
Viel Abwechslung in kurzen Slots
Im Rahmen der «Motocultor across Europe»-Tour 2025 besuchten Infected Rain zusammen mit Semblant und drei weiteren Bands das Z7. Spass war vorprogrammiert.
Erst im Dezember beehrte die nach dem Motocultor Festival benannte Tour mit Orphaned Land als Headliner die Konzertfabrik in Pratteln. Auch dieses Jahr standen drei Bands mit halbstündigem Slot an, worauf die letzten beiden Truppen etwas länger spielen durften. Und trotz des gemeinsamen Merkmals, weiblichen Gesang einzusetzen, gab es auch jetzt genretechnisch eine ganze Menge Abwechslung von Bands aus der halben Welt. Ein intensives Programm also für alle Besucher – allen voran für Sandro, der für das fotografische Festhalten der Geschehnisse verantwortlich war.
Skin On Flesh
Den Anfang macht die Berliner Truppe Skin On Flesh. Insofern erstaunt es, dass sich einer der Gitarristen, der den Grossteil der Ansprachen übernehmen wird, gleich mal für sein Deutsch entschuldigt – obwohl dieses nahezu perfekt ist. Laura Jiménez, welche sich um den spanisch- und englischsprachigen Leadgesang kümmert, richtet zwischendurch ebenfalls einige Worte ans Publikum. Vor allem aber ist sie für die Gumpiball-Energie verantwortlich, welche den Alternative Rock mit viel Rockgören-Attitüde an die Menge bringt.
So gibt die Band, die Laura während der Pandemie zusammen mit Basser Michiel Sybers gegründet hat, von Beginn weg Vollgas. Man merkt, dass der Fünfer Bock und eigentlich auch das Potenzial für eine wilde punkige Sause hat, doch zündet die Stimmung im Publikum noch nicht richtig. Songs wie «El Tiempo» (der, wie ich lese, in einer Extension von «Cyberpunk 2077» gefeatured wurde) machen auf jeden Fall Spass, doch scheint die Bühne ein bisschen zu gross. Ich bin mir sicher, dass genau diese Band zum Beispiel im Dynamo eine wahnsinnige Stimmung hingekriegt hätte – und erinnere mich prompt an Mamba Bites im Vorprogramm von Knöppel. So endet nach einer halben Stunde ein guter, wenn auch auf der grossen Bühne eher durchschnittlicher Auftritt.
Miruthan
Als Zweites stehen Miruthan aus Australien auf dem Programm. Visuell ist der Auftritt ab dem ersten Moment spannend, akustisch hapert es aber noch einige Minuten mit der Abmischung. Dies war schon zuvor bei Skin On Flesh der Fall und wiederholt sich leider bei jeder Band ausser Infected Rain. Mit der Zeit wird der Sound aber klarer und man bekommt dann auch mit, was Miruthan hier gerade liefern: eine explosive Mischung verschiedener Extreme Metal-Einflüsse. Zwar ist der Stil klar als angeschwärzter Death Metal zu bezeichnen, doch finden sich im Mix auch Einflüsse aus symphonischen und folkloristischen Ecken.
Sämtliche Musiker halten ihre Identität mit Masken und Umhängen geheim. Am mittleren Bühnenrand findet sich eine Art Rednerpult, welches ein wenig unpassend mit einem Bandshirt verhüllt ist. Darauf liegt ein dickes aufgeschlagenes Buch, in welchem Sänger Mvumbi immer wieder etwas nachschlägt. An seinem Gürtel hängt ebenso ein Büchlein, zusammen mit einer Skeletthand. Mindestens den gleichen Anteil Aufmerksamkeit wie der Leadsänger zieht jedoch der Bandkopf und Gitarrist Nzambi auf sich. Dafür sorgen unter anderem seine sehr auffällige Kronenmaske, seine zentrale Positionierung sowie sein früher Abstecher runter in die Menge. Sämtliche Musiker steuern zudem ihre Vocals bei, was der Musik einen vielfältigen Anstrich verleiht. Darunter auch die Priesterin, welche Chorstimmen und Schreie zum Besten gibt, ansonsten jedoch wie angewurzelt auf der einen Bühnenseite steht und mit einem Buch umherwedelt.
Was Miruthan präsentieren, ist optisch wie musikalisch leicht überladen und eine halbe Stunde reicht kaum, um alles zu verarbeiten. So hinterlassen mich die Australier positiv überrascht, jedoch auch ein wenig verwirrt.
