Arch Enemy – Interview mit Sharlee D’Angelo
Melodic Death MetalZwischen „Blood Dynasty“ und Kindheitserinnerungen
Arch Enemy sind nicht zu bremsen. Mit „Blood Dynasty“ servieren uns die Schweden mit der kanadischen Stimmgewalt eine wahre Machtdemonstration in Sachen Melodic Death Metal. Wir hatten die Gelegenheit, im Vorfeld der Veröffentlichung mit Bassist Sharlee D’Angelo zu plaudern. Keine Frage, dass es dabei um weit mehr als die vier Saiten seines Instruments ging. Viel Spass beim Lesen!
„Blood Dynasty“ heisst nun also das zwölfte Studiowerk der grössten kleinen Underground-Metal-Band der Welt (was es damit auf sich hat, findet ihr in unserer ausführlichen Album-Review). Im direkten Vergleich zu seinen Vorgängern „Deceivers“ und „Will To Power“ wirkt der Elf-Tracker (bei den Deluxe-Ausführungen gibt es zwei Titel als Nachschlag obendrauf) härter, noch nen Tick oder zwei aggressiver, zugleich aber auch sehr abwechslungsreich und perfekt auf den Punkt gebracht. Eine wahrlich explosive Mischung! Und definitiv Stoff genug, um mit dem Vier-Saiten-Mann der Truppe, Sharlee D’Angelo, das neueste Eisen zu beleuchten.
Nicht zuletzt, da es ja die eine oder andere Überraschung in sich birgt. Doch welches sind seine Favoriten auf der neuen Hammer-Scheibe? Welche Zutaten braucht es für den perfekten Arch Enemy-Song? Welche Superkraft würde sich Sharlee wünschen – und könnte er sich ein dreistündiges Arch Enemy – Konzert vorstellen? Lasst euch überraschen…
MI: Wie geht es dir in dem Wissen, dass ihr in Kürze ein tolles neues Album veröffentlichen werdet?
Sharlee: Mir geht es sehr gut, danke. Ich bin gespannt, was die Leute davon halten werden.
Blood Dynasty
MI: Das kann ich mir vorstellen. Wie unterscheidet sich „Blood Dynasty“ aus deiner Sicht musikalisch von seinen Vorgängern? Oder anders gefragt: Wo habt ihr die Grenzen eures Sounds am meisten ausgelotet und erweitert?
Sharlee [überlegt, und tastet sich dann vorsichtig vor]: Ich glaube nicht, dass diese Frage so einfach zu beantworten ist. Die Richtung eines Albums entwickelt sich fast automatisch bzw. selbstständig, je nachdem, in welcher Stimmung wir gerade sind. Aber ich glaube, das, was du gerade gesagt hast, trifft unsere Einschätzung sehr gut. Natürlich haben wir einige neue Elemente eingebaut und sind auch neue Wege gegangen. Aber das bedeutet nicht, dass wir uns zu weit von unserem ursprünglichen Weg, von der Essenz unserer Musik entfernt haben. Bestimmte Aspekte werden immer da sein. Aber es gibt stets verschiedene Möglichkeiten, Gefühle auszudrücken. Und ich denke, dass wir auf „Blood Dynasty“ durchaus einige neue Ansätze zeigen.
Aber wie du schon angemerkt hast, ist es am Ende ziemlich direkt geworden. Obwohl einige Songs in ihrer Arrangementstruktur leicht progressiv sind, gibt es viele Tempowechsel und ähnliche Elemente, die auf unseren ersten drei oder vier Alben präsenter waren als in letzter Zeit. Und diese Art des Songwritings hat wieder ihren Weg zurück gefunden. Warum? Das kann ich gar nicht genau sagen. Es ist einfach passiert.
