Metalinside.ch - SUM 41 - Arena Genève 2024 - Foto Marcel 01
Do, 21. November 2024

Sum 41, Neck Deep

Arena Genève (Genève, CH)
/ 05.12.2024

Y bis Z

Sum 41 halten auf ihrer europäischen Abschiedstournee in der Schweiz, um ein letztes Mal zu beweisen, wieso sie ihren Platz in der Pop Punk Hall of Fame verdient haben. Mit dabei haben sie die Briten von Neck Deep.

«’Cause I’m in too deep, and I’m tryin‘ to keep
Up above in my head, instead of goin‘ under»

Wer in den frühen 2000ern das dreissigste Lebensjahr noch nicht überschritten hatte, für den ist es nicht unwahrscheinlich, mit dem diesen Textzeilen zugehörigen Song «In Too Deep» Jugenderinnerungen zu assoziieren. Sei es die nach schweissigen Socken stinkende Kinderdisco oder die überteuerte selbstgedrehte Zigarette, von der man glaubte, high zu werden. Wie auch immer. Fest steht: Dieser und andere Hits der Skatepunkband Sum 41 wecken Kindheits- respektive Jugenderinnerungen. Insbesondere solche der Generation Y und Z, deren Vertreter an diesem einen verregneten Herbstabend die Arena de Genève stürmen. Die Prämisse, dass Sum 41 sich gerade auf Abschiedstournee befinden, hat besonders viele Zuschauer angelockt. Die einen kommen, um sich flennend von ihrer Lieblingsband zu verabschieden, die anderen, um später sagen zu können, man hätte die Gruppe noch auf ihrer Abschiedstournee gesehen.

Neck Deep

Ein weiteres Mal haben die auf den Tickets abgedruckten und im Internet veröffentlichten Fixzeiten wenig mit der Realität gemeinsam. So ist der Supportact Neck Deep bereits mitten in seinem Set, als sich noch unzählige Punkfans in die Halle drängen. Neck Deep gelten seit ihrer Gründung vor rund zehn Jahre als «Geheimtipp» und «Newcomer». Umso passender also, wird ihnen die Möglichkeit einer grösseren Wahrnehmung in der Szene geschenkt durch die Eröffnung diverser Konzerte einer Band, die als einer der bekanntesten Vertreter desselben Genres gilt. Ein Genre, das dank jungem, oder «eher jüngerem», Blut, wie Neck Deep, am Leben erhalten wird. Und so schliesst sich der Kreis.

Bevor sich Ohropax in die Ohren gestopft und der Schallpegel gedämpft wird, lässt sich jedoch nur schwer einschätzen, ob Neck Deep innerhalb des persönlichen Geschmacks Platz finden und der Bezeichnung «Hoffnung für den Pop Punk» gerecht werden. Zu laut und grell ist die Abmischung, als würde die Band im Untergeschoss einer Szene-Bar in Zürich spielen. Dafür wirkt der Rest des Auftritts ebenso authentisch wie ein Auftritt in einem Konzert-Keller: Als kaum eine Handvoll Menschen dem Wunsch nach einem Circlepit nachkommen, lässt es sich Sänger Ben nicht nehmen, das restliche Publikum dafür anzuprangern, nur teilnahmslos mit verschränkten Armen den Auftritt zu verfolgen. Hier wird der Konzertbesucher und potenzielle zukünftige Fan nicht mit falschen Heucheleien umschwärmt.

Später bei Sum 41 zeigen sich die Zuschauer dann von ihrer, wie gefordert, wilderen, ungestümen Seite und das nicht nur weil deren Sänger Deryck einen besseren Zugang zu ihnen findet, sondern auch weil während dessen Konzert die Leute bereits in der Halle sind und nicht erst gerade ankommen und erstaunt feststellen, dass die Vorband beinahe zu Ende gespielt hat.

Vielleicht wird für Neck Deep ja ein Platz frei, wenn Sum 41 von der Bildfläche verschwunden sind. Es wäre auf jeden Fall schade, wenn dieser freche Skatepunk mit leichten Hip-Hop-Einflüssen komplett aus dem Mainstream verschwinden würde. Vor allem wenn man bedenkt, was DANN noch in diesem Mainstream übrigbleibt…

Sum 41 is Dynamite

Mit Oi-oi-oi-Rufen startet der Hauptact in seine Show. Doch diese stammen nicht aus einem Punksong, geschweige denn aus der Diskografie von Sum 41, nein es sind AC/DC deren «T.N.T» selbst ab Band die Halle beinahe auf Überspannung bringt. Oi oi oi.

Zum nun folgenden Auftritt passend fällt zum Song «Motivation» der für die Bühne eigentlich zu schmale Vorhang und eine energiegeladene, beinahe überdrehte Band präsentiert sich ihrem Publikum.

