
Arch Enemy – Blood Dynasty
Melodic Death Metal
Dutzendware?
Pünktlich zu ihrem 30-jährigen Bestehen veröffentlichen Arch Enemy ihr Jubiläumswerk „Blood Dynasty“. Kann die grösste kleine Underground-Metal-Band der Welt (wie sie sich selbst gerne nennen) damit neue Akzente setzen? Oder wird uns auf dem mittlerweile zwölften Silberling nur neuer Wein in alten Schläuchen serviert? Wir haben uns auf Spurensuche begeben.
Eines vorweg: Die Schweden (mit der Ahornblattstimme) erfinden mit „Blood Dynasty“ das Rad nicht neu und fügen dem Genre Melodic Death Metal auch kein neues Puzzleteil hinzu, das die Musikwelt in ihren Grundfesten erschüttern würde. Und doch wird das zwölfte Eisen seine Fans überraschen, vielleicht sogar ein wenig vor den Kopf stossen. Zwar hat das Quintett mit „Dream Stealer“, „Liars & Thieves“ (das bereits auf der letzten Tour intensiv live geprobt wurde), „Blood Dynasty“ sowie „Paper Tiger“ im Vorfeld vier äusserst intensive Vorboten auf den grossen Release losgelassen, doch können diese Titel das Spektrum des Albums nicht vollständig umreissen.
Fast ist man geneigt zu glauben, dass Bandleader und Gitarren-Hero Michael Amott uns mit diesen Krachern auf eine bestimmte Fährte locken wollte, um dann am Tag der Veröffentlichung mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht klarzustellen: Wir können aber auch anders. Was Bassist Sharlee D’Angelo dazu zu sagen hat, erfahrt ihr in unserem Interview.
Abrissbirne und Lucky Loser
Der Opener „Dream Stealer“ ist eine brachiale Machtdemonstration, die definitiv keine Gefangenen macht. Eine Art „Painkiller 2.0“, wenn man so will. Zwar sorgt wie gewohnt die herrlich instrumentale Bridge für ein wenig melodiöses Beiwerk, aber schliesslich und endlich wird in gewohnter AE-Manier (als Abkürzung für „AbrissbirnE“) alles niedergemäht. Arch Enemy at its best!
Tja, und dann kommt auch schon das, was unter eingefleischten Kehlgesang-Enthusiasten für einigen Gesprächsstoff sorgen dürfte. „Illuminate the Path“ ist vom Typ her ein echter Gassenhauer, der mich in der Strophe irgendwie an „My Fighting Heart“ von How We End erinnert (wer die Truppe noch nicht kennt, hier geht’s zum Interview). Ein Song mit echtem Ohrwurmcharakter, in dem sich explosive Härte und hymnische Intensität paaren mit – Clear Vocals im Refrain. Ja, richtig gelesen. Arch Enemy gewähren ihrem Stimmwunder endlich etwas Auslauf, was dem Sound der Band eine weitere spannende Facette hinzufügt. Ich bin gespannt, wie die Fans dies aufnehmen werden. Jedoch, der echte Killer steht ja noch ins Haus.
Mit „March Of the Miscreants“, „A Million Suns“ sowie „Don’t Look Down“ folgen drei Tracks der härteren Gangart, wobei ersterer reichlich Futter für die Knüppelfraktion bietet, mit einem etwas nervös unterlegten Grundbeat daherkommt, dabei aber auch einen ruhigeren Mittelteil aufweist. Und Alissa so richtig schön keifen lässt. Die Ode an die Millionen Sonnen ist ein weiteres Hochgeschwindigkeits-Stück mit einem intensiven Riff. Dennoch wirkt das Ganze durchaus melodisch, wie man es von Arch Enemy ja bereits hinreichend gewohnt ist – Härte trifft auf Harmonie. Der letzte Titel des brachialen Dreigestirns – „Don’t Look Down“ – quillt gerade im Kehrreim etwas zäher aus den Boxen. Kein schlechtes Lied, aber in Anbetracht des restlichen Materials auf der neuen Scheibe in meinen Augen halt so etwas wie der „Lucky Loser“.
Vivre Libre
Bevor der Titelsong erstrahlen darf, gilt es, die Vorzeichen richtig zu deuten. Wir tun dies in einem kurzen, knapp 50-sekündigen Moment des Innehaltens und lassen das instrumentale, ruhige und tragende Intermezzo namens „Presage“ auf uns wirken. Eine Nummer, die aus tiefster Seele zu sagen scheint: Aufgepasst, jetzt kommt was Grosses. Was alles andere als gelogen ist, denn mit „Blood Dynasty“ hauen uns Arch Enemy einen pechschwarzen, monströsen, knallharten und zugleich rhythmischen Kracher um die Ohren. Der melodische Mittelteil sowie die grandiose Gitarrenarbeit tun ihr Übriges, um dem Stück das Prädikat „episch“ zu verleihen. Nicht weniger fulminant bzw. galoppierend geht es mit „Paper Tiger“ weiter. Eine rundum gelungene Nummer, die ja ebenfalls bereits im Vorfeld auf die Fans losgelassen wurde und die Vorfreude der meisten in noch höhere Sphären katapultierte.