Ende 2023 gab die Equipe bekannt, dass Gitarrist Jeff Loomis die Band verlassen hat. Gleichzeitig wurde Joey Concepcion als neuer Saitenmann vorgestellt. Nicht selten bringen solche Besetzungswechsel gewisse Veränderungen im Sound mit sich. Zumal Joey laut Mastermind Michael Amott einen etwas anderen Stil als sein Vorgänger in die Band einbringen würde, der eher an den früheren Gitarristen Chris Amott erinnert.
MI: Hat sich der Wechsel im Line-Up irgendwie auf die Dynamik eures Sounds ausgewirkt?
Sharlee: Der Grossteil der Musik war schon fertig, bevor Joey zur Band stiess. Aber wie immer, wenn jemand Neues dazukommt, bringt er eine Menge Enthusiasmus mit. Es ist wie ein Energieschub. Dinge, die man vielleicht als selbstverständlich erachtet hat, werden plötzlich wieder neu und aufregend. Man fängt an, sie und sich selbst zu hinterfragen. Es ist immer schwer, jemanden zu verlieren, etwas Gutes aufzugeben. Gleichzeitig hat frisches Blut aber auch etwas sehr Positives – es bringt einen definitiv weiter.
Flagge setzen
MI: Gab es während eurer Arbeit am neuen Album Herausforderungen oder Highlights, die eine Erwähnung wert sind?
Sharlee: Es ist schwer, etwas Bestimmtes herauszugreifen, das besonders hervorsticht. Es geht einfach darum, Songs zu schreiben, Dinge zusammenzufügen, sich über Neues zu freuen. Oder halt auch enttäuscht zu sein, wenn etwas nicht funktioniert und es nicht aufs Album geschafft hat. Der Prozess ist im Grunde derselbe wie immer, aber er führt letztlich zu dem Punkt, an dem man beginnt, die Form eines Albums zu erkennen. Man sieht, was wirklich passt und welcher Track besonders gut funktioniert. Man beginnt, das Ganze als Einheit zu betrachten – denn ein Album ist wie ein eigenes Werk, eine Komposition für sich. Zumindest für uns, die wir noch an Alben hängen [lacht].
Man nimmt eine Reihe von Songs auf und sieht dann, wie sie miteinander verbunden sind, in welcher Reihenfolge sie stehen sollen. Und plötzlich hat man etwas, das man buchstäblich in der Hand halten und betrachten kann. Es ist ein faszinierender und sehr aufregender Prozess.
MI: Gibt es Lieder auf „Blood Dynasty“, die dir besonders am Herzen liegen?
Sharlee: Die einfache Antwort wäre: alle [lacht]. Aber das wäre ziemlich langweilig. Es gibt so viele. „Dream Stealer“ ist definitiv eines davon, weil … es war fast so, als wäre es von Anfang an klar, dass dies die erste Single werden würde. Es ist ein starker Track, hat einen guten Refrain, aber es ist nicht der typische Durchschnitts-Hit. Es ist ziemlich extrem. Ich denke, der Titel war ein guter Weg, um die Flagge zu setzen und zu sagen, hey, so läuft das hier. Das ist es, worauf wir abzielen. Und eine wesentliche Facette dieses kleinen Juwels, das wir hier haben.
Aber es gibt so viele Songs, die mir ebenfalls gefallen. „Illuminate The Path“ ist fantastisch. Speziell, weil Alissa die Melodie für den Refrain beisteuerte, was das ganze Stück nochmals ein wenig umgekrempelt hat. Ich dachte mir damals: Ja, das ist etwas, was wir so noch nicht gemacht haben, also probierten wir es aus. Und es hat perfekt funktioniert! „Blood Dynasty“, unser Titeltrack, ist auch einer meiner Favoriten.
Sowie „Liars and Thieves“, weil wir nie dachten, dass dieses Stück so gut ankommen würde – insbesondere bei jüngeren Leuten. Er ist irgendwie oldschool, scheint aber wirklich den Nerv getroffen zu haben. Wir haben ihn letztes Jahr live gespielt, bevor das Album überhaupt rauskam oder als Single veröffentlicht wurde. Und sofort gab es Moshpits und so. Das war unglaublich. Ich hätte nie zu träumen gewagt, dass dieser Song so eine Wirkung hat. Es war eine super positive Überraschung. Auch „The Pendulum“ liegt mir sehr am Herzen. Plus „Vivre Libre“, obwohl es nicht unser Lied ist [sondern eine Cover-Version aus den 80er Jahren von einer Band namens Blaspheme].