Diese Abschiedstour spielt man nicht, weil man ausgepowert ist, zumindest wird im Verlauf des Konzertes nie dieser Eindruck vermittelt, vielmehr scheint man dann aufhören zu wollen, wenn es beinahe am schönsten ist. Wobei man hier vielleicht nicht ganz ehrlich zu sich ist: Der Zenit des «Schönsten» ist längst abgelaufen. Als alles erreicht war, was man erreichen konnte, hätte man am letzten Konzert in der Schweiz vermutlich noch das Hallenstadion gefüllt. Besonders Sänger und Frontmann Deryck kann trotz der Bühnenpräsenz eines Kaninchens auf Speed nicht verbergen, dass Sex, Drugs and Alkohol so lange cool sind, bis man mit Mitte vierzig aussieht, als wären ein paar Jahrzehnte mehr ins Land gezogen.

Auf jeden Fall spielt man seine Abschiedstour nicht erst dann, wenn gesagt werden muss: «Wurde auch Zeit», und für die Bewahrung vor dieser Peinlichkeit können Sum 41-Fans dankbar sein.

Wie viel Metal steckt in Sum 41?

Doch heute soll noch gar nicht zu sehr an das Ende der Band gedacht werden. Natürlich ziehen hauptsächlich die Tracks der älteren Alben. Trotzdem finden auch ein paar neue Lieder des 2024 veröffentlichten «Heaven :x: Hell» ihren Weg ins Programm. Einige von diesen und andere beweisen, dass die Bezeichnung Pop-Skatepunk für das komplette Schaffen von Sum 41 zu kurz gegriffen ist. Sicher: Die bekanntesten Songs und Alben schlagen in diese Sparte und waren für Nachkommen im musikalischen Sinn wie Neck Deep wegweisend, doch Sum 41 können mehr. Dies präsentieren sie demonstrativ durch das Anspielen von «Raining Blood» und «Master Of Puppets» als Intro zu «We’re All To Blame», das noch ein bisschen mehr Energie als auf Platte erhält und für die «Metalheads im Publikum» sei.

Wenn der Rebell tot ist, muss Sum 41 sterben

Ob nun Metalhead oder 14-Jähriger, der mit seinem Handy auf eine Zukunft als Videograf hinarbeitet – Sum 41 holt sie alle ab. Trotzdem sie seit über zwanzig Jahren in einer Liga spielen, in der man sich «Star» nennen kann, haben sie nach wie vor die Authentizität einer Schulband nicht eingebüsst. Eine Authentizität, die von Berufskollegen oft nur zwanghaft aufrechtzuerhalten versucht wird am Ende aber einstudierter wirkt als die Songs. Zumindest hier vertreten Sum 41 den Do-it-yourself-Grundgedanken des Punks. Ansonsten hat man sich meilenweit von «Punk-Konzerte-in-besetzten-Häusern» entfernt und das soll ihnen keiner übelnehmen, denn da haben sie nie stattgefunden. Sum 41 war eine Band für den heranwachsenden Mittelstand, der sich auch mal rebellisch fühlen wollte, eine Antwort auf Fragen von überschüssigen Hormonen in der Pubertät. Doch diese Zeiten sind vorbei. Ab der Generation alpha ist das Bild des Rebellen unbedeutend geworden. Der Jugendliche in den 2020ern will sich ins vorherrschende System integrieren, anstelle sich dagegen aufzulehnen. Lieber viel verdienen als Missstände anprangern. Lieber eine Woche Dubai anstelle einer Woche Festival. Vielleicht ist das ein weiterer Grund für das Ende von Sum 41: Der Rebell wurde besiegt (und wir können nur hoffen, dass er irgendwann zurückkehrt).

Salven aus der Konfettikanone

Durch dass die Band nie in einer verkrampften «echten» Punkrock-Liga spielte, kann sie es sich erlauben mit einigen verspielten Showeffekten aufzufahren, wie unglaublich viel Konfetti und Luftschlangen, die sich in der Deckenkonstruktion verfangen, Ballons, Nebel- und Feuerfontänen, sowie einem mittelfingerzeigenden aufblasbaren Skelett, das im letzten Drittel des Auftritts von der Bühne hinunter grinst. Das alles wäre sicherlich nicht nötig, beginnt man allerdings über die Notwendigkeit von diesem und jenen zu diskutieren, kann man sich, rein objektiv, fragen, ob der Mensch Konzerte oder Kunst im Allgemeinen überhaupt braucht. «Ja» werden viele antworten.

Gerade in den Tagen nach diesem letzten Besuch von Sum 41 in der Schweiz erscheinen in den sozialen Netzwerken diverse grauenhafte Handyvideos und -Bilder dieses Konzertes, die teilweise begleitet werden von Geschichten von Menschen, denen die Musik deutlich mehr als einen Grund zum Pogotanz bedeutet. Für den Soundtrack von Jugendlichen in ihrer Selbstfindungsphase wurde für einige Stücke das Tempo gedrosselt, Platz für berührende Gefühle geschaffen und eingängige Rock-Balladen veröffentlicht. Eine solche, wenn nicht gar DAS ruhigere Lied von Sum 41 ist «Pieces», das auf dieser Tour musikalisch durch ein Klavier – gespielt durch den Sänger – ergänzt und nochmal ein bisschen mehr entschleunigt wird im Vergleich zu der Studioversion. Der einsetzende Funkenregen setzt dieser Perfomance gegen Ende noch die Krone auf, sodass man wahrlich von einem dieser «magischen», wenngleich konstruierten, Konzertmomente sprechen kann.