Elyose
Nu und Gothic Metal soll der dritte, aus Frankreich stammende Act vereinen. Was erstmal eher unpassend klingt, macht beim Reinhören schnell Sinn: Wir haben es hier mit einem alternativen Stil zu tun, dessen Goth-Anteile vor allem aus Justine Daaés französischsprachigem Gesang bestehen. Sobald die Abmischung stimmt, erweist sich diese Gangart als sehr erfrischend, obwohl die Songs mir teilweise zu fest aufs Wesentliche reduziert erscheinen.
Dies trifft übrigens auch auf die heutige Besetzung zu. Strenggenommen ist Elyose lediglich ein Duo, bestehend aus Justine sowie Gitarrist Anthony Chognard. Live werden die beiden einzig am Schlagzeug unterstützt; sämtliche weiteren Spuren kommen ab Band. So entsteht auf der Bühne gewissermassen eine Leere, welche die drei Musiker alleine nicht hundertprozentig auszufüllen vermögen. Anthony gibt sich mit wilden Drehungen und seinem Umhergerenne zwar grosse Mühe und macht bezüglich Aktivität schon fast dem Infected Rain-Gitarristen Vidick Konkurrenz. Der fast schon starre Auftritt von Justine hingegen passt meiner Meinung nach nicht so ganz zu dieser Hektik.
Unglücklicherweise verabschiedet sich dann bei einer Sologesangspassage auch noch Justines Mikro. Zwar eilt die Z7-Crew in Windeseile mit Ersatz zu ihr, doch dieser versagt ebenso. Gerade zum Ende der Solopassage wird scheinbar der richtige Regler genügend weit nach oben geschoben, dass wir wieder in den Genuss des Gesangs der nun leicht nervösen Sängerin kommen. Leider hört sie sich jetzt selbst nicht mehr, wie sie einen Song später erklärt. Dies passiere zum ersten Mal und entsprechend oft entschuldigt sich Justine – mit der Mikroverstärkung mittlerweile etwas zu laut und schrill.
Als die Zeit langsam abläuft, findet der Auftritt somit ein eher unspektakuläres Ende. Schuld daran ist vor allem die Technik. Elyose haben die Umstände verhältnismässig gut gehandhabt. Ich verbleibe mit dem Eindruck, dass wir hier einen musikalisch spannenden Act entdecken konnten, und freue mich darauf, Elyose hoffentlich bald eine zweite Chance geben zu dürfen.
Die Setlist – Elyose
- Retour au réel
- Mission lunaire
- Étoile solitaire
- Vendredi noir
- Humaine
- Tentatives éechouées
- Immuable
Semblant
Der Grund für mein Erscheinen im Z7 sind natürlich Infected Rain; die ersten drei Acts kannte ich gar nicht. Den Namen Semblant habe ich jedoch schon oft gelesen, und beim Reinhören stelle ich fest, dass die Brasilianer einen spannenden Ansatz verfolgen: Sie spielen Symphonic Metal, reichern ihn aber mit mehr Growls an, als man es sich von anderen Bands dieses Subgenres gewohnt ist.
Diese harten Einflüsse stellen Semblant mit «Incinerate» gleich zu Beginn in den Fokus. Sérgio Mazuls gutturale Vocals, die harte Spielweise der Instrumentalisten und die noch unausgeglichene Abmischung positionieren die Band irgendwo weit weg des Symphonic Metals, und erst als Sängerin Mizuho Lin nach eineinhalb Minuten einsetzt, zeigt sich der prädominierende Stil des Sextetts.
Mit dieser eigentlich gar nicht weithergeholten, doch trotzdem sehr ansprechenden Mischung verzaubern Semblant also das Publikum. Sobald die Soundregler sich in der richtigen Position finden, breiten sich die bombastischen Songs regelrecht in der grossräumigen Halle aus. Die Band wirkt routiniert, ohne jedoch einer sturen Choreographie zu folgen. So kommen die Anwesenden in den Genuss eines Symphonic-Konzerts, das sich in der goldenen Mitte zwischen Unreife (ohne andere Bands schlechtreden zu wollen) und durchgetakteten Shows einfindet.
Allerspätestens mit dem über die Fangemeinde hinweg bekannten «What Lies Ahead» legen Semblant die Messlatte für Infected Rain dann verdammt hoch. Und gewinnen mit ihrem Auftritt heute wohl den einen oder anderen Fan dazu – Sandro und mich eingeschlossen.
