Staraufgebot in Zürich
Tobias Sammet kehrt zurück in die Schweiz. Und wenn dies unter dem Banner von Avantasia passiert, dann sind grosse Namen und Spektakel garantiert. Auf nach Dübendorf!
Loyalität! Loyalität?
Bevor ich hier auf die mehrstündige Show zu sprechen komme, will ich ein paar Worte verlieren zum Thema „Loyalität“. Tobi Sammet respektive Avantasia waren auf den letzten Touren stets im Z7 in Pratteln zu Gast. 2013 und 2016 für Doppelshows und 2019 sogar für drei aufeinander folgende Konzerte. Dies, obwohl das alles schon damals eigentlich ZU gross war für das Z7. Doch Tobi ist loyal und erwähnte damals auch, dass er lieber zwei oder drei ausverkaufte Shows im Z7 hat als eine grosse Show woanders. Diese Aussage fliegt ihm von gewissen Fans nun um die Ohren, seitdem der Besuch in der Hall angekündigt wurde.
Aber man sollte in diesem Punkt dennoch fair bleiben. Wenn man das Bühnenbild und die Grösse der Produktion insgesamt sieht, dann ist das – Loyalität hin oder her – wohl einfach eine Schuhnummer, die im allseits geliebten Konzerttempel in Pratteln keinen Platz hat. Da wären massive Abstriche nötig gewesen. Ehrlich gesagt: Dies hätte wohl nicht nur ich sehr schade gefunden. Schlussendlich gibt es da zudem noch ein Management, welches den Tourplan erstellt und die Hallen bucht. Es ist ein Business, das weiss auch Tobi und ich bin überzeugt: Wenn er eine Chance sieht, irgendwann wieder einmal im Z7 aufzuschlagen, wird er das tun!
Inwiefern diese ganze Thematik sich auf die heutige Zuschauerzahl niederschlägt, ist schwer zu beurteilen. Gerade mal 2‘000 Zuschauer sind anwesend (ich hätte zwar auf einige hundert mehr getippt), das ist dann schon eine eher bescheidene Zahl. Dafür – ich nehme es vorweg – herrscht die ganze Show über eine grossartige Stimmung, auch auf der gut gefüllten Tribüne! Da ist für einmal wenig zu sehen von der „Schweizer Zurückhaltung“. So, und jetzt lassen wir Tobi und seine Mannschaft aufspielen!
Tobias Sammet’s Avantasia
Kurz nach halb acht fällt der Vorhang und enthüllt ein richtig cooles Bühnenbild. Zu „Creepshow“, dem Opener des aktuellen Silberlings „Here Be Dragons“, schiessen hinter der Friedhofsmauer und den Gittern CO2-Säulen und Flammen in die Höhe. Die Musiker sind schön auf der Bühne verteilt: Die Rhythmus-Sektion um Drummaschine Felix Bohnke und Basser André Neygenfind, ergänzt durch Tobis Partner in Crime Sascha Paeth, auf der einen Seite. Auf der anderen sind Tastenmann und Geburtstagskind Miro Rodenberg (Tobi: „Heute wird er 84 – auf die nächsten 84 Jahre!“), sowie die (mehr als nur) Background-Sängerinnen und -Sänger Adrienne Cowan, Herbie Langhans und Chiara Tricarico. Auch der zweite Gitarrist Arne Wiegand hat da seinen Arbeitsplatz.
Mit „Reach Out For The Light“ wird dann gleich mächtig an der Stimmungsschraube gedreht. Neben Tobi darf hier die nicht mehr komplett schwarzhaarige Adrienne Cowan ran und die überzeugt mit einer absolut beeindruckenden Performance. Der erste grosse Höhepunkt, dem noch einige folgen werden.
Im ersten Teil der Show dominieren ansonsten neue Tracks. Bei der Single „The Witch“ darf zum ersten Mal Kamelot-Sänger Tommy Karevik mittun, bei „Phantasmagoria“ betritt Ronnie Atkins zur grossen Freude der Fans die Bühne. Erstaunlich und inspirierend, was der Sänger heute noch an Leistung erbringen kann! Und weil aller guten Dinge drei sind, darf dann auch Eric Martin seinen ersten Applaus in Empfang nehmen. Die Ballade „What’s Left Of Me“ senkt zwar etwas die Stimmung, doch mit „Dying For An Angel“ findet man sofort wieder in die Spur zurück.