That’s all folks

Wenn der letzte Ton verklungen, ist oft das letzte Wort noch nicht gesprochen und wie Elton John oder diverse andere veröffentlichte Deryck auf das Ende der Karriere hin eine Biografie oder vielmehr ein Buch mit gesammelten Anekdoten. Eine solche tischt er auch in Genf auf, als der Backliner ihm eine «ganz spezielle» Gitarre reicht. Er besässe sie seit seinem 17 Lebensjahr, sie hätte einen grossen Auftritt im Musikvideo zu «Into Deep» und wäre irgendwann gestohlen worden, bis er sie vor einigen Wochen gefunden und erneut gekauft hätte.

Mit diesem «Into Deep», dem Lied, das vermutlich berühmter als die Band selbst ist, wird das Konzert vermeintlich beendet, bis sich die Band mit dem mehr als passenden „So Long Goodbye“ als Zugabe nach den Zugaben von ihrem Schweizer Publikum endgültig verabschiedet.

Das Fanzit – Sum 41, Neck Deep

Obwohl ich nicht der grösste Sum 41-Fan bin und zu diesen Konzertbesuchern gehörte, die nebst den Hits, die auch irgendwann mal im Radio liefen oder Platz auf einer Bravo Hits fanden, nicht viel von der Band mitbekommen haben, hat mir dieser Auftritt sehr viel Spass bereitet. Die erwähnten Showeffekte waren nicht sonderlich innovativ, aber dennoch unterhaltsam und dem visuellen Erscheinungsbild des Konzertes dienlich. Der Faktor, der mich am Ende jedoch am meisten überzeugt hat, war die Nostalgie beziehungsweise die Erinnerungen, die geweckt wurden, als unterbewusst bekannte Klänge erklangen.

Neck Deep würden einige vielleicht als frech und undankbar bezeichnen, doch gerade dieses rotzig Unangepasste war es, was mich überzeugte. Von der Musik kann ich das nicht behaupten, wobei hier die Abmischung definitiv ihren Einfluss hatte.

Die Setlist – Sum 41

  1. T.N.T. (AC/DC, Playback)
  2. Introduction to Destruction (Playback)
  3. Over My Head (Better Off Dead)
  4. No Reason
  5. Out For Blood
  6. War
  7. Underclass Hero
  8. Noots
  9. Landmines
  10. Dopamine
  11. Rayning Blood (Slayer, angespielt)
  12. Master Of Puppets (Metallica, angespielt)
  13. We’re All To Blame
  14. Some Say
  15. Screaming Bloody Murder
  16. Walking Disaster
  17. With Me
  18. Make No Difference
  19. My Direction (angespielt)
  20. No Brains (angespielt)
  21. All Messed Up (angespielt)
  22. Preparasi a salire (Playback) 
  23. Rise Up
  24. Pieces
  25. Fat Lip
  26. Still Waiting
  27. Summer*
  28. Waiting On A Twist Of Fate*
  29. In Too Deep*
  30. So Long Goodbye**

*Erster Zugabenblock

**Eine weitere Zugabe

Ausserdem: Der Veranstaltungsort – Arena de Genève

Wem der auftretende Act so unwichtig sein sollte, dass der Entscheid für einen Konzertbesuch von dem Veranstaltungsort abhängt, den kann ich nur vor der Arena de Genève warnen. Abgesehen von dem No-Go von derart miserabler Kommunikation, dass die veröffentlichten Spielzeiten der auftretenden Künstler nicht stimmen, ist die Konstruktion der Halle ebenfalls eher mühsam. Es fehlt ein ausreichend grosser Eingangsbereich, was sehr schnell zu einem Gedränge und Gedrücke führt, was auch daran liegt, dass es von allem ein wenig zu wenig hat. Eine Toilettenanlage, eine Garderobe, zwei Getränkestände – Das Anstehen wird Teil des Erlebnisses. Gerade im Winter, wo jeder eine Jacke trägt, die für die Innenräume viel zu warm ist, ist eine einzige Garderobe, noch dazu mit langsamer Abfertigung, eigentlich untragbar. So gab es Leute, die die Vorband nicht verpassten, weil diese früher als angekündigt zu spielen begann, sondern weil sie während des ganzen Auftritts in der Schlange vor der Garderobe standen.

Da fühle ich mich in Konzertstätten wie dem Z7 deutlich wohler!

Die Fotos – Sum 41, Neck Deep


Wie fandet ihr das Konzert?

/ 05.12.2024
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