Schwer melancholisch mit viel Groove
Am 7. Februar veröffentlichen Jinjer via Napalm Records ihr fünftes Studioalbum «Duél». Das elf Tracks starke Werk bietet den unverkennbaren Sound früherer Alben, ist jedoch im Vergleich dazu etwas härter.
Dabei ist Härte keinesfalls eine eindimensionale Grösse. Dem facettenreichen Jinjer-Sound, den eine immer grössere Fangemeinde kennen und schätzen gelernt hat, würde eine solche Bezeichnung kaum gerecht werden. Und doch habe ich auch nach dem x-ten Hördurchgang noch immer den Eindruck, «Duél» sei insgesamt grober als seine Vorgänger.
Schweres Material
Dies betrifft bei vielen Songs insbesondere die Schwere, welche die Ukrainer dem Hörer übermitteln. Eines der beschreibendsten Beispiele mag das Intro von «The Green Serpent» sein. Track Nummer 5, in welchem Texterin und Sängerin Tatiana Shmayluk das Bekämpfen ihres Alkoholkonsums behandelt, beginnt nämlich mit harmlosen Riffs, einem ruhigen Rhythmus und einem unschuldigen, klargesungenen “the grapes are falling down”. Trotzdem vereinen Jinjer diese drei Elemente gekonnt zu einem schweren, fast schon doomigen Intro, welches den Aufbau des Songs eindrücklich ankündigt.
Andere Songs sind im einfachsten Sinne des Wortes hart. Das eröffnende «Tantrum» zum Beispiel, welches nach einem ultrakurzen Schlagzeugauftakt für knapp zwanzig Sekunden nur eine Richtung kennt – tifig nach vorne –, bevor es mit viel Groove weiterzieht. In «Rogue» klingen Jinjer schlicht und einfach wütend. Kein Wunder, behandelt das Ukrainer Quartett damit einmal mehr die vertrackte Situation zwischen ihrer Heimat und dem kriegsdurstigen Nachbarn. Und auch hier: Egal, wieviele Emotionen Jinjer in das Stück reinpacken, in Sachen Groove holen sie einmal mehr das Maximum raus. Man beachte insbesondere die letzte Minute.
Im Groben und Ganzen ziehen Jinjer ihren sehr charakteristischen Stil jedoch ohne riesige Abweichungen weiter. Der Hörer bekommt es auf «Duél» einmal mehr mit genial harmonierenden Riffs von Gitarrist Roman Ibramkhalilov und Bassist Eugene Abdukhanov zu tun, neben welchem man – meiner Meinung nach leider eine winzige Spur zu leise abgemischt – mit faszinierendem Drumming des wohl interessantesten Drummers Vladislav Ulasevich versorgt wird. Ein grundsolides, mehr als lobenswertes Grundgerüst, über welches Tatiana ihre Vocals in gewohnt variablem Stil drüberlegt. Dabei schreckt sie auch nicht davor zurück, in «Tumbleweed» mit orientalischen Harmonien gegen ihre Mitmusiker anzutreten – eine Kombi, die nur dann überzeugt, wenn man genau hinhört und sich auf den Song einlässt.
Inhaltliche Schwere
Den melancholischen Charakter, der «Duél» musikalisch dominiert, bildet Tatiana indes auch lyrisch ab. «Kafka» behandelt die Absurdität unserer Existenz und «Someone’s Daughter» beschreibt die Notwendigkeit, in unserer Gesellschaft manchmal von jemandes Tochter zur Kriegerin mutieren zu müssen. Einen grösseren zusammenhängenden Bogen zu den Themen Melancholie und innerliche Kämpfe scheint es ab dem bereits genannten «Green Serpent» zu geben – die grüne Schlange ist in einigen osteuropäischen Ländern ein metaphorisches Synonym zum verlockenden Alkohol. Erwähnter Bogen zieht sich über «Dark Bile» zu «Fast Draw», dessen Lyrics aus der Feder von Tatianas Ehemann Alex Lopez stammen.
Die Kulmination dieser inneren Konflikte bilden Jinjer schlussendlich auf dem namensgebenden, finalen Track «Duél» ab. Nicht nur scheint das mit knapp fünf Minuten längste Stück des Albums ein musikalischer Querschnitt durchs Album zu sein. Nein, mit dem Bild eines typischen Western-Schiessduells verarbeiten Jinjer die inneren Konflikte, welchem wir Menschen immer wieder unterliegen. “Barrel to barrel. Pick a side.”. Es geht um persönliches Wachstum, die Stärke des eigenen Willens, das Duell zwischen der dunklen Seite und der optimistischen, einer hoffentlich strahlenden Zukunft. “Though I’m down on my knees, I have battled my old me.”
Das Fanzit zu Jinjer – Duél
Auf ihrem fünften Studioalben liefern Jinjer das, was ihre Fans erwarten: Gewaltige Riffs, virtuoses Drumming, Tatianas facettenreichen Gesang sowie jede Menge ihrer erstaunlichen Growls. Dazu liefern die Prog Metaller eine gehörige Portion Groove und förmlich greifbare Harmonien zwischen den Musikern – kein Song bleibt davon verschont. Die thematische Ausrichtung zwischen Melancholie und Wut vermögen die Ukrainer mit harter Schwere perfekt musikalisch abzubilden, ohne jedoch auf das positive Ende «Duél» zu verzichten. Dabei wirkt jedes Detail der knapp 43 Minuten Spiellänge ausgeglichen, minutiös auf jeden Song angepasst. Für «Duél» haben Jinjer sich Zeit gelassen – die dreieinhalb Jahre seit «Wallflowers» sind im bisherigen Eineinhalbjahreszyklus eine grosse Lücke –, doch wirkt sich dies sehr positiv aufs Hörerlebnis aus.
Ob «Tantrum», «Tumbleweed» oder «Green Serpent»: «Duél» enthält viele Schmuckstücke. Abermals, sogar noch mehr als auf früheren Alben, funktionieren die Songs bei bewusstem Hören um ein Vielfaches besser, als wenn man sie nur nebenbei hört. Dass das Material auch live funktionieren kann, bewiesen Jinjer zudem auf der Tour mit Sepultura, auf der sie unter anderem das bis heute noch nicht veröffentlichte «Fast Draw» spielten. Ach ja, zu den fünf bereits vorab releasten Songs gibt es übrigens Musikvideos; Reinschauen lohnt sich.
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Die Tracklist – Jinjer – Duél
- Tantrum
- Hedonist
- Rogue
- Tumbleweed
- Green Serpent
- Kafka
- Dark Bile
- Fast Draw
- Someone’s Daughter
- A Tongue So Sly
- Duél
Das Line-up – Jinjer
- Tatiana Shmayluk – Gesang
- Roman Ibramkhalilov – Gitarre
- Eugene Abdukhanov – Bass
- Vladislav Ulasevich – Schlagzeug