Zürich und das Thema Power Metal
Schaulaufen der Power Metal-Ikonen Blind Guardian und Gamma Ray in der Halle 622! Die beiden Gruppen gaben sich keine Blösse und lieferten in gekonnter Manier ab.
Insbesondere Hansi Kürsch und seine Mannen erwischten einen sackstarken Abend. Der Support-Slot verblieb hingegen in helvetischer Hand und wurde durch die «Walt Disney-Metaller» von Illumishade abgedeckt. Insgeheim hätte ich mir – in Bezug auf das Publikum – eine noch vollere Location gewünscht.
Dutti: Langsam stehen die letzten Konzerte des laufenden Jahres an. Doch auch diese haben es nochmals gehörig in sich! Eine kleine Metalinside-Delegation liebäugelt beispielsweise schon mit ihrem traditionsgemässen Abstecher an das Knock Out Festival in Karlsruhe (Anm. Kaufi: Das wird sowas von genial!). Dort werden unter anderem Blind Guardian und Gamma Ray aufspielen. Zwei Tage zuvor – also heute – gastieren die beiden Equipen allerdings in Zürich und somit fast vor der eigenen Haustüre. Deswegen darf man sich diese Gelegenheit eigentlich nicht durch die Lappen gehen lassen.
Gerade Blind Guardian trifft man in der Schweiz ansonsten ausschliesslich im Z7 an (Anm. Kaufi: Einspruch! Sie haben es schon ins Welschland geschafft, 2023 – Rock the Lakes! Ok, es war eine Open-Air-Veranstaltung. Dennoch…) . Da stellt ein Abstecher nach Oerlikon eine willkommene Abwechslung dar. Wobei – eigentlich hätte diese Veranstaltung ursprünglich in der Festhalle Rüegerholz über die Bühne gehen sollen. Aber offenbar war Frauenfeld nicht für dieses mächtige Power Metal-Paket gewappnet (Anm. Kaufi: Einspruch zwei – da muss ich die Stadt, in der ich über die Hälfte meines Lebens gewohnt habe, in Schutz nehmen! Die Gründe für den Wechsel nach Oerlikon sind ausschliesslich logistischer Natur gewesen…).
Kollege Kaufi müsste am heutigen Abend kritzeln und knipsen. Allerdings hat er mich im Vorfeld um Unterstützung angefragt. Somit ist es für mich eine Ehrensache, den einen oder anderen Worterguss zu diesem Artikel beisteuern zu dürfen (Anm. Kaufi: Danke!). Mit Domi the Stick weilt zudem ein weiterer Metalinsider vor Ort. Generell trifft man einige vertraute Gesichter an (speziell aus der Zunft der Medienschaffenden). Nichtsdestotrotz hätte ich in Sachen Publikum einen grösseren Ansturm erwartet. Zürich und Power Metal – ein leidiges Kapitel… Das sah bei Kreator & Co. vor rund einer Woche noch anders aus. Einigkeit herrscht glasklar bei einem Thema: Der dort aufgetretene Stromausfall soll sich dieses Mal bitte NICHT wiederholen!
Illumishade
Dutti: Jetzt wäre die Anwesenheit eines weiteren Metalinsiders fraglos von Vorteil. Unser Sandro kennt sich meines Erachtens nämlich am besten mit Illumishade aus. Aber auch meine Wenigkeit hatte in der Vergangenheit durchaus bereits die eine oder andere Begegnung mit der Formation rund um Fabienne Erni. Seit Februar dieses Jahres haben die melodiösen Fantasy Metaller mit «Another Side Of You» einen neuen Silberling am Start, der uns erneut in liebreizende Klangwelten entführt.
Basser Yannick Urbanczik sticht einem mit seiner glitzernden Oberbekleidung sofort ins Auge (Anm. Kaufi: Wäre schön, wenn die Person an den Lichtreglern das auch bemerkt hätte, dann hätte man vielleicht auch passable Fotos machen können…). Trotzdem verbleibt der Fokus hauptsächlich auf der rothaarigen Stimmgewalt im Zentrum. Aber aufgepasst, die vermeintliche Disney-Prinzessin (am ehesten würde sie wohl als Arielle durchgehen) hat ihr Repertoire aufgestockt: Neben feenhaftem Klargesang liegen neuerdings ebenfalls böse Growl-Attacken drin. Während des Stücks «Tales Of Time» wird dies beispielsweise eindrücklich demonstriert. Hatte ich so gar nicht mehr auf dem Schirm. Aber wenn gerade kein Chrigel Glanzmann zur Hand ist, muss die Frau eben selbst alles regeln.