Aus dem Rezeptbuch
MI: Wir scheinen diesbezüglich einen recht ähnlichen Geschmack zu haben. Apropos Geschmack – kochst du gerne?
Sharlee: Es geht so, und ich bin sicher kein Meister darin. Im Prinzip läuft es stets so ab: Man nimmt bestimmte Zutaten, schneidet sie in Stücke, wirft sie in ein oder zwei Töpfe, fügt Gewürze hinzu und hofft, dass es gut schmeckt – und dann isst man es.
Die Tatsache, dass Sharlee die Option „… Oder wirf es weg und bestell eine Pizza“ nicht ins Spiel bringt, lässt den Schluss zu, dass seine Kochkünste so schlecht nicht sein können. Aber eigentlich ziele ich mit meiner Übergangsfrage auf folgendes ab …
MI: Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Zutaten für den perfekten Arch Enemy Song?
Sharlee: Ich würde sagen, er sollte Melodie, Aggression und eine Art Groove enthalten. Das sind die wesentlichen Elemente, und dann kann man die Parameter nach Belieben anpassen. Diese drei Dinge sollten auf jeden Fall vorhanden sein. Dein Vergleich mit dem Kochen ist sehr treffend, denn bei Musik, Essen oder anderen Dingen geht es um Komposition und Ausgewogenheit. Alles, was gut ausbalanciert ist, schmeckt gut oder klingt angenehm für die Ohren. Eine wirklich treffende Analogie!
Ein weiterer wesentlicher Faktor für die besondere Klangwelt von Arch Enemy ist sicherlich Alissa White-Gluz. Dass die stimmliche Vielfalt der in Kanada geborenen Sängerin weit über das stilprägende Growlen hinausgeht, hat die Dame in der Vergangenheit bereits mehrfach in Projekten und Kollaborationen ausserhalb des AE-Universums unter Beweis gestellt. Und ja, auch in ihrer Stammformation waren bereits auf „Reason To Believe“ sowie „Handshake With Hell“ cleane Gesangspassagen zu hören. Dass auf der aktuellen Scheibe „Blood Dynasty“ aber gleich drei solcher Titel mit nicht durchgängig harschen Vocals zu finden sind – und mit „Vivre Libre“ sogar eine waschechte Ballade vorliegt – überrascht dann doch ein wenig.
MI: Welchen Einfluss hatte Alissa auf die vermehrt anzutreffenden Clear Vocals?
Sharlee: Diese Frage lässt sich nicht so pauschal beantworten. Wir versuchen nicht, etwas gezielt in unsere Musik einzubauen, wie zum Beispiel Klargesang, nur um seiner selbst willen. Es geht vielmehr darum, was der Titel selbst verlangt. Wenn Alissa an einer Stelle eine gute Idee hat, dann bringt sie diese ein. Das können komplett Clear Vocals oder harmonische Elemente sein, wie etwa Background-Gesänge im Refrain. Wenn sie oder jemand anderes mit einem guten Vorschlag kommt und sich dieser in den Song einbauen lässt, dann setzen wir das um. Es ist also weniger ein erzwungenes Element, sondern vielmehr das, was das Stück von sich aus hergibt.
Ein ewiger Kreislauf
Inhaltlich beschäftigen sich Arch Enemy auch auf ihrem mittlerweile zwölften Werk mit wiederkehrenden Themen wie Widerstand, Selbstbestimmung, Stärke und Entschlossenheit. Auch wenn die Texte aus der Feder von Michael Amott bzw. Alissa stammen, möchte ich es nicht versäumen, Sharlee nach seiner Meinung zu fragen.