Mit „Vivre Libre“ folgt die Ballade des Albums, eine Cover-Version aus den 80er-Jahren, ursprünglich von einer Equipe namens Blaspheme verfasst (zum Original). Die Lyrics sind französisch, was für Frontdame Alissa, die im kanadischen Quebec aufgewachsen ist und die Sprache der Grande Nation fliessend beherrscht, keine unlösbare Herausforderung gewesen sein dürfte. Michael Amott dazu: „Es sollte ein Bonustrack werden, bis wir ihre Stimme darauf hörten und dachten: Verdammt, das ist grossartig! Es klang, als ob es auf das Album gehört“. Ein grandios vorgetragenes, perfekt eingesungenes und über vier Minuten stark an Intensität wachsendes Werk, das sich seinen Platz auf dieser Scheibe redlich verdient hat. Und ja, es ist eine Ballade. Und nochmals ja: No Growls, sondern kompromisslos in Klargesang vorgetragen. Und wunderschön. Amott: „Die Leute können es hassen oder lieben, das ist mir egal [lacht]!“. Und meiner-einer ist gespannt, wie die Reaktionen der Fans dazu ausfallen werden.
Der Geist des Underdogs
Mit treibenden Drumparts sowie teilweise Helloween-ähnlichen Riffs (zumindest meiner Meinung nach) sorgt „The Pendulum“ für eine Rückkehr zur Härte-Normalität im Arch Enemy Universum. Der eher langsame und tragende Mittelteil trägt ebenso zum Glanz dieses Liedes bei, wie die nun wieder furchteinflössenden Grooves von Miss White-Gluz. Den fulminanten Schlusspunkt eines wahrlich abwechslungsreichen Hörerlebnisses setzt „Liars & Thieves“, das ebenfalls noch einmal mit einer Prise Klargesang aufwartet, sich ansonsten aber gewohnt heftig und schädelrasselnd präsentiert. So sind es denn zwei exzellente Stücke voller virtuoser, energiegeladener Brutalität, die den Longplayer eröffnen respektive beschliessen.
Aufgenommen wurde „Blood Dynasty“ in Schweden und gemischt von keinem Geringeren als Produktionsguru Jens Bogren, der bereits beim 2017er Album „Will To Power“ an den Reglern sass. Doch wie war das nochmals mit der eingangs erwähnten „grössten kleinen Underground-Metal-Band“? „Ich weiss, dass wir grösser sind als andere Untergrund-Bands, und wir haben nach fast 30 Jahren ein neues Plateau in unserer Karriere erreicht“, gibt Amott zu. „Aber wenn man sich das Gesamtbild der Musik anschaut, sollten fast alle Metalbands als Underground gelten! Sie werden vom Mainstream ignoriert, und das ist in Ordnung für mich. Als ich aufwuchs, Gitarre spielen lernte und meinen ersten Bands beitrat, dachte ich überhaupt nicht daran, vom Mainstream akzeptiert zu werden. Ich habe versucht, ein besserer Musiker zu werden, mit besseren Musikern zu spielen und die Hingabe zu haben, zu Konzerten zu gehen und den Underground zu unterstützen. Die ganze Atmosphäre und der Geist der Band… es ist der Geist des Underdogs! Das ist immer noch das, was Arch Enemy ausmacht.“
Das Fanzit Arch Enemy – Blood Dynasty
Auch nach 30 Jahren gelingt es Arch Enemy mit „Blood Dynasty“ ein sehr starkes Lebenszeichen zu setzen. Dabei schaffen sie eindrucksvoll den Spagat zwischen Rückbesinnung auf alte Werte und einem mutigen Schritt nach vorn. Das abgelieferte Songmaterial präsentiert sich gewohnt treibend und roh, wobei das Gaspedal noch einmal etwas stärker durchgetreten wird. Allerdings möchte ich gerade die besonders heftigen Knüppelattacken live nicht unbedingt bei einem schlecht abgemischten Sound erleben müssen.
Die Tatsache, dass auf „Blood Dynasty“ gleich drei Titel mit Klargesang (einer davon sogar ausschliesslich balladig) enthalten sind, legt nahe, dass Arch Enemy – wohl auch einiger Fan-Appelle zum Trotze – erkannt haben, welches unfassbar variantenreiches Gesangsmonster sie mit Alissa White-Gluz am Start haben. Ich bewundere den Mut der Formation, diese Karte gerade mit „Vivre Libre“ derart offen auszuspielen. Alles in allem ein weiterer Meilenstein in der Geschichte dieser Band – und mir hochverdiente neun Horns wert!
Anspieltipps: Illuminate the Path, A Million Suns, Vivre Libre, Liars & Thieves
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Die Trackliste Arch Enemy – Blood Dynasty
- Dream Stealer
- Illuminate The Path
- March Of The Miscreants
- A Million Suns
- Don’t Look Down
- Presage
- Blood Dynasty
- Paper Tiger
- Vivre Libre
- The Pendulum
- Liars & Thieves
Das Line-up – Arch Enemy
- Michael Amott – Guitars
- Alissa White-Gluz – Vocals
- Sharlee D’Angelo – Bass
- Daniel Erlandsson – Drums
- Joey Conception – Guitars
Video Arch Enemy – Liars & Thieves