Genauso ein Farbtupfer auf der Bühne stellt natürlich jeweils die zierliche Mirjam Skal am Tasteninstrument dar. Leider kommt mir spontan keine Disney-Hoheit mit blauer Mähne in den Sinn, deswegen fällt dieser Vergleich unglücklicherweise flach… Des Weiteren muss unbedingt die «Shred-Maschine» Jonas Wolf lobenswert erwähnt werden. Waren Fabi und er in letzter Zeit überhaupt irgendwann einmal zu Hause? Die sind gefühlt das ganze Jahr auf irgendwelchen Tourneen unterwegs. Die nach diesem Gig anstehende Pause gönne ich ihnen jedenfalls aus tiefstem Herzen.
So Kaufi, hast du allenfalls Ergänzungen zu diesem halbstündigen, melodiösen Trip?
Kaufi: Nope, meine Bemerkungen kommen dann am Ende im Fanzit.
Gamma Ray
Dutti: Power und Speed Metal aus Hamburg mit Baujahr 1989? Ja klar, das darf nun überaus gerne serviert werden! Haben die Herrschaften einen «Predator»-Schädel als Backdrop? Nein, die Illustration gehört zum letzten Studioalbum «Empire Of The Undead», welches – notabene – schon eine Dekade auf dem Buckel hat. Nach diesem Teil wurden beinahe nur noch Live-Platten unter das Volk gebracht. Aber die Diskographie von Gamma Ray zählt wahrlich nicht zu meinen Stärken. Da kann Experte Kaufi garantiert mehr darüber philosophieren.
Saitenhexer Kai Hansen gibt sogleich auf charmante Art und Weise die Marschroute vor: «Wir spielen ein bisschen Heavy Metal, klar ne?». Die Nummer «Land Of The Free» ist ja schliesslich zweifellos ein flotter Beginn. Huch, aber wer ist denn der Kerl an der anderen Gitarre? Dieses markant gelbe Ding kenne ich doch von irgendwo her? Ja logisch, das ist Beast In Black-Mann Kasperi Heikkinen! Was treibt der denn bei Gamma Ray? Alles andere als eine schlechte Verpflichtung. Der Finne versteht sein Handwerk definitiv. Allerdings sei er etwas verwirrter als der Rest der Truppe und aufgrund dessen wird ihm der Track «Master Of Confusion» gewidmet.
Die Gesangsarbeit teilen sich derweil Kai und Frank Beck. Zweitgenannter Herr passt für mich jedoch nicht wirklich ins Gesamtbild und macht phasenweise den Eindruck eines Fremdkörpers. Sicherlich ist er kein schlechter Sänger, aber sein Kollege Hansen gefällt mir deutlich besser. Und mit dieser Meinung stehe ich offensichtlich nicht allein da.
Mitreissende Kompositionen haben Gamma Ray wahrlich einige im Gepäck. Da wäre fraglos «Dethrone Tyranny» zu erwähnen, welches von dem epischen «Induction» eingeleitet wird. Mein persönliches Highlight folgt erst kurz vor Schluss in Form von «Somewhere Out In Space». Welch prächtige Hymne! Schade, dass die Performance nach einer guten Stunde bereits wieder vorbei ist. So ein paar zusätzliche Zeigerumdrehungen, in denen man unter anderem ein «Send Me A Sign» hätte platzieren können, wären kaum jemandem in der Halle sauer aufgestossen.
Kaufi: Endlich! Nach all den Jahren sind Gamma Ray zurück auf der Bühne! Wenn meine Statistik bei Setlist.fm nicht lügt, war mein letztes Aufeinandertreffen mit den Norddeutschen 2016 auf der 70‘000 Tons of Metal. Ohne Zweifel – das ist viel zu lange her. Kein Wunder also, dass ich mich im Vorfeld wie nur was auf diesen Abend gefreut habe.
Was in den 60 Minuten nun abgeht, ist kaum in Worte zu fassen. Da spielt so viel Nostalgie mit, es ist nur herrlich. Die Setlist – eigentlich perfekt. Zumindest in dem Sinne, dass kein einziger „schwacher“ Song dabei ist. Dass Tracks wie das von Dutti erwähnte „Send Me A Sign“, „Avalon“ oder vor allem mein Favorit „To The Metal“ fehlen und auch das saustarke „Powerplant“-Album komplett aussen vor gelassen wird… Naja, man muss ein Programm auf 60 Minuten zusammenstellen, dass da einiges über die Klippe springen muss, ist dann irgendwie logisch. Zwei Tage später treffe ich noch kurz Frank Beck und er erklärt auf meine Frage, dass sie die Songs genommen haben, die im Proberaum einfach geklickt haben.
