist der anschliessende «Gipsy-Song» namens «Juoksen Rautateitä». Muss etwas mit «dem Zug nachrennen» zu tun haben… so in etwa wirds übersetzt und ebenso hört es sich in etwa an (könnte also mein Signature-Song werden, wenn die Übersetzung stimmt…). Sehr geil ist das zweistimmige Solo zwischen Gitarre und Keyboard.
Natürlich darf beim Auftritt von Marko – wenn wir schon am Lagerfeuer sitzen – die Göttin des Waldes… ach was, des Universums nicht fehlen. Und so schwebt sie bei «Left On Mars» für das erste Duett des Abends auf die Bühne. Der Moment, den wohl die meisten hier heute Abend hingebibbert haben. Dieser wurde ja schon früher im Jahr als gemeinsame Single veröffentlicht. Da fand ich ihn eher schwach. Doch live kommt er ganz gut rüber.
Die Sets sowohl bei Marko als auch Tarja werden wohl aufgrund des verspäteten Beginns jeweils gekürzt. Bei Marko ist es, soweit ich die richtigen Infos erhalten habe, ein Song weniger als an den restlichen Tourdaten; das Black Sabbath-Cover «War Pigs» ist das Opfer des Streichkonzerts. Schade, der kam scheinbar jeweils ganz gut. Bei Tarja – die einen längeren Slot hat – werden es schliesslich gar ganze vier Songs sein. Aber eben, wir wollen ja nicht jammern, immerhin findet das Konzert statt.
Tarja
Und so kommen wir zu meinem Hauptgrund, warum ich da im Graben stehe und eigentlich nur fotografieren wollte. Aber ganz unkommentiert kann man ja einen Abend mit der Göttin des… was hatten wir noch nicht? Sagen wir mal Göttin des Metals… also Göttin des Metals nicht lassen.
Vom ersten Ton an ist klar: Tarja ist stimmlich und darüber hinaus in Topform und wie eigentlich immer auf der Bühne sehr gut gelaunt. Sie strahlt und lacht viel. Auch ihr merkt man die Verzögerung nicht an. Da spielt natürlich viel Professionalität mit nach einer doch schon mehr als zwei Jahrzehnte dauernden Karriere. Und auf zumindest die 18-jährige Solozeit schaut die Finnin mit dieser Tour – The Living Dream – zurück.
Wie gewohnt, lässt sie uns mit dankenden Worten daran teilhaben. Insbesondere als sie alleine auf der Bühne am Keyboard «Oasis» zu der Besten gibt, erzählt sie uns, wie sie die letzten Jahrzehnte ihren Traum dank uns leben konnte. «This tour is about living the dream. I love dreams. I love music. And you make my dream come true. This is for you.»
Anschliessend an diese wunderbare akustische Reise in die Träume von Tarja, bleibt sie für «Shadow Play» hinter den Keys – doch dieses Mal darf die Band ebenfalls wieder mittun. Apropos Band – wie bereits schon am Summerside (siehe Review) – fehlt auch heute Cellist Max Lilja, dafür wieder mit zwei Gitarren. Finds immer noch Schade, dass das Cello nun komplett ab Band kommt und Max war nebst Alex Scholpp an der Gitarre so wie einer der Grundpfeiler von Tarijas Solokarriere.
Zurück zu heute… denn jetzt kommt Marko auf die Bühne. Und zwar lädt Tarja ihn ein, bei einem eigenen Song – «Dark Star» – mitzusingen. Und dann der Moment, wo alle drauf gewartet haben: Mit «Planet Hell» folgt der erste Nightwish-Song, den sie gemeinsam singen. Spricht man da wirklich von einem Cover? Bei diesem und dann vor allem «I Wish I Had An Angel» kann man eigentlich schon fast von Originalversion sprechen – zumindest werden die Songs ja sehr stark von den beiden Stimmen getragen. Bei allem Respekt vor deren erfolgreichen Soloprojekten, aber das war halt schon das, wo alle drauf gewartet haben. Die Nightwish-Songs, die sie zusammen zum Besten geben. Gerne mehr davon.