Infected Rain
Nicht nur die wachsende Vorfreude des Publikums, auch die beiden grossen Screens mit eingeblendetem Logo sowie das riesige Backdrop deuten es an: Es ist Zeit für Infected Rain. Für mich ist es das erste Zusammentreffen mit Alice Lane am Bass – diese ersetzt seit 2023 Vladimir Babich, der zusammen mit seinem Bruder Sergey Babich (an der Gitarre) die Band verliess. Ansonsten bestehen Infected Rain weiterhin aus den gewohnten Rampensäuen: Drummer Eugen Voluta an der Schiessbude, Wirbelwind Vadim «Vidick» Ojog an der Gitarre sowie natürlich Elena Cataraga a.k.a. Lena Scissorhands mit ihrem eindrücklich variablen Gesang.
Die Setlist wird heute vom aktuellen, vor einem knappen Jahr erschienenen Album «Time» bestimmt. Ganze sechs von leider nur elf gespielten Tracks finden sich auf dieser Scheibe. Dies trübt mein persönliches Erlebnis ein Quäntchen, habe ich mich doch ein bisschen zu wenig mit den beiden Werken nach «Endorphin» beschäftigt. Doch trotz vieler für mich nicht ganz so vertrauter Songs muss ich sagen: Infected Rain machen Laune! Dass ich die Kompositionen weniger gut kenne als zum Beispiel «Serendipity» oder «Pendulum» heisst ja nicht, dass sie schlecht sind. Im Gegenteil, ich bin positiv überrascht ob der Live-Qualität des Materials, welches zudem ab dem ersten Moment perfekt abgemischt daherkommt.
Zudem weiss die jetzt als Quartett auftretende Truppe aus der Republik Moldau ganz genau, wie man eine gute Live-Show fabriziert. Die beiden Screens links und rechts des Schlagzeugs werden geschickt ins Bühnenbild eingebaut, zeigen mal einfach nur das Bandlogo und mal wilde Animationen. Zudem spürt Aushängeschild Lena Scissorhands scheinbar im Blut, wie sie ihren Körper und ihre wilde Mähne – gefühlt sind da nochmals deutlich mehr Dreads dabei als früher – seitlich im Licht stehend positionieren muss, um das Publikum mit coolen Effekten und entsprechender Hühnerhaut zu versorgen. An der perfekt einstudierten Show stört mich lediglich ein wenig, dass diese gefühlt nonstop aufgezeichnet wird, und zwar von mehreren Personen, die sich abwechslungsweise durchs Publikum, den Fotograben und über die Bühne bewegen. Hoffentlich gibt dies wenigstens eine schön geschnittene DVD von der ganzen Tour, und nicht nur einige Kurzvideos für die sozialen Medien.
Ansonsten bleibt nicht viel zu sagen: Der stark auf elektronischen Einspielern aufbauende Modern Metal von Infected Rain überzeugt live aufs Neue viel mehr als ab Studioaufnahme. Dazu trägt auf jeden Fall auch das energiegeladene Umhersausen des Gitarristen Vidick bei, der heute beim letzten Song «Sweet, Sweet Lies» erneut vor Erschöpfung am Boden endet. Dieser Abschlusstrack bildet – nicht wirklich überraschend – zusammen mit «The Earth Mantra» mein persönliches musikalisches Highlight des Sets. Nach nur einer Stunde ist leider Schluss. Dies ist Teil des Konzepts der Motocultor-Tour, und der Einblick in ganze vier weitere Bands entlöhnt diese Einbusse.
Die Setlist – Infected Rain
- The Realm of Chaos
- Pandemonium
- Vivarium
- Fighter
- The Answer Is You
- Orphan Soul
- The Earth Mantra
- Dying Light
- Never To Return
- Because I Let You
- Sweet, Sweet Lies
Das Fanzit – Infected Rain, Semblant, Elyose, Miruthan, Skin On Flesh
Das 2025er «Motocultor across Europe»-Package hat mächtig abgeliefert. Zwar war meiner Einschätzung nach die Z7-Bühne etwas zu gross für den Opener Skin On Flesh, doch legten Miruthan mit einer verwirrenden Show und Elyose trotz technischer Probleme auf hohem Niveau nach. Die brasilianischen Semblant füllten mit ihrem Death-geprägten Symphonic Metal dann erfolgreich die gesamte Halle aus und setzten die Messlatte für Infected Rain hoch an. Der moldauische Headliner hatte schlussendlich aber keine Probleme damit, das Publikum mit seiner packenden Performance zu fesseln und glücklich nach Hause zu entlassen.
Die Fotos – Infected Rain, Semblant, Elyose, Miruthan, Skin On Flesh