MI: Was kannst du uns zu den Lyrics sagen?
Sharlee: Auch hier lässt sich keine allgemeingültige Aussage treffen. Jedes Lied hat seine eigene Bedeutung. Ich denke, das Beste ist, wenn die Zuhörer selbst entdecken, was sie in den Texten finden und ob sich darin etwas aus ihrer Welt widerspiegelt. Ich möchte die Texte nicht zu sehr sezieren, aber es gibt sowohl persönliche Stücke als auch solche, die sich mit dem aktuellen Weltgeschehen auseinandersetzen. Manche Lyrics begannen als reine Gedankenspiele, doch mit der Zeit veränderte sich die Welt um uns herum. Und plötzlich reflektieren diese Texte die Realität, obwohl dies beim Verfassen nicht beabsichtigt war. Es gibt somit in der Tat eine Vielzahl unterschiedlicher Aspekte in unseren Liedern zu entdecken.
MI: Mit „Blood Dynasty“ veröffentlicht ihr nun bereits euer zwölftes Studioalbum. Wie siehst du die Entwicklung von Arch Enemy im Laufe der Jahre, insbesondere seit du 1999 zur Band gestossen bist?
Sharlee: Im Grunde genommen sind wir einfach immer unseren Weg gegangen. Man nimmt ein Album auf, ist zufrieden damit, spielt es live vor Publikum, und mit der Zeit kristallisieren sich persönliche Favoriten heraus. Es gibt Songs, die man lieber spielt als andere, und Stücke, die live besonders gut beim Publikum ankommen. Das beeinflusst dann auch die Entstehung der nächsten Scheibe. Es ist letztlich ein steter Kreislauf. Die Entwicklung der Band passiert dabei ganz natürlich.
Klar kommen im Laufe der Zeit neue Einflüsse hinzu, die ihren Weg in die Musik finden. Aber es gab nie einen Punkt in unserer Karriere, an dem wir uns hingesetzt und gesagt haben: „Lass uns ein Album in diesem oder jenem Stil machen“. Es entsteht einfach aus dem Songwriting-Prozess heraus, und erst dann zeigt sich, wohin die Reise geht. Es ist alles in allem ein sehr lebendiger Prozess.
Drei Stunden Vollgas
Nach ihrem fulminanten Auftritt in The Hall im vergangenen Oktober (zum Konzertbericht) wird das Quintett die Schweiz am 21. Oktober 2025 an gleicher Stelle erneut beehren (hier entlang zur Vorschau). Zeit also, Sharlee ein wenig über die bevorstehende Tour zu befragen, auch wenn diese zugegebenermassen noch etwas in der Ferne liegt.
MI: Habt ihr bereits darüber gesprochen, welche neuen Stücke von „Blood Dynasty“ es in die Setlist schaffen könnten?
Sharlee: Nein, dafür ist es noch zu früh. Ich denke, das wird die Zeit zeigen. Und vielleicht werden während der Tournee einige Songs ausgetauscht, wenn wir merken, dass sie nicht so recht zünden wollen. Wir versuchen immer, hier und da ein paar neue Stücke einzubauen, um zu sehen, wie das Publikum darauf reagiert. Es ist ein grosser Unterschied, wie Menschen ein Lied zu Hause wahrnehmen und wie es dann live rüberkommt. Deshalb experimentieren wir stets damit. Man weiss nie, welche Titel zu Live-Favoriten werden, bis man sie auf der Bühne gespielt hat. Wir werden sehen, noch ist alles offen.
MI: Gibt es Lieder, die du live besonders gern spielst?
Sharlee: Es gibt so viele Favoriten, und sie ändern sich auch bisweilen. Ferner gibt es Songs, die seit ihrer Veröffentlichung fester Bestandteil unserer Setlist sind. „Nemesis“ zum Beispiel haben wir, glaube ich, bei jedem Konzert seit 2005 gespielt. Auch „Ravenous“ ist ein Stück, das wir immer präsentiert haben, abgesehen von der letzten Tour und vielleicht noch einer weiteren. Manchmal ist es aber gut, bestimmte Lieder eine Weile ruhen zu lassen, sie quasi vorübergehend in Rente zu schicken, um ihrer nicht überdrüssig zu werden.