So sehr mir die Show gefällt, so sehr die Band mit bester Laune agiert: Irgendwas passt einfach nicht. Ich kann nicht mal richtig sagen, woran es wirklich liegt. Hat Dutti recht mit dem „Fremdkörper“? Es gilt klar zu sagen: Frank ist ein starker Sänger, ein starker Frontmann, der macht einen Riesenjob! Und doch hat man das Gefühl, dass er manchmal irgendwie trotzdem im Schatten des fast übermächtig wirkenden Kai Hansen steht. Zwei Tage später in Karlsruhe, als die Band das gleiche Programm spielt, ist das wesentlich weniger ausgeprägt, diese Show soll den Auftritt in Zürich dann deutlich in den Schatten stellen!
Schlussendlich ist es jedoch einfach Erbsenzählerei! Gamma Ray sind zurück, das zudem in bestechender Form. Klar ist auch, dass alle Fans nun auf eine ausgedehnte Headliner-Tour (am besten grad mit doppelter Spielzeit…) hoffen – das wäre schlicht der Hammer!
Blind Guardian
Dutti: Gamma Ray haben effektiv stark vorgelegt. Wie werden Blind Guardian darauf reagieren? Zum Einstieg unternehmen wir eine akustische Reise ins Innere eines Uhrwerks. Überall tickt und klickt es. Das ist freilich kein «Final Countdown», sondern das ultimative Wachrütteln für die gesamte Besucherschar. Denn was jetzt folgt, ist eine Power Metal-Darbietung der ersten Güteklasse! Der knackige «Siebenminüter» namens «Imaginations From The Other Side» setzt umgehend eine erste Duftmarke.
Anschliessend meldet sich Sänger Hansi Kürsch erstmals zu Wort und gibt zu, dass das heute Abend das erste Blind Guardian-Gastspiel in Zürich sei. Ha! Dann war meine Z7-Aussage in der Einleitung tatsächlich gerechtfertigt (Anm. Kaufi: Nein, immer noch nicht. 1991 waren sie in Sargans, 1992 in Winterthur, 2016 im Palazzo in Chur. Ja, Klugscheisser mag niemand…). Die haben echt noch nie eine der hiesigen Locations beehrt? Krass! Somit bitte ich beim nächsten Mal gerne um einen Auftritt in der Dübendorfer Hall. Merci! (Anm. Kaufi: Au ja!) Hansi ergänzt passend dazu, dass manche Dinge eben ein bisschen länger brauchen.
Nach der Elfenjagd («Blood Of The Elves») folgt das stets gefeierte «Nightfall». Ja, wir erleben hier fürwahr begnadete Musiker in Aktion! Zudem habe ich eine erfreuliche Nachricht für Kollege Luke, denn mit Kenneth Berger steht sogar ein Live-Keyboarder im Einsatz. Kaufi hat sich mittlerweile aus dem Fotograben zurück bis zu uns gekämpft und wechselt sofort in den Eskalationsmodus. Liedgut der Marke «Time Stands Still (At The Iron Hill)» versetzt ihn problemlos in hochgenüssliche Sphären (Anm. Kaufi: Au ja!). Als ein paar Augenblicke später Barhocker und Akustik-Klampfen auf der Bühne platziert werden, wird Kennern schlagartig klar, was nun zwingend kommen muss. Ölt eure Stimmbänder, denn wir trällern jetzt gemeinsam «The Bard’s Song – In The Forest». Hühnerhaut pur!
Das Erfolgsrezept von Blind Guardian? Aus meiner Sache einfach die Tatsache, dass sie allesamt Nerds sind, welche ihre Passion für Fantasy-Welten (wie zum Beispiel «Der Herr der Ringe») in Form von metallischer Musik wiedergeben. Das macht die Herrschaften irgendwie nahbar und sympathisch (selbst wenn der werte Hani manchmal fast zu viel Selbstvertrauen in seine Ansagen reinlegt). Die heutige Leistung erlaubt ein siegessicheres Auftreten jedoch allemal. Es folgen weitere Kracher wie «Lord Of The Rings» (hach, wäre ich gerade gerne in Mittelerde) und «Valhalla» (mit ausdauerndem Publikumschor). Nach «Mirror Mirror» wäre eigentlich Schicht im Schacht, aber das Sextett beglückt uns mit einem verfrühten Weihnachtsgeschenk, welches auf den Namen «Majesty» hört. Bei dieser Nummer ist nun auch Kollegin Carole, die für einmal ausnahmsweise nicht im Z7 herumgeistert, sondern für Blind Guardian extra nach Oerlikon gepilgert ist, überhaupt nicht mehr zu halten. Eskalationsschübe in Reinkultur! Metal macht es möglich 😉
Kaufi: Dutti hat eigentlich alles gesagt. Was Blind Guardian hier abliefern, ist eine Machtdemonstration. Da bei ihnen des Öfteren an der Setliste rumgeschraubt wird – einzige Konstante: „Nightfall“ kommt an dritter Stelle – darf man auch auf Überraschungen hoffen. Während „Time Stands Still (At The Iron Hill)“, einer meiner ultimativen BG-Faves, immer mal wieder auftaucht, so haut mir die Ansage von „…And Then There Was Silence“ den Fresskübel mit Hochgeschwindigkeit auf den Boden! Ich bin – im Gegensatz zu den lieben Kollegen von der Metal Factory – restlos begeistert. Ich bin halt ein Spätzünder in Sachen BG und erst mit dem genialen „A Night At The Opera“-Album ein „Follower“ geworden…
Weitere grosse Überraschungen gibt es nicht, dafür Hit um Hit, Klassiker um Klassiker. Besonders herausragend ist das fantastische „Lord Of The Rings“, welches ich persönlich sogar dem „Bard’s Song“ vorziehe. Dass das Triple am Ende von den Fans frenetisch gefeiert wird, ist zudem selbstverständlich.