Da fang ich wieder Mal an zu träumen… Nightwish nochmals mit Tarja zu erleben. Von mir aus auch gerne à la Helloween mit allen Sängern, die je mal Teil der Band waren. Wobei Anette kann man live gerne weglassen.
Wo wir grad beim Weglassen sind. Zur grossen Freude von Marko streut Tarjas langjähriger Gitarrist Alex immer wieder Mal das Paranoid-Riff ein. So haben wir doch noch ein bisschen Black Sabbath an diesem Mittwochabend.
Die Halle könnte den einen oder anderen solchen Schub auch brauchen. Denn die Stimmung ist doch eher etwas lahm heute. Erst mit «I Wish I Had An Angel» erwacht das Publikum und wird es laut. Wie schon erwähnt, waren die meisten wohl genau wegen diesem Moment gekommen und hatten entsprechend die ganze Energie dafür aufgespart. Was ein bisschen schade ist, aber wer «Living The Dream – Together» sät, erntet ebensolche Erwartungen. Tarja meint dann auch am Ende, dass man genau hier vor etwas mehr als einem Jahr dieses «Monster» kreierte. Dieses scheint man nicht mehr loszuwerden. Zumindest bis heute Abend – dem letzten Stopp dieser Tour. Gemäss Tarja soll das Monster aber nicht eingemottet werden… Da sind wir ja gespannt, was noch kommt. Und ja, ich fang grad wieder an zu träumen. Meinen Traum kennt ihr inzwischen. Tarja bestimmt ebenfalls…
Notiz am Rande: Ein für die restlichen Besucher wohl unbedeutendes Ereignis war für zwei im Fotograben ein Highlight. Nachdem Dani Betschart, Ralf Wyssenbach und ich bei dArtagnan am Rock the Lakes im Fotograben schon einen gemeinsamen Schnupf zelebrierten, haben Dani und ich uns heute vorgenommen, dies bei Tarja zu wiederholen. Tja, Träume müssen nicht immer ganz gross sein… Manchmal ist der gelebte Traum einfach ein Schnupf mit ganz guten Freunden (das hab ich jetzt aber nicht bloss geschrieben, weil Dani mich nach dem Konzert nach Hause gefahren hat…).
Der Abschluss eines mit Tarja wie gewohnt genialen Konzertabends bildet «Until My Last Breath».
Das Fanzit – Tarja, Marko Hietala, Chaoseum
Viele kamen heute Abend in ein temperaturmässig heisses Z7. Fast so viele warteten auf den gemeinsam gelebten Traum der beiden Ex-Nightwisher Tarja und Marko. Vor lauter Warten hat man fast ein bisschen vergessen, dass diese auch solo eine Reise ins Z7 wert sind. Und so blieb die Stimmung eher ein bisschen lau. Was man bei Markos Lagerfeuer-Musik besser nachvollziehen kann als bei der stimmgewaltigen Tarja. So oder so machen wir dir, Tarja, deinen Traum weiterhin gerne wahr – solange du unseren wahr machst. Klassisches Huhn-Ei-Problem würde ich sagen…
Die Setliste Marko Hietala
- Star, Sand and Shadow
- Dead God’s Son
- Isäni ääni
- For You
- Rebel of the North
- Frankenstein’s Wife
- Juoksen rautateitä
- Left on Mars*
- Stones
*mit Tarja
Die Setliste Tarja
- Eye of the Storm
- Demons in You
- Falling Awake
- Die Alive
- Oasis (Tarja alleine am Keyboard)
- Shadow Play (Tarja mit Band am Keyboard)
- Dark Star*
- Planet Hell (Nightwish Cover)*
- I Walk Alone
- Wish I Had an Angel (Nightwish Cover)*
- Until My Last Breath
*mit Marko
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