Stundenlang durch den Tiefschnee gestolpert
Im Zuge der Veröffentlichung von De Ghörnt, dem neuen Album von Ungfell, hatte ich die Gelegenheit, Mentekel (r.) per Mail einige Fragen zu senden. Nachfolgend lest ihr seine Antworten im Original.
Das Review zum Album selbst findet ihr hier.
Metalinside.ch (Raphi): Hallo Menetekel, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, meine Fragen zu beantworten. Wenden wir uns doch gleich Ungfell zu. Bisher hast du bei der Verarbeitung von Sagen für deine Songtexte meines Wissens – korrigier mich bitte, sollte ich falsch liegen – vermehrt auf Material aus dem Raum Zürich zurückgegriffen, nun präsentierst du uns auf De Ghörnt eine Geschichte aus dem Wallis. Was ist deine Verbindung in diese Region und konkret zum Rollibock?
Menetekel: Ich starte gleich einmal damit, dich zu korrigieren – sympathisch, ich weiss –: Der Fokus lag aber tatsächlich nur selten auf Sagen aus dem Raum Zürich. Spontan fällt mir gerade nur «Raubnest ufm Uetliberg», «Oberlandmystik» und «Bluetmatt» ein. «Es grauet» spielt in Graubünden. Warum also Wallis? Nun ja, seit einigen Jahren reise ich immer wieder ins Wallis, genauer: ins Lötschental. Ich kenne die Region also relativ gut und habe eine persönliche Verbindung dazu. So bin ich auch mit der Sage des Rollibock in Berührung gekommen. Der ist dort eher sowas wie ein Maskottchen für den Aletschgletscher und hat seinen Ernst darum leider etwas verloren. Dies hat mich allerdings nicht davon abgehalten, ihn zur zentralen Figur des neuen Ungfell-Albums zu machen. Im Gegenteil: Vielleicht, so die Hoffnung, verleiht das Werk ihm dadurch wieder etwas Gravitas.
Das ist dir gelungen. Dazu beigetragen hat vielleicht unter anderem, dass De Ghörnt nachvollziehbar strukturiert ist, wie ein Buch mit Kapiteln. Die Geschichte wird Station für Station erzählt, jeder Song legt den Fokus auf einen Abschnitt davon. Das bringt mich zur Frage, was zuerst da war: Die Texte? Die Aufteilung der Geschichte? Die Musik?
Das lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren. Die Texte waren mit Sicherheit nicht als Erstes da. Ich starte immer mit dem musikalischen Part und baue darauf auf. Sobald ich weiss, was ein Stück vermitteln sollte, gebe ich der betreffenden Lied-Baustelle einen vorläufigen Titel. So kann ich dann auch Samples oder passende Instrumente einbauen.
A propos Instrumente: Das Album klingt wärmer als noch Es grauet. Was habt ihr geändert bei der Produktion?
Ich bin mit dieser Meinung nicht einverstanden. Auf mich wirkt «Es grauet» deutlich wärmer. Tatsächlich war es die Absicht, dieses Album kälter wirken zu lassen. Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Entweder sind wir mit unserem Vorhaben gescheitert, oder aber der Interviewer weiss nicht, wovon er spricht. Aus Selbstschutz möchte ich letzteres glauben…
Was haben wir bei der Produktion geändert? Puh… alles?
Nun, es kommt vermutlich drauf an, was man unter dem Begriff «wärmer» genau versteht. Aber verlassen wir das Feld und wenden uns einigen Details zu. Ist das ein Hackbrett in „De Geischt vom Märjelesee“ oder genauer gefragt, ein Walliser Hackbrett? Wer hat das eingespielt?
Richtig, es handelt sich um ein Hackbrett, welches von mir eingespielt wurde. Ich weiss ehrlich gesagt nicht, woher es stammt…
Und wie habt ihr am Ende von „Rollibock (De Ghörnt vom Gletscher)“ den Effekt erzeugt, dass die Stelle klingt, als ob der Gesang während des Ertrinkens des Protagonisten aufgenommen wurde?
Ich habe mit den Millionen, die ich mit «Es grauet» verdient habe, ein Hallenbad gemietet und meinen Toningenieur für viel Geld ein Mikrofon kaufen lassen, das auch unter Wasser funktioniert. Ich habe die Vocals dann im Schwimmbecken eingesungen. Zuerst haben wir das im Kinderbecken gemacht, aber dort war die Akustik leider sehr schlecht, weil das ganze Pipi im Wasser die Schallwellen nicht gut weiterleitet. Im 50-Meter-Becken hat es dann aber geklappt. Nur konnte ich dort nicht stehen und musste darum während des Schreiens auch noch schwimmen. Im Ganzen ein sehr beschwerliches Unterfangen, ich würde es niemandem empfehlen.
