Astreine Akustik in attraktiver Atmosphäre
Am 8. November beehrte die Speerspitze des Spiritual Folk – nur eine von vielen passenden Genre-Bezeichnungen für Wardruna – die Schweiz.
Ohne Vorband und mit Sitztribüne war der Anlass in The Hall zwar etwas ungewohnt, doch überzeugte der Hauptact mit einer gewohnt soliden Show.
The Hall mal anders
Als regelmässiger Besucher bei Konzerten der härteren Gangart – ich schreibe ja für *Metal*inside – mutet The Hall heute in der Tat etwas komisch an. Die Türöffnung um 19 Uhr ist zwar nicht besonders früh, doch immerhin eineinhalb Stunden bevor es auf der Bühne losgeht. Dann, um halb neun, werden Wardruna nämlich die Bühne betreten und das Publikum ohne Aufwärmprogramm übernehmen. Naja, von mir aus.
Kurz nach halb acht finde ich mich also in The Hall ein, begutachte kurz den Merchstand, vor welchem sich eine lange, sehr geordnete Reihe gebildet hat, und kämpfe mich via WCs rein in die Konzerthalle. Inmitten dieser, gleich anschliessend ans vordere Ende des Balkons, thront heute die riesige Tribüne, welche der Location eine Menge zusätzlicher Sitzplätze beschert und sie gleichzeitig massiv verkleinert. Vor der Tribüne bleibt trotzdem genügend Platz für das stehende Volk, welches vorne schon frühzeitig eine ansehnliche Traube gebildet hat.
Jetzt noch die letzte logistische Herausforderung, bevors losgeht: Die Bar am linken Hallenrand ist heute nicht in Betrieb, möglicherweise weil die Tribüne zu viel Platz einnimmt. Nun dann, draussen gibts ja auch Bier, denke ich mir. Tatsächlich entpuppt sich der Gang dorthin dann aber als kleine Odyssee: Auf dem Rausweg kommt man der Meute in die Quere, die ihre Stehplatztickets vorzeigen muss, danach der Merch-Schlange, dann den durch den Eingang hereinströmenden Besuchern und zuletzt dem Andrang bei der Essensecke. Um die Schlangen hier zu meiden, hole ich mein Bier halt oben. Mit vollem Becher gehts dann den ganzen Weg wieder zurück (oben durch ist geschlossen), und natürlich möchten die freundlichen, aber gleichzeitig etwas gestressten Westenträger nochmals das Ticket sehen. The Hall gibt sich bei der Steuerung der Besuchermassen wohl durchaus Mühe und zeigt sich immer wieder mal kreativ, aber das ging auch schon besser…
Wardruna
Trotz diesen Gegebenheiten bin ich froh, dass Wardruna heute hier in Dübendorf spielen. Immerhin stehen und fallen ihre Auftritte mit der Soundqualität, und diese ist in der für Konzerte ausgelegten Halle stets hervorragend!
Pünktlich um halb neun geht es los: Unter Applaus betreten die sieben Musiker die Bühne und spielen «Kvitravn» an. Auf den Titeltrack des noch aktuellen fünften Albums (siehe Review), bei welchem die Abmischung schon perfekt stimmt, folgt die Single «Hertan» der im Januar erscheinenden Scheibe. «Skugge», ebenfalls vom aktuellen Album und einer meiner Lieblinge, scheint der Moment zu sein, an dem die Norweger das gesamte Publikum vollends abholen. Im Laufe der Setlist wird es ausserdem zunehmend egal, welche Titel gerade performt werden. Die Truppe um Einar Selvik und Lindy-Fay Hella versteht es, die Zuschauer mit einer unglaublich spannenden Atmosphäre zu packen, egal ob sie die Songs kennen oder nicht.
So schmiegen sich in die abwechslungsreiche Liste, in welcher nur das Debütalbum komplett vernachlässigt wird, auch drei der neuen Singles: das erwähnte «Hertan», «Lyfiaberg» und «Himinndotter». Das macht definitiv Lust auf den sechsten Silberling «Birna», und ich frage mich, ob ich diesen reviewen soll.
So oder so gilt vor, während und nach dem neuen Material: Wardruna bestechen mit ihren gemütsvollen Folk-Klängen, den rituellen Gesängen, dem massgeschneiderten Einsatz altertümlicher Folk-Instrumente (besonders eindrücklich das Spiel der beiden grossen Luren!), sowie durchdachten Songstrukturen. Und wem die Musik nicht genug ist, der wird mit den auf die Songs abgestimmten Licht- und Schattenspielen auf dem Tarnnetz-ähnlichen Backdrop unterhalten. Wie üblich werden diese von Silhouetten dominiert, welche durch das direkte Anleuchten einzelner Musiker entstehen. Nicht nur gibt dies der Show einen urchigen Charakter, die Scheinwerfer rücken auch einzelne Künstler und Instrumente gezielt in den Fokus und helfen dem Hörer durch die Überlagerung so vieler Stimmen.
So vergehen die ersten vierzehn Tracks einer abwechslungsreichen Show wie im Fluge und Einar Selvik richtet dann die ersten Worte ans Publikum. In einem längeren Monolog drückt der Norweger authentisch seine Dankbarkeit aus, behandelt philosophische Fragestellungen zur gesanglichen Begleitung in den Tod und hält ein Plädoyer fürs gemeinsame Singen. Natürlich ist dies die Einleitung zu «Helvegen», dem Wardruna-Überhit und üblichen Abschluss. Die Band verabschiedet sich und verlässt die Bühne, bevor Einar noch sein Solo «Snake Pit Poetry» zum Besten gibt.
Die Setliste – Wardruna
- Kvitravn
- Hertan
- Skugge
- Solringen
- Kvit Hjort
- Runaljod
- Lyfjaberg
- Voluspá – Skaldic Version
- Tyr
- Isa
- Grá
- Himinndotter
- Rotlaust tre fell
- Fehu
- Helvegen
- Snake Pit Poetry – Skaldic Mode
Das Fanzit – Wardruna
Der heutige Auftritt geht nicht als bestes Wardruna-Konzert in die Geschichte ein. Persönlich fand ich ihren Besuch im Theater 11 vor fünf Jahren eindrücklicher (aber das war auch meine erste Live-Begegnung und es war ein reines Sitzkonzert) und einige heute anwesende Freunde bevorzugten das Open-Air-Setting am letztjährigen Wacken Open Air. All dies schmälert jedoch die heutige Leistung des norwegischen Siebners kein bisschen, und man kann das Gesamtpaket guten Gewissens als astrein bezeichnen. Wenn diese Vergleiche etwas aussagen, dann eigentlich nur, dass ich mein Wardruna-Erlebnis bald an einem der raren Auftritte in historischen Locations (wie Augusta Raurica) toppen muss! Trotz hohem Ticketpreis und den logistischen Umständen der Halle hat sich der Abend gelohnt, und die Vorfreude aufs neue Album «Birna» ist riesig.