Wenn sie dann nach einer Weile ins Programm zurückkehren, fühlen sie sich wieder richtig frisch an. Wir versuchen, die Setlist abwechslungsreich zu gestalten, obwohl es Tracks gibt, die wir einfach spielen müssen. Je mehr Alben wir produzieren und je mehr Singles wir daraus veröffentlichen, desto mehr Pflichtstücke kommen hinzu. Das macht die Auswahl zunehmend schwieriger.
MI: Wodurch eure Shows bald einmal auf eine Länge von drei bis vier Stunden anwachsen würden.
Sharlee [lacht]: Das ist genau der Punkt. Es würde dann in etwa der Länge eines Springsteen-Konzerts entsprechen. Nun mag man denken: „Wow, drei Stunden Vollgas, grossartig.“ Ernsthaft: Nein, das ist es nicht. Bestimmte Musik ist einfach zu intensiv, um so lange gespielt zu werden. Es wäre eher ermüdend. Ich denke, das funktioniert besser bei normalem Rock, wie eben Bruce Springsteen. Aber das ist eine andere Art von Musik, in der Höhen und Tiefen variieren. Wir haben nicht so viele Balladen, und man braucht Abwechslung, wenn man das Publikum drei Stunden lang fesseln möchte. Deshalb bleiben wir zumindest vorerst mal bei unseren zwei Stunden.
Vivre Libre
MI: Stichwort Balladen: Hat „Vivre Libre“ eine Chance, Unterschlupf in der Setlist zu finden? So als eine Art stiller Moment, um einmal durchzuatmen? Oder würde das die Fans doch zu sehr vor den Kopf stossen?
Sharlee: Das ist eine sehr gute Frage. Es wäre grossartig, den Song live zu spielen und die Reaktionen zu beobachten. Doch so weit sind wir noch nicht. Trotzdem wäre es spannend zu sehen, ob es funktioniert oder das Publikum eher denkt: „Bäh, keine Doppelbassdrums? Was soll das denn?“ [lacht]. So etwas lässt sich nur schwer vorhersagen.
MI: Wir haben vorhin über die Lieder gesprochen, die du live am liebsten spielst. Gibt es umgekehrt auch Titel, die du gerne aus der Setlist streichen würdest, die von den Fans aber einfach verlangt werden?
Sharlee: Eigentlich nicht, spontan fällt mir nichts ein. Aber es gibt Songs, die wir im Laufe der Zeit aus dem Set gestrichen haben. Manche performe ich gern, weil die Publikumsreaktionen grossartig sind – wie etwa „The World Is Yours“. Gleichzeitig hasse ich es, weil es anstrengend ist und volle Konzentration erfordert. Ausserdem muss das Instrument umgestimmt beziehungsweise ausgetauscht werden. Jedes Mal, wenn ich das Stück auf der Setlist sehe, graut es mir davor – aber sobald wir ihn spielen, ist die Reaktion überwältigend.
Ähnlich geht es mir mit „Ravenous“. Persönlich finde ich ihn eher langweilig, aber wenn das Publikum mitzieht und die Energie stimmt, würde ich ihn gegen nichts in der Welt eintauschen wollen. Viele Lieder sind ein zweischneidiges Schwert. Deshalb ist es manchmal gut, selbst Favoriten vorübergehend aus dem Set zu nehmen – nicht für immer, sondern um sie später mit frischer Begeisterung zurückzubringen.
Genau das haben wir mit einigen Titeln gemacht. Irgendwann sagt dann jemand aus der Band: „Den müssen wir wieder spielen!“. „We Will Rise“ ist ein gutes Beispiel hierfür. Jahrelang war er fester Bestandteil unseres Programms, dann haben wir ihn zugunsten neuer Songs pausiert. Als wir ihn auf der letzten Tour wieder reinnahmen, fühlte es sich so richtig frisch und neu an. Denn wenn man einen Titel zu oft spielt, kann er eben auch an Reiz verlieren. So ist das nun mal.