(Vermutlich ist da ein Phaser drauf – ich weiss es nicht mehr genau…)
Aha, da geht er also hin, der schwer verdiente Reichtum… Auch zum Booklet habe ich noch zwei Detailfragen. Einige der Songs haben kleine, den Inhalt widerspiegelnde Zeichnungen erhalten, die dem Rahmen auf dem Albumcover entnommen sind. Ich hätte „Im Ruusch“ von all den Symbolen im Rahmen intuitiv den Jäger zugeordnet, da das Lied in meinen Augen „sein“ Song ist. Wofür aber steht die Rosette, die ihr gewählt habt?
Da hast du natürlich recht: Es ist sein Song! Der Jäger hat schlicht nicht gut ins Layout gepasst, total unspektakulär. Man könnte aber, wenn man wollte, die Rosette als eine Art «Strudel» interpretieren, was dann wieder gut zum rauschartigen, mitreissenden Zustand des Jägers passen würde. Zudem ist er ein ziemliches Arschloch… Da hätten wir bereits zwei Interpretationen, ich bin natürlich offen für weitere.
Naja, deine beiden Auslegungen decken ja bereits eine gute Spannbreite ab. Aber es wäre interessant zu erfahren, an welchem Ort die stimmigen Bandfotos entstanden sind?
Danke für die netten Worte! Es freut mich, dass die Fotos den gewünschten Effekt haben, zumal wir dafür stundenlang durch den Tiefschnee gestolpert sind. Aufgenommen wurden die Bilder von Dungeoncinth, und zwar am pittoresken Oberblegisee im Glarus.
Zurück zu etwas Allgemeinem. Du hast 2018 zum Thema Pagan Metal in einem Interview gesagt, er sei „in homöopathischen Dosen zu ertragen“. Nun sind in De Ghörnt so viele Folkelemente eingewoben, dass ich es in meiner Review als Pagan Metal bezeichnet habe (siehe hier für eine Erklärung, was ich unter diesem Stil verstehe). Hat Pagan Metal im Zusammenhang mit obiger Aussage für dich einfach etwas anderes bedeutet oder hast du dich mit ihm angefreundet in den letzten Jahren?
Nein, Tod dem Pagan Metal. Im Ernst: Ich konnte mich mit dem Begriff einfach nie anfreunden. Einerseits trifft die Bedeutung schlicht nicht auf Ungfell zu, da ich mit dem Projekt nicht explizit pagane, also heidnische Themen behandle. Die Geschichten der letzten beiden Konzeptalben spielen sich sogar in einer mehrheitlich christlichen Welt, in einer christlichen Mechanik ab. Der Rollibock ist sicher eine Figur, die diesbezüglich spannend ist: Als übernatürliches, tierisches Wesen passt er nicht wirklich in das christliche Weltbild, er agiert aber womöglich – ähnlich wie der Teufel in gewissen abrahamitischen Vorstellungen – als Vollstrecker des göttlichen Willens. Ich sehe im Rollibock also ein Wesen, das vermutlich tatsächlich aus heidnischen Vorstellungen herrührt, dann aber quasi gewaltsam in eine christliche Heilsmechanik überführt wurde – ein in der Schweiz häufiges Phänomen.
Verlassen wir aber dieses spannende Nebengleis und lassen wir auch noch das «andererseits» zum leidigen Thema Pagan Metal folgen: Andererseits tue ich mich mit der ganzen Kultur um «Pagan Metal» schwer. Es ist schön und meines Erachtens auch wichtig, dass sich Menschen für alte Kulturen, Traditionen und Bräuche interessieren. Das Ganze wirkt aber auf mich oftmals dämlich und plakativ, wenn sich diese Beschäftigung dann darin manifestiert, dass man sich die «Ragnar-Frisur» aus der HBO-Serie zulegt, einige nordische Runen tätowiert und Trinkhorn-schwenkend der Volkstümelei fröhnt. Kurz: Der Begriff ist mir zu eng und hat mir zu viele unliebsame Assoziationen.
Schauen wir uns zum Schluss nochmals das grosse Ganze an. Ich weiss, dass viele Musiker die Frage nicht so mögen, aber ich denke, unsere Leser interessiert trotzdem, welcher Song auf De Ghörnt dich persönlich am meisten anspricht und weshalb.
«Im Ruusch» oder «De Geischt vom Märjelesee». Ersterer, weil er abgeht und Spass macht, Letzterer, weil ich mich mit dem Riffing und Songwriting sehr aus der Komfort-Zone herausbewegt habe. Ein sozusagen emanzipatorisches Stück.
Und dabei ein äusserst gelungenes, möchte ich sagen. Doch wenn du jemandem nur ein einziges Lied von Ungfell zeigen könntest, welches wäre das?
Oberlandmystik – da bleibt der Person der schreckliche Lärm erspart, den Ungfell im Normalfall produziert.
Der da gar nicht so schrecklich ist. Andernfalls hätte das Album bei uns im Team kein derart grosses Interesse geweckt. Damit wären wir durch, nochmals vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast für das Interview, und weiterhin viel Erfolg mit Ungfell.