Drogen und Prostituierte im Dachstock
Der Dachstock in Bern ist eine etwas «andere» Location mit einem «etwas anderen» Programm, als man dies sonst von normalen Locations gewöhnt ist. Dies wird dann deutlich, wenn es in einem Lokal überhaupt noch gestattet ist, zu rauchen (mal dahingestellt, ob das gut oder nicht gut ist). The Toten Crackhuren im Kofferraum spielen heute Abend und wenn diese spezielle Band bei uns in Bern einen Tourstopp hinlegt, ist ein Besuch Pflichtprogramm.
Mein letzter Besuch im Dachstock liegt also schon etwa 15 Jahre zurück, aber heute mache ich endlich wieder einen Abstecher in die von mir nahegelegene Reitschule in Bern, wo sich die Location befindet. Angekommen staune ich über den Dachstock, welchen ich nicht mehr so in Erinnerung hatte von meinem letzten Besuch. Grossartige Ambiance, angenehmes Publikum, sehr freundliches Personal, einfach gehalten und doch mit dem gewissen «Etwas», schön darf ich hier zu Besuch sein. Zurück aber zu den The TCIK wie die Abkürzung der Band lautet und welche auch das Backdrop der Bühne bereits ziert.
For Newbies: Wer oder was sind The Toten Crackhuren im Kofferraum überhaupt?
Die Band wurde im Jahr 2005 in Berlin gegründet. Die Hauptband besteht heute aus drei Frauen an der Front und noch ein paar weiteren Mitstreitern an den Musikinstrumenten. Die Band schaut bereits auf vier veröffentlichte Alben retour (letztes Album wurde 2021 veröffentlicht – Gefühle) und sind im Genre Pop-Punk / Electroclash zuhause. Die Band ist sicher gewöhnungsbedürftig und die Tracks und Songs sind zwar oft «spassig», aber beinhalten teilweise auch klare Aussagen zum Teil mit politischem Inhalt und vor allem zum Thema Feminismus. Die Songs sind also nicht nur zum Feiern da, sondern regen darüber hinaus die eigene Reflexionsfähigkeit wieder mal an, was ganz ok ist.
Dies die Kurzvorstellung, mehr gibts im Internet. TCIK sind übrigens mit einem Nightliner unterwegs und wie auf den Social Medias zu erfahren war, hat man sich dies einfach geleistet, um ein wenig komfortabler durch Deutschland und in die Schweiz zu gondeln. Für andere Bands «Normalität», ist ein so grosser Bus für eine Band der Grössenart von TCIK ein nicht zu verachtender und mit Ehrfurcht zu dankender Luxus.
Support: Liser
Zu einer speziellen Band gehört auch ein spezieller Support. Das Anheizen des Publikums übernimmt heute Liser. Promoted wird sie als Punk-Queen des Raps. Die experimentelle Musikerin aus Köln schafft es mit ihrem eigenen Sound sowie den liebevollen und doch direkten Ansagen, das zahlreiche Publikum sofort in ihren Bann zu ziehen. Somit erfüllt sie ihren Auftrag in den Diensten des heutigen Headliners perfekt.
Auch die Texte von Liser sind irgendwo zwischen Themen wie Anfeindungen im Internet, Sexismus oder auch Fatshaming unterwegs. Die coole Mischung von elektronischen Beats mit Elementen aus verschiedenen anderen Genres ist wirklich sehr spannend im Zusammenspiel. Die sympathische Hauptfigur setzt der Torte quasi das Sahnehäubchen auf und lässt die Stage-Zeit fliegen. Von Liser wird es sicher noch mehr zu hören geben, hat sie doch vor allem in den letzten Jahren (ab 2020) auch die Medien auf sich aufmerksam gemacht. Der Sound – obwohl ohne Metal-Elemente – ist als Horizonterweiterung absolut passend für den heutigen Abend und beeindruckt mich als eigentlicher «Metalhead» sehr.
The Toten Crackhuren im Kofferraum
Genau um 22 Uhr betreten die Toten Crackhuren den Kofferraum…ähh, ich meinte die Bühne.
