Unprocessed - Promobild
Sa, 19. Oktober 2024

Unprocessed – Interview im Komplex Club

Alternative Metal, Progressive Metal
20.01.2025
Unprocessed - Promobild

Moderne Prog-Mathematik auf Höchstniveau

Unprocessed aus Wiesbaden (Deutschland) gehören für mich definitiv zu den aktuellen Highlights im hartumkämpften Musikmarkt. Wer anspruchsvolle moderne Prog-Mathematik präferiert und den Wechsel zwischen melodischen, fast popigen Passagen, bis hin zu Metalcore und vertrackten Riffs problemlos verarbeiten kann, ist mit Unprocessed bestens bedient.

Dem Einfallsreichtum dieser Band scheinen wohl keine Grenzen gesetzt zu sein. Das konnte ich im Januar 2024, als sie im Vorprogramm von TesseracT im Komplex aufgetreten sind, live erleben. Die Jungs haben ihre Instrumente souverän im Griff! Das ist technisch anspruchsvolle Musik, die mich vor allem aufgrund der Eigenständigkeit überzeugt. Metalinside traf die komplette Band nun während ihrer ersten Headliner Tour kürzlich Backstage im Komplex Club.

Metalinside.ch (Liane): Ausverkaufte Konzerte in Europa, erfolgreiche Nordamerika-Tournee, Australien steht 2025 auf dem Plan, eventuell Japan: Das klingt, als hätte sich Unprocessed an die Spitze gearbeitet. Ich bin davon ausgegangen, dass ihr auch als Headliner im grossen Saal des Komplexes auftreten würdet. Beim Hierherlaufen sah ich gefühlt 5’000 weibliche Teenies vor der Halle anstehen und dachte zunächst: «Wow, sind die Kids jetzt alle für Unprocessed da? Die Mädels im Sonntagskleidchen verstehen das und mögen technisch anspruchsvolle Musik?» (kollektives Gelächter). Klar, das konnte nicht sein. Sie waren alle wegen dem britischen Singer-Songwriter Henry Moodie hier und standen schon seit dem Morgengrauen an, um einen top Stehplatz zu erhaschen. Unprocessed spielen dann doch im Komplex Club. Ganzheitlich betrachtet, sehe ich aber bei Unprocessed eine steile Kurve nach oben, wollt ihr mir kurz darüber berichten, wie ihr das letzte Jahr erlebt habt?

Unprocessed: Wir haben Ende 2023 unser Album «… And everything in between» herausgebracht. Das war das erste Album, welches wir wieder independent veröffentlichten und mit dem haben wir einen wichtigen Schritt zurück zu unseren Wurzeln gemacht. Gleichzeitig haben wir es geschafft, viele neue Leute abzuholen. Seitdem hat sich auch unsere Realität als Band nochmals ins Positive verändert.

Ihr habt jetzt auch eine Amerika-Tour hinter euch. Japan und Australien stehen jetzt noch auf dem Programm. Das ist schon massiv, habe ich das Gefühl.

Es funktioniert irgendwie, dass das möglich ist. Wir freuen uns auch sehr darauf. Es ist auch das erste Mal, dass wir als Headliner auf Tour gehen. Wir fühlen uns gerade in diese Position rein und es macht mehr Spass als nur zu «supporten». Wir sind echt zufrieden.

Jetzt schauen wir mal noch weiter zurück. Ihr könnt auf 12 Jahre Bandgeschichte zurückblicken. Wieso wolltet ihr in diese musikalische Richtung gehen?

Als wir die ersten Songs geschrieben haben, klang das mehr nach Technical Death Metal. Anfangs wollten wir Deathcore / Death Metal machen. Die ersten Demos haben dann auch so geklungen. Das war schon lange her, in den Jahren 2012 / 2013 und wir waren gerade mal 16, 17 Jahre alt. Wir haben uns in der Musikschule in Wiesbaden kennengelernt. Wir haben uns für dieselbe Band beworben. Das war aber eher so ein Coverband-Ding. Nichts Ernstes. Aber so hat sich die ursprüngliche Besetzung kennengelernt. Wir waren dann später noch im selben Proberaum. So ist dann die heutige Besetzung zusammengekommen. Leon (Schlagzeug) und David (Bass, Synthesizer) sind 2017 dazugekommen. Zu diesem Zeitpunkt haben wir bereits 3 bis 4 Jahre zusammen in anderen Bands gespielt. Wir waren schon immer in derselben Bubble in Wiesbaden. Es war klar, dass ein Teil der Leute, mit denen wir zusammengearbeitet hatten, das nicht zu ihrem Hauptding machen werden.