Ganz zu Beginn erwähnt Tobi, dass er „kein Freund vieler Worte“ sei – was mit schallendem Gelächter quittiert wird. Doch insgesamt hält er sich (für mich leider) wirklich sehr zurück mit seinen Sprüchen. Aber kurze Ansagen wie zum nächsten Track, „Against The Wind“, liegen immer drin. Das ist das Zeichen für Kenny Leckremo, den Sänger von H.E.A.T. Und der geht auch hier ab wie ein Zäpfchen. Die Fotografen können fast froh sein, dass sie diesen Springteufel in Menschengestalt nicht knipsen müssen…
Wie erwähnt besteht der erste Teil vor allem aus Material des neuen Silberlings. Im Gegensatz zu manch anderem hat mich das Ding bis heute kaum überzeugt, das ändert auch im Live-Gewand nicht. Weder „Here Be Dragons“ (mit Karevik) noch „Avalon“ (mit Cowan) packen mich. Was allerdings ein lustiger Nebeneffekt ist: Man schaut mal auf die Uhr und stellt fest, dass manche Band mittlerweile bald zum Zugaben-Block kommen würde. Avantasia hingegen haben gerade mal ein DRITTEL ihrer Show gespielt. Da kommt also noch einiges…
Tobi fordert nun alle Energie des Publikums, es folgt der längste Song des Abends: „Let The Storm Descend Upon You“. Da dürfen Herbie sowie Ronnie mittun und ich nehme es vorweg: Jetzt nimmt die Show richtig Fahrt auf! Ein wahrer Triumphzug beginnt, ein Hit-Feuerwerk der obersten Klasse. Bei „Promised Land“ übergibt Tobi den Gesang komplett an Ronnie und Eric, bevor ein grosser, mit Drachenflügeln bestückter Stuhl auf die Bühne gebracht wird. Sammet nimmt Platz und zelebriert „The Toy Master“ (im Original von Alice Cooper veredelt), während immer wieder Flammen aus der Kopflehne züngeln. Für mich der mit Abstand beste Moment des ganzen Abends.
Und das, obwohl wie versprochen noch einige Höhepunkte kommen. Tobi macht nun eine längere Pause und überlässt die nächsten drei Songs seinen Gästen. „Twisted Mind“ gehört wie zuvor das versprochene Land Ronnie und Eric. Bei „The Wicked Symphony“ teilen sich Tommy Karevik und Kenny Leckremo die Vocals, wobei der H.E.A.T.-Sänger insgesamt wesentlich überzeugender wirkt als sein schwedischer Landsmann. „Shelter From The Rain“ ist der nächste Klassiker, hier darf anstelle von Karevik Herbie Langhans seine Gesangskünste mit Kenny zeigen.
Dann ist es endlich soweit: Ein weiterer Track von „The Metal Opera Pt. 1“, dem Debüt-Album von Avantasia und bis heute DAS Vorzeigewerk der Band. Und mit „Farewell“ zudem grad einer der Songs, die selbst da den Rest noch ausstechen. Nun darf auch die zweite Background-Sängerin zeigen, dass sie mehr als eben nur Background kann. Chiara Tricarico liefert sich hier ein packendes Duett mit Tobi bei einem der besten Lieder, die es von Avantasia überhaupt gibt. Poulet all over.
Doch damit nicht genug. Tobi hat recht: „Die nächste Nummer braucht keine Ansage, die kennt ihr vom ersten Ton an!“ Mit „The Scarecrow“, bei dem Ronnie Atkins ein weiteres Mal mittun darf, folgt nochmals so eine Übernummer, die weit über zehn Minuten dauert und dem Publikum erneut einiges abverlangt. Eher überraschend, aber nicht minder schlecht, ist das folgende „Death Is Just A Feeling“. Im Original ist das die Nummer von Savatage-Mainman Jon Oliva und selbst wenn der aktuell nicht aktiv ist, so freut man sich da einen Moment lang grad auf die kommende Show der US-Legende im Juni. Und hier ist grad Schluss. Öhm…?