Es geht gleich flott mit dem Opener «Ich bin eine Schlampe» los. Das Publikum geht von Anfang an mit und lässt der vorweihnachtlichen Stimmung, welche ja sowohl die Tourbezeichnung ausmacht (Geile Leude Weihnachtsfreude) wie auch durch die weihnachtliche Bühnendekoration befeuert wird, freien Lauf. Bei mir entsteht der Eindruck, dass sich die Band sehr fest auf diesen Einsatz (übrigens der einzige auf dieser Tour) in der Schweiz gefreut hat. Die Fans der Band wahrscheinlich auch, denn ursprünglich war der Gig im unteren Teil (Rössli) des Dachstocks vorgesehen gewesen, wurde aber, da der Ticketverkauf sehr gut gelaufen ist, in den Dachstock hochverlegt. So ist der Dachstock zwar nicht randvoll, jedoch sehr gut gefüllt, was mich, aber sicher genauso die Band sehr freut, wenn eine eigentliche Nischenband so viele Anhänger mobilisieren kann. Das macht Spass.
Interaktive Stimmung in Bern
Die deutschen Songs werden, wann immer es geht, natürlich mitgesungen. Natürlich auch bei den bekannteren Tracks wie zum Beispiel «Ronny & Clyde» oder im Zusatzteil des Konzerts bei «Ich und mein Pony». Was besonders schön ist, dass die Band absolut keine Berührungsängste hat und auch mal eine der Sängerinnen von der Bühne in den Saal runter steigt, um mit dem Publikum zusammen einen Song zu gestalten, während die anderen die einstudierte Choreografie auf der Bühne weiterhin zum Besten geben.
Über die ganze Spielzeit gibt es keinen Tiefpunkt. Die Zeit vergeht im Fluge und die Songs kommen heute unheimlich gut rüber. Die Akustik im Dachstock ist erstaunlich gut, keine Ahnung, ob das immer so ist, aber heute könnten sich andere Locations wohl eine Scheibe von dieser prickelnden Soundabmischung abschneiden. Es wird getanzt, gefeiert und gelacht. Der Humor kommt bei den The Toten Crackhuren im Kofferraum sowieso nicht zu kurz. Was jeweils in den Zwischenteilen zwischen zwei Songs wieder deutlich wird. Ja und es werden sogar – wie es ja so an Weihnachten gebräuchlich ist – auch noch Geschenke verteilt, wenngleich mehr in symbolischer Manier, was aber trotzdem supercool zum heutigen Abend passt.
Die Spielfreude der Band ist unverkennbar und es könnte bis tief in die Nacht einfach weitergehen. Trotzdem ist nach satten zwölf Songs dann doch mal Sense und das Publikum wird happy in den regnerischen Abend entlassen.
Das Fanzit – The Toten Crackhuren im Kofferraum, Liser
Ich weiss nicht wieviele von Euch die Band überhaupt kennen. Bereits der Name verrät, dass die Band nicht eine 0815-Chart-Band sein kann. Ist sie auch nicht. Sie ist mehr als das. Sie ist ein richtiger Geheimtipp, obwohl nicht klassisch im Punk-Sektor oder in irgendeinem Genre abzulegen. Aber genau dies macht sie zur Punk-Band, die abgedrehten Texte und witzvollen, ernsten, aber ebenfalls gefühlsvollen Songs zeigen auf, dass es mehr Bands von dieser Sorte geben sollte. Die Songs haben oberflächlich einen abgedrehten Party-Charakter. Liest man aber mal genauer nach, steckt hinter jedem der Songs eine tieferliegende Botschaft. Der Abend und das verhältnismässige günstige Ticket von knapp 30 CHF haben sich zu 100 % gelohnt. Es war eine Freude dabei zu sein, sich horizonterweiternd mal anderen Musik-Klängen zu öffnen und sich trotzdem als Metalinside-Mensch zu fühlen. Diese Band schafft das ohne Probleme.
Die Setlist von The Toten Crackhuren im Kofferraum
- Ich bin eine Schlampe
- Bewerte mich
- Vampir
- 1000 kleine Ameisen
- Ronny & Clyde
- Punkrock hat mir mein Herz gebrochen
- Mach Sie platt!*
- Zurück in der Gosse*
- Bau mir nen Schrank*
- Ich und mein Pony*
- Hartz Christmas*
*Zugabe