Ich finde das letzte Album «… And everything in between» absolut grossartig und bin durch den Youtuber Metalbirb auf euch aufmerksam geworden. Auf dem Album gibt es erneut eine Kooperation mit Polyphia. Wie ist das zustande gekommen?

Wir sind uns irgendwann im Jahr 2019 gegenseitig auf Instagram gefolgt. So sind wir in Kontakt gekommen und schnell war klar, dass wir zusammen kooperieren wollen und sind dann später zusammen in Nordamerika getourt und hatten uns sehr gut verstanden. Später gab es dann noch zwei weitere Tourneen in Amerika und so hat sich das alles gefestigt. Die Tour stand schon fest, bevor das aktuelle Album draussen war. Dann haben wir uns zusammengesetzt und gegenseitig das Material vorgespielt. Der Song «Die on the cross of the martyr» war schon fast fertig. Es war ein bisschen strategisch, dass wir diesen «unfertigen Song» eingebaut hatten und hofften, dass Polyphia darauf anspringen. Was dann auch passiert ist. War auf jeden Fall wieder eine coole Kollaboration. Das lief alles über den Austausch der Files, die wir hin und her geschickt hatten. Wir sassen zu keinem Zeitpunkt mit Polyphia zusammen.

Könnte es auch eine umgekehrte Kooperation geben?

Ja bestimmt! Wir hätten grosse Lust das zu machen, aktuell ist Polyphia aber nicht an einem neuen Album dran.

Wie lange muss ein Song reifen, bis er auf ein Album kommt?

Meistens sind es eher einzelne Bausteine, die wir nochmals aufgreifen. Es gibt Riffs, die sind aus 2015 zum Beispiel, daraus haben wir aber nie etwas gemacht. Die Art, wie wir Songs arrangieren verändert sich auch ein bisschen über die Jahre. Daher sind neue Ideen meistens interessanter als etwas Altes. Es gibt auch ein paar Songs, die wir «angeteased» und dann nie rausgebracht haben. Aber manchmal ist das einfach so. Mittlerweile ist es auch so, dass die Sachen, die wir rausbringen, auch aktueller sind, auch was den Songwriting-Stand betrifft. Vor 10 Jahren war das Zeitgefühl und die Musik auch noch ein bisschen anders. Wir versuchen immer, uns weiterzuentwickeln, mit allem, was wir machen. Es wird wahrscheinlich nie vorkommen, dass wir ein uraltes Demo nehmen und das nochmals verarbeiten, ohne dieses komplett upzudaten. Das Gute ist, dass wir wieder independet sind. Wir können so einfach schneller arbeiten und Sachen schneller raushauen.

Independet, da muss ich mal nachfragen. Ihr habt z.B. kein Label?

Ja genau. Der physische Vertrieb wird von einer Firma übernommen. Aber das ist dann alles. Beim Streaming ist es so, dass wir zusammen mit unserem Management sagen können, «wir haben hier den Song XY und bringen den in 2 Wochen raus». Ohne irgendwelche Zusatzstationen, die auch etwas freigeben müssen. Das machen wir alles selbst.

Geld mit der Musik zu verdienen bzw. davon zu leben ist hartes Brot. Über viele Jahre hin muss man sich durchbeissen, bis man auf einen grünen Zweig kommt. Welche Partner sind heutzutage wichtig, dass man als Band vorankommt und wie relevant sind Verwertungsgesellschaften wie z.B. die GEMA überhaupt noch?

Das ist eine sehr vielschichtige Frage. Ich glaube, egal welche Position der Partner einnimmt, ob Management, Label, Booking-Agentur oder Verlag, müssen das Leute sein, die deine Vision verstehen und dieselbe Arbeitsmoral haben. Man muss menschlich auf einer ähnlichen Wellenlänge sein. Dass alle das gegenseitige, bestmögliche Interesse haben. Ich würde nicht sagen, dass es die beste Lösung ist, kein Label zu haben. Es ist für uns momentan die richtige Lösung. Aber wir glauben, Management und Booking sind schon essenziell. Über diese zwei Instanzen kann man das Allermeiste abfedern und selbst machen. Das ist schon integraler Bestandsteil von einem Band-Business. Wir als Band selbst sind die wichtigsten Partner. Wir sind auch Geschäftspartner untereinander. Es ist wichtig, dass wir uns aufeinander verlassen können, dass niemand streikt, wenn es drauf ankommt und wir uns alle die Nacht um die Ohren schlagen, wenn’s darum geht, ein Video noch schnell zu drehen. Wenn spontan eine Idee aufkommt oder ein Problem, müssen wir das zusammen lösen. Da muss man zuerst ansetzen und kann auch schon ohne Hilfe von aussen echt viel bewegen.