Kindheitserinnerungen
Nach der Tour ist ja bekanntlich vor der nächsten Tour. So sind die Schweden oft auf Achse – wie zuletzt auf der grandiosen Doppel-Headlinertour zusammen mit In Flames, wo sie ja am 15.10.2024 in The Hall zu Zürich aufschlugen (zur Review). Und wer denn eine Reise tut, der kann etwas erzählen.
MI: Gibt es besondere Momente, die sich dir ins Gedächtnis eingebrannt haben?
Sharlee: Du meinst in den vergangenen 27 Jahren? [lacht] Da gibt es tatsächlich einige Momente, die mich berührt haben. Zwei stechen jedoch besonders hervor: Einer davon war unser ausverkauftes Konzert im Hammersmith Odeon in London – oder wie es heute heisst, dem Eventim Apollo. Für mich wird es immer das Hammersmith Odeon bleiben, ein legendärer Veranstaltungsort. Kurz bevor die Türen geöffnet wurden, ging ich hinein, stellte mich unter den Balkon und blickte nach oben – genau an die Stelle, an der ich 1984 stand, als ich Motörhead sah. Ein echter Hühnerhautmoment, der mich direkt in diese Zeit zurückversetzte. Damals hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich eines Tages selbst hier spielen würde. Und nun war ich es, während jemand anderes dort oben stand und uns zusah – ein überwältigendes Gefühl.
Ein ähnliches Erlebnis hatte ich in Göteborg, als wir im Scandinavium spielten – einer klassischen Hockey-Arena, in der ich als Jugendlicher all die grossen Bands der 80er und frühen 90er gesehen habe. Zum ersten Mal selbst dort aufzutreten, war schlicht unbeschreiblich. Diese beiden Momente bedeuten mir unendlich viel.
MI: Wenn wir schon in alten Zeiten schwelgen. Angenommen, du könntest 25 Jahre in der Zeit zurückreisen – welchen Rat würdest du deinem jüngeren Ich geben?
Sharlee: Ich würde mir raten: Nimm die Dinge nicht so schwer und fokussiere dich auf das, was du tust – alles wird sich fügen. Und um Himmels willen, hör auf, dir ständig Sorgen zu machen! Behalte dein Ziel im Blick und geh entschlossen darauf zu. Vor allem aber: Geniesse den Weg dorthin. Denn am Ende sind es die Erinnerungen, die bleiben.
MI: Wenn du eine Superkraft haben könntest, welche wäre das?
Sharlee [überlegt]: Es gäbe so viele Möglichkeiten. Aber weisst du was? Am liebsten würde ich durch die Zeit reisen – allerdings nicht in die Zukunft, denn das stelle ich mir eher beängstigend vor. Stattdessen würde ich in die Vergangenheit zurückkehren, um Erlebnisse aus erster Hand zu erfahren, von denen ich bisher nur gelesen habe. Und um Menschen zu treffen, die ich sonst nie kennenlernen könnte – Schriftsteller, Künstler, Schauspieler, grosse Persönlichkeiten, die längst von uns gegangen sind. Die Vorstellung, mit ihnen auch nur einen kurzen Moment sprechen zu können, fasziniert mich.
MI: Leider ist unsere Zeit schon fast um. Hast du noch eine besondere Botschaft für eure Fans hier in der Schweiz?
Sharlee: Wir sind unglaublich dankbar, dass ihr uns jedes Mal so herzlich willkommen heisst, wenn wir euer schönes Land besuchen. Solange ihr uns so warm empfangt, kommen wir immer wieder gerne. Und sagt euren Freunden, dass auch sie jederzeit willkommen sind!
MI: Das werde ich tun. Vielen Dank für dieses spannende Gespräch!