Das Fanzit – Blind Guardian, Gamma Ray, Illumishade
Dutti: Die Halle 622 war heute Abend solide besucht. Nichtsdestotrotz hätte ich persönlich mehr erwartet (speziell bei diesem Line-up). So braucht man sich am Ende des Tages nicht zu wundern, wenn diese Bands künftig lieber wieder in Pratteln auftreten. Vielleicht sehe ich die ganze Sache aber ein wenig zu streng. Gemessen an den Performances waren sowohl Gamma Ray als auch Blind Guardian völlig überzeugend. Jetzt freue ich mich riesig auf das Knock Out Festival!
Kaufi: Der Zuschaueraufmarsch – ich sehe den eher bescheiden. Hinter dem Mischpult herrschte eine grosse Leere, die diesen Bands schlicht unwürdig ist. Ja, es ist Donnerstag, ja, die Festtage stehen vor der Tür. Sicher schafft es da nicht jeder Fan nach Zürich. Aber hey – Gamma Ray! Fuckin‘ GAMMA RAY! Die Band, die nicht nur ich musikalisch gesehen als „bessere Helloween“ bezeichne. Da gibt es eigentlich wirklich keine Ausrede!
Komplett unabhängig von persönlichen Präferenzen: Ich finde es cool, wenn eine Band wie Illumishade fast ein Heimspiel bekommt vor diesen zwei Power Metal-Giganten. Abgesehen davon, dass sie stilistisch dann halt nicht so passen, ist es umso unverständlicher, dass die Band (zumindest zu Beginn) mehrheitlich fast im Dunkeln agieren muss. Die Fans wollen die Band auch sehen, nicht nur hören… So verheizt man junge Bands. Es ist daher folglich kein Wunder, dass zahlreiche Fans (ja, ich inklusive) lieber 30 Minuten mehr Gamma Ray dafür keinen Opener gehabt hätten. Schade für Illumishade.
Und was muss man zu „Gamma Guardian“ und „Blind Ray“ mehr sagen? Beide Bands agieren auf höchstem Niveau, das ist Spitzenklasse. Was ich noch nicht weiss: In 48 Stunden werden Gamma Ray in Karlsruhe getoppt haben, während Blind Guardian als Headliner am Knock Out Festival deutlich mehr Mühe haben werden. Daran ist nicht nur der teils fürchterliche Sound schuld, mit dem sich Hansi und Co. in der Schwarzwaldhalle rumschlagen müssen. Dieser ist heute in der Halle 622 nämlich makellos.
Die Setliste – Illumishade
- Intro – Enter The Void
- Elegy
- Enemy
- Crystal Silence
- Rise
- Tales Of Time
- World’s End
- Outro – Edge Of Dusk
Die Setliste – Gamma Ray
- Intro – Welcome
- Land Of The Free
- Last Before The Storm
- Empathy
- Master Of Confusion
- One With The World
- Induction (ab Tonband)
- Dethrone Tyranny
- Rebellion In Dreamland
- Somewhere Out In Space
- Heaven Can Wait
Die Setliste – Blind Guardian
- Imaginations From The Other Side
- Blood Of The Elves
- Nightfall
- Banish From Sanctuary
- Violent Shadows
- Time Stands Still (At The Iron Hill)
- Bright Eyes
- Into The Storm
- The Bard’s Song – In The Forest
- And Then There Was Silence
- Lord Of The Rings
- Valhalla
- Mirror Mirror
- Majesty*
*Zugabe