Ich habe noch die zwei neuen Songs („Dark, silent and complete“ und „Sacrifice me“) auseinandergenommen. Diese sind auf keinem Album veröffentlicht. Im Abspann habe ich gelesen, dass Leon (Schlagzeug) als Video-Produzent angegeben wurde und Manuel (Gesang, Gitarre) für das Mixing und Mastering zuständig gewesen ist. Wo wir wieder beim Thema «so viel wie möglich selbst machen» sind.

Eigentlich ist alles selbst gemacht. Es gibt auch Dinge, die wir schlichtweg nicht selbst machen können, wie beispielsweise das Art-Work. Wir haben einfach niemanden im Team, der das gut genug kann. Wir suchen uns dann Partner, die unsere Vision verstehen und ihre eigene Kreativität einfliessen lassen können. Wie zum Beispiel bei den Cover-Artworks. Da haben wir gesagt: uns gefällt, was du machst. Schau, das ist das Thema. Das sind ein paar Elemente, die wir haben wollen. Mach einfach. Da kommt eigentlich immer das beste Ergebnis raus, wenn man den Leuten, mit denen man zusammenarbeitet, den kreativen Freiraum lässt. Beim letzten Album sind wir so vorgegangen: die Musik ist 100% «do it yourself». Wir haben es im Proberaum aufgenommen und das «Finishing» ist bei Manuel und David entstanden. Macht für uns so Sinn. Dann kann man das Budget, was man zur Verfügung hat, für Dinge wie z.B. das Musik-Video oder das Cover-Artwork ausgeben, da man bei der Album-Produktion gespart hat.

Diese zwei Songs werden nicht auf einem zukünftigen Album zu hören sein?

Schauen wir mal, was wird. Das lassen wir mal offen. Songs werden gemacht, wir hauen die raus, wir kriegen direktes Feedback und nehmen so die Leute auch viel mehr mit auf unsere Journey als vorher.

Jetzt habe ich auch gelesen auf guitar.com, dass du Manuel kein Fan von Social Media bist und du das eigentlich gar nicht magst. Wenn ich auf Social Media schaue, dann muss ich sagen, seid ihr ziemlich aktiv.

Manuel: Es stimmt schon, ich bin nicht der grösste Fan davon, dass jeder Künstler gleichzeitig auch ein Influencer sein muss. Darauf habe ich persönlich keinen Bock und finde, es entmystifiziert alles ein bisschen. Ich fand es früher cooler, als man über die Lieblingsartists überhaupt nichts gewusst hatte. Man hat sie auf der Bühne gesehen und dachte so «Oh Gott das ist crazy» und wusste nicht, wann diese Person den letzten Stuhlgang hatte. Auf der anderen Seite ist Social Media auch ein Tool, für das ich dankbar sein muss. Denn nur deswegen sind wir, oder auch ich, so weit gekommen. Das kann ich auch nicht ausser Acht lassen. Ich habe damals auch mehr gemacht. Das mach ich heute nicht mehr, weil ich das nicht mehr so relevant für mich finde und meine Bestimmung dadurch finde, die ganze Zeit irgendwelche Videos hochzuladen. Ich brauche nicht viele Likes oder Kommentare, damit ich meine Endorphine bekomme. Sagen wir’s mal so.

