Die Sonne kreist, die Bärin schläft
Wardruna veröffentlichen am 24. Januar «Birna», den Nachfolger von «Kvitravn». Dabei ist Birna, altnordisch für Bärin, das zentrale Thema des Konzeptalbums und beherrscht sieben von zehn Songs.
Die schlafende Bärin
Das Herzklopfen, mit welchem der erste Track «Hertan» (dt. Herz) beginnt, ist der erste Einstiegspunkt in die sieben konzeptuell zusammenhängenden Tracks. Dieser Herzschlag, der von Trommeln aufgenommen wird und bald in dem sich bildenden Konglomerat an Geräuschen untergeht, symbolisiert die Wachphase der Bärin. Nach dem nicht besonders hervorstechenden Titeltrack – ausgesprochen wird «Birna» übrigens «birtna» – begibt sich diese nämlich in «Ljos til Jord» (dt. Licht zur Erde) in den Winterschlaf.
Diese lange Ruhephase wird auf «Dvaledraumar» (dt. schlummernde Träume) sehr eindrücklich verkörpert. Das Stück dauert fünfzehneinhalb Minuten und glänzt nicht nur mit ausgesprochen wenig Gesangsparts, sondern auch mit einer intensiven Ruhe, welche wiederum vom verlangsamten Herzschlag von nur neun Schlägen pro Minute dominiert wird. Die Formation um Einar Selvik und Lindy-Fay Hella schafft hier etwas, das selbst dem eingefleischten Wardruna-Fan Konzentration abverlangt, um erfolgreich in das Geschehen einzutauchen. Zusammen mit «Jord til Ljos» (dt. Erde zum Licht), welches das Erwachen im Frühling beschreibt, bildet «Dvaledraumar» jedoch das Herzstück von «Birna», und damit quasi die Essenz des Konzeptalbums.
«Himinndotter» beschreibt wie die Himmelstochter, mit welcher ein erneuter Bezug zur Bärin als Hüterin des Waldes hergestellt wird, vom Menschen aus ihrem Zuhause verdrängt wurde und nun scheinbar im Winterschlaf verharrt. Durch das Mitwirken des Chors Koret Artemis, der das Stück eröffnet, wandelt sich der Track zu einem der eingängigeren. «Hibjørnen» (ein Wortspiel zwischen Winterschlaf und Bär) bildet schlussendlich einen Abschluss des konzeptuellen Teils, der sowohl textlich als auch inhaltlich aufs Nötigste reduziert wurde. So greift Einar lediglich mit seiner Stimme und sehr reduzierter instrumentaler Begleitung Textstellen vorhergehender Songs auf – zum Beispiel die stetig kreisende Sonne als Konstante der Natur – und setzt einen wunderschönen Schlussstrich unter die Vision der schlafenden Bärin.
Pferde, Bäume und Berge
Doch «Birna» ist noch nicht zu Ende! Vom Konzept losgelöst schenken uns Wardruna drei weitere Tracks. Der erste davon, «Skuggehusten» (dt. Schattenpferd), ist rhythmisch sehr ansprechend, gerade schon wild, und wird unter anderem von Donnern und Wiehern untermalt. Bei «Tretale» (dt. Stimme der Bäume) ist das monotone, stets repetierte ei stemme (dt. eine Stimme) hervorzuheben, welches einen konstanten Rückgrat durch den Song bildet und gerade nicht zu lange wiederholt wird, um langweilig zu werden. Den Abschluss des Albums bildet dann «Lyfiaberg» (dt. heilender Berg), welches bereits 2020 erstmals veröffentlicht wurde. Nach dieser weitere achteinhalb Minuten dauernden Meditation fühlt man sich dann wahrlich geheilt oder gereinigt, mindestens jedoch besinnt.
Live at the Acropolis
Zeitgleich mit «Birna»» veröffentlichen Wardruna übrigens «Live At The Acropolis». Es handelt sich hierbei um die Live-Aufnahme des Auftritts, den sie im September 2023 zur Tagundnachtgleiche im Herodes Atticus der Athener Akropolis gaben.
Das Fanzit zu Wardruna – Birna
«Birna» ist ein stabiler Nachfolger auf «Kvitravn», verfügt mit seinem durchgehenden Konzept, welches nicht nur textlich, sondern auch musikalisch durchdrückt, jedoch über einen eigenen Charakter. Mit dem langen und wahnsinnig ruhigen «Dvaledraumar» begehen Wardruna einen schmalen Grat zwischen einem packenden Gesamtpaket und einem Titel, den man gelegentlich weiterdrücken möchte. Mit 65 Minuten Spielzeit wirkt das Album eher lang, und doch haben sich Wardruna bewusst gegen die einfache Möglichkeit entschieden, entweder «Dvaledraumar» zu kürzen oder die letzten drei Songs respektive zwanzig Minuten wegzulassen. Somit verlangt «Birna» etwas Hingabe und eignet sich weniger fürs gelegentliche Nebenbeihören als zum Beispiel die «Runaljod»-Alben. Wer sich jedoch auf das neueste Werk einlässt, wird mit einem eindrücklichen musikalischen Erlebnis belohnt!
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Die Tracklist – Wardruna – Birna
- Hertan
- Birna
- Ljos til Jord
- Dvaledraumar
- Jord til Ljos
- Himinndotter
- Hibjørnen
- Skuggehesten
- Tretale
- Lyfiaberg
Das Line-up – Wardruna
- Einar Selvik – Gesang, Tagiharpa, Kravik-Leier, Bukkehorn
- Lindy-Fay Hella – Gesang
- Arne Sandvoll – Percussion, Hintergrundgesang
- Sondre Veland – Percussion, Hintergrundgesang
- Eilif Gundersen – Bukkehorn, Lure, Flöte, Hintergrundgesang
- HC Dalgaard – Schlagzeug, Percussion, Hintergrundgesang
- John Stenersen – Moraharpa
- Gastauftritte: Koret Artemis, Jonna Jinton, Hans Redrik Jacobsen, Kenneth Lien, Iver Sandøy