Für die Zugaben wird zuerst mal ein grosses Piano auf die Bühne geschoben. Tobi sitzt da und erklärt, dass er dafür nicht so der Experte sei. Doch „sein Geltungsbedürfnis ist grösser, als die Möglichkeit sich zu blamieren!“. Er liefert noch eine weitere Erklärung: „Bei uns ist alles LIVE-Musik! Kein Bullshit ab Band! Wir setzten nicht auf KI, sondern auf menschliches Versagen!“ Und so sammelt der Mann einfach immer wieder Sympathiepunkte…
Doch zurück zum Piano. Sammet spielt da alleine „Lucifer“ und das Instrument beginnt sogar zu brennen. Danach geht es unweigerlich auf die Zielgerade. Niemals fehlen in einer Avantasia-Setlist wird wohl auf ewig der „Pop-Song“. Doch egal was all die Kritiker rumnörgeln: „Lost In Space“ ist geil! Punkt!
Es fehlt noch das altbekannte, grosse Finale. Zum Paket „Sign Of The Cross / The Seven Angels“ erscheinen nochmals alle Gäste auf der Bühne und lassen sich zurecht von den Fans feiern. Ein grossartiges Konzert, ein grosses Spektakel geht nach 2 Stunden und 40 Minuten zu Ende. Das Resultat? Rundum zufriedene Gesichter!
Das Fanzit – Avantasia
Zwar sind es nicht die drei versprochenen Stunden geworden, dafür hat Tobi einfach deutlich zu wenig gelabbert. Selbst die Bandvorstellung war sehr spartanisch. Nur bei Drummer Felix holte er etwas aus und bezeichnete ihn als „Höhlenmensch, der mit Holzstöcken auf Tierfelle drescht!“
Dennoch ist es eine schlichtweg grossartige Show gewesen, die uns Avantasia wieder geliefert haben. Zweifellos die grösste und aufwendigste Produktion in der Geschichte dieser Band.
Ein grosser Name hat bei den Gästen jedoch gefehlt: Bob Catley, der Sänger von Magnum. Eigentlich ein Stammgast, scheint er auf dieser Tour mehrheitlich zu fehlen.
Ich habe es im Bericht erwähnt: Mit „Let The Storm Descend Upon You“ hat die Show richtig Fahrt aufgenommen. Natürlich gäbe es noch andere (und mehr) Lieder, die man gerne hören würde, allen voran natürlich „Avantasia“. Aber auch „Black Orchid“, „Draconian Love“ oder „Symphony Of Life“, um mal einige seltene Perlen auszubuddeln.
Ein grossartiger Abend, an dem man zudem massenhaft Freunde und Bekannte getroffen hat und man am Ende kaum mehr raus kam mit all den „Verabschiedungs-Orgien“. Einzig der Metalinside-Kollege Sandro, der hier für die Fotos zuständig ist, ist mir nie über den Weg gelaufen. Das müssen wir nachholen!
Die Setlist – Avantasia
- Creepshow
- Reach Out For The Light (feat. Adrienne Cowan)
- The Witch (feat. Tommy Karevik)
- Devil In The Belfry (feat. Herbie Langhans)
- Phantasmagoria (feat. Ronnie Atkins)
- What’s Left Of Me (feat. Eric Martin)
- Dying For An Angel (feat. Eric Martin)
- Against The Wind (feat. Kenny Leckremo)
- Here Be Dragons (feat. Tommy Karevik)
- Avalon (feat. Adrienne Cowan)
- Let The Storm Descend Upon You (feat. Herbie Langhans & Ronnie Atkins)
- Promised Land (feat. Ronnie Atkins & Eric Martin, ohne Tobi Sammet)
- The Toy Master
- Twisted Mind (feat. Ronnie Atkins & Eric Martin, ohne Tobi Sammet)
- The Wicked Symphony (feat. Tommy Karevik & Kenny Leckremo, ohne Tobi Sammet)
- Shelter From The Rain (feat. Herbie Langhans & Kenny Leckremo, ohne Tobi Sammet)
- Farewell (feat. Chiara Tricarico)
- The Scarecrow (feat. Ronnie Atkins)
- Death Is Just A Feeling
- Lucifer*
- Lost In Space*
- The Tower / The Seven Angels (feat. Alle)*
*Zugaben