Wir sind auch sehr dankbar dafür, dass wir vor der Tiktok-Ära schon unseren Durchbruch so ein bisschen hatten und unseren Durchbruch durch Sachen wie Musik-Videos oder Live-Mitschnitten erzielten. Da waren die Leute auch aktiv am Zuhören und Zuschauen. Das ist jetzt viel schwieriger geworden. Das erleben wir auch bei Kollegen und Kolleginnen in der Musikbranche, die noch weiter am Anfang stehen. Es ist sehr schwierig, Menschen zu erreichen. Wir sind dankbar für die Fans, die wir die letzten 10 Jahre gesammelt haben, die auch wirklich enthusiastisch dabei sind und darauf können wir immer weiter aufbauen. Wenn wir noch exzessiver alles posten würden, könnten wir vielleicht auch noch schneller wachsen. Aber wir legen unseren Fokus aktuell oder generell darauf, ein langwieriges Produkt mit einem kulturellen Mehrwert zu schaffen: Qualität vor Quantität. Wie schon gesagt, Social Media ist wichtig, aber man muss es auch nicht verherrlichen. Die Musik und das Produkt sind wichtig und wenn das gut ist, dann werden die Leute das auch ohne Social Media weitertragen.

Ich habe in einem Bericht, im Zusammenhang mit eurer Musik gelesen, dass diese als Pop-Metal bezeichnet wird. Wie steht ihr zu dieser Bezeichnung?

Wir würden uns wohl nicht so bezeichnen. Definitiv. Aber wir verstehen schon, wenn die Leute die «Catchyness» sehen, besonders bei Songs wie «Sacrifice me». Der Song ist sehr an Pop-Song Strukturen und Melodien angelehnt. Es ist aber auf jeden Fall nicht so, dass wir uns vor dem Begriff sträuben. Das «Gold» Album war schon mehr ein Pop-Album als ein Metal-Album, auch wenn es sehr experimentell war. Da haben wir noch mehr experimentiert. Wir alle mögen Pop-Musik, deswegen ist diese Bezeichnung völlig in Ordnung.

Ich muss jetzt nochmals auf den neuen Song «Dark, silent and complete» zurückkommen. Die Musik ist vielschichtig. Das Cello-Spiel von David finde ich sensationell. Zu Beginn bekommt man zwei Minuten voll auf die Mütze und dann kommt der Break mit sanftem Gesang und Cello-Einsatz. Danach geht es wieder richtig zur Sache.

Vielen Dank. Das ist schon auch ein Song, bei dem wir bewusst in Höhen und Tiefen gegangen sind. Das war das erste Mal wieder ein Song mit einem richtigen Konzept. War eine interessante Sache für uns. Wir wollten in Sachen Struktur neue Dinge ausprobieren. Wir wollten eine gewisse Spannung halten, damit die Leute nicht wissen, wie sich der Song entwickelt. Das soll auf jeden Fall auch so bleiben: Der Überraschungsfaktor. Die beiden letzten Songs sind auch komplett unangekündigt rausgekommen und solche Sachen eben.

Mir ist aufgefallen, dass man immer mehr Frauen an «Modern-Metal-Konzerten» sieht. Ich war bei Bad Omens mit meinem Neffen. Ich weiss nicht, wann ich das letzte Mal so lange an der Damen-Toilette angestanden bin.

Das ist schon so. In den letzten zwei Jahre konnte man diese Veränderung beobachten. Besonders Bands wie Bad Omens, Bring me the Horizon, Sleep Token und Polyphia haben das Phänomen gepushed. Es gibt erstens dieses Pop-Element in der Musik, aber es gibt auch diese Boy-Band-Geschichten. Die Ästhetik, die diese Bands zelebrieren, ist durchaus auch mit Pop-Boy-Bands zu vergleichen. Diese Mischung trägt dazu bei, dass Metal und härtere Musik einem viel breiteren, eher Mainstream-Publikum zuglänglich gemacht werden. Visualität und Musik sind ein bisschen auseinandergedriftet, seit den 2010er Jahren. Ich habe das Gefühl, dass immer mehr Künstler in der Metal-Szene gar nicht mehr so sehr die typische Metal-Attitüde visuell verkörpern. Andersrum werden aber auch viele Metal-Elemente in der Pop-Kultur übernommen. Man geht Schritte aufeinander zu in den kulturellen Gegenden. Man kann sagen, was vor 3 Jahren im Metal cool war, ist heute bei H&M cool. (Allgemeines Gelächter)

Oder beim Sonntagsgarten oder wie heisst der?

Fernsehgarten. (Allgemeines Gelächter)

Fernsehgarten goes Metal. Da gabs doch mal was. Als im Fernsehgarten Metal-Bands aufgetreten sind. War schon eine spezielle Geschichte. Nun ich möchte euch nicht aufhalten, ihr müsst euch sicher bereit machen, für den Auftritt. Danke euch, es war mir eine Ehre!

War ein cooles Interview. Danke dir!

20.01.2025
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